Nr. 1 Saison 22/23 – Liszts Faust

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CHF 5 PROGRAMM-MAGAZIN NR. 1 SAISON 22/23 Sinfonieorchester Basel Basler BabetteMadrigalistenMondry,Orgel Pekka Kuusisto, Violine Ilker Arcayürek, Tenor Ivor Bolton, Leitung LISZTS FAUST 31. AUG. / 1. SEPT. 2022 19.30 BASELSTADTCASINOUHR

PROGRAMMINHALT 5 PORTRÄTS Basler Madrigalisten 6 Babette Mondry, Orgel 7 Ilker Arcayürek, Tenor 7 Ivor Bolton, Leitung 8 LILI BOULANGER Psaume 24 10 GESANGSTEXT Psaume 24 13 INTERVIEW Pekka Kuusisto, Violine 14 RALPH VAUGHAN WILLIAMS The Lark Ascending 18 JOHANN SEBASTIAN BACH/ ANDERS HILLBORG Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ 20 FRANZ LISZT Eine Faust-Symphonie in drei Charakterbildern 24 RÜCKBLICK 28 ORTSGESCHICHTEN von Sigfried Schibli 30 VORGESTELLT Greta Backhaus, Assistenz der Orchesterdirektion 32 LEXIKON DES ORCHESTERS von Benjamin Herzog 36 IN ENGLISH by Bart de Vries 38 VEREIN SINFONIEORCHESTER‹FREUNDESKREISBASEL› 39 IM FOKUS 41 DEMNÄCHST 42 ÜBERSICHT DER SYMBOLE Diese Institution verfügt über eine NummerierteHöranlage Rollstuhlplätze im Vorverkauf Rollstuhlgängigerhältlich

Liebes HerzlichKonzertpublikumwillkommenzur dritten Saison nach der Wiedereröffnung des Stadtcasinos Basel. Wir freuen uns sehr auf eine neue Spielzeit, in der wir Ihnen unter dem Motto ‹Sound Atlas› bekannte und unbekannte Perlen der Orchestermusik präsentieren möchten.Inseiner opulenten Faust-Symphonie entwirft Franz Liszt in drei Sätzen Cha rakterstudien der drei Hauptfiguren der Goethe-Tragödie – Faust, Gretchen und Mephisto und lässt das Werk in einem mystischen Chorfinale mit Solo-Tenor gip feln. Zuvor wird Sie unser ‹Artist in Resi dence› Pekka Kuusisto auf seiner Geige mit dem Gesang einer Lerche begrüssen. In der Romanze The Lark Ascending für Violine und Orchester von Ralph Vaughan Williams trifft englische Volksmusik auf die Klangwelt der Spätromantik. Eröffnen möchten wir die Saison aber mit der neuen Stadtcasino-Orgel sowie mit unseren Blechbläser*innen, den Basler Madrigalisten und dem 24. Psalm in einer Vertonung der französischen Komponistin Lili Boulanger. Mehr Informationen zu den illustren Mit wirkenden und Werken finden Sie in un serem Programm-Magazin. Wir wün schen Ihnen viel Freude und Vergnügen bei der Lektüre und freuen uns auf ein Wiedersehen zur neuen Saison im Stadt casino Basel. Mit herzlichen Grüssen Hans-Georg Hofmann Ivor Bolton Künstlerischer Direktor Chefdirigent

SINFONIEKONZERT LISZTS FAUST

4VORVERKAUF PREISE CHF 105/85/70/55/35 ERMÄSSIGUNGEN • Studierende, Schüler*innen sowie Lernende: 50 % • AHV/IV: CHF 5 • KulturLegi: 50 % • Mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5 • Begleitpersonen von Menschen mit Beeinträchtigung: Eintritt frei (Reservation über das Orchester büro) VORVERKAUF Bider & Tanner –Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel +41 (0)61 206 99 www.sinfonieorchesterbasel.chticket@sinfonieorchesterbasel.ch+41Sinfonieorchester+414051SteinenbergBillettkasseticket@biderundtanner.ch96StadtcasinoBasel14/TouristInfoBasel(0)612263660Basel(0)612722525 ZUGÄNGLICHKEIT Das Stadtcasino Basel ist rollstuhlgängig und mit einer Induktionsschleife versehen. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt. VORVERKAUF, PREISE UND INFOS BroedeFelix© Pekka Kuusisto, ‹Artist in Residence› in der Saison 2022/23 und Solist im Sinfoniekonzert ‹Liszts Faust›

5PROGRAMM Konzertende: ca. 21.45 Uhr ca. 5’ ca. 65’ ca. 13’ ca. 4’ Lili Boulanger (1893–1918): Psaume 24 für Chor, Orgel und Orchester, LB 36 (1916) Ralph Vaughan Williams (1872–1958): The Lark Ascending für Violine und Orchester (1914) Johann Sebastian Bach (1685–1750) / Anders Hillborg (*1954): Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, BWV 639, arrangiert für Solovioline und Streicher (2015, Schweizer Erstaufführung) PAUSE Franz Liszt (1811–1886): Eine Faust-Symphonie in drei Charakter bildern (1854) 1. Faust 2. Gretchen 3. Mephistopheles 18.30 Uhr: Konzerteinführung mit Hans-Georg Hofmann Mi, 31. August: Kritikerrunde im Anschluss an das Konzert Das Konzert wird von Radio SRF2 Kultur auf gezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt. Mi, 31. Aug. 2022, 19.30 Uhr Do, 1. Sept. 2022, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal LISZTS FAUST Sinfonieorchester Basel Basler BabetteMadrigalistenMondry,Orgel Pekka Kuusisto, Violine Ilker Arcayürek, Tenor Ivor Bolton, Leitung HÖR’ REIN

BASS Ismael Arróniz Herrera-López Kessel Mota

6PORTRÄTS

LäserChristoph©

ALT

Antoin

TENOR Zacharie Fogal Luca Gotti Ivo

Aram AndreasPhilippBrenoOhanianQuinderéSchererSchibOthmarSturmBenjaminWidmerEdwardYehenara

LEITUNG Raphael Immoos SOPRAN Lara

Tiago

Die Basler Madrigalisten sind eines der traditionsreichsten professionellen Vokal ensembles der Schweiz . Das 1978 von Fritz Näf an der Schola Cantorum Basiliensis gegründete Ensemble steht seit 2013 unter der Leitung von Raphael Immoos und ist bei Konzerttour neen in Europa, den USA, in Australien und Asien aufgetreten. Szenische Aufführungen, Rundfunk-, Fernseh- und CD-Aufnahmen gehören eben so zum umfangreichen Schaffen des Ensem bles wie Auftritte bei renommierten Fes tivals wie den Berliner Festspielen, dem Lucerne Festival oder Kooperationen u.a. mit dem Opernhaus Zürich oder dem Kam merorchesterSpezialisiertBasel.auf die Interpretation Neuer Musik, vergibt das von Kleinforma tion bis Kammerchorgrösse auftretende Berufsensemble regelmässig Aufträge für Kompositionen, die es in Ur- und Erstauf führungen auf die Bühne bringt, etwa von Dieter Ammann, Thüring Bräm, Beat Gysin, Beat Furrer, Fritz Hauser, Heinz Holliger, Mela Meierhans, Franz Rechsteiner, Eric Oña, Michel Roth, Jürg Wyttenbach und Klaus Huber. Für ihr vielseitiges Reper toire wurden die Basler Madrigalisten u.a. mit dem Förderpreis für Musik der Förderge meinschaft der europäischen Wirtschaft und mehrmals mit dem Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung für die Interpretation zeitgenössischer Musik aus gezeichnet. MADRIGALISTENBASLER YvonneAudeKeikoClaraBevilacquaBrunetEnomotoFreyburgerLaurieHamicheLindaLoosliViolaMolnàrGuntaSmirnovaJunkoTakayamaTheiler Alexandra Busch David AmaliaSariSchoschanaIsabelleFeldmanGichtbrockKobeltBelindaKunzLeijendekkerLeslieLeonFlorenciaMenconiMonteroNeiraCarmenWürsch

AkinobuTiagoTimothyHaunLöwMartinOhmOliveiraOnoNicolasSavoyEelkevanKootChristopherWattam

JenniTatjana©

Studium der Kirchenmusik an der Hochschule für Musik und Theater Hannover absolvierte Babette Mondry ihr Konzertdiplom an der Musikhochschule der Stadt Basel bei Prof. Guy Bovet und besuchte Kurse bei Montserrat Torrent, Harald Vogel, Gerd Zacher und MarieClaire Alain. 1996 war sie Finalistin beim Bachwettbewerb Luzern. Von 1999 bis 2015 war Babette Mondry Titularorganistin an der J.A. Silbermann/ Lhôte-Orgel der Peterskirche Basel, be treute dort die Universitätsgottesdienste und war Gründerin und künstlerische Lei terin einer viel beachteten Konzertreihe. Seit 2016 ist Babette Mondry Mitglied im Team der Festivalleitung des Orgelfestivals Stadtcasino Basel, das zum ersten Mal im Herbst 2020 stattgefunden hat. Sie ist MitInitiantin des Projekts ‹Neue Orgel› im Stadtcasino Basel und war Mitglied der Fachkommission. Seit 2017 ist sie Organis tin an der Stadtkirche Thun und baut dort eine Orgelkonzertreihe auf. Konzert- und Festivalengagements führten sie in verschiedene Länder Euro pas, nach Brasilien, Japan und Israel. Ei nige der Orte waren Toulouse les Orgues, Norden, Haarlem, Magadino, der Dom zu Riga, das Lahti Organ Festival, die Bach wochen Thun, das Berner Münster, das Grossmünster Zürich, der Dom zu Arles heim, die Abbatiale Romainmôtier, die Kathedrale Genf, der Dom zu Hildesheim, die historischen Orgeln Brasiliens oder die Minato Mirai Hall in Yokohama.

