TREND - Magazin für Soziale Marktwirtschaft - Ausgabe 4/2022

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Wirtschaftsstandort Deutschland in der Krise

TOP-INTERVIEW

„Digitalministerium wäre Aufbruchssignal gewesen“
Prof. Dr. Kristina Sinemus ENERGIE Green-Washing hilft dem Klima nicht Prof. Dr. Harald Schwarz
172 44. JAHRGANG 4 / 2022
WIRTSCHAFTSSTANDORT Freiheit ist ein Wettbewerbsvorteil Bettina Stark-Watzinger
Wirtschaftsrat Exklusiv ist mehr als nur ein Mitgliederausweis. Prof. Dr. Max von Musterhausen Nr. 12345 Wirtschaftsrat Exklusiv 2023 Neugierig geworden? Entdecken Sie alle Informationen auf unserer Website. Freuen Sie sich auch im nächsten Jahr über vielfältige Angebote unserer langjährigen Kooperationspartner: � Mindspace � Business-Clubs: - Airport Club Frankfurt - Industrie-Club Düsseldorf - ROTONDA Business Club Köln sowie über viele weitere Möglichkeiten, die wir Ihnen im Laufe des Jahres 2023 offerieren werden. Wir danken der Quirin Privatbank AG für Ihre freundliche Unterstützung.

Zugegeben, ganz so erwartet hätte ich das nicht: Der von der Ampel forcierten HartzIV-Reform wurden an mehreren Stellen ihre schlimmsten Fehlanreize im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat noch im letzten Augenblick genommen. Zukünftig kann sich niemand in den ersten sechs Monaten Arbeitslosigkeit erst einmal ohne Konsequenzen zurücklehnen, wie SPD und Grüne durchsetzen wollten.

Möglich war das nur, weil die FDP trotz Ampel-Beteiligung ihrer marktwirtschaftlichen Identität in den Verhandlungen treu blieb. Und alle Landesregierungen unter UnionsBeteiligung haben sich geschlossen

Befragten gegen eine Abschaffung der Sanktionen für Arbeitsverweigerer. Solche Zahlen können Mut machen: Die Fleißigen unseres Landes stehen hinter dem Kompass der Sozialen Marktwirtschaft.

Tiefe Sorgen müssen uns allerdings die nächsten Monate bereiten. Bisher wurden in den Unternehmen noch viele Aufträge aus dem Corona-Rückstau abgearbeitet. Doch viele Betriebe spüren schon seit Monaten, wie die Nachfrage der Geschäfts- wie der Privatkunden angesichts der hohen Preissteigerungen für Energie, Rohstoffe und Grunderzeugnisse einbricht.

hinter Friedrich Merz und seiner vertretenen Linie versammelt. So haben die bürgerlichen Parteien offensichtlich über Bande gespielt und konstruktiv mitgestaltet.

Seit langer Zeit war keine „Sozialreform“, die Menschen – vermeintlich – mehr geben wollte, derart unpopulär wie diese. Das ursprünglich eingebrachte „Bürgergeld“ war durch die Aufgabe des Grundsatzes „Fordern und Fördern“ nichts anderes als der Einstieg in das „Bedingungslose Grundeinkommen“ bei gleichzeitig großzügiger Ausweitung des Schonvermögens.

Bei rund zwei Millionen offenen Stellen, eine Million davon einfache, niedrigqualifizierte Arbeiten, war dieser Fehlanreiz einer übergroßen Mehrheit der Arbeitnehmer und Bürger nicht vermittelbar. Laut einer Umfrage waren drei viertel der

In vielen Branchen schmilzt gerade die Liquidität besorgniserregend dahin. Vor der Corona-Krise kerngesunde Unternehmen geraten nach insgesamt fast drei Krisenjahren immer mehr in Schieflage. Für sie hält die Politik mit erweiterten steuerlichen Verlustrückträgen einen wichtigen Schlüssel in der Hand.

Mindestens so wichtig ist die Kreditfähigkeit der Banken, denen jetzt eine zentrale Rolle zukommt, ihren überlebensfähigen Kunden mit Finanzierungen beizustehen. Da geht es in dieser schwierigen Zeit nicht an, dass die Europäische Zentralbank zum Jahreswechsel die geforderte Eigenkapitalunterlegung weiter verschärft. Wir werden an diesen Themen in den nächsten Wochen weiter dranbleiben.

Jetzt möchte ich Ihnen besinnliche Weihnachten und einen glücklichen Jahreswechsel wünschen. Alles Gute!

3 4/2022 TREND EDITORIAL
Foto: Nell Killius
Titelbild: AdobeStock© Emvats
„In vielen Branchen schmilzt gerade die Liquidität besorgniserregend dahin.“

Inhalt

8 WIRTSCHAFTSSTANDORT

Freiheit ist ein Wettbewerbsvorteil Angesichts der Vielzahl von Umbrüchen müssen wir Europa stärken, als Kraft für innovative Ideen entwickeln und mit einer Stimme sprechen. Nur der europäische Forschungs- und Innovationsraum bietet die Feuerkraft, um im globalen Wettbewerb zu bestehen, ist die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger MdB überzeugt.

TITEL

12 Deutschland in der Krise  Peter Hahne

AKTUELL

WIRTSCHAFTSSTANDORT

8 Freiheit ist ein Wettbewerbsvorteil  Bettina Stark-Watzinger MdB

INTERVIEW 10 „Ein Digitalministerium wäre ein Aufbruchssignal gewesen“  Prof. Dr. Kristina Sinemus

TREND-GRAFIK 18 Kluge Politik?

ENERGIE 20 Green-Washing hilft dem Klima nicht  Prof. Dr. Harald Schwarz 24 Investitionsturbo für erneuerbare Energien statt staatlicher Gängelung  Stephan Frense und Björn Spiegel

IMMOBILIEN 26 Mehr Freiheit gefordert  Klara Geywitz und Lars von Lackum in der Diskussion

34 Dezentrale Struktur zentrales Element  Tino Krause 35 Cyber-Sicherheit bedeutet Demokratie-Sicherheit  Dr. Marianne Janik 35 Cybersicherheitsarchitektur zügig gut aufstellen  Peter Beuth MdL 36 Datensilos aufbrechen  Maximilian Funke-Kaiser MdB 36 Transportkosten entscheiden  Dr. Franz Kainerdorfer 37 IT-Sicherheit ist teuer, aber existenziell  Dr. Gerhard Schabhüser 37 Wohlstand und Klimaschutz versöhnen  Thomas Bareiß MdB 38 Reden wir über die Zukunft  Dr. Reinhard Ploss 39 Mittelstand braucht KI-Zugang  Walter Dopplmair 39 Nasse Unterschriften sind von gestern  Frank Niehage

10 TOP-INTERVIEW

„Ein Digitalministerium wäre ein Aufbruchssignal gewesen“ TREND sprach exklusiv mit der hessischen Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Prof. Dr. Kristina Sinemus, darüber, wie der Wirtschaftsstandort Deutschland schneller digital werden kann und was der Digitalminister im Bund von Hessen lernen kann.

GESUNDHEIT 28 2023 wird ein Reformjahr  Dr. Thomas Steffen 29 Mehr Freiheit wagen  Prof. Dr. Hendrik Streeck 30 Zeit zu handeln!  Kai Hankeln 31 Deutschland übertreibt die Sicherheit  Dr. Markus Leyck Dieken

12 TITEL

Deutschland in der Krise

6 Deutschland verspielt alle Standortstärken

INNOVATION 32 Europa muss Innovationsführer werden  Mariya Gabriel 33 Deutschland muss ein Einsteiger-Land werden  Friedrich Merz MdB

Explodierende Inflationsraten, extreme Energiepreise und ausufernde Staatsschulden belasten das Land noch auf Jahre. Zum ersten Mal seit Kriegsende gerät der Wohlstand nachhaltig in Gefahr. Die Ampelkoalition irrlichtert derweil durch die Krise. Ein wirtschafts- und energiepolitischer Neustart wurde verschlafen. Rot-gelb-grüner „Doppel-Wumms“ und „Zeitenwende“ reichen nicht, um Deutschland aus der Krise zu führen. Höchste Zeit für eine Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft.

4 INHALT
Foto: European Union, 2022
Hessische Staatskanzlei START EDITORIAL 3  Astrid
AUSSENANSICHT
Foto:
Hamker
AdobeStock©Torkhov
 Dr. Dorothea Siems Foto:

20 ENERGIE

Green-Washing hilft dem Klima nicht Unser Energieverbrauch ist in den letzten 200 Jahren kontinuierlich gestiegen, und mit ihm die CO2-Emissionen. Es ist keine Frage mehr, dass wir die Treibhausgase reduzieren müssen, aber es geht um das wie. Nur dann helfen wir auch dem Klima. Lesen Sie den Artikel zur Energiepolitik in Deutschland von Prof. Dr. Harald Schwarz, Professor für Energieverteilung und Hochspannungstechnik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.

INHALT SCHLUSS AUS DEN LÄNDERN 54 Rückblick | Einblick | Ausblick 56 Impressum FORUM 57 Im Spiegel der Presse 58 Zahlen des Quartals 58 Spindoktor Foto: AdobeStock©Anton Balazh WIRTSCHAFTSRAT JUNGER WIRTSCHAFTSRAT 48 Junger Wirtschaftstag WIRTSCHAFTSTAG DER INNOVATIONEN 50 Impressionen ENGAGEMENT 52 „Die wichtigste Währung unserer Zeit heißt Geschwindigkeit“ Dr. Karsten Wildberger INNENANSICHT 44 Neues aus den Kommissionen IMMOBILIENFORUM 2022 46 Impressionen STANDPUNKT STEIGER 47 Aufstiegsversprechen erneuern
www.lotto-hessen.de lottohessen pro Jahr für Sport, Kultur, Soziales, Denkmalpflege und Umwelt. 143 Mio. € LOTTO hilft Hessen CYBERSICHERHEIT 40 Bedrohungslage fordert den Mittelstand heraus  Derk Fischer
42 Warum nachhaltiges Handeln alternativlos ist  Christoph Pohl
NACHHALTIGKEIT

Deutschland verspielt

Deutschlands Wirtschaftsmotor stottert mächtig und zieht die anderen EU-Staaten mit herunter in die Rezession. Höchste Zeit das Ruder herumzureißen und sich wieder auf alte Stärken und die Soziale Marktwirtschaft zu besinnen.

Die deutsche Wirtschaft lahmt. Innerhalb der EU zählt unser Land beim Wachstum momentan zu den Schlusslichtern. Diese Leistungsschwäche ist für die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt ungewohnt. Die schlechte Performance resultiert keineswegs nur aus den Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, von denen Deutschland besonders stark betroffen ist. In diesen Krisenzeiten wird vielmehr deutlich, dass sich die Politik seit vielen Jahren zu wenig darum gekümmert hat, die Grundlagen für eine gute Wirtschaftsentwicklung zu pflegen. Ob es Deutschland zurück auf den Wachstumspfad schafft, hängt deshalb nicht nur von der kurzfristig orientierten Krisenpolitik ab. Entscheidend ist vielmehr, dass man sich wieder darauf besinnt, was das Land in den Jahrzehnten nach dem Krieg so erfolgreich gemacht hat: solide und verlässliche Rahmenbedingungen.

Heutzutage herrscht dagegen extreme Unsicherheit. Die größte Sor-

ge der Unternehmen dreht sich um die Energieversorgung. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik war die Lage so prekär wie heute. Nicht nur die Preisexplosion, sondern auch die Gefahr möglicher Versorgungsengpässe treibt die Wirtschaftsvertreter um. Mit einer Vielzahl von Hilfen und Eingriffen in den Markt hofft die Bundesregierung die Lage in den Griff zu bekommen. Die Unsicherheit aber bleibt groß, denn großflächige Stromausfälle oder ein Kollaps des Gasmarktes sind nicht ausgeschlossen.

Die sichere Energieversorgung war einst eine Standortstärke. Doch der waghalsige Kurs, den Deutschland mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohle eingeschlagen hat, wirkt sich nun, wo das günstige russische Gas nicht mehr fließt, als enorme Belastung aus. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen stößt in der Realität an Grenzen der Machbarkeit, aber Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält stur am Atom- und Kohleausstieg und der Ablehnung des Frackings fest. Die Energieversorgung bleibt somit auf Jahre hinaus teuer und unsicher, was die Zukunftsfähigkeit großer Teile der hiesigen Industrie gefährdet.

Der schleichende Niedergang des deutschen Wirtschaftsstandorts zeigt sich auch in der Verkehrsinfra-

„Ein Sozialsystem, das zu vielen Einwohnern ein Leben ohne Arbeit ermöglicht und gleichzeitig die Finanziers immer stärker belastet, dämpft die Leistungsbereitschaft aller Erwerbsfähigen.“

struktur. Ob marode Brücken und Straßen oder die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn – hierzulande kommt man buchstäblich zu langsam voran. Im übertragenden Sinne gilt dies ebenso für die digitale Infrastruktur. Die chronische Investitionsschwäche des Staates, der stattdessen immer mehr Steuergeld in den Sozialkonsum fließen lässt, rächt sich. Denn eine Infrastruktur, die jahrzehntelang auf Verschleiß gefahren wird, schreckt auch die privaten Investoren ab.

Gut ausgebildete Fachkräfte zählten ebenfalls traditionell zu den deutschen Stärken – und sind heute Mangelware. Insbesondere der Rückgang bei der dualen Berufsausbildung trifft die Wirtschaft. Dass sich Deutschland eine verheerende Schulmisere leistet,

6 TREND 4/2022 AUSSENANSICHT
Foto: Frank Lehmann

alle Standortstärken

hinterlässt tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialkassen. Ein Fünftel der Schulabgänger gilt als nicht ausbildungsfähig. Das Bildungssystem ist vor allem mit dem stark anwachsenden Anteil nicht Deutsch sprechender Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern heillos überfordert.

Ein Sozialsystem, das zu vielen Einwohnern ein Leben ohne Arbeit ermöglicht und gleichzeitig die Finanziers immer stärker belastet, dämpft zudem die Leistungsbereitschaft aller Erwerbsfähigen. Eine extrem hohe Steuer- und Abgabenquote macht Deutschland überdies unattraktiv für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, die angesichts des demografischen Wandels jedoch dringend gebraucht werden.

Mangel herrscht aber nicht nur an Arbeitskräften, moderner Infrastruktur und bezahlbarer Energie. Verlorengegangen ist auch die wirtschaftspolitische Orientierung. Ludwig Erhard setzte nach dem Krieg ordnungspolitische Leitplanken, die über Jahrzehnte Deutschlands Kurs prägten. Der Einsatz für Freihandel, ein scharfes Wettbewerbsrecht und Zurückhaltung bei staatlichen Subventionen entfesselten Wachstumskräfte. Mittelstand und Industriekonzerne profitierten gleichermaßen vom Modell der Sozialen Marktwirtschaft, das dem Markt vertraut, weil dieser den Wohlstand schafft, der den sozialen Ausgleich überhaupt erst ermöglicht.

Nicht erst seit der Corona-Pandemie und der Energiekrise hat sich

die Politik zunehmend von diesem Erfolgsmodell entfernt. Ob Mietpreisbremse, Strompreisdeckel oder jährliche Vorgaben zur CO2-Minderung – in immer mehr Bereichen regiert der Staat in den Markt hinein. Verbote und Vorgaben sind dabei die Peitsche, Subventionen das Zuckerbrot. Planwirtschaftliche Gängelung sorgt zwar weder im Energiesektor noch im Wohnungsbau für die gewünschten Ergebnisse. Doch statt umzukehren, wird der Staatseinfluss weiter vorangetrieben.

Auch vom Freihandel, von dem Deutschland wie kaum ein anderes Land profitiert hat, hält die Bundesregierung allen Sonntagsreden zum Trotz nicht viel. Denn mit Lieferkettengesetz und der Forderung nach einem „wertebasierten“ Außenhandel schafft man in Wahrheit protektionistische Hürden und bereitet den Boden für Handelskriege.

Die Abkehr von Ludwig Erhards Ordnungspolitik zeigt sich aber auch auf einem Kompetenzfeld, das Deutschland an Europa abgegeben hat: in der Geldpolitik. Erhards Versprechen vom „Wohlstand für alle“ war eng mit der Verlässlichkeit der Deutschen Bundesbank verknüpft. Denn die Hüter der D-Mark haben dem Staat das Schuldenmachen niemals mit einer lockeren Geldpolitik erleichtert.

Spätestens jetzt, angesichts von Rekordinflation, horrender Staatsverschulung und Stagnation muss jedem klar sein: Es ist allerhöchste Zeit, sich in Deutschland und Europa wieder auf die Prinzipien seriösen Wirtschaftens zu besinnen. l

7 4/2022 TREND AUSSENANSICHT
Foto: Jens Schicke

Freiheit ist ein Wettbewerbsvorteil

Angesichts der Vielzahl von Umbrüchen müssen wir Europa stärken, als Kraft für innovative Ideen entwickeln und mit einer Stimme sprechen. Nur der europäische Forschungsund Innovationsraum bietet die Feuerkraft, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Wir müssen die aktuellen Krisen nutzen, um neue Türen für die Zukunft zu öffnen. Selten waren vermutlich so viele Umbrüche gleichzeitig zu bewältigen wie heute. Heute wissen wir, dass das über Jahrzehnte so erfolgreiche multilaterale System nur funktioniert, wenn dahinter reale Machtmittel stehen, die das fragile System schützen. Der russische Krieg ist indes nur ein Aspekt. Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel. Der Aufstieg Chinas hat in Teilen die Gewissheit des Westens erschüttert, dass unser System der Marktwirtschaft mit einer liberalen Demokratie und Rechtsstaat jeder anderen Wirtschaftsordnung überlegen ist.

China will bis 2025 mit zehn Schlüsseltechnologien an der Weltspitze stehen. Ist unser politisches System fähig, auf diese neue Heraus-

forderung zu reagieren? National und europäisch? Und kann unsere Marktwirtschaft mit dem Staatskapitalismus nach chinesischem Vorbild standhalten? Meine Meinung ist da ganz klar: Der Erfolg Chinas ist nicht in Stein gemeißelt. Wir müssen nicht in eine Schockstarre verfallen. Auch China hat seine großen Herausforderungen, wofür die Menschen – etwa mit der Umweltverschmutzung – einen hohen Preis zahlen. Die Ein-Kind-Politik hat zur Folge, dass auch dort die Gesellschaft immer älter wird und langfristig schrumpft. Und ein großer Teil der chinesischen Investitionen sind ineffizient. Deshalb müssen wir im Systemwettbewerb nicht erlahmen. Im Gegenteil.

Wir haben in den vergangenen beiden Jahren gesehen, dass die hochwirksamen Corona-Impfstoffe nicht in China, sondern in demokratischen Ländern entwickelt wurden. Richtig ist, dass wir uns an die Zeitenwende anpassen müssen und etwa chinesische Investitionen in europäischen Schlüsselindustrien prüfen. Aber genauso richtig ist es, dass wir Europa als Kraft für innovative Ideen entwickeln. Dass wir Europa stärken und mit einer Stimme sprechen. Europa

„Unsere freiheitliche, demokratische Gesellschaft und unsere marktwirtschaftliche Ordnung – sie können Erfolgsgeschichten sein, wie das Beispiel des Biontech-Impfstoffs gezeigt hat.

