Laure TEXT ARIANE VON GRAFFENRIED
Die Frau im Hintergrund auf Édouard Manets Bild «Olympia», eines der wenigen Schwarzen Modelle in der europäischen Malerei
Dunkel die Farbe der Wand, dunkel deine Haut, Laure, du stehst im Hintergrund,
Vielleicht bist du Pianistin im 9ème und schreibst Gedichte
ums Haar einen Turban, rosa Gewand, in der Hand ein Bouquet.
zwischen den Schichten als Elefantendresseur in den Folies Bergère.
Eine Katze schnurrt durchs Atelier. Hinter der Staffelei siehst du den Maler,
O Laure, ça fait des heures que tu poses là, les siècles passent hinter Olympia.
der versinkt in Wahrheiten von Licht und Schatten, im Skript der Kontraste auf seiner Palette, in den Farbflächen einer Welt als Bordell ohne Tiefe: Das Pariser Leben, die Poesie der Wirklichkeit, wie er sie sieht, während du dir die Beine in den Leib stehst.
Dunkel die Farbe der Wand, dunkel deine Haut. Laure, du stehst im Hintergrund und siehst, wie ein Maler versinkt, in Wahrheiten von Licht und Schatten. Sein Name ist Manet, er malt eine Kurtisane mit Katze. Sie streckt den Körper,
O Laure, ça fait des heures que tu poses là, les siècles passent hinter Olympia.
weiss und nackt, auf dem Diwan und blickt spöttisch, wie eine Königin, direkt in die Augen der Republik.
Längst wärst du reif für ein déjeuner im café an der rue de Richelieu
Du schaust vertraut, reichst ihr das blühende Präsent eines Kunden
mit Baudelaire, Zola und der Aktrice Duval, der «Vénus Noire» aus den «Fleurs du Mal».
und hörst schon den Hohn unter Zylindern im Salon, die Klientel im Frack,
Bourgeois, Bohemien und Knecht, Leute ohne Namen, Halbweltdamen.
die mit Schirm und Stock die Olympierin bedroht. Du siehst, das Bild wird gut,
Tür an Tür in der capitale, Kolonialherrschaft, Leben in Komplizenschaft.
ein Meisterwerk. Und du weisst, ohne dich wäre es das nicht.
Vielleicht wäschst du die Strümpfe von Dumas, vielleicht die Unterhosen von Napoléon trois
FOTO: ALEXANDER JAQUEMET
oder die Hemden deines Malers, dem du drei Mal Modell stehst: Wie du als nounou mit blassen Kindern der Hautevolee spazieren gehst oder eine Perle trägst im schwarzen Ohr, wie das Mädchen von Vermeer.
Surprise 479/20
Der Text ist erstmals erschienen in Fitzgerald & Rimini: «50 Hertz», CD mit Gedichtband, Verlag Der gesunde Menschenversand 2019. ARIANE VON GRAFFENRIED ist Autorin und promovierte Theaterwissenschaftlerin. Sie ist Mitglied der Autor*innengruppe Bern ist überall und tritt als Spoken-Word-Performerin mit dem Musiker und Klangkünstler Robert Aeberhard im Duo «Fitzgerald & Rimini» auf. Für ihre Texte wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
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