BABETTE MONDRY

Der in Istanbul geborene und in Wien auf gewachsene Tenor Ilker Arcayürek hat sich in den letzten Jahren zu einem der aufre gendsten und vielseitigsten Gesangskünst ler entwickelt. Er ist Gewinner des Interna tionalen Kunstliedwettbewerbs der HugoWolf-Akademie, Finalist des BBC Cardiff Singer of the World 2015 und New Genera tion Artist bei BBC Radio 3. Seine neueste CD-Aufnahme mit dem Titel Path of Life (Prospero Classical) wurde kürzlich für zwei Opus Klassik Awards nominiert. Auf der Konzertbühne trat er bereits mit Orchestern wie dem Symphonieorches ter des Bayerischen Rundfunks, dem Ton künstler-Orchester Niederösterreich, dem Tokyo Philharmonic Orchestra, dem RSO Wien, dem Orchestre National de Belgique, dem Danish Chamber Orchestra, der Netherlands Radio Philharmonic oder dem Royal Philharmonic Orchestra unter Diri genten wie Mariss Jansons, Ivor Bolton, Laurence Equilbey, Mirga Gražinytė-Tyla, Philippe Herreweghe, Mikhail Pletnev oder Adam Fischer auf. Ilker Arcayürek war Mitglied des Studios der Oper Zürich (2009–2013), des Ensembles des Stadttheaters Klagenfurt Bei Aufführungen mit Basler Chören und Orchestern – unter anderen mit dem Sin fonieorchester Basel – hat sie sich ein breites Repertoire an Orgelparts in sinfo nisch besetzten Chor- und Orchesterwer ken angeeignet. ILKER ARCAYÜREK

RiesenGillian©

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PORTRÄTSNacheinem

Neben seinem Engagement für das sinfonische und das Opernrepertoire ist Arcayürek ein leidenschaftlicher Liedsän ger. Er gab Liederabende beim Edinburgh Inter national Festival, in der Wigmore Hall, bei der Schubertiada Vilabertran, im deSingel Antwerpen, bei den Innsbrucker Festwochen und im Bibliotheksaal

Polling.©BennoHunziker

IVOR BOLTON

Der Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel seit der Saison 2016/17, Ivor Bolton, ist einer der angesehensten Dirigent*innen des barocken und klassischen Repertoires. So spielte er mit dem Mozarteumorchester Salzburg, dessen Chefdirigent er 12 Jahre lang war, eine von der Presse hochgelobte Serie von Bruckner-Sinfonien ein. Am Teatro Real in Madrid wurde er 2022 bei den Premios Ópera für die beste musika lische Leitung ausgezeichnet. Ivor Bolton ist Ehrendirigent des Mozarteumorchesters Salzburg, Chefdiri gent des Dresdner Festspielorchesters und erfreut sich seit 1994 einer engen Beziehung zur Bayerischen Staatsoper. Für seine herausragende Arbeit in München wurde ihm der Bayerische Theaterpreis verliehen.

Weitere Opernengagements hatte er im Covent Garden, an der English National Opera, in Bologna, Amsterdam, Lissabon, Hamburg oder Sydney.

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Der Brite war ausserdem musikalischer Leiter der English Touring Opera, der Glyndebourne Touring Opera und Chef dirigent des Scottish Chamber Orchestra.

Orchesterengage ments führten ihn zu den BBC Proms und ins Lincoln Center New York sowie zu Konzerten mit dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Concertgebouworkest Amster dam, den Wiener Symphonikern oder dem Orchestre de Paris. (2013–2015)PORTRÄTSund des Staatstheaters Nürn berg (2015–2018). Als Gast war er unter an derem am Teatro Real Madrid (Das Liebes verbot), bei den Münchner Opernfestspielen der Bayer ischen Staatsoper (Die Vorü ber ge henden), bei den Salzburger Festspielen (Lucrezia Borgia) oder an der Volksoper Wien (Zar und Zimmermann) zu hören.

Alles für MusikLiteraturliebende.und Bücher | Musik | Tickets Aeschenvorstadt 2 | 4010 BaselWwww.biderundtanner.che g ot Rhythm –auf drei Eta g en.

Wer schwört nicht falsch, wer ist reinen Herzens, wessen Hand ist ohne Schuld? Als Lili Boulanger 1916 in Paris den 24. Psalm vertont, scheint die Frage nicht leicht beantwortbar. Die junge, schon schwer kranke Frau erwartet den Tod, und in Mit teleuropa tobt ein Krieg bislang unbekann ter Dimension. Der himmlische «Roi de gloire», auf den der biblische Text abzielt und den die Komponistin in Klänge fasst, kommt deshalb nicht in gewöhnlicher Pracht. Vierschrötiges Blech, fahle Pauken und die düstere Orgel markieren vielmehr Dissonanz – die Stimmen erhöhen das Tempo, das Loblied klingt nach Rebellion, und noch der finale Jubel ist auffällig nahe am Schrei. Die aufstörend-spröde Kompo sition erschüttert das Bild der ‹femme fragile› und setzt jenes Mass ausser Kraft, das Lili Boulanger auf die Tradition der Romantik Saint-Saëns’ und Faurés zurecht stutzen will. Das Werk selbst rückt das Wunderkind der Pariser Musik vielmehr in Richtung Moderne – deutlich mehr, als Konfession, musikalische Schule und fami liärer Mythos erlauben. Der Anspruch einer eigenen musikalischen Sprache jedoch hat Lili Boulanger (1893–1918) bis zuletzt mo tiviert. Das modale e-Moll muss in dieser Sprache enthalten gewesen sein, die ge drängte Chromatik, der schmerzvolle Ges tus an sich. Dieser Text entstand ursprünglich für den Deutsch landfunk.

10 VON FRANK KÄMPFER

LILI BOULANGER Psaume 24

VIERSCHRÖTIGESBLECH,FAHLEPAUKENUNDDIEDÜSTEREORGEL

LiliMillotJean-Baptiste© Boulanger (1893–1918), fotografiert von Henri Manuel

ZUM WERK

ZUR

Beide wissen nicht, dass die Lungenentzün dung, gegen die Lili im Schlaf an kämpft, sie ein Leben lang schwächen wird. Sie wis sen auch nicht, dass Lili ein Wunderkind ohnegleichen werden wird. Dass sie mit fünf ihre Ausbildung am Pariser Konservato rium beginnen wird, zusammen mit Nadia, und dass sie Klavier, Violine, Cello, Harfe und Orgel lernen wird. Und dass sie mit 24 einen tragisch frühen Tod sterben wird. Lili Boulangers Leben wurde von zwei Themen geprägt: ihrem aussergewöhn lichen Talent und ihrer Krankheit. Sie brachte es fertig, in ihrem kurzen Leben über fünfzig Werke zu komponieren, dar unter Klaviertrios, Hymnen, Chorwerke und die Kantate Faust und Helene. Für Letztere gewann sie 1912 als erste Frau über haupt den Rom-Preis des Pariser Konserva toriums – mit 19 Jahren.

VON CHRISTIANE IRRGANG Nadia ist acht Jahre alt. Während sie am Klavier ihre Tonleitern übt, kann sie im Nebenzimmer die Erwach senen bei einer der Soiréen ihrer Mutter plaudern hören. Direkt neben ihr liegt ihre zwei Jahre alte Schwester im Bett und schläft die ganze Zeit. Das, wenn sie nicht gerade hustet und weint. Dann kommt Nadias Vater, setzt sich zu ihr ans Klavier, streichelt ihr übers Haar und sagt leise und ernsthaft: «Versprich mir, dass du immer gut für die kleine Lili sorgen wirst!»