Von diesen Erfolgsgeschichten brauchen wir mehr.“

muss eine wahrnehmbare Kraft sein, die als Gleichgewicht gegenüber anderen Großmächten dienen kann. Nur der europäische Forschungs- und Innovationsraum bietet zusammen die Feuerkraft, die wir brauchen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Und nur der europäische Binnenmarkt ist groß genug, damit die neuen Unternehmen, die bei uns entstehen, wachsen und skalieren können. Das europäische Projekt bietet den Bürgern eine vielfache Dividende. Schätzungen des Ifo-Instituts zeigen, dass das heutige Pro-Kopf-Einkommen allein aufgrund des freien Güter- und Dienstleistungshandels um durchschnittlich zehn Prozent über dem Niveau liegt, das sich ohne diese Freiheiten eingestellt hätte. Deshalb ist meine klare Botschaft. Freiheit ist ein Wettbewerbsvorteil!

Wir dürfen neue Technologien wie die Gentechnik nicht gleich ideologisch zerreden. 2020 wurden die Entdeckerinnen der CRISPR/Cas-Genschere mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Mit diesem Verfahren kann man die Widerstandskraft von Pflanzen gegen Wetterphänomene oder Schädlinge deutlich steigern. Ein solcher Baustein könnte ein Baustein bei der Sicherung der Welternährung sein. Deutschland und Europa bremsen aber nicht allzu selten diese neuen Technologien aus. Biotechnologie-Unternehmen entscheiden sich gegen den Standort Deutschland und verlegen ihren Standort in die USA, weil

8 TREND 4/2022 AKTUELL Wirtschaftsstandort
Bettina Stark-Watzinger MdB Bundesministerin für Bildung und Forschung Foto: Guido Bergmann

dort mehr Forschungsfreiheit möglich ist. Aktuell findet ein großer Teil dieser Forschung in den USA, in China und in Großbritannien statt. Wollen wir es wirklich riskieren, dass die Chinesen und die Amerikaner – ähnlich wie in der Digital-Industrie – auch die Biotechnologie monopolisieren?

Dann wären wir nur noch Konsumenten ohne Gestaltungsanspruch. Nur wer führend in Forschung und Anwendung ist, kann auch die ethischen Maßstäbe setzen – deswegen darf das nicht unser Ziel sein.

Unsere freiheitliche, demokratische Gesellschaft und unsere marktwirtschaftliche Ordnung – sie können Erfolgsgeschichten sein, wie zum Beispiel beim Biontech-Impfstoff. Wir brauchen mehr von diesen Erfolgsgeschichten. Und deswegen müssen wir

konsequent auf Forschungsfreiheit und Unternehmertum setzen. Wir alle sind gefragt. Wir müssen uns auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass nicht eine Technologie als solche reguliert wird, sondern dass das individuelle Risiko, das von einer Anwendung ausgeht, reguliert wird. Die Konsultationen im Bereich der Gentechnologie laufen gerade. Das heißt, egal ob Energie oder Biotechnologie, wir brauchen Technologieoffenheit statt Silo-Denken und keine einseitige Ausrichtung auf Technologien von heute.

Ein weiterer Punkt: Energie ist Wohlstand, und Wohlstand bedeutet Klimaschutz. Eine verantwortungsvolle Energiepolitik, das haben wir ja schmerzlich spüren müssen, ist nicht nur entscheidend für unsere Wirtschaft und unser Klima, sondern auch

entscheidend für unsere Sicherheit. Energiesouveränität ist wichtig für die Unversehrtheit unseres Landes. Es geht dabei nicht um Autarkie, das wäre marktwirtschaftlich nicht darstellbar und auch nicht sinnvoll. Aber es geht um die Souveränität, dass wir immer entscheiden können, mit wem wir zusammenarbeiten, also forschen oder handeln wollen. Richtig: Je schneller wir die erneuerbaren Energien ausbauen, umso besser. Aber um ein Industrieland zu bleiben und vielleicht auch noch so fliegen zu können, wie wir im Augenblick fliegen, wird das nicht ausreichen. Wir müssen neue Technologien wie die Wasserstofftechnologie schnellstmöglich zur Marktreife bringen. Hier bieten sich auch neue Möglichkeiten für die Wirtschaft. l

9 4/2022 TREND AKTUELL Wirtschaftsstandort
Foto: European Union, 2022

sprach exklusiv mit der hessischen Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus darüber, wie der Wirtschaftsstandort Deutschland schneller digital werden kann und was der Digitalminister im Bund von Hessen lernen kann.

Frau Prof. Dr. Sinemus, Sie waren die erste Staatsministerin für Digitales und Entwicklung in Hessen und nach Bayern die zweite Ministerin für diesen Bereich unter allen Bundesländern. Können Sie heute sagen, dass Hessen anderen Bundesländern voraus ist bei der Digitalisierung?

Wir haben in Hessen eine Bündelungs- und Koordinierungsfunktion geschaffen, die klug durchdacht ist. Aus dieser strategischen Steuerungsfunktion findet die Digitalisierung koordinierend für alle Ministerien an einer Stelle statt. So bin ich allein zuständig für die digitale Infrastruktur: das heißt Mobilfunk, Breitband und die Regulierung. Damit sind wir definitiv schneller als andere Länder, bei denen die Zuständigkeiten auf verschiedene Ministerien verteilt sind.

– Was kann der Digitalminister im Bund von Ihnen lernen?

In Hessen haben wir drei elementare Strukturmerkmale umgesetzt. Erstens alle digital-relevanten Kompetenzen auf Landesebene in meinem Bereich zu bündeln, zweitens die Digitalisierung als Querschnittthema von der Wirkung in Wirtschaft und Gesellschaft denken und drittens Budgethoheit über die Digitalmilliarde, um Digitalisierungsvorhaben zu koordinieren. Das hätte ich mir auch auf Bundesebene erhofft, doch jetzt ist auch erst einmal das Digitalbudget verschoben worden, voraussichtlich wird es frühestens 2024 kommen, eine weitere verpasste Chance der Ampelkoalition.

eigene Digitalstrategie auf den Weg gebracht, die bis 2030 ausgelegt ist. Unser Fahrplan in Hessen steht.

– Sie kommen ursprünglich aus der Wirtschaft. Hilft Ihnen das als Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung?

Die Wege zwischen Politik und Wirtschaft müssen durchlässiger werden. In erster Linie sehe ich mich eher als Umsetzerin. Neu denken, das liegt mir. Ich bin interdisziplinär groß geworden und mir macht es einfach viel Spaß, komplexe Themen aufzulösen, zu verstehen und ihnen eine Richtung zu geben. Deshalb hat mir die Herausforderung, dieses Digitalministeriums aufzubauen, so viel Freude bereitet. Ich bringe die Dinge einfach gerne operativ voran.

– Die Politik wünscht sich ein Silicon Valley in Deutschland – ein digitales Ökosystem, in dem sich finanzkräftige Unternehmen und digitale Startups gegenseitig mit Ideen befruchten, sie in Innovationen verwandeln und am Ende auch marktfähige Produkte präsentieren. Halten Sie dies für realistisch? Und wie müssten wir das angehen?

Wir haben in Hessen eine herausragende Position bei der KI-Forschungskompetenz, ein KI-Ökosystem mit großem Zukunftspotenzial und KI-fähige Recheninfrastruktur. Zudem einen Mittelstand, der KI-basierte Anwendungen nutzt und entwickelt sowie innovative Großunternehmen und kreative Start-ups. Fast ein Drittel aller deutschen

„Ein Digitalministerium auf wäre ein Aufbruchssignal

– Was sehen Sie als zentrale Voraussetzung an, um Deutschland digital auf Kurs zu bringen?

Die Einrichtung eines echten Digitalministeriums auf Bundesebene wäre vor allem ein Aufbruchssignal gewesen und wir hätten den in Deutschland vorhandenen Flickenteppich im Bereich Digitalisierung eine ordnende und führende Hand gegeben. Am Ende geht es doch darum, dass wir schneller vorankommen. Wir haben eine

Rechenzentrumskapazitäten befindet sich in Hessen, in Frankfurt ist mit DE-CIX der weltweit größte Datenknoten. All diese Kapazitäten nutzen wir, um unsere Stärken im Sinne unserer KI-Agenda weiter auszubauen.

– Deutschland hat mit einem starken Maschinenbau sehr gute Chancen, um im Internet of Things zu punkten. Und auch beim autonomen Fahren könnten

10 TREND 4/2022 AKTUELL Interview
Das Interview führte Katja Sandscheper.

unterzeichnet, mit dem wir unser Land fit für die Zukunft machen. Damit kommen wir unserem Ziel, flächendeckend Glasfaseranschlüsse bis 2030 bereitzustellen, ein großes Stück näher. Mit dem Anfang 2022 geschlossenen „Zukunftspakt Mobilfunk für Hessen“ stehen zudem die Netzverdichtung und die Erhöhung der Netzqualität im Fokus.

Wie überwinden Sie in Hessen bei der Digitalisierung die Diskrepanz zwischen Metropolregion und ländlichen Raum?

wir vorn mit dabei sein. Basis dafür ist aber schnelles Internet in allen Regionen Deutschlands – und das lässt vielerorts noch auf sich warten. Wie können wir schneller werden?

Der Ausbau der digitalen Infrastruktur schreitet in Hessen mit großen Schritten voran, allerdings hat uns der abrupte Förderstopp des Graue-Flecken-Programms seitens des Bundes etwas eingebremst. Auch wenn Hessen vom Förderstopp zunächst nicht unmittelbar betroffen ist, verlieren wir kostbare Zeit. Wir hoffen auf eine schnelle Einigung und einen konstruktiven Kompromiss für die Veröffentlichung der neuen Förderrichtlinie, denn wir dürfen nicht erneut Zeit verlieren. Und wir halten an unserer Devise fest, „Markt vor Staat“ und nicht umgekehrt.

Bundesebene gewesen“

Wie können wir die seit Jahren immer wieder erneuerten Ausbauziele für die digitale Infrastruktur wie Glasfasernetze und 5G endlich erreichen?

Gibt es einzelne Bundesländer, die hier erfolgreicher ausbauen und als Best Practice für den Rest der Republik gelten können?

Wir haben im Mai 2022 unter anderem mit elf Telekommunikationsunternehmen den Glasfaserpakt für Hessen

Gerade in ländlichen Regionen entstehen mithilfe der Digitalisierung neue Möglichkeiten der Standortpolitik. Wir haben zur Unterstützung der Kommunen gemeinsam mit ekom21 und dem House of Digital Transformation e.V. eine virtuelle Geschäftsstelle Smarte Region Hessen aufgebaut. Neben der Geschäftsstelle ist unsere Förderung smarter Kommunen im Programm „Starke Heimat Hessen“ eine zweite wichtige Säule, mit der wir Kommunen bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Smart Region-Lösungen unterstützen.

– Großes Wachstumspotential bietet auch der Bereich „Künstliche Intelligenz“. Dazu wird viel auf europäischer Ebene entschieden und reguliert. Zu stark? Künstliche Intelligenz (KI) ist eine Schlüsseltechnologie mit sehr großem Wachstums- und Veränderungspotential. Die geplante europäische KI-Verordnung aber droht in der Umsetzung eine innovative Forschung und Anwendung zu verhindern! Gerade kleinere und mittlere Unternehmen sowie Start-Ups brauchen Verprobungsspielräume für KI. Deshalb: Nur KI-Anwendungen mit einem besonders hohen Risiko sollten jetzt europäisch reguliert werden.

Muss das Thema digitale Bildung nicht stärker in den Vordergrund gerückt werden, an Schulen, in der Berufsausbildung und auch in der Weiterbildung? Wir müssen vor allem Kompetenzen stärken und Bildung in den Fokus nehmen. Ich verstehe Digitalisierung als Schnittstelle von Informatik, Ökonomie und Ökologie. Daher haben wir in Hessen gemeinsam mit dem Kultusminister als erstes Bundesland die Grundlage für ein neues Schulfach geschaffen, das interdisziplinären, erfahrungsorientierten Unterricht ermöglichen soll. Darauf bin ich wirklich stolz. Und mit unserer Inititative „women go digital“ möchten wir Mädchen und Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen die Möglichkeiten und Chancen einer Berufswahl in der IT aufzeigen. l

11 4/2022 TREND AKTUELL Interview
Foto: Hessische Staatskanzlei
„Die Wege zwischen Politik und Wirtschaft müssen durchlässiger werden.“

Deutschland in der Krise

Explodierende Inflationsraten, extreme Energiepreise und ausufernde Staatsschulden belasten das Land noch auf Jahre. Zum ersten Mal seit Kriegsende gerät der Wohlstand nachhaltig in Gefahr. Die Ampelkoalition irrlichtert derweil durch die Krise. Ein wirtschafts- und energiepolitischer Neustart wurde verschlafen. Rot-gelb-grüner „Doppel-Wumms“ und „Zeitenwende“ reichen nicht, um Deutschland aus der Krise zu führen. Höchste Zeit für eine Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft.

TITEL Deutschland in der Krise 12 TREND 4/2022

Der deutschen Wirtschaft steht ein harter Winter bevor. Führende Konjunkturforscher haben ihre Wachstumsprognosen angesichts von Rekord-Inflation, Krieg und gestörter Lieferketten für dieses Jahr drastisch gesenkt. Der Krisencocktail wird schon bald in einer Rezession münden. Neun von zehn Ökonomen rechnen mit einem Abschwung. Doch der wird wohl weniger schlimm ausfallen als im Herbst befürchtet. Zuletzt mehrten sich die zarten Hoffnungsschimmer. So soll die Rezession 2023 nur noch im Dezimalbereich von 0,2 Prozent stattfinden. „Die Rezession dürfte weniger tief ausfallen als viele erwartet haben“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest kürzlich bei der Vorstellung des Geschäftsklimaindex. Die Unternehmen blicken weniger pessimistisch in die Zukunft als in den Monaten zuvor. Alle Branchen sind mittlerweile wieder besser gestimmt. Kein Missverständnis: Die Aussichten sind keineswegs rosig, die Krise bleibt eine Krise. Die Ampel-Koalition macht dennoch nicht den Eindruck, als wäre sie den Herausforderungen gewachsen. Sie wurschtelt sich durch die Krise, verspielt Vertrauen in Europa, aber eine langfristig angelegte Strategie ist auch nach acht Monaten Krieg in der Ukraine nicht erkennbar. „Eine zweistellige Inflationsrate, die höchsten Energiepreise der Welt und immer neue Debatten über noch höhere Steuern sorgen für Missstimmung in der Mittelschicht und der Wirtschaft“, bilanziert Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats.

Notenbank unter Druck Zugleich steht die Europäische Zentralbank (EZB) wegen ihres monatelangen Attentismus ausgerechnet in einer rezessiven Phase unter Zugzwang. Die EZB hat sich selbst in dieses Dilemma hineinmanövriert. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hebt in einer Analyse hervor, dass die Notenbank aktuell sogar nur sehr begrenzt auf das hohe Inflationsniveau einwirken kann. „Die

Inflationsrate wird hauptsächlich von Faktoren getrieben, auf welche die Geldpolitik nur begrenzten Einfluss hat“, halten die IW-Experten Markus Demary und Jonas Zdrzalek in einer Studie fest. Konkret: Gegen hohe Energie- und Rohstoffpreise oder Preisschübe infolge gestörter Lieferketten, also angebotsseitige Inflationstreiber, kann die EZB mit Zinserhöhungen derzeit nur wenig ausrichten. Denn eine restriktive Geldpolitik wirkt vor allem auf die Nachfrage. „Aber die von vielen bis dato für unmöglich gehaltenen zweistelligen Inflationsraten dürften über Jahre die Erwartungen beeinflussen“, warnt Stefan Schneider, Chefvolkswirt Deutschland bei Deutsche Bank Research. Die Geldpolitik muss deshalb jetzt alles dafür tun, die Inflationserwartungen zu stabilisieren, um eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. „Selbst während der ins Haus stehenden Rezession müssen die Notenbanken ihre Zinsen weiter deutlich anheben und ihre Bilanzen schrumpfen“, empfiehlt Schneider. Dazu rät auch Joachim Nagel, als Bundesbankchef deutscher Vertreter im EZB-Rat: „Die Kerninflation ist im Oktober auf einen Wert von fünf Prozent gestiegen. Die Inflation könnte sich verfestigen. Und es besteht die Gefahr, dass die langfristigen Inflationserwartungen von unserem Inflationsziel von zwei Prozent abdriften“, warnt Nagel. Die EZB steht nach den ersten drei Zinsschritten somit wohl erst am Anfang eines längeren Zinserhöhungszyklus. Konjunkturelle Impulse sind nach dem Ende der jahrelangen Nullzinspolitik aus Frankfurt nicht mehr zu erwarten. Im Gegenteil.

Gute Wirtschaftspolitik gefragt

Die Wirtschaftspolitik steht nach dem Ende der Negativzinsen mithin an sich vor einer Renaissance. „Aber nicht nur die EZB hat es versäumt, auf die massive Inflation angemessen zu reagieren, auch die Fiskalpolitik“, kritisiert der Generalsekretär des Wirtschaftsrates. „Die Krisenresilienz der Steuereinnahmen verdeutlicht, dass wir endlich über die Ausgabenpolitik der Bundesregierung sprechen müs-

TITEL Deutschland in der Krise 13 4/2022 TREND
Text: Peter Hahne Foto:
AdobeStock©Torkhov

sen. Wir können nicht alle unsere Vorhaben über neue Schulden finanzieren, die die Inflation weiter anheizen“, betont Wolfgang Steiger. Der Wirtschaftsrat empfiehlt deshalb haushaltsneutrale Steuermaßnahmen wie ein unbeschränktes Verlustrücktragsvolumen für 2022 oder für rohstoffintensive Unternehmen die Schaffung einer Rohstoffbevorratungsrücklage. Über die Finanzämter könnte der Staat krisengeschüttelte Firmen so schnell und unbürokratisch um Milliarden entlasten. Anders als durch die

Schaffung eines weiteren Sondervermögens könnte so die Schuldenbremse eingehalten werden, ohne die Kreditermächtigungen des Bundes weiter in die Höhe zu treiben. Der Bundesrechnungshof unterstreicht mit Blick auf den 200 Milliarden Euro schweren Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der die Gaspreisbremse finanzieren soll, die Notwendigkeit, nach Jahren expansiver Schuldenpolitik zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik zurückzukehren. „Die Schuldenbremse darf nicht nur auf dem Papier

Bestand haben, sondern muss auch faktisch angewendet werden“, fordert Wolfgang Steiger.

Inflation begleitet Deutschland für mindestens zwei Jahre in Prozent

Die führenden Wirtschaftsinstitute prognostizieren erst für 2024 wieder eine „normale“ Inflationsrate. Die Europäische Zentralbank hat das Inflationsrisiko massiv unterschätzt und erst spät reagiert. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die Preise für viele Produkte und Energie nach oben getrieben. *geschätzt

Steuersenkungen dringend erforderlich Höchste Zeit also, dass sich die Ampelkoalition auf eine wachstumsfördernde Wirtschaftspolitik mit Steuersenkungen, Vereinfachungen im Steuerrecht, Bürokratieabbau und auf eine marktwirtschaftliche Energiepolitik besinnt. Danach aber sieht es nicht aus. So ist von einer seit Jahren dringend gebotenen Unternehmenssteuerreform mit international wettbewerbsfähigen Steuersätzen überhaupt keine Rede mehr. Bürokratieabbau? Kommt, wenn überhaupt, nur stellenweise und schleppend voran. Stattdessen ist in der Ampelkoalition von einer Vermögensabgabe, einer „Übergewinnsteuer“ und einem Abschied von der Schuldenbremse die Rede. Neu ist, dass jetzt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auch in diese Kerbe schlägt und der Ampelkoalition empfiehlt „eine temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder einen befristeten Energie-Soli für Spitzenverdiener in Erwägung zu ziehen.“ Und das, obwohl der Staat Rekordsteuereinnahmen verbucht und Deutschland in der OECD bei der Steuer- und Abgabenbelastung ohnehin schon einen Spitzenplatz einnimmt. Während die Mitte der Gesellschaft hohe Inflation, hohe Steuern und steigende Energiepreise schultern muss, greift der Staat vor allem Hartz-IV-Empfängern und Geringverdienern unter die Arme. Die Bezieher mittlerer Einkommen müssen die zusätzlichen sozialen Wohltaten mit ihren Steuern selbst finanzieren. Auch die immer wieder propagierte „Übergewinnsteuer“ ist nach Einschätzung des Wirtschaftsrats nicht dazu geeignet, einen sinnvollen Beitrag zur Finanzierung des Staates zu leisten. Allein im zweiten Quartal 2022 sanken die Gewinne der Dax-Konzerne um fast 20 Prozent.

