Editorial Womit verbinden Sie Chur? Arbeiten, Ausgang, Ausbildung, Calanda, einkaufen, Militärdienst, RhB, Schule, Sport, wohnen, …? Die Liste könnte fast beliebig verlängert werden. Ich verbinde Chur vor allem mit verschiedenen Erinnerungen meiner Kindheit und Jugend. Da ist zum Beispiel das Haus und der Garten von Nani und Neni und der Duft aus der traditionellen Mittagsküche. Und dann waren da noch die spannenden Geschichten, welche Papa und Neni vom Flössen an der wilden Plessur erzählten. Oder auch der eine oder andere Lausbubenstreich, den ich aber hier nicht weiter beschreibe. Ja, das war damals. Damals, als dieses Haus im Rheinquartier noch am Stadtrand stand und in der Nähe eine Gärtnerei betrieben wurde. Der nahe gelegene Coop war damals noch kein Supermarkt, sondern wurde im Quartier (fast ein wenig liebevoll) Konsum genannt. Wenn Nani mal etwas Besonderes brauchte, so ging sie nicht ins Zentrum, sondern in die Stadt. Dies lässt doch darauf schliessen, dass damals im Rheinquartier alles noch etwas überschaubarer und familiärer war als anderswo. Oder wir glaubten zumindest, dass es «hier» anders war. Für mich in einer Stadt einzigartig schön, und als kleiner Junge auch immer faszinierend, war und ist die Arosabahn, welche durch Chur fährt. Weil wir zu meiner Kindheit nie mit einem Auto in Chur unterwegs waren, brachte ich für Diskussionen und Pläne einer Untertagelegung der Arosabahn wohl auch keinerlei Verständnis auf. Für mich gehört sie einfach zum Churer Stadtbild. Wer heute in Chur täglich im Stau steht, wird sich jetzt vielleicht Ähnliches denken, wie der Schafhirt, dem der fremde Städter sagt, dass der Wolf im Sömmerungsgebiet eine unglaubliche Bereicherung darstelle. Es gibt sie aber nach wie vor, die ruhigen Plätze in Chur. Zu finden sind sie heute nicht nur in den Aussenquartieren, sondern dank autofreien Zonen auch in der schönen Altstadt. Ich wage zu behaupten, dass sich hier sogar Leute wohlfühlen, die städtisches Gebiet sonst eher meiden. Dass Chur eine weit engere Beziehung zu Arosa hat als nur die Verbindung mit der «kleinen Ro-
ten», ist gerade in forstlichen Kreisen Graubündens bekannt. Chur kann offenbar nicht nur seiner Lage in den Alpen wegen als Alpenstadt bezeichnet werden. Nein, die Stadt besitzt zuhinterst im Schanfigg weite Alpgebiete, aus denen hochwertige Produkte entspringen. In einem Kanton wie dem unsrigen ist es oft schwierig, den Begriff des Zentrums klar zu definie en. Wo ist nun das Zentrum? Dort, wo die Zentrale der kantonalen Verwaltung angesiedelt ist oder doch dort, wo die Reisedistanzen aus den entlegensten Tälern etwa dieselben sind? Wie auch immer, die sogenannte Zentrumsnähe hat scheinbar Vor- und Nachteile. In manchem Seitental Graubündens hört man hie und da (verbunden mit einem kurzen Augenzwinkern), dass es auch seine Vorteile hat, wenn «Chur» etwas weiter weg ist. Handkehrum müssen jene, die gerne etwas weiter von Chur entfernt sind, auch früher aufstehen, wenn morgens in Chur «anzutraben» ist. Wie bitte? Ach so. Klar, auch die Churer müssen natürlich früh auf den Weg, wenn (vormittags) Termine an der Kantonsperipherie anstehen. Der kleine Seitenhieb zwischen den Zeilen sei dem Schreibenden verziehen und ist bitte nicht ganz so tierisch ernst zu nehmen. Der Verein Graubünden Wald freut sich, in Chur das Gastrecht zu geniessen, und ich wünsche den Organisatoren eine gut besuchte Versammlung bei schönem Wetter und guter Laune! Redaktor Jörg Clavadetscher
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12.04.2022 10:09:37