UNTERSTÜTZUNG DURCH DIE SCHWESTER Aber für Lili Boulangers Musik ist noch etwas anderes von grosser Bedeutung: die Beziehung zu ihrer Schwester Nadia. Wenn Nadia Boulanger nicht einen grossen Teil ihres Erwachsenenlebens Lili gewidmet und sie physisch, mental und finanziell unterstützt hätte, dann hätten wir diese Musik vielleicht nie kennengelernt. Nadia Boulanger, selbst Komponistin und hoch geschätzte Musiklehrerin, gründete 1939 LILIKOMPONISTINBOULANGER(1893–1918)

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AUSGEPRÄGTER SCHAFFENSDRANG

LILI BOULANGERZUM WERK

Lili Boulanger wurde 1893 in Paris geboren. Ihr Vater Ernest war Komponist. Ihre Mut ter Raissa, eine russische Gräfin, hatte bei ihm am Konservatorium Gesang studiert. Die Familie Boulanger war äusserst aktiv im Pariser Musikleben. Raissa organisierte Abendgesellschaften, bei denen sie selbst als Sängerin auftrat, neben Pianisten wie Camille Saint-Saëns. Ein Freund der Fami lie, Gabriel Fauré, bemerkte als erster, dass die jüngere Boulanger-Tochter das absolute Gehör hatte. Sie beeindruckte ihn, und er begann bei seinen Besuchen mit ihr Lieder zu erarbeiten. Als Lili Boulanger den RomPreis gewann, erhielt sie auch ein Stipen dium für einen dreijährigen Studienauf enthalt in der Villa Medici in Rom. Ihre Ärzte versuchten sie von dieser Reise abzu halten. Aber sie hatte keinen Zweifel: Sie musste diese Erfahrung machen.

12 die Lili Boulanger-Gedächtnis-Stiftung, um sicherzustellen, dass die Werke ihrer jün geren Schwester nie vergessen würden. Und ihr diktierte Lili auch in ihren letzten Le bensjahren ihre Werke, als sie zu schwach war, um sie selbst niederzuschreiben. Das Pie Jesu gehört dazu.

LETZTE WERKE

AUFENTHALT IN DER VILLA MEDICI

LILI BOULANGERZUM WERK Psaume 24 4BESETZUNGHörner,3Trompeten,

ca.DAUER1924VERÖFFENTLICHUNG1916ENTSTEHUNGinParisbeiÉditionsDurand5Minuten

Der Leiter der Villa Medici trat ihr gegen über feindselig auf. Er war überzeugt, eine Frau an der Akademie würde die Disziplin der anderen Studenten stören. Und Lili Boulanger bekam keine Chance, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, denn mit Aus bruch des Ersten Weltkriegs musste sie nach Paris zurückkehren. Dort begannen sie und ihre Schwester mit musikalisch interessierten Soldaten an der Front zu korrespondieren.LiliBoulanger war 22, als die Ärzte ihr mitteilten, dass sie nichts mehr für sie tun könnten. Das wirkte sich unmittelbar auf ihre Musik aus: Die Kranke begann Werke mit religiösem Charakter zu kompo nieren, darunter Hymnen und Vertonun gen von Texten aus dem Alten Testament. 1918 starb Lili Boulanger 24-jährig an Tu berkulose. Nadia überlebte ihre Schwester um 61 Jahre. Text entstand für die in Music› der EBU (European Broad cas ting Union) 4 Posaunen, Tuba, Pauke, Harfe, Orgel, Chor

Reihe ‹Women

Dieser

ursprünglich

9 Portes, élevez vos têtes, élevez-vous aussi, portes éternelles; Et le Roi de gloire entrera!

3 Qui est-ce qui montera à la montagne de l'Éternel, et qui est-ce qui demeurera au lieu de sa sainteté?

LILIErDerHerrlichkeit?HerrderHeerscharen:istderKönigderHerrlichkeit.BOULANGER Psaume 24 LILI BOULANGER: PSAUME 24

8 Qui est ce Roi de gloire? C'est l'Éternel fort et puissant dans les combats.

5 Il recevra la bénédiction de l'Éternel et la justice de Dieu son sauveur.

10 Qui est ce Roi de gloire? C'est l'Éternel des armées: C'est Lui qui est le Roi de gloire. Éternel.

5 Er wird Segen empfangen vom Herrn und Gerechtigkeit vom Gott seines Heils.

13

1 Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner.

6 Telle est la génération de ceux qui Le quicherchent,cherchent Ta face en Jacob.

7 Ihr Tore, hebt euch nach oben, hebt euch, ihr uralten Pforten, denn es kommt der König der Herrlichkeit!

9 Ihr Tore, hebt euch nach oben, hebt euch, ihr uralten Pforten; Es kommt der König der Herrlichkeit!

7 Portes, élevez vos têtes, portes haussez-vous,éternelles,etle

GESANGSTEXT1Laterreappartientàl'Éternel et tout ce qui s'y trouve, la terre habitable et ceux qui l'habitent.

2 Car Il l'a fondée sur les mers, et l'a établie sur les fleuves.

Roi de gloire entrera!

3 Wer darf hinaufziehn zum Berg des werHerrn,darf stehn an seiner heiligen Stätte? 4 Der unschuldige Hände hat und ein reines Herz, der seine Seele nicht an Nichtiges undhängtkeinen trügerischen Eid geschworen hat.

4 Ce sera l'homme qui a les mains pures, et le cœur net, dont l'âme n'est point portée à la faussetéetquine jure point pour tromper.

2 Denn Er hat ihn auf Meere gegründet, ihn über Strömen befestigt.

8 Wer ist dieser König der Herrlichkeit? Der Herr, stark und gewaltig, der Herr, im Kampf gewaltig.

10 Wer ist er, dieser König der

6 Das sind die Menschen, die nach Ihm diefragen,Dein Antlitz suchen, Gott Jakobs.

RAUM FÜR DIE Gespräch

PK In letzter Zeit habe ich sie ziemlich oft gespielt, früher kaum. Aber der Ge schmack entwickelt sich, genauso das Repertoire. Und mir fiel auf, dass die Auf führungstradition der ‹aufsteigenden Ler che› stark von der frühen Aufnahmetech nik geprägt ist.

Ein Gespräch über seidene Mäntel, Geheimnisse und dicke Finger.

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FANTASIE INTERVIEW PEKKA KUUSISTO im

VON CHRISTA SIGG

CS Sie schmeichelt dem Stück nicht un bedingt?

CS Pekka Kuusisto, Sie beginnen Ihre Saison als ‹Artist in Residence› beim Sinfonieorchester Basel mit Ralph Vaughan Williams The Lark Ascending. Zu dieser Romanze scheinen Sie eine besondere Beziehung zu haben.

PK Alles war auf die Violine konzentriert, die dann auch entsprechend prägnant für die Mikrofone gespielt wurde. Das geht bei vielen Stücken in Ordnung, doch Vaughan Williams hat für die Geige über weite Stre cken einen dunstigen Klang vorgesehen und dazu im Pianissimo. Wenn man das beach tet, wird die Struktur des Stücks viel inte ressanter und mehrdeutiger. Das lässt viel Raum für die Fantasie.

Man muss die Musik nicht vom Sockel holen, um ihr näherzukommen. Pekka Kuusisto hat da ange messenere Methoden: Eine Bach-Partita bleibt natür lich eine Bach-Partita mit all ihren Qualitäten, aber das Tänzerische dieser Musik herauszuschälen, trifft den speziellen Swing des Komponisten oft mehr, als sich vor lauter Ehrfurcht nur noch auf die Perfektion zu konzen trieren. Überhaupt sollte man sich in der Klassik nicht abschotten. Der 45-jährige Geiger aus dem finnischen Espoo hat das nie getan, deshalb knackt er sein Publi kum binnen Sekunden.

15PEKKA KUUSISTOINTERVIEW TammiMaija©

CS Gibt Ihnen das als Solist nicht auch mehr Freiheit? PK Unbedingt. Die Geige muss ja auch beides ausdrücken: die Stimme des Vogels und seine Flugbahnen. Manchmal sind das ganz simple Passagen, aber wenn man sie mit grosser Intensität oder zu gewichtig spielt, geraten sie meiner Meinung nach ungewollt komisch. Sich da zurückzuhalten, verleiht dem Stück mehr Poesie.

CS Ralph Vaughan Williams begann vor dem Ersten Weltkrieg, das Stück für Violine und Klavier zu komponieren, dann hat er es 1920 für Violine und Orchester umgearbeitet.