Unternehmen stark belastet Wie sehr die Unternehmen derzeit unter Druck stehen, weiß auch Pe-

14 TREND 4/2022 TITEL Deutschland in der Krise
Quelle: 2022 Gemeinschaftsdiagnose 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2024* 2023* 2022*
Foto: Jens Schicke

ter Adrian zu berichten. Die aktuellen Rückmeldungen aus den Firmen seien „erschreckend“, erklärt der DIHK-Präsident. Ein Großteil der Betriebe zahle schon jetzt deutlich mehr für Strom und Gas als im Vorjahr. Für 2023 rechnen viele Betriebe mit einer Verdoppelung der Energiepreise. Aktuelle Daten des Statistischen Bundesamts untermauern die Klage aus der Wirtschaft: Während die Gaspreise für Unternehmen im ersten Halbjahr 2022 gegenüber dem zweiten Halbjahr 2021 um knapp 40 Prozent stiegen, fällt der Preisaufschlag für Privathaushalte mit einem Plus von 17,7 Prozent noch vergleichsweise moderat aus. Beim Strompreis das gleiche Bild: Unternehmen zahlen fast 20 Prozent mehr, Privathaushalte nur knapp zwei Prozent. Eine höhere Steuerbelastung für Unternehmen verbietet sich in einer solchen Situation von selbst. „Jeden Tag, an dem die Energiepreise nicht sinken, müssen mehr Betriebe ihre

Das Lotto-Prinzip

Eins in Prozent

Ökonomen halten alle gefragten Maßnahmen zur Ausweitung des Angebots an Strom und Gas für wichtig. Klar führt jedoch die Maßnahme, die verbliebenen Kernkraftwerke über 2022 hinaus zu verlängern, gefolgt von der Vereinfachung der Regularien für den Ausbau Erneuerbarer und dem Bau von mehr LNG-Terminals, um Wirtschaft und Bürgern unter die Arme zu greifen.

Das Lotto-Prinzip – Eine Idee, die heute allein in NRW mehr als 30 Milliarden Euro wert ist. Seit Unternehmensgründung 1955 hat WestLotto diese Summe für gemeinnützige Zwecke an den Landeshaushalt weitergeleitet. Und jedes Jahr kommen fast 700 Millionen Euro dazu. Für Sport, Wohlfahrt, Naturschutz, Kultur und Denkmalschutz.

Das Lotto-Prinzip fördert in ganz Deutschland gesellschaftliches Engagement – und leistet damit für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft einen unschätzbar wertvollen Beitrag.

15 4/2022 TREND TITEL Deutschland in der Krise
Weiterbetrieb der Kernkraftwerke klar auf Platz
Quelle: ifo-Institut Oekonomenpanel Oktober 2022
74 Bau weiterer LNG-Terminals 71 Ausbau der Übertragungsnetze im Strombereich 70 Einkauf von Flüssiggas „auch aus autokratischen Staaten“ wie Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten 61 Aufhebung des Fracking-Verbots in Deutschland 42 Weiterbetrieb der verbliebenen Atomkraftwerke über 2022 hinaus 81 44 Finanzielle Förderung von erneuerbaren Energien 47 Wiederinbetriebnahme von abgeschalteten Kohlekraftwerken (Mehrfachnennungen waren möglich.)
Abbau von Regularien, die den Ausbau erneuerbarer Energien erschweren
www.lotto-prinzip.de

Produktion zurückfahren oder sogar ganz schließen“, warnte DIHK-Chef Adrian. Im aktuellen Ökonomen-Panel von FAZ und Ifo-Institut plädiert eine Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler für eine weitere Entlastung von Betrieben. Die einen unterstützen Entlastungen für energieintensive Betriebe, die anderen sehen kleine und mittelständische Unternehmen im Fokus. Andere fordern Unterstützung bei Liquiditätsproblemen, berichtet das Ifo-Institut.

Soziale Marktwirtschaft reaktivieren „Anstatt immer neue Entlastungspakete zu schnüren, muss die Ampel wieder auf die Soziale Marktwirtschaft

vertrauen“, fordert Astrid Hamker. Die Präsidentin des Wirtschaftsrats sieht ausreichend Spielraum, um den marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen zu verbessern. Im Zentrum steht nach dem Ausfall russischer Erdgaslieferungen auch eine langfristig ausgerichtete Energiepolitik, die eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung für die deutsche Wirtschaft sichert. Aber selbst acht Monate nach Kriegsbeginn hat die Ampel keinen übergeordneten Plan für die Energiewende vorgelegt. Tagesaktuelle Krisenpolitik beherrscht das Regierungshandeln, eine ordnungspolitisch abgewogene, strategisch weitsichtige Wirtschaftspolitik ist nicht zu erken-

nen. Der Wirtschaftsrat plädiert für einen Maßnahmenmix: Die letzten drei Kernkraftwerke könnten für drei weitere Jahre am Netz bleiben, um die Energieversorgung in der Übergangszeit zu sichern. Wasserstoff ist einer der wichtigsten Energieträger der Zukunft, auch blauer oder roter Wasserstoff (aus Atomkraft) gehören zum Energiemix, bis ausreichend grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energien produziert werden kann. Und schließlich: Moderne Fracking-Verfahren sind in Deutschland in vielen Fällen erforderlich und verantwortbar, um die Energieversorgung zu stabilisieren. Überdies unterstützt der Wirtschaftsrat ein abgestimmtes Verhalten der EU beim Gaseinkauf. Anstatt sich gegenseitig zu überbieten und so die Preise nach oben zu treiben, sollten die EU-Staaten ihre Verhandlungsmacht bündeln, um die Gaspreise zu senken. Von einem europäischen Preisdeckel für Gaslieferungen raten Ökonomen hingegen ab, er könnte die Versorgungslage noch verschärfen, wenn etwa Lieferungen nach Asien umgeleitet werden. Der Energieminister Katars hat schon deutlich gemacht, was er von einem Preisdeckel hält. Saad Al Kaabi, zugleich Vorstandschef des weltgrößten Flüssiggasproduzenten Qatar Energy, bezeichnete die Vorschläge für eine Deckelung der Gaspreise als „heuchlerisch“. „Der freie Markt ist immer die beste Lösung“, sagte Al Kaabi. Das darf Europa, das auf Flüssiggas aus Katar hofft, durchaus als Warnung verstehen.

Sicherheit und Verteidigung stärken Verteidigungspolitisch ist die Bundesrepublik unter Olaf Scholz nach wie vor schlecht aufgestellt. Die Zeitenwende-Rede des Bundeskanzlers liegt Monate zurück, geschehen ist auch hier seither wenig. In der deutschen Rüstungsindustrie ist noch kein Euro angekommen. „Nicht eine Bestellung, nicht eine Ausschreibung“, kritisiert Oppositionsführer Friedrich Merz, sei seit der Kanzler-Rede Ende Februar auf den Weg gebracht worden. 2023 wird voraussichtlich weniger als ein Zehntel des Sondervermögens ausgegeben. Das liegt auch an

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Quelle: EEX ©BDEW Die deutsche Abhängigkeit von russischen Gas rächt sich Euro/MWh Seit 2018 hat sich der Großhandelspreis für Gas mehr als verfünffacht. Jahresfuture (JF rollierend); 01.01.2018 – 19.09.2022) 350 300 250 200 150 100 50 0 2019 2018 2020 2021 2022 Preisniveau für Lieferung � 108,71 � 34,04 � 13,79 � 18,74 � 20,89 Euro / MWh
Foto: AdobeStock©ArtmannWitte

dem komplizierten und ineffizienten Beschaffungswesen. 100 Milliarden Euro Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr hören sich nach einer gewaltigen Summe an. Doch ob das ausreicht, um Cyber-Attacken abzuwehren, die Infrastruktur vor Angriffen wie zuletzt auf die Gaspipelines zu schützen, und auch noch die NATO-Zielvorgaben für den Verteidigungsetat von zwei Prozent des BIP einzuhalten, darf bezweifelt werden. Zunächst reicht das Geld nur aus, um die Einsparungen im Verteidigungsetat der vergangenen Jahre zu kompensieren. „Die heimische Rüstungswirtschaft und ihre Innovationskraft müssen wieder stärker in das Blickfeld der Politik genommen werden“, fordert der Wirtschaftsrat in einem Positionspapier zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Zeiten, als sich Deutschland auf die atomare Schutzmacht USA verlassen konnte, sind spätestens seit Donald

Trump vorbei – und Joe Biden wird daran nichts ändern. Als Mitglied der EU und der NATO muss Deutschland deshalb einen angemessenen Beitrag für eine europäische und transatlantische Friedensordnung leisten.

Dafür reichen guter Wille und ein Sondervermögen nicht aus. Die Bundeswehr benötigt eine Verstetigung der Einnahmen im Verteidigungsetat. Die Zeiten des sicherheitspolitischen Trittbrettfahrens sind vorbei. l

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Quelle: EEX ©BDEW
500 400 300 200 100 0 � 53,95 � 57,67 � 49,04 � 107,23 � 360,69 Preisniveau für Lieferung 2019 2018 2020 2021 2022 Euro /
Schon 2018 rangierte Deutschland an der Spitze beim Großhandelspreis Euro/MWh Innerhalb von vier Jahren hat sich der Großhandelspreis für Strom dennoch mehr als versechsfacht. Terminmarkt Jahresfuture Peakload (Tagstunden) rollierend; 01.01.2018 – 19.09.2022)
1.400 1.300 1.200 1.100 1.000 900 800 700 600
MWh

ARBEITSMARKT TREND-Grafik

Seit Jahren sinkt die Zahl der Hartz-IV-Bezieher. Doch während der Anteil von Deutschen mit Leistungsanspruch nach Sozialgesetzbuch II kontinuierlich schrumpft, stagniert der Anteil von Ausländern, die durch unser Sozialsystem finanziell unterstützt werden – aktuell ist dies jeder fünfte. Das führt dazu, dass im Jahr 2021 schon 38 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger Ausländer waren. Zu allem Übel steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen in den letzten Jahren wieder an. Die Hartz IV-Reform der Ampelkoalition senkt also in einer Zeit, in der nicht nur Fach- und Arbeitskräfte händeringend gesucht werden, die Anforderungen an die Leistungsempfänger weiter ab. Obendrein plant die Bundesinnenministerin mit geringeren Hürden für den Erwerb der Staatsbürgerschaft die Pull-Faktoren für weitere Zuwanderung in das Sozialsystem zu erhöhen. Gerade mit Blick auf die Entwicklung der Sozialausgaben des Bundes scheint im Kabinett der perfekte Sturm zusammengebraut zu werden.

So viele Menschen beziehen Hartz IV in Prozent Während die Zahl der Hartz-IV-Empfänger mit deutscher Staatsbürgerschaft kontinuierlich abnimmt, stagniert sie bei Ausländern.

Ausländer Deutsche Gesamt

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Quelle: Bundesagentur für Arbeit Text und Grafiken: Jan-Ulrik Heydorn
Aus technischen Gründen findet die Anpassung der Bezugsgröße der Quote erst zu einem späteren Zeitpunkt statt und damit kann diese Quote von anderen Veröffentlichungen abweichen. Bei den Jahreszahlen handelt es sich um Jahresdurchschnitte. Aufgrund von geringen Fallzahlen sowie unterschiedlicher Datenquellen können die Daten bzw. Quoten stärkeren kurzfristigen oder zufälligen Schwankungen unterliegen, die die Vergleichbarkeit einschränken können. Datenstand: 02.11.22 22 21 20 19 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021
Kluge Politik?

Arbeitslose insgesamt

2016 2017 2018 2020 2019 2021

SGB-II-Leistungsberechtigte in Millionen Mittlerweile sind über ein Drittel aller Hartz-IV-Empfänger Ausländer; davon knapp die Hälfte Asylbewerber.

Sozialausgaben des Staates in Milliarden und Prozent

Sozialausgaben in Milliarden Anteil am Bundeshaushalt in Prozent Quelle: Bundesagentur für Arbeit So viele Arbeitslose gibt es in Deutschland in Millionen Die Pandemie hat den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit um ein halbes Jahrzehnt zurückgeworfen. 3.500.000 3.000.000 2.500.000 2.000.000 1.500.000 1.000.000 500.000 0 langzeitarbeitslos nicht

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Quelle: Bundesagentur für Arbeit Quelle: Bundesministerium der Finanzen
Ausländer insgesamt: 1.920.678 Deutsche: 3.129.418 davon Asylbewerber: 900.794 Gesamt: 5.050.096 Stand: Dezember 2021 200 150 100 50 0 2013 2014 2015 2016 2017 2019 2018 2020 2022 2023 2021 53 52 51 50 49 48 47 46 45 44 2013 2014 2015 2016 2017 2019 2018 2020 2022 2023 2021
2012 2013 2014 2015
Die Sozialausgaben in Deutschland steigen seit 2013 kontinuierlich an und übersprangen 2022 erstmals die Marke von einer Billion. Tendenz steigend. ARBEITSMARKT TREND-Grafik
langzeitarbeitslos

Green-Washing hilft dem Klima nicht

Unser Energieverbrauch ist in den letzten 200 Jahren kontinuierlich gestiegen, und mit ihm die CO2-Emissionen. Es ist keine Frage mehr, dass wir die Treibhausgase reduzieren müssen, aber es geht um das wie. Nur dann helfen wir auch dem Klima.

Seit dem Jahr 1800 wuchs die Weltbevölkerung von einer auf heute über acht Milliarden Menschen. Mit fast identischem Verlauf stieg der Primärenergie-Verbrauch, meist auf Basis von Kohle, Gas und Öl, mit dem Ergebnis, dass die globalen CO2-Emissionen auch massiv angestiegen sind, nun verbunden mit einer Erhöhung der globalen mitteltemperaturen. Insofern ist es völlig unstreitig, dass die Reduktion der CO2-Emissionen eine der zentralen Zukunftsaufgaben der Menschheit ist. Allerdings müssen bei den gerade in Deutschland sehr massiven Lösungsbemühungen einige Dinge zwingend berücksichtigt werden:

Der Anteil Deutschlands an den globalen CO2-Emissionen liegt bei rund zwei Prozent. Selbst wenn wir uns als Industrienation „kaputt sparen“, wird dies keinerlei Auswirkungen auf den Klimawandel haben. Stattdessen können wir nachhaltige, sichere und bezahlbare technische Lösungen entwickeln und diese exportieren, um unseren Beitrag zu leisten.

Die Energiewende findet überwiegend im Stromsektor statt. Dieser steht jedoch nur für 20 Prozent der von uns genutzten Energie. Die medial sehr präsenten 45 Prozent erneuerbarer Energien beziehen sich nur auf diesen kleinen Stromsektor. Die Sektoren Verkehr und Wärme mit 30

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Foto: AdobeStock©Anton Balazh
AKTUELL Energie

und 50 Prozent Anteil am deutschen Energieverbrauch nutzen bisher kaum erneuerbare Energien.

Gerade im Stromsektor gelten sehr spezielle physikalische Grundsätze für eine sichere Versorgung, die sich deutlich etwa von einer sicheren Gasversorgung unterscheiden. Pro Jahr benötigt Deutschland rund 900 Terrawattstunden (TWh) Gas, die Speicherkapazität beträgt hier 250 TWh. Diese Speicher können uns Monate versorgen. Strom verbrauchen wir 550 TWh im Jahr, speichern lassen sich gerade 0,04 TWh. Das reicht für 30 bis 60 Minuten. Deshalb ist es für eine sichere Stromversorgung zwingend, dass die Stromerzeugung in jeder Minute des Jahres der jeweiligen Nachfrage folgt und die Speicher nur Fehler zwischen der Lastprognose und der Kraftwerkseinsatzplanung ausgleichen.

Bei der regenerativen Stromerzeugung setzen diverse Länder auf Wasserkraft oder Biomasse. Deutsch-

land hat hier nur Potentiale von vier und neun Prozent. Der Anteil von Strom aus Biomasse ließe sich ausweiten, würde aber zu der Diskussion führen, ob wir landwirtschaftliche Flächen nutzen, um Lebensmittel zu produzieren oder um Energiepflanzen anzubauen. Deshalb setzen wir seit etwa 30 Jahren auf den intensiven Ausbau von Photovoltaik (PV) und Windenergie. Leider haben diese Quellen eine stark schwankende Stromerzeugung und es gibt sehr viele Zeiträume im Jahr, in denen „die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht“. Einfach nachzuvollziehen ist die Situation bei der PV, da klar ist, dass in der Nacht keine Stromerzeugung möglich ist. Und dass, obwohl wir nachts einen Strombedarf haben, der bei etwa 50 Prozent der maximalen Nachfrage liegt. Im Winter ist auch tagsüber nur eine minimale Stromerzeugung aus PV möglich. Leider gibt es auch viele mehrtägige Zeiträu-

me, in denen auch kaum Strom aus Wind erzeugt werden kann. Dies ist kein regionales Phänomen, sondern betrifft weite Bereiche Mitteleuropas. Trifft dieser Erzeugungsausfall aus Wind und Sonne mit einer hohen Stromnachfrage zusammen, meist im Winter, spricht man von der „kalten Dunkel-Flaute“.

An solchen Tagen mit defacto null Stromerzeugung aus Wind und Sonne muss die Stromversorgung aus anderen Quellen kommen. Diese Back-up Kraftwerke müssen eine hohe gesicherte Leistung haben, damit sie jederzeit einspringen können. Kernkraftwerke (KKW) sowie Kohle- und Gaskraftwerke verfügen über 90 Prozent gesicherte Leistung. Die Back-up Versorgung muss sich am maximalen Stromverbrauch ausrichten, was den Kraftwerkspark quasi verdoppelt, die Kosten hochtreibt und den Export des „deutschen Weges“ schwer macht. Mit dem gleichzeitigen

reiheit beginnt im Kopf.

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Ausstieg aus der Kernkraft 2023 und der Kohleverstromung möglichst bis 2030, will Deutschland mit extremer Geschwindigkeit aus zwei Technologien mit sehr hoher gesicherter Leistung aussteigen, ohne dass andere Anlagen in ausreichendem Umfang rechtzeitig zur Verfügung stehen. Die Risiken aus einer stark fluktuierenden Stromerzeugung aus Wind und Sonne prägten zuletzt stark die öffentli-

„Mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus Kernkraft und Kohle möglichst bis 2030, will Deutschland mit extremer Geschwindigkeit aus zwei Technologien mit hoher gesicherter Leistung aussteigen, ohne dass rechtzeitig Alternativen zur Verfügung stehen.“

che Diskussion, da durch den Ausfall von Nordstream 1 und 2 auch die sichere Versorgung der Gaskraftwerke zumindest risikobehaftet ist. Auf Basis des Kohleausstiegsgesetzes und der eigentlich für Ende 2022 geplanten Abschaltung der letzten Kernkraftwerke hätte sich eine Unterdeckung bei der gesicherten Leistung von rund 15.000 Megawatt bezogen auf die Höchstlast ergeben, gekoppelt mit zusätzlichen Unsicherheiten bei Betrieb der Gaskraftwerke. Deshalb wurde der Betrieb der letzten drei Kernkraftwerke mit 4.000 MW installierter Leistung über den Winter verlängert, auch wenn der Anteil an spaltbarem Material in den Brennelementen sicherlich eine solche Leistung nicht mehr zulässt. Auch wurden insgesamt zwölf teils über viele Jahre abgeschaltete Kohlekraftwerke mit 7.000 MW wieder reaktiviert.

