revue 2021/28

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Wo juckt’s? Maikäfer, Grasmilben, Eichenprozessionsspinner: Während die Mehrheit der Insekten in ihrer Anzahl zurückgeht, ja von Insektensterben die Rede ist, entwickeln sich andere Tierchen zu Plagegeistern. Bei der Beratungsstelle von natur&ëmwelt waren die Telefone im Juni kaum ruhigzustellen. Grasmilben-Alarm. Ganz Luxemburg hatte Pusteln am Körper. Vor den Notapotheken reichten die Schlangen bis um die Straßenecke. Soventol, Fenistilgel und ähnliche Salben gegen Insektenstiche waren ausverkauft. Die Grasmilben waren auf einmal da, und niemand wusste, woher, und was dagegen zu tun ist. In Saarbrücken wurden Hunderte von Kindern vorsichtshalber nach Hause

Grasmilbe

geschickt, da die Schulleitung für die Hautausschläge keine Erklärung hatte. Das Gesundheitsamt des Regionalverbandes informierte daraufhin, es handle sich um Grasmilbenbisse. Für viele war das der erste Kontakt mit den kleinen Spinnentieren – obwohl die Grasmilben eine heimische Art seien, erklärt Lieke Mevis von der Beratungsstelle bei natur&ëmwelt. „Meistens fällt das weniger auf, weil das

nicht so stark ist. Aber früher als Kind habe ich beim Heueinholen geholfen, und dann hatte ich das immer. Wenn es ganz trocken ist, und man sich ins Gras legt, sind die halt da.“ Viel unternehmen kann man dagegen nicht. „Wenn man merkt, es war längere Zeit trocken und sehr heiß, vorsichtshalber nicht mit nackten Füßen und kurzen Hosen in die Wiese setzen, oder eine Decke drunter legen“, so Lieke Mevis‘ Empfehlung. Die Grasmilben, auch Erntemilben genannt, treten von Mitte Juli bis Oktober auf. Ihr Entwicklungszyklus wird durch die Bodentemperatur gesteuert, weiß Raoul Gerend. Er leitet die Arbeitsgruppe Entomologie (Insektenkunde) der Naturforschenden Gesellschaft Luxemburgs (SNL). Entweder, so Gerend, seien die Larven ein Überbleibsel vom vergangenen Jahr, oder der Boden sei in diesem Jahr schon so stark aufgewärmt gewesen. Die Neotrombicula Autumnalis, so ihr eigentlicher Name, sind keine Insekten, sondern Spinnentierchen, stellt Raoul Gerend klar. „Das sind Tierchen, die im Erdboden leben.“ Sie legen die Eier in den oberen Bodenschichten, daraus schlüpfen Nymphen, die sich in der oberen Vegetationsschicht ansammeln. Haustierhalter haben häufiger mit den Bissen zu tun, sie befallen eher Katzen als Menschen. „Grasmilben können nicht bis hoch in die Gräser steigen, das würde ihre Energiekapazitäten übersteigen.“ Deshalb beißen sie vor allem Mäuse, Igel und Spitzmäuse, die sich nah an der Oberfläche aufhalten. „Menschen sind Fehlwirte, sie beißen an, und lassen sich dann wieder abfallen.“ Doch Raoul Gerend stellt infrage, ob es sich bei den Im Juni aktiv gewordenen Tierchen überhaupt um Grasmilben handelt. Denn sie seien vor der in der Literatur genannten Zeit aufgetreten.


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