PK Vaughan Williams war als Soldat in Frankreich, wo sein Gehör durch die Ge schütze Schaden nahm. Und er hat den Krankenwagen gefahren und die Verletzten transportiert. All das ist ihm tief im Ge dächtnis«Vaughangeblieben.

Williams wollte eine Art nostal gische Distanz haben.»

CS An manchen Stellen klingt The Lark Ascending fast paradiesisch, und man gewinnt den Eindruck, in einen sei denen Mantel gehüllt zu werden. Hat sich Vaughan Williams eine Art Ko kon oder Rückzugsort geschaffen?

PK Dem würde ich zustimmen, aber ich meine, dieser seidene Mantel hat früher einer anderen Person gehört, die nicht mehr da ist. Diese Erinnerung ist eine sehr melancholische.

PK Anders Hillborgs Arrangement von Johann Sebastian Bachs Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ funktioniert ein bisschen wie der Zwischengang in einem Menü. Es ent stand im Rahmen von Kompositionsaufträ gen, die das Schwedische Kammerorchester in Örebro vergab: Zu sämtlichen Branden burgischen Konzerten sollten ‹ver wandte› neue Stücke entstehen. So kam es auch zu Bach Materia, in dem Anders zum ersten Mal Ich ruf zu dir verarbeitet hat.

CS Bach Materia ist Ihnen gewidmet –und Anders Hillborg ist in dieser Saison ‹Composer in Residence› beim Sinfonieorchester Basel.

CS Das könnte man von Ihnen aber auch sagen. Woher kommt diese Neugier?

PK Mit dem Jazz bin ich durch meinen Vater schon sehr früh in Berührung gekom men. Dann natürlich auch mit der Volks musik, die ist bei uns ganz wichtig, und irgendwann mit der elektronischen Musik.

Das Musikleben meines Vaters war in jeder Hinsicht aussergewöhnlich. Er hat wirklich alles ausprobiert, und davon habe ich sicher einiges geerbt. Meine Mutter war Musik

CS Berührt Sie das Stück nach Ihren vielen Aufführungen noch?

PK Das freut mich besonders, denn An ders ist ein fantastischer, sehr offener Typ. Man kann mit ihm alles anstellen.

CS Sie können vor allem auch Ihren spe ziellen Geigenton ausführlich vor stellen. Dagegen ist das zweite Stück, an dem Sie beteiligt sind, sehr kurz.

« Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ funktioniert ein bisschen wie der Zwischengang in einem Menü.»

16PEKKA KUUSISTOINTERVIEW

PK Oh ja, und mit The Lark Ascending lassen sich ausserdem so viele Türen öffnen.

CS In Grossbritannien ist The Lark Ascending äusserst populär.

Wenn man die Melodie genauer untersucht, steht sie zwar in Dur, aber die entsprechende Moll-Tonart klingt durch. So haben wir anstelle von G-Dur einen e-Moll-Akkord. Vaughan Williams wollte eine Art nostalgische Distanz haben.

PK Das geht über die Grenzen der klassi schen Musik weit hinaus. Vor ein paar Jahren gab es in einer der grossen Tages zeitungen eine Umfrage, welche Musik man auf eine einsame Insel mitnehmen würde, und The Lark Ascending lag deut lich in Führung – vor Bohemian Rhapsody von Queen. Das ist wie bei uns mit Jean Sibelius’ Finlandia, es gehört einfach zum Bewusstsein des Volks.

17PEKKA KUUSISTOINTERVIEWlehrerinundeine

CS Spielen Sie noch Ihre Stradivari-Geige aus den 1720er-Jahren? PK Zum Glück ja, denn diese Geige ist extrem flexibel. CS Haben Sie ihr Geheimnis inzwischen entdeckt? PK Wir kennen uns jetzt schon ein paar Jahre, und unsere Unterhaltung war von Anfang an ziemlich interessant. Wir sind also gute Freunde. Aber das Spiel mit dieser Stradivari ist jeden Tag ein neues Experi ment. Es bleibt also aufregend, aber das mag ich ja!

Art Gegenpol zum Vater. Sie hat grossen Wert auf das Üben und Arbeiten mit den Stücken gelegt und wusste, worauf es ankommt – zum Beispiel, um ein professioneller Geiger zu werden. Diese klassische Ausbildung ermöglicht mir, das umzusetzen, was ich mir vorstelle.

PK Aber nein, sehen Sie sich meine Finger an, die sind kurz und dick – bitte, bei Gei ger*innen müssen sie doch lang und dünn sein! In den höheren Lagen sitzen die Töne sehr eng aneinander, und mit diesen Fin gern habe ich echt ein Problem. Also übe ich mindestens eine Stunde am Tag, nur um da geschmeidig zu bleiben. Erst dann kommt das Repertoire dran. CS Wie die meisten in Ihrer Familie kom ponieren und dirigieren Sie auch. Spielt man mit diesem Blick in den Maschinenraum der Musik anders? PK Sicher, wenn ich dann zum Beispiel das Tschaikowski-Violinkonzert spiele, kann das auch knifflig werden. Aber gera de beim Dirigieren versuche ich, das Stück aus der Perspektive des Komponisten zu sehen. Das hilft ungemein.

CS Sie haben einmal damit kokettiert, Ihre Hände seien für das Geigenspiel alles andere als ideal. Ein netter Scherz.

Vaughan Williams Lauschangriff auf eine Lerche zeichnet teilweise in atemberau benden 64-stel-Noten sowohl die Bewegun gen als auch die süsslichen Melodien des Vogels nach. Unzählige Triller verstärken diesen Effekt des Tirilierens noch deutlich.

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AKROBATISCHESEINMEISTERWERK

The Lark Ascending ist so etwas wie ‹Eng lands heimliche Nationalhymne›. Ein Ler chen-Gedicht gab Vaughan Williams den letzten Impuls für diese Hommage an den Superstar unter den Singvögeln. Aber ge rade, als er die ersten Noten aufgeschrie ben hatte, brach der Erste Weltkrieg aus. Vaughan Williams, ein grosser Patriot, mel dete sich freiwillig zum Kriegsdienst und kämpfte vier Jahre für England. Körperlich unversehrt kehrte er von der Front zurück, und sogleich zog es ihn wieder zu seinem Vögelchen. 1920 lag die ‹Lerche› fertig auf dem Schreibtisch, und die damals berühm teste Geigerin Englands, Marie Hall, führte sie zum ersten Mal auf. Das Stück gilt bis heute als ein ‹akro batisches Meisterwerk›, doch haben nicht alle Interpreten damit dieselben Schwierig keiten.

Dieser Text entstand ursprünglich für den Klassik sender des Bayerischen Rundfunks.

Dieser ‹Solovioline in Hochgeschwin digkeit› setzt der Komponist an vielen Stel len ein Orchester entgegen, das sich im Zeitlupentempo zu bewegen scheint. Fast so, als würde mit diesem trägen Orchester klang die Erde aus der Vogelperspektive beschrieben: das Wiegen der Getreidefel der im Wind, schlummernde Ortschaften bei Sonnenaufgang.

RALPH WILLIAMSVAUGHAN

The Lark

VON SYLVIA SCHREIBER Er gilt als der Volksmusik sammler Englands –der 1872 geborene Ralph Vaughan Williams. Und gerne hat er die Vögel belauscht. Vor allem die Lerche, der er 15 Minuten hochvirtuose Klänge widmete.

Ascending ZUM WERK

19RALPH VAUGHAN WILLIAMSZUM WERK A Surrey Cornfield (George Vicat Cole, 1864) Ralph Vaughan Williams (1872–1958) ArchiveHistoryWorld/akg-images©akg-images/Sotheby's©The Lark Ascending ViolineBESETZUNGsolo, 2 Flöten, Oboe, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, Triangel, UnklarENTSTEHUNGStreicher(Manuskript verschollen) 14.URAUFFÜHRUNGJuni1921inder British Music Society mit Marie Hall als Solistin ca.DAUER13Minuten

Das Choralvorspiel Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, BWV 639, zog ihn derart in seinen Bann, dass er es für eine ganze Reihe von Einzelinstrumenten setzte. Mit ‹Artist in Residence› Pekka Kuusisto ist das 2015 entstandene Arrangement für Solovioline und Streich orchester nun in Basel als Schweizer Erstaufführung zu erleben. Das ursprünglich für die Orgel geschriebene Choralvorspiel basiert auf einem lutheri schen Kirchenlied aus dem 16. Jahrhundert, zu dem der Reformator Johannes Agricola einen Text in fünf Strophen verfasst hatte. Während seiner Amtszeit als Hoforganist und Kammermusiker in Weimar kompo nierte Bach zwischen 1712 und 1717 insge samt 46 Orgelchoräle. Das ehrgeizige Ziel, sage und schreibe 164 Orgelchoräle zu voll enden, erreichte er nicht. Die im Orgel büchlein vereinten Werke zählen aber zu

Bis heute regt sein Schaffen viele Komponisten dazu an, sich kreativ mit unerschöpflichendiesemErbe aus einanderzusetzen. Auch Anders Hillborg, in dieser Saison ‹Composer in Residence› beim Sinfonie orchester Basel, hat sich von Bach inspirieren lassen.