Zu viele Jahre haben wir darauf vertraut, dass der europäische Strommarkt unser Land zu großen Teilen mit versorgt, wenn wir dies aus eigener Kraft nicht mehr können. Dabei blieb immer völlig unberücksichtigt, dass unsere Nachbarn eigene Strategien zur CO2-Reduktion verfolgen und ihre Kraftwerke in Richtung CO2-ärmere Erzeugung, aber unter der Prämisse der sicheren Versorgung des eigenen Landes aus eigener Kraft umbauen. So hat Polen den Bau von sechs AKW-Blöcken beschlossen und Frankreich baut seinen inzwischen veralteten AKW-Park auf neue Anlagen der 4. Generation um. Natürlich wird auch künftig Energie im EU-Verbundnetz gehandelt. Dazu muss man wissen, dass dieses 400 Kilovoltnetz aus den 70er Jahren stammt und die Grenzkuppelleitungen den Ausfall eines grenznahen Großkraftwerkes mit bis zu 3 Gigawatt durch Energie aus dem angrenzenden Ausland ausgleichen sollten.

In den letzten 20 Jahren kam es 2005, 2006, 2021 zu massiven Störfällen in diesem Stromverbundnetz, teils mit regionalen, teils mit nationalen Blackouts und immer ausgelöst durch einen grenzüberschreitenden Energiehandel in einem Umfang, der das Netz überlastete. So waren etwa im Januar 2021 weder Deutschland, noch Frankreich, noch Spanien in der Lage, das eigene Land mit Strom zu versorgen und kauften deshalb große Mengen aus teils sehr alten Kohlekraftwerken in Bulgarien und Rumänien, mit der Folge eines Netzzusammenbruchs auf dem Balkan.

Gerade dieser Fall zeigt auch die Paradoxie der deutschen Energiewende. Durch den Kauf von Kohlestrom in Bulgarien und Rumänien kam es mit Sicherheit zu CO2-Emissionen, die deutlich über den Werten gelegen haben, die bei einer vergleichbaren Kohleverstromung in Deutschland entstanden wären. Da wir aber „Elektroenergie“ eingeführt haben, konnten wir unsere Ökobilanz grün waschen, da ja die Emissionen an den Wandlungsprozessen in Bulgarien und Rumänien verblieben – ein Bärendienst für das Klima.

Ein ähnliches Verdrängen von Emissionen betreiben wir bei der Umstellung von Kohle auf Gas. Natürlich ist es statistisch korrekt, in der deutschen Ökobilanz nur die Emissionen aus der Verbrennung in unseren Kraftwerken zu rechnen. Für das Klima sind aber auch die Emissionen relevant, die bei der Förderung und dem Transport der Energieträger zum Kraftwerk entstehen, auch wenn dies in anderen Ländern passiert. Vergleicht man unter dieser Prämisse die Gesamtemission bei der Verstromung von Braunkohle mit unmittelbar vorgelagertem Tagebau etwa von Steinkohle mit Kohletransport per Schiff aus Australien oder von Erdgas, früher per Pipeline aus Sibirien nun per LNG aus den USA oder den arabischen Ländern, erkennt man, dass die klimarelevanten Gesamtemissionen sehr ähnlich sind und politische Entscheidungen mehr unter dem Aspekt der sicheren Versorgung mit dem jeweiligen Energieträger erfolgen sollten.

Wollen wir bei der Energiewende auch künftig einen hohen Anteil von Strom aus Wind und Sonne haben, sollte dies berücksichtigt werden:

 Durch Elektromobilität und Wärmepumpen werden die Emissionen aus dem Verkehrs- bzw. Wärmesektor in den Stromsektor verlagert.

 Eine Abstützung der Stromerzeugung ausschließlich auf Windenergie und Photovoltaik kann aus physikalischen Gründen niemals zu einer sicheren Stromversorgung aus eigener Kraft führen.

 Größere stationäre Speicher oder Vehicle-to-Grid werden helfen, den Netzbetrieb bei fluktuierender Einspeisung zu stabilisieren. Sie werden aber nicht ausreichen, uns sicher durch eine kalte Dunkel-Flaute zu bringen.

 Wir werden somit immer eine „Back-Up“ Versorgung brauchen, die allerdings in der Nähe der Höchstlast liegen muss und die durch geringe Betriebsstunden den Strompreis hoch halten wird.

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Prof. Dr. Harald Schwarz Professor für Energieverteilung und Hochspannungstechnik, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg Foto: Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg

 Dieses Back-Up kann grundsätzlich durch den Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft erfolgen. Für einen Roll-Out orientiert am Bedarf von Deutschland als Industrienation wird hierfür aber ein Zeitraum bis weit nach 2050 abgeschätzt.

 Bis dahin kann ein sicherer BackUp nur über fossile Energieträger erreicht werden, selbstverständlich mit nachgeschalteter CO2-Abspaltung (CCU) aus den Rauchgasen. Die Entscheidung bzgl. der Nutzung von Erdgas, Steinkohle, Braunkohle sollte geleitet werden von den global klimarelevanten Gesamtemissionen der jeweiligen Energieträger für Förderung, Transport und Verbrennung und nicht vom nationalem „Green-Washing“.

 Mittelfristig – 2030 bis 2050 –kann das abgetrennte CO2 aus diesen fossilen Quellen genutzt werden,

um synthetisches Methan für Gaskraftwerke oder eFuel für Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe herzustellen, die nicht batterieelektrisch betrieben werden können. Der dafür notwendige Wasserstoff kommt aus nationalen Elektrolyseanlagen oder dem Import.

 Langfristig – also nach 2050 – können die dann hoch skalierten Powerto-X-Anlagen schrittweise auf die Nutzung von CO2 umgestellt werden, das aus der Atmosphäre abgetrennt wird, um die noch erforderlichen eFuels herzustellen. Die Gaskraftwerke können bis dahin schrittweise auf Wasserstoff umgestellt werden.

Leider ist Deutschland ohne erkennbar zwingende Gründe in 2010 aus dem Thema CCU ausgestiegen, trotz technologisch damals weltweit führende Position. Somit wird es 5 – 10 Jahre dauern, diese Technologie wie-

der zu reaktivieren und in die erforderliche Größenordnung zu skalieren. Es wird somit dringend empfohlen, einen Weiterbetrieb der aktuell noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke sowie eine Wiederinbetriebnahme der 2021 abgeschalteten Kernkraftwerksblöcke für mindestens 5 Jahre (bis 2030) zu prüfen und umzusetzen. l

Regeln

casinoverband.de dswv.de

AKTUELL Energie
Foto: AdobeStock©pshyk
Spiel
Seit dem 1. Juli 2021 legt der Glücksspielstaatsvertrag die regulatorische Grundlage für die Veranstaltung von Sportwetten, virtuellen Automatenspielen und OnlinePoker in Deutschland. Der Deutsche Online Casinoverband (DOCV) und der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) vertreten die führenden Unternehmen aus diesen Bereichen der Digitalwirtschaft und setzen sich für eine umfassende und verhältnismäßige Weiterentwicklung der Regulierung ein.

Europas Antwort auf die Energiekrise besteht in immer neuer Regulierung und Steuern.

So wird der Weg der Europäischen Union in eine fossilfreie Zukunft besonders schwer.

Europa setzt in der Krise zunehmend auf Eingriffe und die Abschöpfung von Kapital, während die USA mit Steuererleichterungen und massiven Investitionen in Klimaschutztechnologien die eigene Industrie für eine fossilfreie Zukunft wappnen. Auf der anderen Seite des Atlantiks hat man wohl ver-

Investitionsturbo für Erneuerbare statt staatlicher Gängelung

standen. Aus der vermutlich größten Energiekrise unserer Zeit können wir uns nur herausinvestieren: deutlich schneller, deutlich mehr Erneuerbare und noch stärker Speicher, Wasserstoff und Netzinfrastruktur vorantreiben. Ein Kurswechsel hin zu spürbar

„Rückwirkende Eingriffe in Gewinne und Erlöse sind dabei Gift für Investitionen.“

mehr Investitionen und Planbarkeit ist nötig, sonst haben Deutschland und Europa in wenigen Jahren abgewirtschaftet.

Der Krieg in Europa und der Einbruch fossiler Energielieferungen haben uns wie nie zuvor vor Augen geführt: Unberechenbare Abhängigkeiten zu autokratischen Staaten mit fossiler Energie dürfen wir uns schlicht nicht mehr leisten. Ansonsten gefährden wir jederzeit die Energiesicherheit an unserem Industriestandort und riskieren mittelfristig strukturelle Wettbewerbsnachteile im globalen Rennen zur grünen Null.

Wir müssen uns stattdessen schnellstmöglich aus der Energie- und Klimakrise in das Erneuerbaren-Zeitalter hineininvestieren. US-Präsident

Joe Biden geht mit einem wirklichen „Wumms“ voran. Der angekündigte Inflation-Reduction-Act mit rund 370 Milliarden US-Dollar Fördervolumen löst eine Welle von milliardenschweren Investitionen in Klimaschutztechnologien aus. Investitionen, die dann wiederum in Europa fehlen. Bereits kurz nach der Ankündigung zeigt sich, dass Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen hierzulande überdenken. Tesla will den Bau einer Batteriefabrik in Texas vor das brandenburgische Grünheide ziehen, Northvolt überprüft seine Industrieansiedlung mit 3.000 neuen Arbeitsplätzen in Schleswig-Holstein und namhafte deutsche Industrieunternehmen planen die Verlagerung von Investitionen.

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Foto: ARGE Netz

Rückwirkende Eingriffe

sind Gift für Investitionen

Dabei sind der Investitionsbedarf und die Chancen allein in Deutschland gewaltig: Nur im Strombereich rechnen wir bis 2030 mit Investitionen von rund 120 Milliarden Euro in die Windenergie, rund 120 Milliarden Euro in die Photovoltaik und rund 900 Millionen Euro in die Bioenergie. Massive Investitionen in Speicher, Wasserstoff und Netzinfrastruktur werden folgen. Rückwirkende Eingriffe in Gewinne und Erlöse sind dabei Gift für Investitionen. Die unsägliche Debatte hierzu hat bei vielen Unternehmen zu einem Stopp der Investitionen geführt. Es war überfällig, dass das Bundeswirtschaftsministerium diesen verfassungswidrigen Irrweg nun endlich beendet hat.

Für uns ist klar: Der Erneuerbare­Mittelstand ist bereit, seinen solidarischen Beitrag zur Lösung der Krise zu leisten und wir unterstützen notwendige Maßnahmen zur kurzfristigen Entlastung bei Verbrauchern und Industrie. Aber weder die Abschöpfung von Kapital aus der Energiewirtschaft noch milliardenschwere Subventionen für die Absenkung der Energiepreise werden die strukturelle Herausforderung von hohen Energiepreisen beheben.

Hierzu ein Beispiel: Für mögliche 20 Milliarden Einnahmen des Staa­

tes aus vermeintlichen Zufallsgewinnen könnten stattdessen rund 2.600 moderne Windkraftwerke errichtet werden. Damit hätten wir zumindest unser Ausbauziel für das Jahr 2023 übertroffen und einen strukturellen Beitrag zur dauerhaften Dämpfung der Energiepreise geleistet.

Vorbild Österreich: Investitionsanreize statt Gängelung Österreich hat das auf den Weg gebracht, was in Deutschland vermutlich als zu unterkomplex empfunden wurde: Ziel ist es, die Abschöpfung von Erlösen geschickt mit Investitionsanreizen in Erneuerbare zu verknüpfen. Hier wird die Erlösabschöpfung wie von der EU vorgegeben bei 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt. Können jedoch keine Investitionen in erneuerbare Energien nachgewiesen werden, sinkt die Grenze zur Abschöpfung auf 140 Euro/Megawattstunde. So wird trotz des staatlichen Eingriffs der notwendige Anreiz in Investitionen gestärkt. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundestag hier noch klug nachsteuern kann.

Investitionsbooster und Entfesselungspaket für die Erneuerbaren Damit Deutschland ein zentraler und verlässlicher Markt für Investoren bleibt, bedarf es vor allem planbarer Investitionsbedingungen. Als

führende Unternehmensgruppe der Erneuerbaren sehen wir die gewaltigen Chancen im Osterpaket der Bundesregierung. Ziel muss es sein, dies vom klaren Bekenntnis mit einem Entfesselungspaket nun auch zügig in reale Projekte vor Ort in die Umsetzung zu bringen:

E Markteingriffe mit fixem Enddatum versehen und schnellstmöglich zurückfahren.

E Superabschreibungen für Erneuerbare mit Anrechenbarkeit auf die Erlösabschöpfung umsetzen.

E Das Ausschreibungsregime noch in diesem Jahr an die massiv gestiegenen Kosten anpassen.

E Den Fokus auf marktorientierte Instrumente legen und Green Power Purchase Agreements, das heißt längerfristige Lieferverträge aus Erneuerbaren, nicht benachteiligen.

E Europaweit rechtssichere FastTrack­Verfahren für Erneuerbare einführen.

Björn Spiegel

Leiter Strategie & Politik

Erneuerbaren-Unternehmensgruppe ARGE Netz

E Alle Bundesländer verpflichten, bis spätestens 2025 ausreichend Flächen für Photovoltaik und Wind bereitzustellen.

E Zügig das Marktdesign für die neue Energiewelt mit mehr Flexibilität und lokalen Preissignalen sowie stabilen Rahmenbedingungen für die Refinanzierung von erneuerbaren Energien und klimaneutraler Residuallastdeckung umsetzen.

E Zur Absicherung unserer Energiesouveränität muss Europa geschlossen eine Industriestrategie für Erneuerbare und weitere Schlüsseltechnologien auf den Weg bringen. l

25 4/2022 TREND AKTUELL Energie
Foto: ARGE Netz

Mehr Freiheit gefordert

schaft nicht so sehr. Hier vergebe ich eine drei, weil der Minister uns immerhin das Gefühl vermittelt, mit ihm reden zu dürfen. Und dann gibt es diejenige, die wir tief ins Herz geschlossen haben: Frau Geywitz. Sie hört unser Weinen. Grundsätzlich finde ich es super, dass wir wieder ein Bauministerium haben. Das Thema ist riesig und jetzt müssen wir schauen, dass wir es zusammen hinbekommen. Wir haben uns auf den richtigen Weg gemacht, aber 400.000 neue Wohnungen pro Jahr werden wir bei allem Willen nicht schaffen. Das liegt nicht an Ihnen, sondern den Kommunen, einem Zinssatz, der ungedeckt bei über sechs Prozent liegt. Von mir bekommen Sie

– Wie hoch ist Ihrer Meinung nach die Priorität für Wohnungspolitik der Ampelkoalition auf einer Skala von eins bis zehn?

Lars von Lackum: „Wir haben jetzt eine Dreiteilung der Aufgaben in der Wohnungspolitik. Robert Habeck ist zuständig für die Sanierung des Bestandes, mit 13 Milliarden eine kleine Aufgabe. Die sollen wir verbauen in Polysterol oder Solardächer, was beides wenig Sinn macht. Die Immobilienwirtschaft würde sich hier deutliche Zielvorgaben wünschen. Weil wir keinen Dialog mit dem Ministerium haben, vergebe ich hier eine eins.

Für das Mietrecht ist das Justizministerium zuständig. Marco Buschmann bemüht sich redlich den Koalitionsvertrag zum Singen und Klingen zu bringen. Auf noch weitere Regulierungen freuen wir uns als Immobilienwirt-

immer die Höchstnote, aber im Bemühen schaffen wir es vermutlich auch nicht über die fünf.

Frau Geywitz, die 400.000 liegen Ihnen am Herzen. 2022 schaffen wir wohl gerade 300.000, bei den Sozialwohnungen wohl höchstens ein Viertel der Planung. Welche Priorität hat das Thema bei der Bundesregierung?

Klara Geywitz: Das politische System ist komplex, selten ist ein Ministerium allein zuständig. Dass der Kollege Buschmann für Mietrecht zuständig ist, ist klar, es ist Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches. Natürlich haben wir beim Klima Punkte, die Robert Habeck und ich zusammen machen. Das nächste wird die Ausgestaltung des Gebäudeenergiegesetzes sein. Bei ihm gibt es eine große

26 TREND 4/2022 AKTUELL Immobilien
Bundesbauministerin Klara Geywitz diskutierte mit dem LEG-CEO und Vorsitzenden der Bundesfachkommission Bau, Immobilien, Smart Cities, Lars von Lackum unter der Moderation von Maria Grunwald über den Neubau von mehr Wohnungen, wie sich am besten Klimaneutralität im Gebäudesektor erreichen lässt und den sozialen Wohnungsbau.

Präferenz für Wärmepumpen. Wir meinen, dass es viele technische Ansätze braucht, um die Wärmewende zu schaffen. Und wir fragen uns, ob wir bei der Sanierung auf dem richtigen Pfad sind. Wir fokussieren uns stark auf den Primärenergiebedarf des Gebäudes. Das hat Gebäude hochtechnisch gemacht. Deswegen sagen wir, müssen wir den Weg überdenken. Man muss sich auch fragen, was die Produktion von erdölbasiertem Styropor an CO2 freisetzt. Deshalb haben wir das Qualitätssiegel „Nachhaltiges Gebäude“ entwickelt, das auch Low-Tech-Varianten fördert und Baumaterialvarianten wie Holz. Zu diesen Ansätzen tauschen wir uns in der Bundesregierung aus.

– Der Wohnungsbau ist wegen zu hoher Kosten tot, sagt die Immobilienwirtschaft.

Klara Geywitz: Die Rahmenbedingungen sind extrem schwierig, weil vieles nicht mehr kalkulierbar ist. Deshalb gibt es eine große Zurückhaltung. Aber selbst, wenn 2022 viele negative Faktoren richtig reinprasseln, kommen wir geschätzt auf 300.000 Wohnungen. Das ist genauso viel wie 2021, wo wir Niedrigzinsen hatten und eine umfängliche Förderung. Ansonsten ist die Neubauförderung von Robert Habeck zu mir gewechselt. Wir werden ein Produkt anbieten, dass den Zinskummer von Herrn von Lackum hoffentlich etwas erleichtert.

Klara Geywitz: Das eine ist eine staatliche Förderung von 14,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Der Bund gibt den Ländern das Geld und sie verbessern ihre Förderkonditionen deutlich. Das zweite ist die BG Neubauförderung, die wir konzipieren. Sie hat zu tun mit der Frage der Zinsentwicklung. Zugleich brauchen wir Maßnahmen, die baukostendämpfend wirken. Ich verspreche jetzt nicht, dass die Baukosten sinken, aber wir müssen den Anstieg kappen. Da sind Digitalisierung und serielle Vorproduktion ein wesentlicher Punkt.

Reicht Ihnen das Herr von Lackum?

Lars von Lackum: Leider nein. Für 5.000 Euro entsteht kein bezahlbarer Wohnraum mehr. Mit Neubau ist das nicht möglich. Deshalb investieren wir jetzt in die Sanierung der Bestände. Aber auch dazu brauchen wir eine Zielbeschreibung wie etwa, dass wir x Kilogramm CO2-Ausstoß pro Quadratmeter einsparen müssen. Der unterwerfe ich mich dann, wenn ich die unternehmerische Freiheit habe, das über die Wärmepumpe, Fernwärme oder den Kauf eines Windparks zu machen. Das wäre die Lösung, die ich mir wünschen würde. l

AKTUELL Immobilien
Wie machen wir das, dass die großen Wohnungsunternehmen wieder bauen?

