Brixner 366 - Juli 2020

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Politik & Gesellschaft

ZEITREISE INS JAHR 1636

Die Pest in Neustift Tirol blieb im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) von Kriegshandlungen weitgehend verschont – nicht aber von der Pest, der häufigen Begleiterin großer Kriege. Eine Rückblende ins 17. Jahrhundert zeigt uns, wie man früher Seuchen erlitten und überwunden hat.

Scharfe Maßnahmen. Katastro-

phal wurde die Lage allerdings 1636 in Neustift, wie die beiden Chorherren Hartmann Ammann 1891 und Herbert Theobald Innerhofer 1992 in entsprechenden Publikationen berichten. Von der Mitte der Fastenzeit an scheinen in Neustift erste einzelne Todesfälle infolge einer pestartigen Seuche eingetreten zu sein; dieselben betrafen jedoch nur zugereiste Personen und erregten anfangs kein besonderes Aufsehen. Als erstes Opfer wird Christoff Schwegler angeführt, ein „Schuelmaister aus Straßburg gebürtig, gestorben am Sonntag Laetare“ (2. März). Als zweites Opfer wird „ein Schwaebischer Gypsmacher“ angeführt, gestorben am 29. März. Ob diese Todesfälle aber wirklich infolge der Pest eingetreten sind, bleibt zweifelhaft. Es kann nur aus der Angabe der Stiftsannalen geschlossen werden, dass die Pest 4

in Neustift bereits um die Mitte der Fastenzeit begonnen habe. Jedenfalls wurde in der Folgezeit eine Kommission von der fürstbischöflichen Regierung zu Brixen nach Neustift entsandt, um die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Dem Pfleger von Salern (Vahrn), Sebastian Gall, wurde am 5. April angeordnet, die Entwicklung der Seuche sowie die Zahl der Kranken und Verstorbenen genauestens zu registrieren und zu melden. Die Kranken waren von den Gesunden zu trennen, Seuchenverdächtige sollten interniert bleiben. Da die Seuche weiter zunahm, wurde am 20. Mai die Sperre gegen Neustift angeordnet. Zwei beeidigte Wächter, die des Lesens und Schreibens kundig waren, wurden an der Neustifter Brücke aufgestellt und durften niemandem ohne Gesundheitsschein den Durchgang gestatten. Desgleichen wurden die Grenzen zum damals angrenzenden Gericht Rodeneck geschlossen. Neustift war damit von allen Verbindungen mit der Nachbarschaft abgeschlossen und ganz auf sich selbst angewiesen. Brixen hatte angeordnet, alle Häuser abzuriegeln, in denen jemand an der Pest gestorben oder daran erkrankt war. Jeder Verkehr mit den Insassen wurde verboten; die Lebensmittel wurden den Neustiftern von Tag zu Tag nur von außen und in einer Weise gereicht, dass nicht nur jede gegenseitige Berührung, sondern auch jedes Gespräch mit den Eingeschlossenen unmöglich war. Personen, die mit Erkrankten in Kontakt gekommen waren, mussten sich in eine Quarantäne begeben und durften erst nach einer „Costumazzeit“ von zwei

bis drei Wochen wieder frei mit Gesunden umgehen, sofern sich bei ihnen kein pestverdächtiges Zeichen fand. Auch in Brixen wurden Abwehrmaßnahmen ergriffen. Dabei sollte vor allem auf Sauberkeit geachtet werden. Schweine, Hunde, Katzen, Tauben, Hennen, Gänse und Enten sollten – wie in solchen Fällen üblich – in den Häusern eingesperrt bleiben. Eine Kommission überwachte die Einhaltung der Vorschriften.

Die Versorgung der Kranken. Als die Zahl der Toten immer stärker anstieg, trafen sich am 27. Mai 1636 Vertreter von Brixen, Neustift, Vahrn und Rodeneck im Klingerhof (Hinterrigger) und beschlossen, die Kranken in einer gemeinsamen Behausung unterzubringen, und zwar im Bauhof des Klosters, dem späteren Schülerheim. In Neustift wurden eigene Gesundheitsräte ernannt, die die von der Regierung in Brixen erlassenen Befehle durchführen mussten. Sich in die Nachbargemeinde zu begeben war zum Beispiel strengstens verboten; allerdings hielten sich anfangs viele nicht an diese Regel, worauf Brixen eine drastische Verordnung erließ: Wer sich nicht an das Verbot hielt, dem drohte die Todesstrafe. Damit schaffte man endlich die für die Eindämmung der Seuche notwendige Disziplin. Die Maßnahmen zeigten Wirkung, wie es heißt. Die Toten sollten von nun an nur noch in der Nacht und ohne Glockengeläute begraben werden. Sogar öffentliche Gottesdienste unterblieben, während anderswo öffentliche Andachten angeordnet wurden.

Als Arznei empfahl der bischöfliche Leibarzt Michael Lachmiller, der sich aber hütete, persönlich nach Neustift zu kommen, in Essig gelegte Kranebittbeeren. Die Wirkung war allerdings gering. Da der Klosterbauhof und auch der Friedhof im Dorf bald zu klein waren, wurde auf der südlichen Stiftswiese, der sogenannten Hartmannwiese gegenüber der Einmündung des Schalderer Baches in den Eisack, eine provisorische Lazaretthütte errichtet. Dort wurden in der Folgezeit auch alle Verstorbenen begraben. Es sollen an die 100 Leichen gewesen sein. Nachdem auch ein Bader aus Brixen, die Totengräber sowie auch Krankenpfleger der Pest erlegen waren, blieb das Dorf in den zwei Wochen, in denen die Pest in Neustift am ärgsten wütete, ohne jede ärztliche Betreuung. Die Bemühungen des Neustifter Dekans, einen Arzt in Brixen, Bozen, Sterzing oder Innsbruck zu bekommen, blieben erfolglos. Was kein Nachbar und Landsmann mehr wagte, das unternahm schließlich ein Fremder namens Dörnlein, der aus Nürnberg kam: Er stellte sich am 17. Juli als Arzt in Neustift ein.

Abklingen der Seuche. Die Stren-

ge der teilweise vielleicht übertriebenen Absperrungen führte zu Not im Ort. Obwohl die Seuche allmählich nachließ, durften die Leute weder ihre außerhalb des Dorfes gelegenen Felder bearbeiten noch die dortigen Früchte ernten. Den Brixner Bäckern war es verboten, Brot bis zur Neustifter Brücke zu liefern. Die in den Lazaretten untergebrachten Pestkranken wurden nach Möglich-

Foto: Oskar Zingerle

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älle von Pest hatte es schon 1634 im Norden des Landes gegeben, im Inn- und Wipptal. In der Stadt Hall wurden Häuser und Schulen geschlossen. Aber auch aus den oberitalienischen Gebieten drohte Gefahr. In solchen Fällen ließ die fürstbischöfliche Regierung zu Brixen an den Grenzen Pestwachen aufstellen, die niemanden aus gefährdeten Gebieten ein- oder durchreisen lassen durften, bevor sie zu Mittewald beim Peisser in der Au 20 Tage Quarantäne gemacht hatten. Als zum Beispiel 1611 die Pest im Inntal ausbrach, wurden am Brixner bzw. Salerner Kläusel bei Unterau (gegenüber der später erbauten Festung Franzensfeste) fünf und in der Stadt Brixen sogar 16 Pestwächter aufgestellt.


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