Die Musik von Johann Sebastian Bach berührt die Menschen seit Jahrhun derten. Ihre Unvergänglich keit liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie so vielfältig wandelbar ist. Bach selbst bearbeitete eigene und fremde Werke unermüdlich für verschie dene Besetzungen, und manche Instrumentalstücke gingen auch in Kirchenkantatenseineein.

VON CORINA KOLBE

ZUM WERK

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ SEHNSUCHTERLÖSUNGNACH

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JOHANN BACH/ANDERSSEBASTIANHILLBORG

21JOHANN SEBASTIAN BACH/ ANDERS HILLBORG ZUM AndersWERKHillborg (*1954) LundqvistMats©

Auf den vollständigen Text von Agricolas Hymne komponierte Bach 1732 die gleichnamige Kirchenkantate BWV 177, nachdem er die 1. Strophe zuvor schon für die Kantate Barmherziges Herze der ewigen Liebe, BWV 185, verwendet hatte. Das Choralvorspiel BWV 639 erfreute sich in der Romantik grosser Beliebtheit. Felix Mendelssohn Bartholdy fertigte 1832 eine Abschrift an und schlug Instrumen tierungen für Klavier und Violine vor. Pia nisten wie Ferruccio Busoni und Wilhelm Kempff schufen später eigene Bearbeitun gen. Hillborg erhielt zunächst den Auftrag, eine Fassung für Sopransaxofon zu schrei ben, bevor er das Werk auch für Violine, Klarinette, Violoncello, Flöte und Oboe arrangierte. Für Kuusisto komponierte er kurz darauf Bach Materia, ein Gegenstück zu Bachs 3. Brandenburgischen Konzert, das mit dem Swedish Chamber Orchestra unter Leitung von Thomas Dausgaard zur Urauf führung kam. Die Idee zu eigenen Bearbeitungen von Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ hatte Hillborg vierzig Jahre lang im Kopf, bevor er sie schliesslich umsetzen konnte. Inspi riert hat ihn der Film Solaris des grossen russischen Regisseurs Andrei Tarkowski, der 1972 bei den Filmfestspielen in Cannes den Grand Prix Spécial du Jury gewann. Bachs meditatives Choralvorspiel ist in dem Film in mehreren Schlüsselmomenten zu hören, etwa wenn der ins Weltall geschickte Psychologe Kris Kelvin dem menschgewor denen Erinnerungsbild seiner verstorbenen Frau begegnet und beide schwerelos durch den Raum schweben. In unserer Welt, die wie Tarkowskis Filmwelt von Katastrophen erschüttert wird, verbinden sich mit Bachs Musik unweigerlich die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz und die Sehnsucht nach Erlösung.

22JOHANN SEBASTIAN BACH/ ANDERS HILLBORG ZUM seinenWERKschönsten

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ ViolineBESETZUNGsolo, 24.URAUFFÜHRUNG2015ENTSTEHUNGStreicherNovember2017im Helsinki Music Centre mit dem Finnish Radio Symphony Orchestra unter der Leitung von Hanna Lintu und mit Lisa Batiashvili als Solistin ca.DAUER4Minuten

Kompositionen für die ‹Königin der Instrumente›. Als einziges Stück in dieser Sammlung wurde Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ für drei Stimmen aus geführt. Bei der Mittelstimme orientier te sich Bach offensichtlich an der Imitatio violistica, einer von dem Organisten und Komponisten Samuel Scheidt erfundenen Spielweise. Durch die Übertragung des Le gatospiels der Geige auf ein Tasteninstru ment wurden neue Klangeffekte auf der Orgel ermöglicht.

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Es war Hector Berlioz, der Liszt rund 25 Jahre vor der Komposition, als dieser eben falls in Paris lebte, auf Goethes Drama auf merksam machte. Liszt las das Stück zum ersten Mal in der französischen Überset zung von Gérard de Nerval und lernte den Faust -Stoff somit aus der emphatischen Sicht der Romantik kennen. Ungestüme Leidenschaft, innere Zerrissenheit, Welt schmerz und diabolische Abgründigkeit – also all das, was die Romantiker an Goe thes Drama faszinierte – sollten sich später auch in Liszts musikalischer Interpreta tion des Faust -Themas niederschlagen. Er widmete das Werk Berlioz, so wie dessen eigene Goethe-Bearbeitung, La Damnation de Faust, Liszt gewidmet ist. Eine Faust-Symphonie in drei Charakterbildern SUCHE NACH IDEAL

24 VON FLORIAN HEURICH Als Franz Liszt am 5. September 1857 in Weimar seine Faust-Symphonie anlässlich der Enthüllung des Literatur1848reisendermalsGoethe-Schiller-DenkerstmalsderÖffentlichkeitpräsentierte,wareramZielseinesWegesangelangt–alsMenschundalsKünstler.NochalsrastlosVirtuose,derganzEuropaeroberte,hatteerbereitsvieleJahrezuvorgeschwärmt:«Weymar,meinFixstern,Weymar,dieHeimatdesIdeals.»NachseinerBerufungalsHofkapellmeisterliessersichdortniederundmachteausdieserStadtdernunaucheineStadtderMusik.Mitder Faust-Symphonie führte

ZUM WERK AUF DER

er schliesslich die Gattung der sinfonischen Dichtung, der er sich zuvor mit einigen kleineren Werken genähert hatte, auf einen Höhepunkt, indem er sämtliche Errun genschaften der Programm musik mit der grossformatigen Anlage einer mehrsätzigen Sinfonie verband.

DEM

FRANZ LISZT

Franz Liszt (1811–1886), porträtiert von Henri Lehmann, 1839

Der 1. Satz gilt Faust, der 2. Gretchen und der 3. Mephistopheles, wobei Liszt ein viel schichtiges musikalisches Porträt der drei Protagonisten entwirft. Einige konkrete Momente aus dem Drama lassen sich in der Komposition festmachen, insbesondere im Gretchen-Teil, wenn Liszt etwa die Be gegnung des Mädchens mit Faust fast als eine Art instrumentales Liebesduett schil dert oder wenn er eine Episode aufgreift, in der Gretchen die Blätter einer Blume auszupft als ein ‹Er liebt mich, er liebt mich nicht›-Spiel, dargestellt durch ein Hin und Her zwischen Geigen und Klarinetten; da rüber hinaus bildet das Werk jedoch vor allem den sehr subjektiven Blick des Kom ponisten auf die Figuren ab.

25 Schon durch den Titel Eine Faust-Sympho nie in drei Charakterbildern wird klar, dass es Liszt nicht um eine Nacherzählung der Handlung von Goethes Theaterstück ging, sondern um das Innenleben der Figuren.

Im 1. Satz tauchen für Faust fünf The men auf, die auf komplexe Art und Weise ineinander verwoben werden und deren unterschiedliche Klanglichkeit die verschie denen Charaktereigenschaften der Titel figur widerspiegelt: grüblerisch, wissens durstig, aber auch leidenschaftlich-sehn suchtsvoll und vorwärtsdrängend sowie spirituell und dem Metaphysischen zugetan. Gerade der düstere, fast ziellos wirkende Anfang führt Faust als einen suchenden Menschen ein, der nach und nach in diverse

FRANZ LISZTZUM WERK

CommonsWikimedia/LehmannHenri©

DasHierDasHierUnzulängliche,wird’sEreignis;Unbeschreibliche,ist’sgetan;Ewig-WeiblicheZiehtunshinan. Faust-Symphonie in drei solo,

GESANGSTEXT3.SATZ:

Mephistopheles hingegen hat kein eigenes thematisches Material. Für den «Geist, der stets verneint» greift Liszt die Themen Fausts wieder auf, wendet sie ins Negative, ins Groteske und Hässliche und zeichnet so den Teufel als verzerrtes, frat zenhaftes Alter Ego der Titelfigur ohne eigenenDieCharakter.

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Charakterbildern 3BESETZUNGFlöten,2Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Schlagzeug, Harfe, Orgel, Streicher, Tenor

Lebensbereiche vordringt und das Ideal dennoch nicht finden kann. Im 2. Satz wird Gretchen durch sang liche Melodik und Dur-Harmonik als un schuldiges, reines, naives Wesen charak terisiert. Mehr und mehr mischen sich Fausts Themen in ihre Musik, und die bei den verschmelzen in einer Liebesszene.