2023 wird ein Reformjahr

Krankenhausreform und Digitalisierung des Gesundheitswesens stehen oben auf der Agenda.

Die Pandemie ist noch nicht vorbei: Anders als US-Präsident Joe Biden ist das Bundesgesundheitsministerium überzeugt, dass die Corona-Pandemie noch nicht hinter uns liegt. Zu einem „Restart nach Corona“ gehört für das Bundesgesundheitsministerium unbedingt, dass wir uns weiter vorbereiten müssen, um Deutschland sicher durch Herbst und Winter zu bringen. Einer der wichtigsten sieben Punkte der Corona-Strategie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist deshalb ein Restart des Infektionsschutzgesetzes.

An prominenter Stelle bei den Corona-Regeln, die nach einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes

gelten, steht dabei die Maskenpflicht. Und auch wenn es ein komplexes und weiter umstrittenes Thema ist: In bestimmten Situationen, zum Beispiel im Fernverkehr, geht es nicht ohne eine Maskenpflicht. So können wir weitergehende Maßnahmen vermeiden und schaffen für den Herbst und Winter eine gewisse Planungssicherheit. Masken sind ein geringer Eingriff in die individuelle Freiheit, den ich für gut gerechtfertigt halte.

Dabei ist die Bekämpfung von Corona nur eines von vielen gesundheitspolitischen Vorhaben im Koalitionsvertrag. Neben der Frage der Krankenhausversorgung gehört unter anderem die digitale Transformation, die europäische Dimension der Gesundheitspolitik und eine nachhaltige Finanzierungspolitik dazu. Meilensteine der Ampelkoalition bei der Reform der Krankenhausversorgung sind das sogenannte „Krankenhaus-PflegeEntlastungsgesetz“ und die Pflegepersonalregelung „PPR2.0“. Hier geht es um bessere Arbeitsbedingungen für die Pfleger in den Krankenhäusern

und um eine echte Entlastung, die den Patienten zugute kommt.

Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist die von Minister Lauterbach eingesetzte Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Zu der Frage „Was ist das bestmögliche Konzept für die künftige Krankenhausversorgung?“ hat die Kommission Vorschläge für die Pädiatrie und die Geburtshilfe erarbeitet. Weitere werden folgen.

Bereits im Frühjahr 2023 steht ein weiterer Meilenstein an. Eine gemeinsame Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege soll die vielen verschiedenen Einzelansätze zu einem großen Ganzen vereinen. Zum Thema digitale Transformation gehört auch ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Denn die Pandemie hat deutlich gemacht: Wir können nicht nur die Daten schützen, sondern wir müssen Menschen schützen. Um weitere Reformen anzustoßen und fundierte Vorschläge machen zu können, brauchen das Bundesministerium für Gesundheit und die eingesetzten Kommissionen Zeit. Aber ich bin optimistisch: 2023 wird sicherlich ein weiteres Reformjahr sein. l

28 TREND 4/2022 AKTUELL Gesundheit
BMG/Schinkel
Dr. Thomas Steffen Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium
Foto:
„Eine gemeinsame Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege soll die vielen Einzelansätze zu einem großen Ganzen vereinen.“
Torres
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Mehr Freiheit wagen

Die große Mehrheit der Bevölkerung hat Antikörper gegen das Corona-Virus ausgebildet und es gibt Medikamente, die vor schweren Verläufen schützen.

Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hat für diesen Winter eine gute Vorbereitung angemahnt. Dazu zählen ein Abwassermonitoring, ein Echtzeit-Lagebild zur Situation in den Kliniken und eine Impfkampagne für vulnerable Gruppen. Auch die frühzeitige Beschaffung von angepassten Impfstoffen ist in meinen Augen richtig. Wir sollten unser Handeln aber nicht allein von Sorgen bestimmen lassen, denn es gibt auch sehr positive Entwicklungen. Denn bei aller Sorge um neue Virus-Varianten haben wir sehr viel Grund zur Hoffnung. Wir können alles ein bisschen mutiger und gelassener angehen und dem Virus endlich selbstbewusster entgegentreten.

Mehr als 95 Prozent der Bürger haben inzwischen Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet. Das ist der Wert, den wir uns zum Ziel gesetzt hatten und ein guter Grundschutz. Mit anderen Worten: Wir finden kaum jemanden, der keine Antikörper gegen das Corona-Virus im Blut hat. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass das nicht nur einzelne Antikörper sind. Sondern eine ganze Vielzahl von Antikörpern, auch T-Zellen, die das Immungedächtnis bilden und bei ei-

ner Infektion reaktiviert werden. Wir verfügen also über eine gute Basis. Aus medizinischer Sicht ist es nämlich vollkommen egal, wie man seinen Antikörperschutz bekommen hat. Ob durch eine Infektion, Impfungen oder durch eine Kombination daraus.

Zusätzlich hatten wir auch eine enorme Sommerwelle. Das ist für den Winter ebenfalls eine gute Nachricht. Denn wir haben im Sommer am Tag bis zu 300.000 Neuinfektionen gemessen, und wir schätzen, dass die Dunkelziffer um das Zehnfache höher lag. Trotzdem sind die Krankenhäuser und die Intensivstationen nicht vollgelaufen. Geschätzt rund 30 Prozent der Bürger hatten im Sommer eine Corona-Infektion. Den milden Verlauf verdanken wir den Impfungen und der Omikron-Variante. Auch das sind gute Nachrichten. Denn die Sommerwelle wird uns helfen, den Winter besser zu beherrschen. Wer bereits infiziert war, infiziert sich eben nicht mehr so leicht. Noch besser ist es, wenn sich Geimpfte infiziert haben, denn sie haben eine Hybrid-Immunität aufgebaut. Alle Studien haben gezeigt, dass das die beste Kombination ist.

Das sind fantastische Nachrichten. Außerdem verfügen wir inzwischen

über Medikamente, die bei rechtzeitiger Gabe vor einem schweren Verlauf schützen können. Das alles zeigt doch, dass wir mutiger sein können. Und dass wir langsam damit beginnen können, staatlich verordnete Maßnahmen wieder in die Hände der Bürger zu geben. Ich glaube, die Menschen wollen selbst verantwortlich sein, wollen Eigenverantwortung ausüben. Aber wir müssen ihnen

Direktor Institut für Virologie Universitätsklinikum Bonn und Mitglied des Expertenrats der Bundesregierung

auch eine Anleitung dafür geben. Es ist keine Zeit für Alarmismus, keine Zeit mehr für Schwarzmalerei. Ich bin mir sicher: In punkto Corona werden wir einen besseren Herbst und Winter haben als letztes Jahr. l

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Prof. Dr. Hendrik Streeck Foto: Universität Duisburg-Essen
„Wir können langsam damit beginnen, staatlich verordnete Maßnahmen wieder in die Hände der Bürger zu geben.“
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Zeit zu handeln!

Das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gleicht einem Dschungel. Es herrscht ein Gewirr an Zuständigkeiten, Gesetzen und Regelungen. Beim Blick auf ein GKV-Systemchart wird klar: Das ist ein komplett überreguliertes System, das so nicht mehr funktionieren kann.

Doch wie könnte eine Lösung aussehen? Wie wird ein ineffizientes

„Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen machen andere Länder vor, wie es geht. Deutschland könnte sich viel abschauen.“

System wieder effizient? Und wie kann sowohl die Krankenhauslandschaft als auch der ambulante Sektor so umgestaltet werden, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet und das Ganze finanzierbar ist?

Das ist eine Aufgabe, über die schon seit 30 Jahren diskutiert wird. Höchste Zeit also, dass endlich etwas passiert! Beispiel Krankenhäuser: Statt hier eine vernünftige Strukturplanung zu machen, steuern wir auf eine kalte Strukturbereinigung durch die Hintertür zu. Dadurch werden wahrscheinlich am Ende die falschen Krankenhäuser geschlossen, und es droht ein Flächenversorgungsproblem.

Auch immer neue Regulierungen und Verordnungen helfen dem Gesundheitswesen nicht weiter. Das ist gut am Beispiel Pflegemangel zu erkennen: Wer die Erweiterung der ersten Pflegepersonalregelung (PPR 2.0) als Beispiel für ein tolles Instrument ansieht, dem entgegne ich, dass damit nur die Stellenbesetzung reguliert wird – und Leistungen verknappt wer-

den. Die neue Regelung schiebt den Krankenhäusern die Schuld zu, wenn sie es nicht schaffen, Pflegestellen zu besetzen. Dabei gibt es einfach keine Pflegekräfte.

Beispiel Digitalisierung im Gesundheitswesen: Andere Länder machen vor, wie es geht. Ob die Niederlande, Dänemark oder auch die Ukraine –Deutschland könnte sich viel abschauen. Stattdessen gibt es einen deutschen Sonderweg und Dilettantismus. Bei der Telematik-Infrastruktur etwa, die zeigt, wie man es nicht machen sollte. Statt Doppeldokumentation und Doppeleingaben sollten Daten nur ein einziges Mal eingegeben werden müssen. Die Telematik-Infrastruktur 2.0, mit der alles besser werden soll, lässt weiter auf sich warten.

Mein Fazit: Ohne Strategie für den Fachkräftemangel, mit einer kalten Marktbereinigung der Krankenhausstruktur, dem Wegschauen bei der Finanzierungskatastrophe in der GKV und dem Desaster bei der Digitalisierung, gefährdet die Ampelregierung die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in Deutschland.

Als stationärer Krankenhausbetreiber fordere ich: Schluss mit der ganzen Regulatorik! Wir müssen international wettbewerbsfähig werden. Die Politik braucht mehr Mut für eine Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft – mit einem klaren Fokus auf Qualität und Sinnhaftigkeit, nicht auf Strukturvorgaben. l

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Foto: AsklepiosM. Foddanu Deutschland muss endlich anfangen das überregulierte System der Gesetzlichen Krankenkassen in Angriff zu nehmen.
AKTUELL Gesundheit
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Deutschland übertreibt die Sicherheit

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat in der letzten Legislaturperiode zum ersten Mal deutlich an Schwung gewonnen. Die Vorgängerregierung hat eine Roadmap vorgelegt. Außerdem haben wir Erfahrungen gesammelt. So zeigt zum Beispiel der Covid-Pass, dass die Bürger sehr wohl in der Lage sind, digitale Tools anzunehmen –wenn diese überzeugend einfach sind und Nutzen stiften. Die Gematik hat mehr als 140 Millionen Datensätze an die Apotheken geliefert. Das zeigt doch, dass es geht. Die Bevölkerung möchte das auch.

Die Ärzteschaft hat zur Roadmap indes nichts angemeldet. Das ist eine kassendominierte Roadmap, die Kassen haben ihre Hausaufgaben gemacht. Sie sind vielleicht auch etwas entschiedener für die Digitalisierung als die Leistungserbringer. Wichtig aber ist: Es läuft an. Es läuft langsam, aber es läuft besser, als die meisten

wahrnehmen. Das erkennt man etwa an den eingelösten E-Rezepten und den zwei Millionen elektronisch versandten Arztbriefen. 65 Prozent der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden mittlerweile digital übertragen.

Auch die Gematik hat sich verändert. Das Bundesgesundheitsministerium hat 51 Prozent der Gesellschaft übernommen. Die Gematik hat früher unter Ausschluss der Öffentlichkeit gearbeitet. Die Mitarbeiter hatten ein Kontaktverbot nach außen. Das heißt: Besuche in Praxen, Kliniken, Versicherungen und anderen Institutionen des Gesundheitswesens waren verboten. Deshalb führen wir zum Beispiel seit drei Jahren einen intensiven Dialog mit den Kliniken. Der Schlüssel für den Erfolg ist unsere Hinwendung nach außen und agiles Arbeiten.

Das E-Rezept ist eine der ersten deutschen digitalen Anwendungen,

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat Fahrt aufgenommen. Das neue E-Rezept basiert jetzt auf internationalen Standards – und funktioniert einfach und gut.

die auf internationalen Standards beruht. Zuvor wurde alles in einer „Sütterlin-Schrift“ programmiert, die es nur in Deutschland gibt. Die Haltung war: „Wir wissen es besser als ganz Europa. Wir wollen es sicherer haben als ganz Europa.“ Deshalb bauen wir jetzt alles neu.

Das E-Rezept ist heute ein Produkt, das Sie sich unbefangen anschauen sollten. Es ist sehr souverän gemacht. Und es ist ein Produkt, was sich aus der Hand heraus bedienen lässt. Das beweisen mir nicht nur die Apotheker, sondern auch die Zahnärzte, die zu mehr als 98 Prozent auf das E-Rezept vorbereitet sind. Ich frage mich nur, warum Humanmediziner glauben, sie

brauchen ein Jahr, um das E-Rezept zu erlernen. Das ist ein Zwei-KlickProdukt. Diese App ist wunderbar gestaltet. Ich halte also fest: Deutschland hat eine App, die sicher ist, aber unzugänglich. Und die Brüsseler Kollegen haben das mal schön zusammengefasst: „Germany makes things so save: the house has no door and no window.“ Ich glaube, das trifft hier sehr zu.

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l AKTUELL Gesundheit
Dr. Markus Leyck Dieken Geschäftsführer Gematik GmbH
Foto: gematikJan Pauls
„Deutschland hat jetzt eine E-Rezept-App, die sicher ist, aber unzugänglich.“
Foto: AdobeStock©Veselin

Europa muss Innovationsführer werden

Die

Wir stehen am Beginn einer neuen technologischen Innovationswelle. Sie ist der Schlüssel für künftigen Wohlstand und die Fähigkeit, unsere großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Heute mehr denn je. Europa muss bei dieser vierten Innovationswelle zu einer globalen Führungsmacht werden. Deutschland ist dabei für Europa ein herausragender Player mit großer Verantwortung für diese Innovationswelle, bei der sich Künstliche Intelligenz, industrielle An-

wendungen, aber auch Nanotechnologie und Biotechnologie miteinander verknüpfen. Deutschland kann Vorreiter für diese Technologiewelle werden, mit der die Herausforderungen beim Klimaschutz oder bei den Lieferketten gelöst werden.

„Deutschland kann Vorreiter für die Technologiewelle werden, mit der die Herausforderungen beim Klimaschutz oder den Lieferketten gelöst werden.“

Die Europäische Kommission hat dazu eine Innovationsagenda aufgelegt. Sie ist das Ergebnis umfassender Konsultationen von Regierungen, Wissenschaft und Wirtschaft. Sie ist der zentrale Angelpunkt, um die Innovationskräfte in der EU zu entfesseln. Dabei haben wir fünf Prioritäten festgelegt. Erstens: Die Entwicklung neuer Technologien bis zur Marktreife. Dazu müssen auch die Kapitalmärkte gestärkt werden, um ausreichend Kapital für innovative Unternehmen zu mobilisieren. Zweitens haben wir uns zum Ziel gesetzt, das regulatorische Umfeld für Innovatoren zu verbessern. Drittens: Die EU-Kommission hält es für dringend notwendig, innovative Marktteilnehmer besser miteinander zu vernetzen. Unser Ziel ist es, hundert regionale Innovationscluster in Europa zu schaffen.

Viertens müssen wir Europa zu einem attraktiven Standort für hoch-

qualifizierte Fachkräfte machen. Hierbei haben wir uns das Ziel gesetzt, in den nächsten drei Jahren eine Million Fachleute aus den hochinnovativen Deep-Tech-Bereichen auszubilden. Dabei geht es uns auch darum, Europa attraktiver für weibliche Innovatoren zu machen. Bei unserem fünften Leuchtturmprojekt steht die Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen im Mittelpunkt. Insgesamt versammelt die Agenda der EU-Kommission unter diesen fünf Überschriften 25 Aktionspunkte. Einige davon wurden bereits umgesetzt.

Zusätzlich möchte ich auf den gewaltigen Booster-Effekt von exzellenter Bildung und Ausbildung für Innovationserfolge hinweisen. Deshalb hat das European Institute of Innovation and Technology jüngst den Start der „Deep Tech Talent Initiative“ bekannt gegeben, mit der bis 2025 eine Million Talente in diversen Deep-Tech-Bereichen ausgebildet werden. Dazu benötigen wir eine sehr enge Kooperation mit der Industrie. Wir laden deshalb insbesondere auch die deutschen Unternehmen dazu ein, sich als enge Partner an unserer Initiative zu beteiligen.

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Mariya Gabriel Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend, Europäische Kommission Foto: Gaspare Dario Pignatelli Foto: AdobeStock©MclittleStock
EU hat eine Innovationsagenda erarbeitet, die Schlüssel für künftigen Wohlstand in Europa sein soll.

Wenn wir Erfolg haben wollen bei dem, was in dieser Welt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten geschieht, dann brauchen wir in diesem Lande einen grundlegenden Mentalitätswandel. Vereinfacht gesagt: Wir müssen in Deutschland mehr darüber sprechen, wo wir einsteigen. Wir müssen aufhören darüber zu reden, wo wir überall aussteigen. Deutschland muss ein Einsteiger-Land werden!

Einige Beispiele möchte ich nennen: Nehmen Sie etwa den Transrapid. Das war eine der wegweisenden Technologien in der Bahntechnik. Wir haben hier in Deutschland einen Zug über Jahre im Kreis fahren lassen, bis es einen tragischen Unfall gab. Seither wurde diese Technik hierzulande nicht mehr angewandt, in anderen Ländern der Welt findet sie große Verbreitung und wird in der Praxis erprobt.

Nehmen Sie das Beispiel Kernenergie: Wir waren uns alle im Jahr 2011 einig, dass wir aussteigen. Heute sind wir uns alle einig, dass wir nicht wiedereinsteigen wollen in diese alte Technologie. Aber wir bringen es

Deutschland muss ein Einsteiger-Land werden

noch nicht einmal fertig, Kernkraftwerke unter völlig veränderten Rahmenbedingungen für zwei bis drei Jahre weiterlaufen zu lassen.

Nehmen Sie das Beispiel des Verbrennungsmotors: Ich halte es für eine grundlegend falsche Entscheidung, wiederum nur mit einem Verbot auf diese Herausforderung zu antworten. Das hat Folgen. Und zwar nicht erst im Jahre 2035, sondern heute. Es wird uns so ergehen wie beim Ausstieg aus der Kernenergie. Sie werden kaum noch Studenten finden, die in diesem Bereich ein Maschinenbau-Studium beginnen. Sie werden immer weniger Hochschulen finden, die in diesem Bereich forschen und entwickeln. Und Sie werden am Ende des Tages auch kein Unternehmen mehr finden, das das in Deutschland praktiziert. Aber wir werden selbstverständlich den Verbrenner noch in 40 Jahren auf unseren Straßen sehen. Anders, hoffentlich anders, aber eben als Verbrennungsmotor.

Es gibt positive Beispiele, wo wir eingestiegen sind – wie etwa Curevac und Biontech, nachdem wir große

Teile der pharmazeutischen Industrie verloren haben. Deutschland ist faktisch ausgestiegen aus der forschenden pharmazeutischen Industrie. Wir waren einmal die Apotheke der Welt. Heute sind die großen forschen-

Friedrich Merz MdB Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Bundesvorsitzender der CDU Deutschlands

den pharmazeutischen Unternehmen Europas weitgehend außerhalb Deutschlands angesiedelt. Wichtig ist deshalb auch, dass wir endlich einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt schaffen. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir im Innovationswettbewerb mit den USA und China nicht bestehen können. l

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Foto: AdobeStock©Worawut
Deutschland muss sich einem Mentalitätswandel unterziehen und Neues wagen.
„Wir waren einmal die Apotheke der Welt.“
Foto: Tobias Koch

Dezentrale Struktur zentrales Element

Metaverse – Evolution der sozialen Vernetzung.

