Frankreich Magazin 01 2021

Page 23

CHRISTINE CAZON Christine Cazon, alias Christiane Dreher, ist Krimiautorin und Wahlfranzösin. Zusammen mit ihrer Romanfigur Kommissar Duval erlebt sie Cannes sowohl vor als auch hinter den Kulissen der südfranzösischen Glitzerwelt.

In fremden Zungen Heute Nacht habe ich zum ersten Mal auf Französisch geträumt! Alle haben in diesem Traum Französisch gesprochen, sogar ich. Viele Hürden habe ich in den vergangenen Jahren gemeistert. Ich weiß, dass der Dreikäsehoch hier haut comme trois pommes ist, ein Dreiapfelhoch. Avoir la pêche heißt nicht, dass jemand einen Pfirsich hat, sondern dass jemand gut drauf ist. Hier gibt man nicht seinen Senf dazu, sondern sein Salzkorn, donner son grain de sel und wenn es la fin des haricots ist, es mit den Bohnen zu Ende geht, dann geht es wirklich nicht mehr weiter. Und wenn man von jemandem sagt, er habe pas de gaz à tous les étages, kein Gas auf allen Etagen, das Gegenteil dessen, was man häufig noch auf einem Emailleschild an alten mehrstöckigen Wohnhäusern liest: gaz à tous les étages. Dann hat er zwar seine Gasrechnung wahrscheinlich bezahlt, aber im Oberstübchen „kein Lämpchen an“. Ein Rendezvous ist auch kein lauschiges Stelldichein, sondern ein handfester Termin. Er habe ein Rendezvous, sagte mir mal der Mann in festen Schuhen, der sich ärgerte, dass der Bürgermeister noch nicht da war, denn er sei immerhin „Le Steak“. Das war zumindest das, was ich verstand, ich verkniff mir ein Lachen, und rief den Bürgermeister an und sagte, „der Herr Steak ist da, und er hat ein Rendezvous mit Ihnen.“ „Bin schon unterwegs“, sagt der Bürgermeister, „ist der Snaff auch schon da?“ „Wer bitte?“ „Der Snaff.“ Ich kicherte. „Bislang nicht“, sage ich und lache jetzt schon unterdrückt wie Obelix in seinen besten Tagen. Muhahahaaa. Steak und Snaff. Die sind lustig die Franzosen! Der Herr Steak vermutete wohl, dass ich kein Gas auf allen Etagen hatte, denn er hieß nicht Steak, sondern SDEG, und vertrat das Syndicat Départemental de l’Électricité et du Gaz, die Gas- und Stromverwaltung, und SNAF Routes ist eine Straßenbaufirma. Sie sollten in diesem Dorf die noch überirdisch herumhängenden Stromleitungen unter die Erde bringen. Und für dieses Projekt hatten sie einen Termin. Ach so. Ich beruhigte mich mühsam. SDEG, SNAF. Im Französischen werden einem Abkürzungen nur so um die Ohren geschlagen und sie werden gerne wie richtige Worte ausgesprochen. La fnac, die Buchhandelskette kennen Sie vielleicht. ASSEDIC ist weniger bekannt. „Wo soll ich hin?“, fragte ich verständnislos. „Ohs-assedick“, antwortete einst meine damalige Schwiegermutter. „Assez was?“ „Aux ASSEDIC“ wieder-

holte sie langsam und deutlich, aber der Sinn dieser Aneinanderreihung von Buchstaben erschloss sich mir nicht. l’ASSociation pour l’Emploi Dans l’Industrie et le Commerce, erläuterte sie mir nun. Das Arbeitsamt! Ach so! Man lernt es im Laufe der Zeit, genau wie man lernt, dass der Nachrichtensprecher nicht vulgär „Kack“ sagt, sondern CAC, und dass er vom Bruttosozialprodukt spricht. Und was ist eigentlich „Oh-nüh“? Oh nee, denken Sie vielleicht bei „Oh-nüh“, aber Sie müssen wissen, dass die Franzosen alles grundsätzlich französisieren: ONU (sprich oh-nüh) heißt im Rest der Welt UNO und ja, es sind die Vereinten Nationen, Organisation des Nations Unies. Ich wusste auch lange nicht, von was Stephanie von Monaco eigentlich sang, damals in den Achtzigern „Comme un ouragan …“ trällerte sie. Erst vor kurzem, als ich Monsieur erzählte, dass Freunde in den USA von einem Hurrikan bedroht seien, kam ich dahinter. Ich hatte Hurrikan so amerikanisch wie möglich und mit Kaugummi-R ausgesprochen: Hörrikän. Monsieur verstand nicht, was ich gesagt hatte. Örrikän versuchte ich es nun in einer französischen Variante ohne „H“ und mit Zungenspitzen-R. Er verstand mich immer noch nicht. Ouragan fand ich im Wörterbuch. OURAGAN! Man lernt nie aus. Kürzlich hatte ich einen Banktermin, um mein Konto „aufzufüllen“, approvisionner heißt das Wort dafür. Ich kann es nicht aussprechen. Immer kommt apprivoiser aus meinem Mund, zähmen. „Ich möchte bitte mein Konto zähmen“, sagte ich. Natürlich weiß ich, dass es das falsche Wort ist, herrjeh, auch wenn ich ein gezähmtes Konto, das sich nicht wie von selbst leert, gar nicht schlecht fände. Die Bankangestellte lächelte fein, approvisionner schlug sie freundlich vor. „Richtig“, sagte ich und wiederholte leichtsinnigerweise das Wort, diesmal kam apprivoisiner aus meinem Mund. Ein reines Phantasiewort, da stecken die Nachbarn noch mit drin, gezähmte Nachbarn? Die Angestellte unterdrückte ein Lachen. Approvisionner wiederholte sie. „Genau“, nickte ich, „das möchte ich bitte!“ Ich hütete mich, es noch einmal auszusprechen. Wenn man in der Fremdsprache träume, dann sei man in der Sprache angekommen, heißt es. Bei mir hat es nur 15 Jahre gedauert. Soweit so gut, aber das Traumdeuten – ohnehin eine nicht ganz so handfeste Beschäftigung – wird jetzt wohl umso komplizierter. •

PORTRÄT CHRISTINE STEPHAN GABRIEL

„Genau“, nickte ich, „das möchte ich bitte!“ Ich hütete mich tunlichst, es noch einmal auszusprechen.“

FRANKREICH MAGAZIN 23


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.