Faust-Symphonie endet – ähnlich wie viele andere Vertonungen dieses Stoffs – in einer Apotheose: In einem Schluss chor mit Tenorsolo, den Liszt erst einige Jahre nach den anderen Teilen als neues Finale nachkomponierte, wird mit den Worten aus Faust II die erlösende Kraft des ‹Ewig-Weiblichen› besungen. Das Ende gehört also Gretchen – das Ideal, das über das Diabolische triumphiert. MEPHISTOPHELES Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis; Das

AugustENTSTEHUNGMännerchorbisOktober 1854 in Weimar 5.URAUFFÜHRUNGSeptember1857 in Weimar ca.DAUER65Minuten

FRANZ LISZTZUM WERK Eine

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28 Sinfoniekonzert ‹Befreiung› in der Saison 2021/22 RÜCKBLICK

29RÜCKBLICK HunzikerBenno©

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Doch die Rechnung der Maria Paw lowna ging auf. Liszt tobte sich noch ein paar Jahre auf den Konzertpodien der Welt aus, brachte sich das Dirigieren bei, gab hin und wieder ein Wohltätigkeitskonzert in Weimar und bezog Anfang 1848 zwei Zimmer im Hotel Erbprinz, bevor er mit seiner neuen Partnerin Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein in die Altenburg am Stadtrand von Weimar zog. Die wilden Reisejahre des Virtuosen Liszt waren da mit vorbei. Als «Sammlung und Arbeit in Weimar» bezeichnete Liszt später diesen Abschnitt seines Lebens. Er dauerte von 1848 bisDie1861.Altenburg war ein herrschaft liches Wohnhaus, so alt wie Liszt selbst, der darin eine Etage mit drei Zimmern be wohnte. Darunter ein Musiksalon, in dem mehrere Flügel standen, auch sein riesen hafter ‹Orgelflügel›, eine Kombination von Klavier und Orgel. Hier empfing Liszt nicht selten Gäste – die Crème de la Crème der europäischen Musikszene. Wagner war da und Berlioz, Clara Schumann und Johannes Brahms, aber auch Maler und Literaten. «Sammlung und Arbeit» umschreibt präzis das Lebenskonzept von Liszt in jener Lebensphase. Nach seinen Jahren in ‹Saus und Braus› wollte er Rückschau halten auf das Erreichte, und dafür war das beschau liche Weimar geeignet. Er überarbeitete sein bisheriges Werk, feilte an seinen mu sikschriftstellerischen Arbeiten und schuf neue Orchesterwerke und Oratorien, wozu ihm die kleine, weniger als vierzig Musiker umfassende Hofkapelle als ‹Instrument› zur Verfügung stand. Früchte jener Jahre waren neben den sinfonischen Dichtungen

LISZTS WEIMAR ORTSGESCHICHTEN

VON SIGFRIED SCHIBLI Weimar war eine kleine Residenzstadt mit rund 12 000 Einwohnern, als Franz Liszt 1840 zum ersten Mal seinen Fuss dorthin setzte. Er war voller Verehrung für die Dichter Goethe, Schiller, Wieland und Herder, die alle mit Weimar verbunden waren. Aber geheim halten liess sich der Besuch des Klavier genies in Weimar nicht. Kaum war Liszt dort ange kommen, gewann er die Aufmerksamkeit des Hofes. Und man kann sich schwerlich vorstellen, dass der durchaus eitle Liszt («Génie oblige!») sich dage gen Jedenfallswehrte.wurdeer gebeten, an der Hoch zeit von Grossherzog Carl Alexander und Sophie von Oranien-Nassau im Jahr 1842 zu spielen. Carl Alexanders Mutter, die Grossherzogin Maria Pawlowna, eine Schwester des Zaren Nikolaus I., ernannte ihn gar zum Grossherzoglichen Kapellmeis ter. Damit ging sie ein Wagnis ein, denn Liszts Ruf war keineswegs der beste – ein Frauenheld mit Hang zu Damen aus dem Hochadel und Vater dreier unehelicher Kinder (Blandine, Cosima und Daniel), politisch unzuverlässig dank seiner Freund schaft mit dem revolutionär gesinnten Richard Wagner und seiner Sympathien für den christlichen Frühsozialismus.

Die Altenburg in Weimar, wo Franz Liszt ab 1848 lebte

31 für Orchester die Faust-Symphonie und die Sonate in h-Moll für Klavier. Dieses halb stündige Monumentalwerk in einem Satz hat man immer wieder als klingende Illus tration des Faust-Stoffs ausgelegt. Goethe, Weimar, Faust – da schliesst sich jeden falls ein Kreis. In seinen 13 Weimarer Jahren leitete Liszt am Hoftheater 43 Opern, darunter 28 zeitgenössische. Zu diesen zählten Wagners Tannhäuser und – in Uraufführung – dessen Lohengrin . Der Chor, der ihm zur Verfü gung stand, zählte maximal 27 Mitglieder, das Ballett nur wenige Tänzer*innen. Be scheidene Verhältnisse! Dass Liszt immer wieder herausragende Gesangssolist*innen fand, war einzig und allein seinem Ruf und seinem Charisma zuzuschreiben, denn die Bezahlung der Opernsänger*innen war be scheiden. Als er Weimar verliess, waren Orchester und Chor nur unwesentlich grös ser als bei seinem Amtsantritt. Liszt war Praktiker genug, sich für seine vielfältigen Aufgaben der Mithilfe eines kompetenten Assistenten zu versi chern: Joachim Raff. Dieser war ein aus Lachen (Schwyz) gebürtiger Schweizer Mu siker und Komponist, der 1849 zu Liszt nach Weimar zog, in der Altenburg wohnte und Liszt beim Orchestrieren seiner Werke und beim Verfassen seiner Schriften unter stützte. Eine schöne Anekdote zu Raff und Liszt gilt es hier noch zu erzählen, allein schon deshalb, weil sie in Basel spielt. Drei Jahre vor seinem Umzug nach Weimar gab Liszt ein Konzert in Basel, und die Ankün digung dieses Konzerts (es musste drei Mal gegeben werden) fand ihren Weg bis nach Zürich zu Joachim Raff. Spontan be schloss der 23-Jährige, zu Fuss nach Basel zu pilgern, um den Klavierabend seines Idols Liszt zu hören. Das Konzert war aber ausverkauft, und der vom Regen triefend nasse Raff stand vor verschlossenen Türen. Irgendwie muss Liszt davon gehört haben, und er sorgte persönlich dafür, dass Raff Zutritt zu dem Konzert bekam. Es war eine schicksalhafte Begegnung, denn danach wurde Raff zu Liszts engstem Mitstreiter und Wegbegleiter in Weimar. LISZTS WEIMARORTSGESCHICHTEN CommonsWikimedia©

Ich funktioniere ausserdem besonders gut, wenn trotz aller Planung improvisiert wer den muss, denn das verleiht einem Betrieb aus meiner Sicht Lebendigkeit. An einem Konzert musste ich beispielsweise spontan Blumen an die Solist*innen auf der Bühne übergeben, war aber überhaupt nicht ange messen gekleidet und schusterte mir hinter BEGEISTERT, IST WERTVOLL» Gespräch

GB Ich stelle mich und meine Funktion vor und spreche die Menschen direkt an. Im Gespräch ist es wichtig, ein Anliegen direkt und ehrlich vorzutragen. Es macht mir grosse Freude, unsere Gäste für das Sinfonieorchester Basel zu begeistern. Das funktioniert am besten, wenn diese das Orchester live in einem Konzert erleben.

LV Greta Backhaus, Du bist oft die erste Anlaufstelle für Anfragen von Kon zertbesucher*innen sowie wichtigen Geschäftspartner*innen. Was gehört ausserdem zu Deinen Aufgaben als Assistentin der Orchesterdirektion?

GRETA BACKHAUS im

VON LEA VATERLAUS Wer bereits einmal telefo nisch mit dem Orchester büro des Sinfonieorchesters Basel Kontakt aufnahm, wurde vielleicht von Greta Backhaus’ Herzlichkeit und ihrem ansteckenden Lachen begrüsst. Seit 2017 ist sie als Assistentin der Orchesterdirektion beim Sinfonieorchester Basel tätig. Im Interview erzählt Greta Backhaus von ihrer Verbundenheit mit der Volks musik, ihrer Sicht auf die Chancengleichheit sowie ihrem Umgang mit Konzert gästen aus Politik und Kunst.

VORGESTELLT

LV Du triffst Dich regelmässig mit Kon zertgästen aus den Bereichen Poli tik und Kunst. Worauf achtest Du im Gespräch?