Das Metaverse ist aus unserer Sicht eine der wirtschaftlichen und sozialen Schlüsseltechnologien der Zukunft. Gleichzeitig liegen erhebliche Herausforderungen vor uns. Denn viele Fragen, die damit verbunden sind, sind noch nicht beantwortet. Es braucht

Unternehmen, Mut und Regulierungen, um die Fragen rund um das Metaverse zu klären. Gleichzeitig bin ich als Europäer fest davon überzeugt, dass Europa und Deutschland eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Metaverse einnehmen können. Das ist jedenfalls mein Eindruck aus Gesprächen mit deutschen Mittelständlern und Vorständen von DaxUnternehmen.

Meta „Deutschland und Europa können eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Metaverse einnehmen.“

Alle 20 bis 25 Jahre sehen wir eine neue Evolutionsstufe bei technologischen Plattformen. Wir glauben, dass das Metaversum mit allen Aspekten der Nachfolger des mobilen Internets wird. Ich möchte Ihnen gerne unsere Definition vorstellen: Das Metaversum besteht aus einer Reihe von virtuellen Räumen, die, und das ist der entscheidende Punkt, miteinander verbunden sind. Das bedingt unter anderem eine gewisse dezentrale Struktur.

Richtig ist, dass uns als Unternehmen des Web 2.0, früher Facebook, heute Meta, eine gewisse Gatekeeper-Funktion zugeschrieben wurde, die auch auf der Struktur des Internets basierte. Das Web 3.0 mit seiner dezentralen Struktur wird ganz anders funktionieren. Deshalb ist das Dezentrale, sind die virtuell miteinander verbundenen Räume das wichtigste Element des Metaverse.

Das Metaversum erlaubt es uns, in zehn bis 15 Jahren Dinge gemeinsam mit Menschen zu erleben, mit denen man heute nicht physisch zusammen sein kann. Niemand will die physische Interaktion zwischen Menschen ersetzen. Aber man kann eben nicht immer mit allen Menschen zusammen in einem Raum sein. Durch das Metaversum wird die Brücke zwischen der digitalen und der analogen Welt kürzer, beide Welten wachsen stärker zusammen. l

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AKTUELL Innovation
Tino Krause Regional Director Central Europe, Meta Foto: Foto: AdobeStock©Studio_East

Cyber-Sicherheit bedeutet Demokratie-Sicherheit

Komplexität ist im Sicherheitsumfeld nicht erstrebenswert.

Der Microsoft Digital Defence Report fällt dieses Jahr mit 110 Seiten sehr ausführlich aus. Als erstes eine sehr gute Nachricht: Nach wie vor lassen sich 98 Prozent aller Gefahren aus dem Cyberspace mit standardisierten Maßnahmen begegnen – also durch Einhalten der Sicherheitsstandards wie der Multifaktor-Authentifizierung und durch eine Zero Trust Policy. Die zweite gute Nachricht, die sich durch unsere groß angelegte Auswertung von Signalen bestätigt hat: Komplexität im Sicherheitsumfeld ist nichts, nach dem man als Unternehmen streben sollte.

Die professionelle Hacker-Szene findet dann über andere Wege ihre Türchen für Cyberattacken.

Ein großer Teil des Berichts befasst

sich mit dem Ukraine-Krieg. Hier sieht man ganz klar, dass sich die Anzahl der durch nationale Cyber-Akteure getriggerten Angriffe von 20 auf 40 Prozent erhöht hat. 98 Prozent der Angriffe waren dabei gegen NATO-Staaten gerichtet, davon sehr viele Angriffe gegen IT-Unternehmen. Das ist neu. Wir sehen also ganz deutlich, dass Cybersicherheit auch Demokratie-Sicherheit bedeutet. Wir können klare Muster erkennen, wie falsche Narrative versuchen, durch entsprechende Angriffe in die Infrastrukturen einzudringen.

Wir haben vor dem tatsächlichen militärischen Angriff der russischen Armee massive Cyberattacken und Spionage-Attacken auf die Ukraine beobachtet. Die Ukraine hat vor dem

Vorsitzende der Geschäftsführung, Microsoft Deutschland

Hacker-Szene findet ihre Türchen.“

russischen Krieg sehr stark auf eine eigene IT-Infrastruktur „On Premises“ gesetzt. Diese Infrastrukturen haben wir in die Cloud gebracht und werden das in den nächsten Jahren weiter finanzieren und begleiten. Für Microsoft war das eine große Verantwortung, diese Infrastruktur in die Cloud zu transferieren und so auf ganz Europa zu verteilen. l

Cybersicherheitsarchitektur zügig gut aufstellen

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir die Krisenresilienz in unserem Land in einer Epoche der Krisen ganz allgemein erhöhen. 2009 gab es die Finanzkrise, 2010 die Eurokrise, es folgte 2015 die Flüchtlingskrise und 2020 die Corona-Pandemie, jetzt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der auch unsere Versorgungssicherheit im Winter in Frage stellt. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass auf Krisen die nächste Krise folgt.

In Zeiten des digitalen Wandels haben wir es auch mit Phänomenen wie hybrider Kriegsführung zu tun. Deshalb brauchen wir eine gut auf-

gestellte Cybersicherheitsarchitektur in unserem Land. Bund und Länder müssen gemeinsam effektiv und effizient für diese Cybersicherheit sorgen. Der Bund wird allein keine nationale Cybersicherheitsarchitektur darstellen können. Denn es gibt immer auch spezifische Bedrohungen in den Ländern, denen diese mit eigener Kompetenz begegnen müssen. Die Digitalisierung unserer Gesellschaft wird auch davon leben, dass Unternehmen und Bevölkerung in die Sicherheit der digitalen Infrastruktur vertrauen.

Die digitalen öffentlichen Angebote werden von den Bürgern nur angenommen, wenn Sie darauf vertrauen

Bund und Länder bei der Cybersicherheit gefragt.

können, dass der Staat ihnen digitale Sicherheit bietet. Das Land Hessen hat seit 2019 seine Anstrengungen zum Beispiel mit einem eigenen Cyber-Kompetenzzentrum vorangetrieben. l

Peter Beuth MdL

Minister des Innern und für Sport, Land Hessen

bieten.“

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Deutschland
Foto: Microsoft
Foto: Meta
„Staat muss Bürgern digitale Sicherheit
„Die

Datensilos aufbrechen

Datenstrategie soll Deutschland wettbewerbsfähiger machen.

Die digitale Transformation funktioniert auch im Hinblick auf die Energieeffizienz nur mit Daten. Deshalb müssen wir uns über den Status quo in Deutschland Gedanken machen. Wir haben zwar einige Daten, die aber befinden sich in unterschiedlichen Silos und sind nicht miteinander vernetzt. Das ist ein großer Wettbewerbsnachteil in Deutschland. Diesen Wettbewerbsnachteil wollen wir in der Ampel-Regierung aufbrechen. Deshalb haben wir Ende August eine Digital-Strategie vorgelegt, die auch auf dieses Thema abzielt. Dabei steht die

Transportkosten entscheiden

Erdgasleitungen bilden die Basis für das Wasserstoffnetz.

Die Vorgaben der EU-Kommission an die Stahlindustrie zwingen uns zu einer proaktiven Wasserstoff-Strategie. Bis 2034 müssen wir de facto im Einklang stehen mit dem wahrscheinlichen Auslaufen der Zertifikatszuweisungen im Europäischen Emissionshandel. Wir haben deshalb angefangen, uns intensiv um die Beschaffung von Wasserstoff zu kümmern. Für uns ist klar: Der Wasserstoff, der in Europa benötigt wird, wird voraussichtlich nicht einmal zur Hälfte in Europa produziert werden können. Er wird aus Nordafrika, skandinavischen und baltischen Staaten kommen müssen. Spanien und Rumänien bieten auch noch Potenziale. Ursprünglich hatten wir auch die Ukraine im Blick, aber das lässt sich derzeit natürlich nicht absehen.

Frage im Mittelpunkt, wie wir die Daten verfügbar machen und miteinander verbinden, also auch Open Data mehr in den Fokus rücken. Das gilt auch für Daten der öffentlichen Hand. Diese sollen der Wissenschaft, der Wirtschaft und den Bürgern zur Verfügung stehen. Ich bin überzeugt, dass wir ähnliche Wege wie in anderen Ländern einschlagen sollten. Wir müssen Datenstandards nicht neu definieren. Im besten Fall docken wir uns an internationale Datenstandards an, um Potenziale für die Energieeffizienz aus den vorliegenden Daten zu schöpfen. Zusätzlich hat die Dateninfrastruktur einen massiven Einfluss auf die Energieeffizienz. Die Bundesregierung hat hierfür mit ihrer Gigabit-Strategie Maßnahmen vorgestellt. 2025 soll in Deutschland jedes zweite Haus mit Glasfaser versorgt sein. l

Es geht jetzt darum, die Verbindungen in die genannten Länder zu schaffen. Wir müssen beginnen, die Wasserstoffversorgungskette in Ländern aufzubauen, um erste Photovoltaik-Parks zu errichten und Elektrolysen zur Produktion von Wasserstoff durchzuführen. Wasserstoff sollte aus unserer Sicht leitungsgebunden nach Europa kommen, wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen. Wenn wir uns darauf verlassen, Wasserstoff aus Chile oder aus Peru mit Schiffen zu transportieren, müssen wir mit Transportkosten von rund zwei Euro pro Kilogramm rechnen. Das entspricht 50 bis 60 Euro pro Megawattstunde. Wenn man das dem Erdgas-Äquivalent gegenüberstellt, entscheiden letztlich die Transportkosten darüber, ob wir Wasserstoff in Europa in einem großen Maßstab einsetzen können oder nicht.

Diese skizzierte Wasserstoffkette erfordert ein leistungsfähiges europäisches Leitungsnetz, das jetzt entwickelt werden muss. Die gute Botschaft ist: Wir müssen kein komplett neues Wasserstoffnetz aufbauen, weil viele der bestehenden Erdgasleitungen nach einer Anpassung gut dafür geeignet sind. Wichtig ist, dass wir von der Politik mit den richtigen Rahmenbedingungen begleitet werden l

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Maximilian Funke-Kaiser MdB Digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Foto: Dominik Konrad
„Wettbewerbsnachteile ausräumen.“
Dr. Franz Kainersdorfer Mitglied des Vorstands Voestalpine
Foto: voestalpine.com
„Verbindungen schaffen.“

IT-Sicherheit ist teuer, aber existenziell

An sich ist Sicherheit kein Hexenwerk. Sie wird nur dann zum Hexenwerk, wenn man Sicherheit zuerst vernachlässigt und dann versucht, sie nachträglich reinzufummeln. Das macht keinen Spaß, das sieht nicht gut aus, kostet viel Geld und Zeit. Darum meine erste Botschaft: IT-Sicherheit muss man von Anfang an mitdenken. Das ist noch nicht überall angekommen – nicht bei den Herstellern von IT-Systemen, und erst recht nicht in der Privatwirtschaft und der öffentlichen Verwaltung.

Wohlstand und Klimaschutz versöhnen

Wir sind besser, als wir glauben. Gerade die CDU und der Wirtschaftsrat sind ja oft sehr kritisch hinsichtlich ihrer Erfolge. Aber wir haben schon sehr, sehr viel geleistet und viele unserer Ziele in den letzten Jahren erfüllt. Zum Beispiel haben wir 2020 unsere CO2-Minderungsziele erreicht, nicht nur wegen Corona, sondern weil wir viel gemacht haben.

Trotzdem werden die nächsten Jahre eine große Herausforderung. Die nächsten zehn bis 20 Prozent bei der Emissionsminderung werden noch mal schwerer als die ersten 30 bis 40 Prozent. Nicht nur technologisch, auch, was das Thema der Finanzierung angeht. Wir haben ja nicht nur das Thema Klimaschutz zum Ziel, sondern auch die Themen Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit.

Mein zweiter Punkt ist: IT-Sicherheit ist Chefsache. Wenn das nicht vom Kopf an mitgedacht wird, insbesondere im Risikomanagement eines Unternehmens oder einer Behörde, wird das kein Erfolg. Sicherheit ist kein ITTechie-Thema. Diese Erkenntnis ist zwar in vielen Köpfen angekommen, aber noch nicht umgesetzt.

Dritter Punkt: Ohne Geld geht gar nichts. Man sollte rund 20 Prozent seiner Investitionen in IT-Systeme für Sicherheit vorsehen. Damit hat man zwar noch keine gute IT-Sicherheit, aber zumindest eine Basis. Eine weitere wichtige Frage betrifft die digitale Souveränität. Da müssen wir unbedingt Gas geben. Also: „Cloud first“ denken, aber mit digitaler Souveränität. Da stehen wir leider noch sehr am Anfang und die Zeit drängt. l

Wir fordern Mobilität für alle. Das Ziel muss sein, dass jeder, der Auto fahren will, auch Autofahren können muss. Beim Klimaschutz geht es nicht nur um Verzicht. Klimaschutz kann man auch mit Technologien, mit Wettbewerbsfähigkeit, mit Arbeitsplätzen und mit neuen Firmen machen. Mit Wohlstand und Wachstum. Das wird die große Herausforderung der nächsten Jahre sein. Mir geht es nicht darum, dass wir unsere Ziele möglichst schnell, sondern dass wir

37 4/2022 TREND AKTUELL Innovation Foto: AdobeStock©Skórzewiak Foto: AdobeStock©malp
sie sinnvoll erfüllen. Die CDU hat die besten Konzepte dafür. l
Dr. Gerhard Schabhüser Vizepräsident, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik(BSI) Foto: Jens Schicke Thomas Foto: Tobias Koch
„Im Nachgang wird ITSicherheit zum Hemmnis.“
„Klimaschutz heißt nicht Verzicht.“

Reden wir über die Zukunft – und laufen los

Deutschland redet eher über Regulierung als über Innovationen. Der Rahmen darf nicht zu eng ausfallen.

Die jungen Menschen in Deutschland sind begeistert, wenn sie etwas bewegen können. Sie wollen Innovationen vorantreiben. Wir sollten in Deutschland nicht zu viel darüber

nachdenken, was wir alles regulieren können. Wir müssen darüber nachdenken, wo wir hin wollen. Die Reduktion von CO2 wird nur mit Innovationen funktionieren. Sie zu bewältigen,

wird nur gehen, wenn wir damit die Digitalisierung verbinden. Die nächste Generation des Gesundheitswesens wird das auch erfordern. Der Arbeitskräftemangel erfordert, neue Wege zu finden, um mit kollaborativer Robotik voranzuschreiten.

Alle diese Themen weisen in die Zukunft. Aber wir reden lieber darüber, was wir regulieren müssen. Deswegen kann ich nur dazu aufrufen, über das Bild der Zukunft zu reden. Das heißt auch, dass wir einfach mal loslaufen müssen. In den USA macht man etwa einen Schritt nach vorn und schaut, was man gelernt hat. Man passt sein Verhalten an, trial and error. Wir sind sehr oft dabei, darüber nach-

zudenken, wie der Rahmen sein soll. Das kann gut sein. Eine gute Regulatorik kann den Menschen helfen, sich zurechtzufinden.

Aber wenn ich mir den Bereich Wasserstoff ansehe, ist der Rahmen schon vor dem Start so eng, dass die Frage auftritt, ob wir überhaupt loslaufen. Und wenn wir loslaufen, dann vielleicht in einem anderen Land. Deutschland hat in den siebziger Jahren großen Erfolg gehabt, eine Umweltindustrie aufzubauen. Lassen Sie uns hierzulande wieder voranschreiten – mit dem Anspruch, unser Tun mit einem globalen Anspruch zu verknüpfen. Wir müssen uns eine Position der Stärke erarbeiten. l

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Was ist Künstliche Intelligenz? KI lässt sich am besten anhand eines Beispiels erläutern. Wir sind Hersteller von CAD-Software. Stellen Sie sich vor, Sie sagen einem Computer, was ein Produkt können soll. Wie es aussehen, welche Eigenschaften es haben soll, wie groß es in etwa werden soll. Diese Aufgaben übergeben Sie dann Ihrem Computer oder der Cloud, im Hintergrund werden auf Grundlage Ihrer Angaben dann eine Vielzahl von Optionen und Konstruktionsvorschlägen berechnet, ohne dass Sie jemals eingreifen müssen.

Die besten Vorschläge basieren auf Ihren Parametern und werden

Ihnen vom Computer vorgelegt. Sie müssen dann nur noch aussuchen, welche Variante Sie verwenden. Das alles passiert im Hintergrund. Bei der Anwendung von KI kommt es auf den Kontext an. Medizinische Anwendungen sind ethisch etwas anderes als Spiele. Es gibt in sich Algorithmen, mit denen Computer dem Menschen das Rechnen und das Erstellen von Varianten abnehmen und die sehr schnell sind. Und es gibt lernende Algorithmen. Hier besteht natürlich die Gefahr, dass sich das Ganze in eine falsche Richtung entwickelt.

Wir als Softwarehersteller haben immer im Auge, dass die Software nicht Selbstzweck sein darf. Sie muss

Mittelstand braucht KI-Zugang Nasse Unterschriften sind von gestern

Wie tief sind Online-Banking und Brokerage in der Bevölkerung Europas verankert? Dazu gibt es sehr unterschiedliche Kennzahlen. In Großbritannien, Holland und Skandinavien nutzen 80 Prozent der Menschen Online-Banking. Fast 40 Prozent nutzen Online-Brokerage. Das finde ich beeindruckend. Wenn Sie sich aber Deutschland oder die DACH-Region anschauen, Spanien, Portugal und Frankreich, dann liegt die Nutzung von Online-Banking bei nur 40 Prozent, Online-Brokerage nutzen sogar nur zehn Prozent.

Warum ist das so? In vielen Ländern ist die Digitalisierung und die Versorgung mit Internet nicht so vorangeschritten wie erhofft. Deutsch-

land muss den Anspruch haben, unter den ersten drei zu sein. Aber da sind wir leider weit von entfernt.

Für uns in der Industrie ist Medienbruchfreiheit wichtig. Was heißt das? Wenn Sie online ein Konto eröffnen oder ein Produkt kaufen wollen, wollen Sie das konsequent online machen. Was Sie nicht haben wollen, ist ein Medienbruch: Sie haben zehn Schritte online gemacht, und dann sollen Sie Papier rausholen und einen Brief schreiben. In Deutschland kommt dies bei der Identifikation auf Sie zu. Sie müssen sich in einem Online-Chat per Video legitimieren. Das ist von der Aufsicht vorgeschrieben. In allen anderen 18 Ländern, in denen wir tätig sind, ist das nicht nötig. Wenn wir einen einheitlichen Markt

Geschäftsführer Autodesk

den Mittelständler genauso unterstützen wie große Industrieunternehmen. Unsere Aufgabe ist es, eine einfache Bedienbarkeit der Software sicherzustellen, damit auch kleinere Unternehmen und nicht nur große Konzerne mit akademisch geschulten Ingenieuren damit arbeiten können. Der normale Konstrukteur oder Architekt muss einen erkennbaren Nutzen aus der Software ziehen können. l

Vorsitzender des Vorstands flatexDEGIRO AG

wollen, sollten wir einheitliche Regeln schon aus Wettbewerbsgründen vorziehen.

Wir haben in der Corona-Krise 400 neue Leute online eingestellt. Das hat toll funktioniert. Dazu gehörten digitale Arbeitsverträge und digitale Unterschriften. Komplett kontraproduktiv ist das neue „Nachweisgesetz“, wonach wir Arbeitsverträge seit 2022 wieder ausdrucken und mit „Nass-Unterschriften“ versehen müssen. Fortschrittliche Digitalisierung sieht anders aus. l

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Wie lange kann der Betrieb überleben, wenn die gesamte IT lahmgelegt ist?

