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Das Plädoyer TEXT  RALF SCHLATTER

«Sie haben ganz richtig gehört, hochverehrte Frau Richterin, ich verteidige mich gerne selbst. Weil erstens halte ich wenig von Verteidigern, vielleicht mal abgesehen von Ricardo Rodriguez und weiland Charly In-Albon, aber auch nur darum, weil ich mich dann immer wieder fragen kann, was das genau sein soll, ein rustikaler Verteidiger, aber wie gesagt, am liebsten gar keiner, und zweitens frage ich Sie, verehrte Frau Richterin: Braucht Liebe einen Anwalt? Nun gut, das kam so. In Liebesdingen bin ich, um es einmal vorsichtig auszudrücken, eine nicht gerade mit Glück gesegnete Person. Mit anderen Worten, mit Frauen hatte ich ein Scheisspech. Ich erspare Ihnen gerne einen umfassenden Rückblick, obwohl, lange würde es ja nicht dauern, das kann man an einer Hand abzählen, ach was, an einem Finger, also einem halben, um genau zu sein, denn das mit Sabine war ja vorbei, kaum hatte es angefangen, aber bitte, was kann ich dafür, dass Frau Obermüller just im quasi entscheidenden Moment mit einer kleinen Blaumeise im Maul ins Schlafzimmer gelaufen kommt, und Sabine entpuppt sich als Ornithologin ersten Grades, und erlauben Sie mir den Kalauer, Frau Richterin, das mit dem Vögeln war natürlich gelaufen. Ja, das Pech klebt mir wahrlich an den Schuhen. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit der Kindheit. Ja, meine Eltern trennten sich, als ich sieben war, ja, mein Vater war ein Taugenichts, nein, meine Mutter hat es nicht geschafft, mir meine Schuldgefühle zu nehmen, ja, sie hat mich stattdessen mit Liebe und Zucker überhäuft, nein, die meisten meiner Zähne sind nicht mehr original, ja, glauben Sie mir, ich kenne, wie sagt man, den Kanon, den Sermon, die Pappenheimer. Also. Nun zum eigentlichen Kern dieser ganzen Veranstaltung. Warum meine Katze Frau Obermüller heisst, das ist eine längere Geschichte, die erzähle ich Ihnen gerne mal bei einem Bier, so unter uns, ganz ungezwungen, nach meinem Freispruch. Frau Obermüller also, für ihre reifen elf Jahre immer noch gut im Schuss, und wäre sie ein Mensch, sie wäre so eine dieser fitten Mittfünfzigerinnen mit eigener Modeboutique und frechem Kurzhaarschnitt, allwöchentlicher Nordic-Walking-Gruppe und engen Jeans mit so Strass-Steinchen dran, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und Dixieland. Am liebsten hört sie Dixieland. Frau Obermüller also. Kommt eines Abends nach Hause, wie immer, frisst ihre Portion Trockenfutter, und auf einmal liegt so ein Duft in der Küche, und ich frage mich, woher dieser Duft kommt, ich schaue zum Fenster hinaus, aber von dort kommt er nicht, ich gehe wie ein Depp mit der Nase schnüffelnd durch die ganze Wohnung, wo kommt dieser verfluchte Duft her, Frau Obermüller geht an mir vorüber in Richtung ihres Körbchens und die Duftnote schwillt an, und tatsächlich: Es ist Frau Obermüller, die duftet. Aber nicht nach Katzenminze oder frischer Luft. Nein, nach Eau de Toilette. Zuerst war ich irgendwie spontan gerührt.

Hat sich meine Katze parfümiert, damit mal wieder der Duft einer Frau durch die Wohnung geht? Wie macht Al Pacino doch gleich, in «Scent of a Woman»? Hu-aah! Nun ja. Als Nächstes dann die Frage: Wo hat sie sich diesen Duft geholt. Und übrigens: Es war ein guter Duft. Ein verführerischer Duft. Keiner dieser billigen. Woher also. Tja, und so kam ich auf die Idee mit der Catcam. Also die Kamera, die man der Katze um den Hals hängt. Und die dann Bilder überträgt, auf mein Handy. Also hab ich die bestellt und Frau Obermüller um den Hals gehängt. Und dann die ganze Nacht vor dem Handy verbracht. Alle zwei Minuten ein Bild. Ich sage Ihnen, dagegen ist jeder «Tatort» ein Kirchenlied. Na ja, wobei die Bilder jetzt nicht der Hammer waren, also rein inhaltlich. Technisch natürlich einwandfrei. Aber ja, was eine Katze halt so sieht. Wobei die Katze ja sieht, in der Nacht. Ich sah vor allem schwarze Umrisse. Organischer Natur. Also Wiesen, Baumstämme, Büsche. Ich muss dann kurz eingenickt sein. Als ich wieder auf den Bildschirm schaue – Ach, Frau Richterin, ich erröte noch immer, wenn ich daran denke, ich habe mir das wirklich nicht ausgesucht, ich bin nicht so einer, das können Sie mir glauben, was kann ich dafür, wo es meine Katze hinzieht. Als ich also auf den Bildschirm schaue, sehe ich wieder Umrisse. Organischer Natur. Aber heller. Und wie soll ich sagen, weiblicher. Schenkel. Bauch. Brüste. Meine Güte. Und dann natürlich wieder warten. Die längsten zwei Minuten meines Lebens. Das nächste Bild: Ein Unterkinn. Das nächste Bild: Unterkinn, unverändert. Das nächste Bild auch. Frau Obermüller schläft auf ihrem Bauch! Auf ihrem nackten Bauch! Frau Richterin. Wie wir alle hier bin auch ich nur ein Mensch. Das heisst, nur ein Mann. Ein heterosexueller, alleinstehender Mann. Eine Stunde später kam Frau Obermüller nach Hause. Duftend. Aufgrund der Bilder war die Frau nicht zu lokalisieren, glauben Sie mir, ich bin stundenlang mit meinem Handy in gebückter Haltung durchs Quartier geschlichen. Also in der kommenden Nacht wieder auf dem Sofa. Morgens um zwei wieder Schenkel, Bauch, Brüste. Und dann plötzlich ein Gesicht. Ansatzweise. Und na ja, nicht sehr vorteilhaft. Wie man halt aussieht, wenn man liegend den Kopf hebt und die Katze auf seinem Bauch ansieht. Unterkinn, Halsfalten, Nasenlöcher. Aber der Mund! Und die Augen! Ach je. In der dritten Nacht, das ist jetzt ein wenig wie im Märchen, da passiert’s doch auch immer beim dritten Mal, in der dritten Nacht also, wieder meine gute Frau Obermüller auf dem Bauch der Unbekannten. Dann wieder der Kopf, leicht angehoben. Zwei Minuten später: Das Gesicht, von vorn, ganz nah an der Kamera. Wunderschön. Und lächelnd. Irgendwie vielsagend. Und wieder zwei Minuten später: ein Zettelchen im Bild. Darauf geschrieben: Monika. Meine Güte. Also ich kann es mir nur so erklären: Wenn Frau Obermüller, auf welchem Weg auch immer,

Ich bin nicht so einer, das können Sie mir glauben, was kann ich dafür, wo es meine Katze hinzieht.

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