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GB Ganz konkret ist es meine Verantwor tung, die Direktion des Sinfonieorchesters Basel zu entlasten. Daneben arbeiten wir daran, für unsere grossartigen Vermitt lungsprojekte Gelder und langfristig för dernde Privatpersonen oder Institutionen zu suchen.

«ALLE MUSIK, DIE

Mint&Peaches/ClodiPia©

33GRETA BACKHAUSVORGESTELLT

GB Musik spielt und spielte bei uns zu Hause eine sehr wichtige Rolle. Wie alle ‹Secondos› wurde ich früher im Sommer nach Slowenien geschickt, weil meine Mut ter arbeitete. In den slowenischen Bergen ringt das Leben den Leuten zwar viel ab, man lebt aber auch in einer unglaublichen Idylle. Musik war dabei immer Teil des All tags. Nach getaner Arbeit wurde am Abend mit der ganzen Familie musiziert: In jedem Haus gab es eine steirische Harmonika, eine Gitarre oder Zither, und mein Gross vater spielte Klarinette. Wer gut genug war, durfte mitsingen. Meine Sopranstimme wurde zum Glück akzeptiert, denn wer die anderen störte, war raus! (lacht) Mit Mu sik verbinde ich bis heute vor allem die Volksmusik, zu der zu Hause getanzt und gefeiert wurde. Mit der Klassik kam ich erst später in Berührung und finde es jetzt beim Sinfonieorchester Basel umso span nender, mich damit auseinanderzu setzen. Ich bin der Meinung, dass alle Musik, die begeistert, wertvoll ist, weshalb keine Art von Musik minderwertig ist.

34 der Bühne schnell eine bühnentaugliche Ausstattung zusammen. Die Spontaneität, die solche Situationen erfordern, macht das Orchesterleben doch sehr menschlich! LV Du planst, eine Weiterbildung zur För derung von Frauen in der Berufswelt zu machen, und hast als Kulturbeglei terin auch schon Men schen mit ins Konzert genommen, die das Stadt ca sino Basel aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen nicht alleine be suchen konnten. Was zeich net Chan cengleichheit für Dich aus? GB Aus meiner Familie bin ich selbstbe wusste Frauen gewöhnt. Meine Grossmut ter wie auch meine Mutter waren und sind sehr starke Frauen, die aus einfachen Ver hältnissen heraus etwas erschaffen haben. Ich bin überzeugt, dass jede*r ein Recht auf Gleichbehandlung hat und man niemandem den Weg verstellen darf. Dazu gehört auch, dass alle Menschen bei uns im Konzert saal willkommen sind und wir aktiv für Diversität und Chancengleich heit sorgen. LV Deine bisherigen beruflichen Statio nen sind sehr vielfältig: Nach einer Anstellung als Mitarbeiterin im Ver kaufsinnendienst in einer Druck walzenfabrik warst Du Direktions assistentin am Biozentrum sowie am Kunstmuseum Basel. Wie bist Du zum Sinfonieorchester Basel gekommen? GB Ich wuchs in einer aus Slowenien stammenden Familie auf, die sich in Deutsch land neu etablieren musste. Wegen meines guten Schulabschlusses in Deutsch land durfte ich mich auf einem privaten Berufsfachkolleg für Fremdsprachen im Schwarzwald bewerben, wo ich schliesslich meine Ausbildung zur Fremdsprachenkor respondentin in den Sprachen Englisch und Französisch abschloss. Noch während meiner Ausbildung begann ich bereits, in einer Druckwalzenfabrik in Grenzach zu arbeiten – ein männerlastiger Betrieb, der mich lehrte, couragiert auf meine Kolleg* innen zuzugehen und mir deren Respekt zu erarbeiten. Im Biozentrum war ich die Assis tentin des Schweizer Entwicklungs biologen Walter Gehring, im Kunstmuseum Basel arbeitete ich für Bernhard Mendes Bürgi. Beide Betriebe lernte ich von Grund auf neu kennen, denn ich hatte weder eine Ausbildung als Biologin noch als Kunst historikerin. In beiden Fällen war mein Interesse ausschlaggebend dafür, mich auf die Stellen zu bewerben. Das Wissen kam dann mit der Arbeit. Auch beim Sinfonie orchester Basel, bei dem ich nun seit 2017 arbeite, finde ich es sehr spannend, täglich Neues über die Arbeit des Orches ters so wie über Komponist*innen zu lernen und deren Werke (manchmal zum ersten Mal!) zu hören. Das ist grossartig.

LV Auf welche Konzerthighlights freust Du Dich in dieser Saison am meisten? GB In der Saison 2022/23 werden, neben unserem Orchester, viele mir noch unbe kannte Sänger*innen zu hören sein. Darauf freue ich mich besonders!

GRETA BACKHAUSVORGESTELLT

LV Greta Backhaus, herzlichen Dank für das Gespräch!

LV Welchen Zugang zur Musik hast Du persönlich?

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VON BENJAMIN HERZOG

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A WIE ANFANG DESLEXIKONORCHESTERS

Jetzt sitzen sie alle. Das Publikum. Mit Programmheften wird Luft kühlgefächelt. Letzte Gespräche lösen sich. Das Orches ter. Einige rücken noch ihre Pulte zurecht. Ordnen die Noten in die richtige Reihen folge. Sitzt die Fliege? Sehe ich den Diri genten? Und dann steht einer auf. Mit der Oboe gibt er den Ton zum Einstimmen: ein a. Ist dieser Moment vielleicht der Anfang des Sinfoniekonzerts? Immer jeden falls erklingt es, dieses eingestrichene a’. Zum Stimmen aller Instrumente und zu Beginn eines jeden Konzerts. Zuverlässig wie das Amen in der Kirche. Wobei dieses doch am Schluss steht. Dort also, wo nach der ganzen Musik Orchester, Solist*innen etc. mit Applaus bedacht werden. Für uns, die wir zuhören, mag im Stimmritual der Anfang eines Konzert abends liegen. Vielleicht aber haben wir uns schon vorher an der Bar eingestimmt, haben einer Einführung zugehört, das Programmheft durchgeblättert. Gehört auch dazu. Genauso wie die zu Hause über gestülpte Abendgarderobe, die Anreise oder das Abonnement, das wir ja schon in der Vorsaison ordern mussten. Schaut man also genauer hin, so scheint ein solcher Konzertanfang in Anfänge zu zerfasern. «Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde», heisst es in Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung. Und die Ouvertüre, die diesem göttlich-schöpferischen Akt noch voraus geht, nennt er: «Vorstellung des Chaos».

Welche Hunde mögen hier noch begraben liegen? «Ungrund» nannte der Philosoph Jacob Böhme den Anfang vor dem Anfang. Er sei das «Alles und Nichts» zugleich. Ich hatte früher einen wiederkeh renden Traum. Das Kind geht zur Geigen stunde. Es ist spät dran. Es rennt, doch die Füsse kleben ihm am Boden. Ich werde zu spät kommen. Haben Orchestermusiker* innen ähnliche Träume? Ich vermute es. Aber noch nie habe ich von jemandem ge hört, dass er oder sie zu spät zum Konzert eingetroffen wäre. Eine halbe Stunde frü her – so rechnen die meisten. Ankommen, Finger aufwärmen. Lunge, Lippen, Muskeln auf Präzision einstellen. Noch vor Türöff nung werden diejenigen Instrumente, die schon im Saal stehen, Pauken, Harfen, von den Musiker*innen gestimmt. Durchsage: «Zwanzig Minuten bis zum Konzert.» Wer jetzt Horn spielt und es noch nicht einge blasen hat, der bläst es nimmermehr ein. Herr: es ist Zeit. Es gibt Sinfonieanfänge, die vergisst man nie wieder. Beethovens ‹Tatatataaa› kennt jedes Kind. Oder das scharf punk tierte Schicksalsmotiv in Tschaikowskis Vierter. Ja, da müssen die Damen und Her ren Blechbläser gut eingespielt sein. Und Mozarts Figaro . Die Ouvertüre nehmen Dirigenten bisweilen so schnell, geradezu atemlos, dass einem sofort schwindelt. Das Orchester muss hier vom ersten Augenblick

37 an auf Zack sein. Oder schon vorher. «Nichts Langweiligeres als die ‹Eins›», sagt ein Orchesterbonmot. Der erste Schlag also. Selbst wenn das Stück keinen Auftakt hat, braucht es einen solchen vorweg. Der An fang vieler Werke ist somit unhörbar von einem Taktstock zerteilte Luft. Kein Anfang ohne Anfang vorweg. Eine Glühbirne anzuknipsen oder eine Bruckner-Sinfonie zu spielen, sind zwei fundamental unterschiedliche Dinge. Ge rade Bruckner, dessen Sinfonien sich oft aus einem tremolierenden Irgendetwas zu formen anschicken. ‹Misterioso› schreibt er in seiner Dritten und der unvollendeten Neunten über die Noten. Im Pianissimo wird da sanft in der Ursuppe gerührt, bevor beginnt, was doch eigentlich schon begon nen hat. Mysterium des Konzerts. Oder: Jedem Anfang wohnt zumindest auch ein sehr gut gemachter Zaubertrick inne.