Wer als Geschäftsführer diese Frage nicht beantworten kann, hat ein Problem. Denn Cyberangriffe nehmen seit Jahren zu. Vor allem sogenannte Ransomware-Angriffe sind für Cyberkriminelle eine wahre Goldgrube. Die Angreifer dringen dabei in die IT-Systeme ihrer Opfer ein, verschlüsseln ungeschützte Daten und verlangen ein horrendes Lösegeld für die Entschlüsselung – häufig in Millionenhöhe. Die Schäden sind immens: Produktionsanlagen stehen

häufig eine weitere, um eine Veröffentlichung sensibler Unternehmensdaten zu unterbinden.

Solche Szenarien sind keine Einzelfälle. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Cybersicherheitslage in Deutschland kritischer als je zuvor. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik warnt vor einer erhöhten Bedrohungssituation.

Die Bitkom-Studie „Wirtschaftsschutz 2022“ registriert einen deutlichen Anstieg der Angriffe aus Russland und China. Ein Großteil der Delikte entfällt längst nicht mehr auf Einzeltäter. Das Bild des einsamen Hackers im Kapu-

Bedrohungslage fordert

Cyberangriffe verursachen einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden. Während die meisten Großunternehmen Cyberrisiken gezielt managen, sind viele Mittelständler nicht ausreichend vorbereitet – obwohl zahlreiche Maßnahmen für eine höhere Sicherheit existieren.

still. Die Kommunikationsinfrastruktur ist außer Betrieb. Digitalgestützte Geschäftsprozesse sind blockiert. Und da die Angreifer in den meisten Fällen ausreichend Zeit haben, die Daten vor der Verschlüsselung zu kopieren, folgt auf die erste Lösegeldforderung sehr

zenpulli ist obsolet. Die Gefahr geht vielmehr von organisierten Banden aus, die sich von staatlich gesteuerten Gruppen nur schwer abgrenzen lassen.

Enorme Herausforderung für den deutschen Mittelstand

Risikobewusstsein bis hin zu fehlenden IT-Kompetenzen.

„Cybersicherheit darf nicht als reines IT-Thema marginalisiert werden. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann.“

Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind drastisch. Neun von zehn Unternehmen werden Opfer von Datendiebstahl, Spionage und Sabotage. Der volkswirtschaftliche Schaden beträgt jährlich etwa 203 Milliarden Euro. Rund 45 Prozent der Unternehmen sehen durch Cyberattacken ihre geschäftliche Existenz bedroht. Während die meisten großen Unternehmen Cyberrisiken mittlerweile bewusst managen und gezielt in höhere IT-Sicherheit investieren, sind vor allem zahlreiche Mittelständler noch nicht angemessen vorbereitet. Die Gründe sind vielfältig und reichen von einem fehlenden Bekenntnis des Managements über ein mangelndes

Dass die Administration und Absicherung der IT nicht von ein paar Mitarbeitenden nebenbei erledigt werden kann, sollte klar sein. Denn auf der Gegenseite sind hochprofessionelle Akteure am Werk, die hervorragend organisiert in einer zunehmend ausdifferenzierten Untergrundökonomie agieren, die sich arbeitsteilig organisiert: Einige sind spezialisiert auf die Identifikation von Schwachstellen, andere auf die Recherche der Umsätze, Geschäftsmodelle und potenziell wertvolle Daten ihrer Angriffsziele. Wieder andere kümmern sich ausschließlich um die Angriffsdurchführung oder den wirtschaftlichen „Support“ –sprich: die Erpressung der Lösegelder.

Lösegeldzahlungen verschlimmern die Situation Wenn es Unternehmen unvorbereitet erwischt, geraten sie in verfahrene

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Derk Fischer PwC-Partner Cyber Security & Privacy, PwC Deutschland Foto: PwC Foto: AdobeStock©greenbutterfly

Cybersicherheit auf der Geschäftsleitungsebene zu stärken und Maßnahmen sowie eine abteilungsübergreifende Cybersecurity-Strategie aktiv zu managen: Cybersicherheit darf nicht als reines IT-Thema marginalisiert werden.

Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann. Unternehmenslenker haben deshalb nicht nur die Aufgabe, ihre Infrastruktur zu schützen, sondern in den sogenannten „Detect and Response-Ansatz“ zu investieren: Dabei geht es darum, Cyberangriffe schnell und verlässlich zu erkennen und angemessen zu reagieren. Zu einer Cyberstrategie ge-

fordert Mittelstand heraus

Situationen. Denn die Zahlung von Lösegeld darf keine Option sein – aus vielerlei Gründen. Erstens: Einige Staaten bewerten diese als Terrorfinanzierung und sanktionieren zah-

lende Unternehmen hart. Zweitens: Unternehmen laufen Gefahr, in eine fortwährende Erpressungskette zu geraten, weil sie sich nie sicher sein können, ob entwendete Daten wirklich gelöscht werden. Drittens: Am Ende fehlt möglicherweise Geld für notwendige Zukunftsinvestitionen in die eigene IT-Sicherheit.

hören außerdem Awareness-Trainings durch die Personalabteilung, die Sensibilisierung der Mitarbeitenden durch die interne Kommunikation und natürlich auch präventive technische Maßnahmen durch die IT.

möglich Privatpersonen

Neben diesen Einzelrisiken für betroffene Unternehmen sind Lösegeldzahlungen längst als geostrategisches Risiko erkannt. Eine Gruppe von Sicherheitsfachleuten hat kürzlich die Bundespolitik in einem offenen Brief dazu aufgefordert, Zahlungen durch gesetzliche Maßnahmen zu unterbinden – zum Beispiel durch eine Meldepflicht und das Verbot bestimmter Cyberversicherungen. Die erpressten Gelder fließen schließlich zu einem bedeutenden Teil in sanktionierte Staaten – allen voran Russland.

Effektive Gegenmaßnahmen

Trotz der besorgniserregenden Lage ist die Situation nicht aussichtslos. Es gibt eine Reihe effektiver Maßnahmen für eine höhere Sicherheit. Am wichtigsten ist es, das Verständnis für

Auf der organisatorischen Ebene geht es darum, ein stärkeres Bewusstsein für Cyberrisiken zu schaffen und auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Dazu ist ein Notfallplan unabdingbar. Er legt fest, wie ausgehend ein krimineller Cybervorfall klassifiziert, untersucht, eingedämmt, kommuniziert und ein Notbetrieb auf Geschäftsprozessebene – notfalls mit Stift und Papier – etabliert werden sollte. Ein weiterer begünstigender Faktor für höhere Sicherheit ist eine offene Kommunikation – intern und extern. Spätestens seit der Zeitenwende ist hier ein neues Mindset gefragt. Erfolgreiche Cyberangriffe sind kein Stigma, das vertuscht werden sollte. Um resilienter zu werden, sind Transparenz, eine offene Fehlerkultur sowie ein gutes Management der Cybersicherheit ausschlaggebend – und dazu gehört auch der offene Austausch und die Zusammenarbeit deutscher Unternehmen. l

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AKTUELL Cybersicherheit
Quelle: Bitkom Research 2022
38 Unabsichtlich
36 Vorsätzlich
26 Konkurrierende Unternehmen 14 Kunden 11 Ausländischer Nachrichtendienst 8 Lieferanten 3 Organisierte Kriminalität 51
Von diesen Täterkreisen gingen die Cyber-Attacken aus in Prozent Alle befragten Unternehmen, die in den letzten zwölf Monaten von Diebstahl, Datendiebstahl, Industriespionage oder Sabotage betroffen waren. (n=899), Mehrfachnennungen
handelnde (ehemalige) Beschäftigte
handelnde (ehemalige) Beschäftigte

Energiepreise auf historischem Allzeithoch, bis zum Zerreißen gespannte Lieferketten und eine Inflationsrate auf Rekordniveau: Viele Unternehmen stehen angesichts der schwierigen Wirtschaftslage vor existenziellen Herausforderungen. Gleichzeitig zwingen Klimawandel und Biodiversitätsverlust alle Ebenen unserer Gesellschaft zu verantwortlichem und schnellem Handeln. Europa will bis zum Jahr 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Deutschland ist dieses Ziel noch nicht ambitioniert genug, bereits 2045 sollen hierzulan-

Dabei ist die Notwendigkeit unbestritten, denn der Klimawandel schreitet voran. Es gibt zunehmend häufiger dürrebedingte Ernteausfälle, stark schwankende Erträge bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen und somit immer volatilere Preise und Verfügbarkeiten. Zudem resultiert die Erderwärmung auch in einen massiven weltweiten Biodiversitätsverlust, dessen Folgen für Ökosysteme verheerend sein können und wir wissen, dass auch die Menschen in den besonders vom Klimawandel betroffenen Regionen stark unter den Auswirkungen leiden.

duzieren werden, Photovoltaik auf unseren Filialen stark ausbauen und bereits dieses Jahr in allen Ländern komplett auf Grünstrom umgestellt haben. Als Handelsunternehmen liegt jedoch ein Großteil unseres ökologischen Fußabdrucks in den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette. Daher ist es unser Ziel, dass wir mit unseren Geschäftspartnern ein faires, nachhaltiges und gesundes Sortiment gestalten, um somit einen Beitrag zu leisten, Konsum innerhalb der planetaren Grenzen zu ermöglichen. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist ein wesentlicher Bestandteil unserer

Warum nachhaltiges Handeln alternativlos ist

Auch in Krisenzeiten sollten Unternehmen die langfristigen Aufgaben im Blick behalten.

de Wirtschaft, Staat und Lebensweise der Menschen klimaneutral sein. Die Mehrheit der Unternehmen ist jedoch aktuell einem Spannungsfeld zwischen der Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen und der langfristigen Transformation zu klimaneutralem und nachhaltigem Wirtschaften ausgesetzt. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage stellt sich vielen Unternehmen daher die grundsätzliche Frage, ob nachhaltiges Handeln noch finanzierbar ist.

Als größtes europäisches Handelsunternehmen sehen wir uns bei Lidl nicht nur mit dem Klimawandel konfrontiert, sondern tragen auch eine Verantwortung für die Auswirkungen unseres Wirtschaftens. Nachhaltigkeit ist Teil des Preis-/Leistungsversprechens von Lidl und damit Teil unseres Markenkerns. Das gilt auch für unseren eigenen Geschäftsbetrieb, bei dem wir beispielsweise bis 2030 unsere betriebsbedingten Emissionen um mindestens 80 Prozent re-

Produktqualität und steckt für uns als Discounter tief in unserem Selbstverständnis. Dies wird nicht nur dadurch deutlich, dass wir als Unternehmen äußerst effizient mit unseren Ressourcen umgehen.

Entscheidend für eine erfolgreiche Transformation der europäischen Wirtschaft wird sein, dass die Bevölkerung Maßnahmen und Konsequenzen verstehen und verkraften kann und als persönlichen Nutzen empfindet. Ein gutes Beispiel bietet das Themenfeld

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Ernährung. Wissenschaftler haben ein Modell entwickelt, wie man zehn Milliarden Menschen innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen dieses Planeten gesund ernähren kann. Eine pflanzenbetonte, ballaststoffreichere Ernährung ist gut für die menschliche Gesundheit und den Planeten. Die sogenannte Planetary Health Diet verknüpft also den persönlichen Nutzen mit einem nachhaltigen Ernährungsverhalten. Wir sind überzeugt, das kann der Speiseplan der Zukunft sein und richten unser Sortiment vermehrt nach diesen Erkenntnissen aus. Dabei ist uns wichtig: Nachhaltigkeit darf nicht zum Luxus werden, sondern muss bezahlbar bleiben. Um verantwortungsbewusste Kaufentscheidungen zu ermöglichen, bedarf es dabei auch mehr Transparenz. Daher nutzen wir bei unseren Eigenmarken den Nutri Score, um die ernährungsphysiologischen Eigenschaften eines Produktes darzustellen und pilotieren aktuell in mehreren Ländern Nachhaltigkeitskennzeichnungssysteme, die einfach und verständlich den ökologischen Fußabdruck eines Produktes aufzeigen. Dadurch wollen wir gesunden und nachhaltigen Konsum ermöglichen.

„Entscheidend für eine erfolgreiche Transformation der europäischen Wirtschaft wird sein, dass die Bevölkerung Maßnahmen und Konsequenzen verstehen und verkraften kann und als persönlichen Nutzen empfindet.“

Nur im Zusammenspiel mit der gesamten Wertschöpfungskette vom einzelnen Landwirt über die Lebensmittelindustrie, den Handel und die Konsumenten können wir die erforderliche Transformation gemeinsam mit den staatlichen Akteuren vorantreiben. Im gegenseitigen Vertrauen können Lösungen entwickelt werden, die marktorientiert und effizient zu den gewünschten Ergebnissen führen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Erzeuger und Unternehmen meist auch in einem internationalen Wettbewerb weiter bestehen müssen. Eine klare Perspektive, Planungssicherheit und zielgerichtete Unterstützung sind daher notwendig, um weitreichende Nachhaltigkeitsinvestitionen zu tätigen.

Die Ernährungsstrategie der Bundesregierung kann hier wesentliche Anreize setzen und ein zukunftsfestes Leitbild für eine umweltverträgliche und gesunde Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen setzen. Die Politik muss mit zielgenauen Maßnahmen dafür sorgen, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen.

Wir bei Lidl sind überzeugt, wir sollten die langfristigen Aufgaben in den aktuellen Krisen nicht vergessen. Dabei sehen wir uns als Teil der Lösung und stehen der Politik als Partner zur Verfügung, gerade weil wir als Discounter in der Mitte der Gesellschaft stehen. Zusammen wollen wir uns auf den Weg nach morgen machen!

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AKTUELL Nachhaltigkeit
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NEUES AUS DEN KOMMISSIONEN

HIGHLIGHT-TALK

Anker Soziale Marktwirtschaft

Gesellschaft und Wirtschaft stehen vor enormen Herausforderungen, die den sozialen Zusammenhalt massiv gefährden. Die Auswirkungen der Corona-Krise, die steigende Geldentwertung sowie die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine stellen die Weltordnung auf den Kopf. Auch Lieferengpässe und steigende Energiekosten stellen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf die Probe. Hierzu diskutierten Unternehmer in einem Highlight-Webtalk mit Prof. Dr. h.c. Roland Koch, Vorsitzender der Ludwig Erhard Stiftung.

Die Soziale Marktwirtschaft hat in der Geschichte gezeigt, dass mit der Rückbesinnung auf die Grundwerte Ludwig Erhards Krisen nachhaltig überwunden werden können. Daher muss die Politik jetzt den Rahmen für verlässliche rechtliche und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen sowie erfolgreiche Zukunftsperspektiven setzen. Preisstabilität, solide Staatsfinanzen, Eigenverantwortung und Leistungsgerechtigkeit sind die Erfolgsfaktoren für eine glänzende Zukunft. Bestehende Systeme müssen sich in einer modernen Welt an die häufig neu entstehenden Probleme anpassen. Aktuell lässt sich in der Gesellschaft eine große Sorge um die Versorgungssicherheit mit Energieträgern feststellen. Eine kleinteilige Regulierung durch den Staat kann dabei sehr schädlich sein. Eine bessere Lösung wäre im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft die Regulierung über die Märkte. l

HIGHLIGHT-TALK Stagnierendes Wachstum

Hyperinflation? So weit ist es in der geld politischen Wetterlage noch nicht. Doch Deutschland, der Euroraum und zahlreiche mächtige Wirtschaftsblöcke befinden sich in der Stagflation – das befeuert Abstiegsängste und Finanzkrisen. Prof. Dr. Dr. h.c. Lars Feld, persönlicher Beauftragter des Bundesministers der Finanzen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie Leiter des Walter-Eu cken-Instituts, warnte in einem Highlight-Talk mit spannenden Einblicken in die makroökonomische Situation vor den wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten. Die heftigen Einund Umbrüche in der Pandemiezeit hätten die Weltwirtschaft stark gebeutelt. Zum Abfedern ihrer Folgen hätten große Wirtschaftsblöcke, insbesondere die USA, viel zu große Fiskalimpulse gesetzt, die auf der Nachfrageseite die Preise in die Höhe treiben. Noch dazu komme die Energiekrise, für die der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ursächlich war. Doch auch geldpolitisch gab es in den letzten Jahren einige Verwerfungen, betonte Prof. Lars Feld. Die großen Maßnahmenpakete zur Abfederung der Pandemiefolgen würden auslaufen. Und auch wirtschaftspolitisch werde es für einzelne EU-Nationalstaaten schwierig, höhere Ausgaben zu beschließen, da die finanzielle Dimension der Mittel die Nachfrage nach staatlichen Projekten weit übersteigt. Das Wirtschaftswachstum wird in den nächsten Jahren stagnieren, sagte Prof. Dr. Dr. h.c. Feld, aber Anzeichen einer tiefen Rezession sollte es nicht geben. l

Die Gewährleistung von Meinungsvielfalt, ein breitgefächertes, zielgruppengerechtes Angebot sowie ein funktionierender Wettbewerb zwischen Medienunternehmen sind unverzichtbar – nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch für eine Demokratie. Genau deshalb müssen Debatten über einen reformierten Rundfunkbeitrag und seine auftragsgemäße Verwendung, eine effizientere Struktur und Verschlankung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖRR) sowie ein modernes Managementsystem endlich auch politische Priorität erhalten.

Die jüngsten Skandale rund um RBB und NDR haben der Glaubwürdigkeit des föderalen Medienverbunds der ARD großen Schaden zugefügt. „Die Affäre um die frühere RBB-Intendantin Patricia Schlesinger zeigt deutlich, dass der Reformstau beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein kaum erträgliches Maß erreicht hat. Effektiv fehlende Kontrolle und völlig unzureichende Compliance treffen hier auf eine nicht vorhandene Fehlerkultur.

Der ÖRR muss auf ein gesundes Maß zurückgestutzt werden“, forderte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates. Bereits 2018 hatte die Bundesarbeitsgruppe mit einer Grundsatzpositionierung überfällige Reformen im ÖRR angemahnt. Hier müssen die Ampel-Koalition im Bund und die medienpolitisch wichtigen Landesregierungen endlich handeln.

In den tradierten Strukturen wird der ÖRR den verfassungsrechtlichen Auftrag, die gesamte Bevölkerung zu erreichen, ebenso wenig erfüllen wie private Medienunternehmen überleben könnten, wenn sie nicht neue Strukturen für die Entwicklung von Innovationen aufbauen. Die duale Finanzierung des ÖRR in einer grundlegend veränderten Medienwirtschaft muss neu in Frage gestellt, Wettbewerbsanreize gezielt gesetzt werden. „Der Haushalt des ‚ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice‘, mit 8,1 Milliarden Euro immerhin eine Milliarde größer als der Haushalt des Auswärtigen Amtes, bedarf einer vernünftigen parlamentarische Kontrolle. Die gesellschaftliche Diskussion über einen modernen Ordnungsrahmen für die Medienwirtschaft in Deutschland muss ergebnisoffen geführt werden.“ l

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MEDIENWIRTSCHAFT Überfällige Reformen endlich priorisieren

HANDEL, ERNÄHRUNG, VERBRAUCHERSCHUTZ

Ernährungswirtschaft weiter unter Druck

Die Situation der Ernährungswirtschaft in Deutschland hat sich auch nach der Corona-Pandemie nicht entspannt. Russlands Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die steigende Inflation stellen die Branche vom Erzeuger über die Produzenten bis hin zu den Händlern vor enorme Herausforderungen. Hinzu kommt das Thema Klimaschutz, das zahlreiche Transformationsprozesse auf allen Ebenen bedeutet. Diese gerade für mittelständische Branchenunternehmen teils bereits existenzbedrohenden Themen bildeten Schwerpunkte der Klausur der Bundesfachkommission Handel, Ernährung, Verbraucherschutz, die erstmals unter ihrem neuen Vorsitzenden Christoph Pohl, Vorstand Einkauf International der Lidl Stiftung & Co. KG, tagte.

