PZ23_19.11.2020

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MENSCHEN IM PORTRAIT

GUIDO BOCHER

„Alle sind wichtig“ „Buongiorno. Hallo.“ Wenn Guido Bocher die Nummer eines Anrufers nicht kennt, dann meldet er sich zweisprachig am Telefon. Das sagt viel aus über den ehemaligen Bürgermeister von Toblach, für den die Kenntnis der deutschen Sprache nicht nur ein Mittel zum Zweck ist, sondern eine Frage der Einstellung. Hotel Post, Bruneck. Ein passender Ort, um sich mit Guido Bocher zum Interview zu treffen. Denn der Alt-Bürgermeister von Toblach liebt Historie und hat jetzt auch endlich wieder Zeit, sich mit der Geschichte unseres Landes zu befassen. Nach zehn Jahren als italienischer Bürgermeister einer deutschsprachigen Gemeinde - ein wandelndes Ausrufezeichen - freut er sich auf das, was kommt. Das Imkern lernen ist nur ein Ziel. Denn fürs Nichtstun ist dieser Mann einfach nicht gemacht. PZ: Herr Bocher, sind Sie zufrieden mit der Entscheidung, nicht mehr für das Bürgermeisteramt zu kandidieren? Guido Bocher: Ja, das war richtig. Ich bin jetzt 73, in fünf Jahren werde ich 78. Als Bürgermeister war ich, wann immer möglich, präsent. Ich habe die große Verantwortung, die mit dem Amt des Bürgermeisters gekoppelt ist, alle Tage gespürt. Dazu braucht es die nötige Energie. Es ist ein bisschen wie mit einer Kerze. Die brennt nach unten, irgendwann. Jetzt ist es richtig, dass eine andere Generation brennt. Ich weiß Toblach unter dem neuen Bürgermeister in guten Händen, wir haben ja schon zehn Jahre zusammengearbeitet. Sollte ich gefragt werden, stehe ich Mitbürgerinnen und Mitbürgern weiterhin zur Verfügung. Als sie vor zehn Jahren Bürgermeister wurden, kam das einer Sensation gleich. Neuwahlen standen im Raum, gerade wegen der Sprachgruppe… Ein Italiener Bürgermeister in einer Pustertaler Gemeinde! Das war sicher eine neue Situation. Aber am Ende ging es doch, weil

Guido Bocher, Jahrgang 1947, wächst in Toblach auf, wo er den deutschen Kindergarten und die italienische Schule besucht. Nach der Matura an der Geometerschule studiert er in Padua Forstwissenschaft. Verwaltung prägt sein ganzes Arbeitsleben: Ab 1970 arbeitet er im Landesforstinspektorat, danach leitet er die Forst-und Domänenverwaltung und übernimmt später das Landesressort für geförderten Wohnbau und italienische Kultur. 30 Jahre lang ist er in der Gemeindepolitik von Toblach tätig, die letzten zehn Jahre davon als Bürgermeister. „Die Verwaltung”, sagt Bocher, „ist aufwändiger geworden, auch weil sich unsere Gesellschaft verändert hat.” Bocher lebt mit seiner Frau in Toblach, die drei Söhne arbeiten alle in Bozen. //

ich viele Menschen an der Seite hatte, die mich unterstützt haben. Die Medien waren immer sehr darauf fokussiert, dass ich der

italienischen Sprachgruppe angehöre. Aber die Bürgerinnen und Bürger haben mir ihr Vertrauen unabhängig von Sprachgruppenoder Parteiangehörigkeit geschenkt. Durch Einsatz habe ich versucht, dieses Vertrauen in mich zu rechtfertigen. Was zeichnet Toblach als Dorf aus? Es ist vielseitig, mit einer historisch geprägten und starken Tourismus- und Bergwirtschaft, einem sehr ausgeprägten Vereinsleben und einer kleinen Hochburg der Kultur. Die Unterstützung der Vereine war dem Bürgermeister und dem Ausschuss immer wichtig. In den Jahren haben wir hier nie einen Beitrag gekürzt. Wenn jemand in einem Verein aktiv ist, egal ob sportlich, sozial oder kulturell, dann sind das alles Menschen, die eine Wir-Kultur leben. Und das prägt die Seele eines Dorfes, davon bin ich seit jeher überzeugt.

Ehrengast: Staatspräsident Sergio Mattarella macht Urlaub in Toblach und wird von Bürgermeister Guido Bocher empfangen. 18

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Reicht eine Amtsperiode, um als Bürgermeister Akzente zu setzen?


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