lie:zeit Ausgabe 85

Page 20

20

meine:zeit

05/2020

«Bei einer Probe konnte ich alles vergessen» Viele Zufälle waren es, die Anton Gerners berufliche, politische und musikalische Karriere bestimmt haben. Im Nachhinein haben sie sich alle als glückliche Fügungen herausgestellt und auch in der Pension trat er kaum kürzer. Die Corona-Krise sieht der bald 80-Jährige nun aber auch als Chance, das Leben ruhiger angehen zu lassen. Text: Heribert Beck

Anton, besser bekannt als Toni, Gerner blickt zurück auf eine eindrückliche berufliche Karriere und er hat die politischen Geschicke Liechtensteins in Landtag und Regierung mitgestaltet. Fast schon nebenbei ist er in den vergangenen 50 Jahren zu einem der prominentesten Vertreter von Liechtensteins Blasmusik geworden. Beinahe wäre aber alles anders gekommen. «In meinem Elternhaus hat niemand musiziert und von Beruf wollte ich eigentlich Bauer werden», sagt Toni Gerner rückblickend. «Mein Vater, selbst Müller und Landwirt, entschied: ‹Das kannst du. Aber erst, wenn du einen anderen Beruf erlernt und abgeschlossen hast.›» Dass er sich gegen den Vorschlag des Berufsberaters entschieden hat und nicht Lehrer wurde, lag dann an Toni Gerners Mitgliedschaft in der Harmoniemusik seiner Heimatgemeinde Eschen. «Ich genoss die Musik und die Kameradschaft sehr und wollte nicht wieder aus dem Verein austreten. Das wäre bei einem Eintritt ins Lehrerseminar aber nötig gewesen.»

In jungen Jahren zum Laborleiter So kam es, dass Toni Gerner eine Ausbildung zum Laboranten bei der Presta begann. «Ich wusste kaum, was das bedeutet, denn der Chemieunterricht in der Schule war sehr dürftig und Schnupperlehren gab es damals nicht.» Durch Zufall hatte er damit aber einen Beruf gefunden, der ihm lag. Der Lehrmeister empfahl ihm bald, ein Chemiestudium anzuschliessen, was Toni Gerner nach der Lehrabschlussprüfung auch machte. Wieder sah es so aus, als würde ihn sein Weg aus

Liechtenstein hinausführen. «Es gab damals kaum Bedarf an Chemikern in unserem Land», sagt Gerner. Aber wieder spielte der Zufall mit und die Hilti AG war dabei, ein Chemielabor aufzubauen, dessen Leitung er übernahm. 22 Jahre blieb der studierte Chemiker daraufhin bei der Hilti AG. «Es war beruflich eine sehr lehrreiche und interessante Zeit. Ich erhielt schon in jungen Jahren viele Kompetenzen, durfte interessante Projekte begleiten und neue Verfahren einführen.»

Musikprobe statt Parteitag Toni Gerners Weg in die Regierung begann 1978. Zuvor war er aber 1970 mit 29 Jahren als bis dahin jüngster Abgeordneter überhaupt und als Nachfolger seines Vaters Leo für die FBP in den Landtag gewählt worden. Nach zwei Legislaturperioden wollte er sich 1978 dann aber wieder ganz seinem Beruf und der Musik widmen und aus der Politik ausscheiden. Nach der knappen Wahlniederlage seiner Partei kam es jedoch anders. Die FBP suchte nach einem Regierungsrat, der neben Regierungschef-Stellvertreter Walter Kieber Einsitz in die Exekutive nimmt. Toni Gerner wurde angefragt, lehnte ab und wurde wiederum um eine Annahme des Amts gebeten. «Ich habe auch da abgelehnt. Aber die Parteileitung blieb hartnäckig. Meine Ausrede am Tag vor der Nomination war, dass es aus beruflichen Gründen nicht möglich sei. Das führte dazu, dass die Parteileitung Konzernchef Martin Hilti kontaktierte, der die Hinderungsgründe verneinte, womit er meinen Weg in die Regierung frei machte.»

Dennoch nahm Toni Gerner nicht am Nominationsparteitag teil, sondern ging, wie an jedem Freitag, zur Musikprobe. «Im Lauf der Probe wurde ich hinausgerufen. Parteipräsident Peter Marxer teilte mir am Telefon mit, dass ich soeben nominiert worden sei und sofort kommen müsse. Ich fuhr los, fest entschlossen, meine Nicht-Annahme des Amts zu erklären. Ich wurde aber bereits vor dem Saal erwartet und gebeten, doch anzunehmen. Der Applaus im Saal war sehr gross, als ich eintrat, und da hat mich offenbar der Mut zum Ablehnen verlassen.»

«Ich frage mich, wie ich alles vereinbaren konnte» Toni Gerner führte daraufhin während acht Jahren die Geschäftsbereiche Gesundheit und Umwelt, wobei das Amt eines Regierungsrats damals noch keine Vollzeitstelle umfasste. «Ich frage mich bis heute manchmal, wie ich meine Aufgaben in der Regierung, meine Arbeit in der Hilti AG und mein Hobby, die Musik, unter einen Hut bringen konnte. Die Politik brachte ja auch viele Abendtermine mit sich. Einzig Dienstreisen hatten wir lange nicht so viele zu bewältigen wie die heutigen Minister. Aber eines ist klar: Um alles zu vereinbaren und alle Aufgaben zu bewältigen, muss man von der Familie vorbehaltlos unterstützt werden, was Gott sei Dank bei mir der Fall war.» Auch ein Arbeitgeber, der mitspielt, eine robuste Gesundheit und Freude bei allen Tätigkeiten seien unerlässlich gewesen. «Selbstverständlich verbrachte ich trotzdem sehr oft einen Teil des Samstags im Betrieb,

um meine Aufgaben zu erledigen, und am Sonntag musste meistens ein Teil des Tages für Sitzungsvorbereitungen herhalten.» In seinen Ressorts war Toni Gerner mit anderen Herausforderungen konfrontiert als die zuständigen Regierungsräte heutzutage. «Das Ressort Gesundheit gab damals nicht so stark zu reden wie gerade in letzter Zeit. Aber auch damals gab es Probleme, die in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden: die Spitalfrage, die Geburtsstation, die Dialysestation, der beliebte Diskussionspunkt Seuchen bei der Budgetberatung und immer wieder die Gesundheitskosten, obwohl diese nur einen kleinen Bruchteil der heutigen Kosten ausmachten. Hinzu kommt, dass das Amt für Gesundheit noch nicht existierte und nebenamtliche Regierungsräte keine eigenen Mitarbeiter hatten.» Auch die Spitalverträge mit den Nachbarländern, die Einführung der Vorsorgeuntersuchungen und die neu aufkommende Immunschwächeerkrankung AIDS sorgten für viel Arbeit. Genau wie die Schaffung eines neuen Gesundheitsgesetzes. «Als ich Walter Kieber den Gedanken vortrug, war seine kurze und klare Antwort: ‹Wenn du politischen Selbstmord begehen willst, dann mach das!›» Die Umsetzung ist Toni Gerner dennoch gelungen und das vorausgesagt Ende der Karriere blieb aus.

Nur eine Leitung und Schulden So musste der Regierungsrat sich zu Zeiten des Waldsterbens vermehrt dem Bereich Umwelt widmen. «Der Landtag verlangte nach Massnahmen zur Luftrein-


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook

Articles inside

Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.