Editorial Die Eiche – ein stolzer Baum. Weshalb soll ausgerechnet die Eiche «ein stolzer Baum» sein? Und, was ist damit gemeint und welche der verschiedenen Eichenarten ist da angesprochen? Verhält sich die Eiche etwa arrogant oder unterdrückend gegenüber ihrer Umwelt, wie das gewisse Menschen zu tun pflegen? Nein, das Urteil bezieht sich vielmehr auf meine ganz persönliche Wahrnehmung. In meiner Zeit im Mittelland beeindruckte mich die Eiche irgendwie in ähnlicher Manier wie bei uns die Arve. Und als ich Eichen Jahre später an für mich unerwarteten Standorten wieder begegnete, glaubte ich etwas zu spüren, was nicht immer da ist. Es ist schon so, man kann eigentlich nicht einfach von «der Eiche» sprechen, weil ihre Unterarten so zahlreich wie auch unterschiedlich sind. Und doch haben diese Unterarten für mich etwas Gemeinsames: Sie faszinieren mich. Sei es die vollschaftige, mächtige Stieleiche auf den schweren Böden des Mittellandes, die knorrige Flaumeiche auf den äusserst trockenen und felsigen Hängen unserer Nachbarn im Vinschgau oder auch die weit ausladende Steineiche an Kroatiens Küsten, sie alle haben eine starke Ausstrahlung. Das scheint eine altbekannte Stärke der Eiche gemeinhin zu sein. Ob in der Antike Griechenlands, bei den Römern, den Kelten oder auch bei den Germanen – immer wieder tritt die Eiche als Baum mit Verbindung zu Göttern in Erscheinung. In verschiedenen Wappen, auf Münzen, beim Kartenspiel, im waidmännischen Brauchtum und bei verschiedensten anderen Gelegenheiten treffen wir die Eiche auch heute noch an. Die Verbreitungslinie der Eiche wurde in der Vergangenheit aus unterschiedlichen Gründen zurückgedrängt. Mancherorts sind in Archiven noch Hinweise auf ehemalige Eichenvorkommen zu finden, so etwa in Zusammenhang mit Weiderechten für Schweine. Heute wären die klimatischen Bedingungen für die Ausdehnung des Verbreitungsareals für die Eiche bestimmt günstiger als noch vor 100 Jahren. Auch der Mensch müsste eigentlich daran inte-
ressiert sein, die Eiche zu fördern. So zählen doch einige Eichenarten in Zusammenhang mit dem aktuellen Klimawandel mitunter zu den vermutlich attraktivsten einheimischen Baumarten der Zukunft. Die Sache mit der Eichenförderung scheint aber nicht ganz so einfach zu sein, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Es gibt in unseren Wäldern jemanden, der sich als sehr intelligent, anpassungsfähig und bisweilen auch durchaus hungrig zeigt. Der Rothirsch – ein stolzes Tier. Nebst anderen jungtriebliebenden Paarhufern ist er bei uns der grösste seiner Familie. In des Waidmanns Augen scheint die Förderung der Paarhufer manchmal stärker gewichtet zu werden als die Förderung artenreicher Wälder mit klimafitten Baumarten, was teils auch in der Natur der Sache liegt und aus dieser Sicht verständlich wirken mag. So lässt es sich vielleicht erklären, dass dem Förster, der diesbezüglich für den Wald der Öffentlichkeit einsteht, da oder dort sogar Missbrauch seiner Stellung und egoistisches Vertreten von Eigeninteressen unterstellt wird. Dass die gleichzeitige Förderung der Eichen- und Huftierbestände beinahe der Quadratur des Kreises gleichkommt, wird – sachlich betrachtet – kaum ein Forstmann oder Waldbesitzer ernsthaft in Abrede stellen. Bleibt zu hoffen, dass es uns gemeinsam gelingt, sowohl unseren Fleisch und Pflanzen liebenden Wildtieren wie auch den Eichen und anderen klimabeständigen Baumarten einen Lebensraum von hoher Qualität und genügender Ausdehnung anzubieten und zu sichern. Redaktor Jörg Clavadetscher
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10.06.20 12:55