Von der Eichel zum Risotto al Tartufo Wir schreiben das Jahr 1857. In der Nähe von Fläsch zieht ein Reh unter einer mächtigen Eiche vorbei. Unachtsam drückt es eine Eichel in den weichen Boden. Später keimt die Eichel und über die Jahre wächst ein stattlicher Baum heran. 160 Jahre später spaziert Roland Schmid mit seinem Hund an gleicher Stelle durch. Der Hund verharrt und scharrt im Boden. Schmid ruft seinen Hund zur Seite, bückt sich und zieht vorsichtig eine dunkle Knolle aus dem Boden … Bis hier hin eine frei erfundene Geschichte. Was nun folgt, sind Fakten zu diesem Thema. Stefan Spahr
Fragiles Gleichgewicht im Wald Lassen wir uns von einer hypothetischen Trüffeleiche in einem Bündner Wald die Geschichte der Trüffeln erzählen. Ungezählte Eicheln, die jährlich in den Wäldern auskeimen, finden im Boden schon im ersten Jahr Verbündete bei den Pilzen. Die Eiche ist spezialisiert auf Pilzarten, die zusammen mit ihrem Wirtsbaum eine Ektomykorrhiza bilden können – eine Zellverbindung zwischen Feinwurzeln und Hyphen des Pilzmyzels. Über diese für beide Arten lebenswichtige Verbindung tauschen die Symbiosepartner nicht nur Kohlenhydrate, Mikronährstoffe und Wasser aus, sondern senden auch Botenstoffe und Informationen in ein weitverzweigtes Netzwerk über ganze Waldregionen zu den darin lebenden Pflanzen und Pilzen. Auf die keimenden Eicheln warten Hunderte verschiedener Pilzarten im Boden, die sich um Territorien und Wirtsbäume streiten. Nur in äusserst seltenen Fällen wird eine keimende Eichel auf einen Pilz der Gattung Tuber (Trüffeln) stossen, denn nur sehr wenige Habitate bieten genau die richtigen Bedingungen für diese sensiblen Pilze, die rasch durch andere Arten verdrängt werden. Ist eine solche Verbindung zustande gekommen, so wird der Keimling zusammen mit seinem Pilzpartner über Jahrzehnte wachsen müssen, bis der Pilz im Stande
ist, erstmals Fruchtkörper – also Trüffeln – auszubilden. Über diese vielen Jahre hinweg bleibt die Symbiose nur dann stabil, wenn sich das Mikroklima rund um den Baum nicht verändert. Jeder Eingriff in den umgebenden Wald – und sei es nur das Fällen eines einzelnen Baumnachbars – kann das fragile Gleichgewicht durch Änderung der Lichtverhältnisse und der Begleitvegetation zum Kippen bringen. Auch Bodenverdichtungen durch schwere Waldmaschinen gefährden das Überleben des Myzels im Boden. Unter stabilen Verhältnissen hingegen können Eiche und Pilz über Jahrzehnte bestehen, und jährlich bildet der Pilz nun – je nach Saisonverlauf – unterirdisch wachsende Trüffeln als Fruchtkörper für seine Sporen. Kreislauf vieler Waldbewohner Im Gegensatz zu Ständerpilzen, die quasi über Nacht aus dem Boden «schiessen», wachsen Hypogäen über Wochen bis Monate im Boden, zum Beispiel unter unserer Eiche, heran. Im Verlaufe des Herbsts gelangen die Sporen in den Fruchtkörpern aufgrund äusserer Bedingungen wie Niederschlag und Temperaturverlauf zur Reife. Damit sich die Sporen räumlich verbreiten können, bedient sich die Natur eines genialen Tricks: Durch ein Zusammenspiel von Sporen und Bakterien-
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