→ Das nächste Mal: B wie Bühnenmusik

A WIE ANFANGLEXIKON DES ORCHESTERS WigetJanine©

IN ENGLISH 38

The 2022/23 season opens with a concert, in which the odds are stacked between heaven and hell. The three pieces before the intermission are an expression of the first. Liszt’s 65-minute long Faust Symphony represents the last. But in the end, redemp tion isWhilenear.Johann

BY BART DE VRIES

Musically, the first movement is the most important – its thematic material returns in the others. The opening bar con sists of all the twelve notes of a scale, thus leaving the key fuzzy and unclear, and more importantly, betokening the twelve-tone system that wasn’t systemically worked out until half a century later. In the Mephis topheles movement the Gretchen theme remains audible, indicating she has been saved. The final words of the tenor in the third movement underscore the gift of sal vation, bringing the concert to a merciful end where heaven prevails. HEAVEN AND HELL

OF

The symphony doesn’t follow this short account, but instead consists of three musical renditions of the main characters: Faust (first movement), Gretchen (second) and Mephistopheles (third).

Sebastian Bach served as the organist to the court of the Duke of Saksen-Weimar, he wrote almost all of the 46 chorale preludes (for organ) of his Orgel büchlein . The Swedish composer Anders Hillborg (this season’s ‚Composer in Resi dence’, born 1954) has arranged one of them, Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, for solo violin and strings. Just like The Lark Ascending for violin and orchestra by the British composer Ralph Vaughan Williams (1872–1958), Hill borg’s piece has a spiritual and ethereal quality that seems to spiral straight up to heaven. Of The Lark it is said that the or chestra evokes the landscape from which the bird, represented by the violin, takes off to reach the skies. The flute, often de ployed to emulate the sound of a bird (for instance in Prokofiev’s Peter and the Wolf and Messiaen’s Le Merle Noir ) connects the two.This concert, however, opens with Lili Boulanger’s Psaume 24 “La terre appar tient à l'Eternel” (The earth is the Lord's). The music to the psalm (for organ, choir and orchestra) is majestic and glorious, describing the entrance of the eternal King (God) into Jerusalem and declaring that only those who have led honest, truthful lives without sin can obtain His blessings. Boulanger (1893–1918), a Parisian child prodigy, was, at only 19 years old, the first woman to receive the prestigious Prix de Rome for her cantata Faust et Hélène . Al though not performed tonight, one could see her prize-winning composition as a linking pin to Liszt’s Faust Symphony in this month’s Althoughconcert.hewasn’t very fond of the character of Faust, who sold his soul to the devil (Mephistopheles) in exchange for earthly pleasures, Liszt was most im pressed by Berlioz’s La Damnation de Faust. Living in the city of Goethe (Weimar) it was almost inevitable that sooner or later Liszt would use Goethe’s play as the source of inspiration for a composition. The fa mous Gretchen-story is as follows: Mephis topheles helps Faust seducing Margaret (or Gretchen), who subsequently kills her mother to be with Faust. Gretchen drowns the child from their rendezvous. Due to her innocence (link to Psalm 24 ) – she is the victim of an evil pact –, God eventually comes to her rescue. After her execution for murder God bestows his grace on her (link to Ich ruf zu dir ).

MUSIK FREUNDSCHAFT AUCH

Wir unterstützen die Arbeit der Musiker* innen des Sinfonieorchesters Basel mit konkreten Projekten und finanziellen Bei trägen. Darüber hinaus tragen wir dazu bei, in der Stadt und der Region Basel eine positive Atmosphäre und Grundgestimmt heit für das Sinfonieorchester Basel und das kulturelle Leben zu schaffen. Unser Verein bietet seinen Mitgliedern ein reich haltiges Programm an exklusiven Anlässen mit dem Sinfonieorchester Basel sowie über ausgewählte Veranstaltungsformate exklusive Möglich keiten des direkten Kon takts zu Musiker*innen. Wir fördern das gemeinschaftliche musikalische Erleben sowie den Austausch unter unseren Mit gliedern. Nehmen Sie direkt Kontakt mit uns

HunzikerBenno©

www.sinfonieorchesterbasel.ch/freundes-oderfreundeskreis@sinfonieorchesterbasel.chauf:besuchenSieunsereWebsitekreis

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VERBINDET –

HunzikerBenno©

VEREIN‹FREUNDESKREISSINFONIEORCHESTERBASEL›

Der Freundeskreis ist eine engagierte Gemein schaft, die Freude an klassischer Musik sowie eine hohe Wertschätzung gegenüber dem Sinfonie orchester Basel verbindet.

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Probezentrum Picassoplatz Der ‹Freundeskreis Sinfonieorchester Ba sel› ist ein wichtiger Pfeiler unseres Orches ters. Stetig gewachsen, unterstützt er unser Orchester in vielen Bereichen. In dieser Saison präsentiert der Freundeskreis neu eine Kammermusik-Reihe, die er zusammen mit Mitgliedern des Sinfonieorchesters Basel im Domizil am Picassoplatz veran staltet. Am 7. September um 18 Uhr findet das erste Konzert aus der Reihe ‹Kammer musik am Picassoplatz› mit Mitgliedern des Sinfonieorchesters Basel statt. Nutzen Sie die Möglichkeit, bei den exklusiven Konzerten mit unseren Musiker*innen ins Gespräch zu kommen und den unter Denk malschutz stehenden renovierten Probe raum des Sinfonieorchesters Basel am Picassoplatz 2 zu erleben. In Zusammenarbeit mit dem Verein ‹Freundeskreis Sinfonieorchester Basel›. Mehr Informationen zum ‹Freundeskreis Sinfonieorchester Basel› auf S. 39 im Programm-Magazin.

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AMKAMMERMUSIKPICASSOPLATZ Louise Farrenc (1804–1875): Nonett für Bläser und Streicher Es-Dur, op. 38 (1849) Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847): Ein Sommernachtstraum, op. 61 (1826), arrangiert für 10 Bläser von Andreas Nicolai Tarkmann (1995) Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel WEITERE TERMINE So, 6. November 2022, 11 Uhr So, 15. Januar 2023, 11 Uhr Sa, 4. Februar 2023, 11 Uhr So, 4. Juni 2023, 11 Uhr Probezentrum Picassoplatz

41IM FOKUS Mi, 7. September 2022, 18 Uhr

MINI.MUSIK IM WELTALL MITSINGEN UNVERGESSLICH! FAMILIENKONZERT DER KARNEVAL DER TIERE SINFONIEKONZERT VIOL(A)ENCE IN HEAVEN Sa, 10. September 2022, 16 Uhr Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel Scala Basel So, 25. September 2022, 10 Uhr Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel Theater Basel und des Theater Basel Di, 27. September 2022, 16 & 18 Uhr Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel Theater Basel und des Theater Basel Mi, 21. September 2022, 19.30 Uhr Sinfonieorchester Basel, Stadtcasino Basel Nikola Hillebrand, Nils Mönkemeyer, Markus Poschner

KAMMERMUSIK AM PICASSOPLATZ GASTSPIEL IN STRESA Mi, 7. September 2022, 18 Uhr Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel Probezentrum Picassoplatz Fr, 9. September 2022, 20 Uhr Sinfonieorchester Basel, Akiko Suwanai, Palazzo dei Congressi Stresa Ivor Bolton

42DEMNÄCHSTIMPRESSUM Sinfonieorchester Basel Picassoplatz 2 4052 Basel +41 (0)61 205 00 www.sinfonieorchesterbasel.chinfo@sinfonieorchesterbasel.ch95 Orchesterdirektor: Franziskus Theurillat Künstlerischer Direktor: Hans-Georg Hofmann Redaktion Programm-Magazin: Lea Vaterlaus & Elisa Korrektorat:BonomiUlrich Hechtfischer Gestaltung: Atelier Nord, Basel Druck: Steudler Press AG Auflage: 5000 Exemplare VORVERKAUF (falls nicht anders angegeben): Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel +41 (0)61 206 99 www.biderundtanner.chticket@biderundtanner.ch96 Billettkasse Stadtcasino Basel Steinenberg 14 / Tourist Info 4051 Basel +41 (0)61 226 36 Detaillierteinfo@stadtcasino-basel.ch60Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch

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