So machte der Kreis in einem Hintergrundgespräch Albert Stegemann MdB aus dem Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft deutlich, dass auf klimatische Herausforderungen nur mit Innovationen reagiert werden kann. Verstärkte Investitionen in Zukunftstechnologien zur Optimierung von Anbautechniken als auch eine Intensivierung der Genforschung seien dafür die Voraussetzung. Die Wiedereinführung der Vorrangflächen ab 2024, eine Bioquote sowie eine Mehrwertsteuerbefreiung als Reaktion auf steigende Lebensmittelpreise, stellten keine wirksamen Mittel dar, den Problemen ergebnisorientiert begegnen zu können.

Im Austausch mit Staatssekretärin Silvia Bender, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, standen die Vorhaben der Bundesregierung für diese Legislaturperiode im Vordergrund. Die vorgestellte Ernährungsstrategie der Ampel-Koalition stieß bei den Unternehmern auf Unverständnis. Ziel sei es etwa den Fleischkonsum in Deutschland zu verringern sowie die an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung für „stark zuckerhaltige sowie stark fett- und salzhaltige Lebensmittel“ zu verbieten. Der Wirtschaftsrat sieht sich gefordert, die Branche im öffentlichen wie politischen Raum zu unterstützen, denn gerade die Werbeverbote könnten Regulierungsblaupause für andere Produkte und Branchen werden.

Der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller stellte sich den drängenden Fragen der Mitglieder zur Energiepolitik, etwa ob es zum Winter 2022/2023 zu einer Gastriage kommen werde. l

PFLEGE

ENERGIEEFFIZIENZ

CO2-Bepreisung im Wärmemarkt steigt

Zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen der europaweiten CO2-Bepreisung im Wärmemarkt sowie Auswirkungen für Produkthersteller und Betreiber“ traf sich die Bundesfachkommission Energieeffizienz. Der Direktor des Instituts für Energiewirtschaft und rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart, Dr. Kai Hufendiek, stellte Ergebnisse des Forschungsprojekts „AriadneAnalyse: Einfluss der CO2-Bepreisung auf den Wärmemarkt“ vor. Dreh- und Angelpunkt ist, dass auch der von Haushalten und Kleinverbrauchern verursachte Ausstoß zunehmend unter eine CO2-Bepreisung fällt. Seit Jahren begrenzt und bepreist der europäische Emissionshandel (EU ETS) große Teile der industriellen Energiegewinnung. Um die europäischen Klimaziele zu erreichen, beschloss die EU-Kommission 2018 die Effort Sharing Regulation (ESR). Mit dieser wird die CO2-Freisetzung außerhalb des EU ETS für jeden Mitgliedstaat individuell limitiert.

Damit steht auch der Wärmemarkt vor einem massiven Umbruch. In Deutschland soll diesen das Brennstoffemissionshandelsgesetz BEHG regeln. Seit 2021 werden die Energieträger Heizöl, Erdgas, Benzin, Diesel sowie ab 2023 auch Kohle und Abfall besteuert – Tendenz steigend. Ab 2026 wird es auch für deren Verbrauch einen Zertifikatehandel geben. Als wichtig identifiziert Prof. Kai Hufendiek dabei, dass der deutsche mit dem EU Emissionshandel abgestimmt wird. Um die anvisierten Ziele zu erreichen, müssen die noch festzulegenden Preise drastisch ansteigen. Prof. Kai Hufendiek stellte mit Verweis auf die Ariadne-Berechnungen Preise von 55 Euro für 2025, 200 Euro für 2030 und 355 Euro für 2045 pro Tonne vor. Die entstehenden Belastungen, die er insgesamt zwischen 136 bis 162 Milliarden Euro bis 2045 beziffert, können durch Rückverteilungen ausgeglichen werden. Die Erweiterung der CO2-Bepreisung betrifft Wirtschaft und Haushalte in der Breite und massiv. Damit ist die seit 2021 ausstehende Festlegung von Kompensationsmechanismen kein Randthema mehr, sondern gehört auf die Tagesordnung. Die hohen Kosten werfen auch weiterhin ein Schlaglicht auf CO2-Abspaltung und Einspeicherungs-Technologien, die der Wirtschaftsrat weiter diskutieren wird.

Entlastungspaket für Gesundheitseinrichtungen soll kommen

Der Wirtschaftsrat hat stets die fehlende Berücksichtigung des lebensnotwendigen Gesundheitssektors bei den Entlastungspaketen der Bundesregierung kritisiert. Das Zusammenspiel aus vorgegebenen Preisen für medizinische Leistungen auf der Einnahmeseite und den inflationsbedingt steigenden Kosten auf der Ausgabenseite, überfordert viele Gesundheitsanbieter. Die Mitglieder der Bundesarbeitsgruppe Pflege diskutierten mit einer Vertreterin des Bundesministeriums für Gesundheit dieses essentielle Thema. Denn nicht nur die Inflation als solche, sondern auch die astronomischen Energiekosten sowie die Preise für Medikamente,

Medizintechnik, Lebensmittel und vieles mehr, stellen die Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Ohne finanzielle Entlastung der Einrichtungen droht vielen davon nicht nur die Insolvenz, sondern auch der Sicherstellungsauftrag kann dauerhaft nicht mehr gewährleistet werden. Das Bundesgesundheitsministerium hat diese Forderung aufgegriffen und arbeitet jetzt an einer gesetzlichen Lösung für einen Inflationsausgleich. l

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Impressionen Nachhaltigkeit im Gebäudesektor

Leitmotiv des ImmobilienForums war es, Ideen zu präsentieren, die dazu beitragen, Wohnen in Deutschland trotz vielfältiger Herausforderungen, wie etwa der Nachhaltigkeit, bezahlbar zu halten.

Ist mehr Nachhaltigkeit eine Chance oder eine der größten Herausforderungen für die Immobilienwirtschaft?

Um dies zu klären hatte der Wirtschaftsrat zum ImmobilienForum unter dem Motto „Nachhaltigkeit im Gebäudesektor“ eingeladen und gleichzeitig Handlungsempfehlungen für die Politik vorlegt. „Die Aufgaben in der Bau- und Wohnungspolitik sind enorm“, sagte Astrid Hamker, Präsidentin des Wirtschaftsrates. „In den ungebrochen boomenden Ballungsregionen gilt es, bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten, in den strukturschwachen Regionen, den Bestand zu sichern“. Nahezu überall müssten Wohnungen energetisch modernisiert und mit großen Investitionen an die neuen Energieeffizienzvorgaben angepasst werden, um die ausgerufenen Klimaschutzziele zu erreichen.

Und dann sei da noch die alles entscheidende Finanzierungsfrage – neben hoher Inflation und steigenden Bauzinsen – spielten weitere Einflussfaktoren eine Rolle, die Bauherren wie Bestandshalter vor zusätzliche Herausforderungen stellen. „Die Bau- und Wohnungspolitik ist zum Spielfeld der Populisten avanciert. So verhindert eine immer stärkere Regulierung ein förderliches Investitionsklima. Aber Wohnungsknappheit lässt sich nicht wegregulieren oder durch Umverteilung oder gar Vergesellschaftung beheben. Wohnungsknappheit kann einzig und allein durch den Bau von mehr Wohnungen aufgelöst werden. Deshalb braucht Deutschland eine innovative, lösungsorientierte Bau- und Wohnungspolitik, die im besten Sinne des Wortes eine nachhaltige Bau- und Wohnungspolitik ist“, betonte Astrid Hamker.

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Aufstiegsversprechen erneuern

Energiekrise und Corona-Pandemie haben tiefe Veränderungen in unserer über Jahrzehnte so erfolgreichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ausgelöst. Die Politik hat sich weit entfernt von der Sozialen Marktwirtschaft und steuert stattdessen Unternehmen wie Menschen mit übermäßiger Regulierung und großen Summen staatlichen Geldes durch die Krisen. Dabei wäre es an der Zeit den Menschen Mut zu machen und Lust auf die Zukunft. Dazu müssen wir uns wieder auf die Stärken der Sozialen Marktwirtschaft besinnen und gegenüber der jungen Generation Ludwig Erhards Versprechen „Wohlstand für alle“ erneuern.

Das millionenfach erfüllte Aufstiegsversprechen war der Schlüssel für die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft. Privates Eigentum stärkt zudem die Bürger als Souverän der Demokratie und wirkt als Kitt unserer Gesellschaft. Über lange Jahrzehnte konnten sich Handwerker oder Menschen mit Kleinbetrieben ein Eigenheim leisten. Dies verhindern heute eine überbordende Steuern- und Abgabenlast, massive Geldentwertung und zahlreiche bürokratische Hürden beim Vermögensaufbau. Hinzu kommt ein gesellschaftliches Klima, das Anstrengungen in praktischen Berufen mit Skepsis begegnet. Harte Arbeit muss sich wieder lohnen und Wertschätzung erfahren.

Gleichzeitig knüpft die Politik ein immer dichteres soziales Netz, das eher zum Müßiggang anstatt zur Anstrengung verleitet und auch zur Einwanderung in die Sozialsysteme einlädt. Die Soziale Marktwirtschaft bietet ein Auffangnetz für in Not Geratene. Aber gemeint ist hier das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Darum setzt sich der Wirtschaftsrat dafür ein, der

Sozialen Marktwirtschaft mit Ludwig Erhards Credo, „wenn Du fleißig bist und Dich anstrengst, kannst Du mit Deiner Familie einen kleinen Wohlstand schaffen“, zu einer Renaissance verhelfen.

Um das zu erreichen, muss der Staat Erwerbstätigen mehr von den Früchten ihrer Arbeit lassen – die Steuern- und Abgabenlast liegt auf einem Rekordniveau unter den Industrieländern. Gleichzeitig nehmen stetig steigende Sozialabgaben Arbeitnehmern immer mehr vom Brutto. Durch Einsparungen bei den Sozialausgaben entsteht jedoch Spielraum, die Fleißigen zu entlasten. Auch den Sprung aus Hartz IV in Beschäftigung gilt es attraktiver gestalten. Trotz der verzweifelten Suche vieler Unternehmen nach Arbeitskräften, ob qualifiziert oder nicht, sind immer noch knapp 2,5 Millionen Arbeitslose für eine Vermittlung in Beschäftigung gemeldet. Angesichts im internationalen Vergleich hoher deutscher Sozialleistungen kann eine mangelnde Motivation nicht überraschen.

Wir brauchen wieder echte Aufstiegsperspektiven in praktischen Berufen. Über Arbeitskräfteengpässe klagen viele Branchen, von der Sicherheitswirtschaft über Reinigungsdienste bis hin zur Gastronomie. Dramatisch geradezu ist der Fachkräftemangel im Handwerk. Wir brauchen hier eine bundesweite Kampagne von Bund, Ländern und Handwerksinstitutionen, um die großen Chancen in Handwerksberufen neu zu vermitteln.

Gleichzeitig gilt es, die Vermögensbildung der Deutschen gezielt voranbringen, etwa durch die Mitarbeiterbeteiligungen am Unternehmen, einer reformierten Riester-Rente sowie steuerlichen Erleichterungen, um privat Kapital mit Aktien, Zinspapieren oder Immobilien aufzubauen. l

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„Privates Eigentum wirkt als Kitt unserer Gesellschaft.“
STANDPUNKT STEIGER
Foto: Jens Schicke

Zukunftsthemen auf der Agenda

Politik pragmatisch gestalten, mit Mut den Herausforderungen begegnen, jetzt zukunftssichere Entscheidungen treffen: So lautet das Fazit des Jungen Wirtschaftstages 2022 unter dem Motto. „Starke Perspektiven für die junge Generation – nachhaltig und zukunftsfest“. Caroline Bosbach, Bundesvorsitzende des Jungen Wirtschaftsrates, begrüßte rund 80 junge Unternehmer in den Räumen des Gastgebers, dem Verband der Privaten Krankenversicherung.

Wie sehen die Perspektiven der Generation „Junger Wirtschaftsrat“ aus? Caroline Bosbach zählte die tiefgreifenden Probleme des Landes auf, von der Steuer- und Abgabenlast über die schleppende Digitalisierung bis zur Abwanderung junger Talente. Ein Bild, das die Parlamentarier Johannes Vogel MdB, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, und Gitta Connemann MdB, Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU (MIT), im Grundsatz bestätigten.

Gitta Connemann kritisierte die Energiepolitik der Ampel-Koalition: Der Beschluss, im April 2023 die verbliebenen Kernkraftwerke abzuschalten, „ist eine fatale und katastrophale Entscheidung“. „Jede Kilowattstunde muss ans Netz.“ Atomstrom aus Frankreich zu beziehen und selbst am Atomausstieg festzuhalten nannte die MITVorsitzende „verlogen.“ Das Bild, das sie vom Zustand des Landes zeichnete, leuchtete nicht in den hellsten Farben. „Umso wichtiger ist es, für den ,Schulterschluss der Leistungsträger‘ zu werben“, betonte Connemann. „Es gibt eine Mehrheit für Vernunft, Pragmatismus und Kompetenz in diesem Land.“

Johannes Vogel blickte auf die Vielzahl an Krisen, die Zeichen für einen tiefgreifenden Systemwettbewerb sind. Der biete aber auch Chancen, etwa wenn derzeit die Abhängigkeit von China kritisch diskutiert wird. Die Antwort könne nicht weniger, sondern nur mehr Globalisierung lauten und zwar mit demokratischen Staa-

ten. Vogel machte sich stark für einen neuen Anlauf für Freihandelsabkommen.

Die demografische Entwicklung, also das Ausscheiden der Babyboomer aus dem Erwerbsleben, „läuft mit der Präzision eines Uhrwerks“, konstatierte Dr. Florian Reuther, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, in seiner Keynote zum Panel „Generationengerechte Alterssicherung“. Die Pflegeversicherung bietet jetzt noch die Chance zum Umsteuern, sonst „fliegt uns das Umlageverfahren um die Ohren“, so Dr. Reuther. Ob eine private Absicherung obligatorisch sein sollte, darüber diskutierte das Panel unter der Moderation von Dr. Helge Lach, Mitglied des Vorstandes Deutsche Vermögensberatung AG intensiv.

Auch die Digitalisierung stand auf der Agenda: Wie schafft man es, den Status des digitalen Entwicklungslandes hinter sich zu lassen? Im Panel unter der Moderation von Dr. Alexander Bode, geschäftsführender Gesellschafter CONABO GmbH, wurde deutlich: Digitalisierung muss die Priorität Nummer Eins bekommen, Bedenkenträgertum und überbordende Bürokratisierung müssten schleunigst der Vergangenheit angehören. Oder wie es Dorothee Stamm, Geschäftsführerin der Medtronic GmbH, formulierte: „Einfach mal machen!“

Einen außenpolitischen Akzent setzte Armin Laschet MdB. Aufgabe der deutschen Außenpolitik sei es nicht, Regierungen zu belehren, Außenpolitik bedeute „eine Lösung zu finden.“ Auf die aktuellen Herausforderungen könne es nur eine gesamteuropäische Antwort geben. Gefragt nach dem aus der Balance geratenen deutsch-französischen Verhältnis, machte Laschet aus seiner Enttäuschung keinen Hehl: „Da wünsche ich mir wieder mehr Dynamik.“

Emilie Bourgoin, Head of Public Affairs der REWE Group, gab interessante Einblicke in das Unternehmen mit Sitz in Köln. Sie berichtete vom veränderten Einkaufsverhalten angesichts hoher Inflation und Strategien des Unternehmens auf Lieferengpässe und Rohstoffknappheit zu reagieren. l

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Rund 100 junge Unternehmer trafen sich, um in einer Zeit der Herausforderungen die zentralen Themen zu diskutieren und mit einer starken Stimme für die junge Generation zu sprechen.
Text: Ulrich Gunka
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Impressionen Wirtschaftstag der Innovationen

Mit einer prominent besetzten Agenda griff unser alljährlich stattfindendes Leuchtturmevent der Wirtschaftstag der Innovationen (WTI) die drängendsten Fragen auf und verknüpfte sie mit den Schlüsseltechnologien des Jahrzehnts. Rund um Cybersicherheit, datenbasierte Geschäftsmodelle und künstliche Intelligenzen, die digitale Verwaltung, das deutsche Start-up-Ökosystem, die Energie- und Mobilitätswende sowie die Ziele von mehr technologischer Souveränität und resilienten Lieferketten: Spitzenvertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft diskutierten in Berlin gemeinsam und direkt über die Stärkung des Digital- und Innovationsstandortes Deutschland und Europa.

Auf den WTI-Podien wurden Themen wie Cybersicherheit, Mobilitätswende, Künstliche Intelligenz und Digitale Verwaltung vertiefend erörtert. Hochkarätige Redner aus Politik und Wirtschaft erörterten digitale Schlüsseltechnologien 2030 im Hinblick auf europäische Ökosysteme im internationalen Wettbewerb.

Der Wirtschaftstag der Innovationen erfreute sich großer Resonanz. Neben rund 400 Besuchern in der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom verfolgten 2.000 Interessierte die Debatten live im Stream.

„Unsere Marktwirtschaft ist eine Erfolgsgeschichte. Deswegen müssen wir konsequent auf freie Forschung und Unternehmertum setzen. Wir brauchen Technologieoffenheit statt Silodenken.“

„Das Metaversum wird aus unserer Sicht der Nachfolger des Internets. Das Web 3.0 wird mit seiner dezentralen Struktur und seinen virtuellen Räumen komplett anders als das Web 2.0. Die Brücke zwischen der analogen und digitalen Welt wird damit kürzer, sie wachsen zusammen.“

50 TREND 4/2022 WIRTSCHAFTSRAT WTI 2022
Fotos: Jens Schicke, Hans Christan Plambeck Digitale Schlüsseltechnologien 2030 –Europäische Ökosysteme im internationalen Wettbewerb.

Innovationen 2022

„Cybersicherheit ist Demokratiesicherheit. 98 Prozent der Gefahren aus dem Cyberspace kann man zum Glück mit standardisierten Verfahren abwehren.“

Dr. Marianne Janik Vorsitzende der Geschäftsführung, Microsoft Deutschland „Informationssicherheit ist auch Chefsache, kein TechieThema. Wenn Sicherheit nicht von oben und von Anfang an mitgedacht wird, wird sie nicht funktionieren.“

Dr. Gerhard Schabhüser Vizepräsident, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)

„Die nordischen Länder sind beim Datenschutz viel pragmatischer. Ich würde mir auch in Deutschland mehr Mut und Progressivität bei datengetriebenen Anwendungen wünschen.“

Benjamin Brake

Leiter der Abteilung DP Digital- und Datenpolitik, Bundesministerium für Digitales und Verkehr „Energieeffizienz ist ein wesentlicher Faktor in der Stahlproduktion. Mit neuen Technologien wie KI können wir viel Energie einsparen. Inzwischen kommen wir aber auch an physische Grenzen. Erdgas kann nur 35 Prozent CO2 einsparen, deswegen ist der Umstieg auf Wasserstoff so wichtig.“

Dr. Franz Kainersdorfer Mitglied des Vorstands, Voestalpine

„Daten sind der Rohstoff der digitalen Revolution. Wir haben zwar Daten in Deutschland, aber leider oft nicht vernetzt nur in einzelnen Silos. Das wollen wir als FDP ändern. Staatliche Daten zum Beispiel müssen auch der Wirtschaft zur Verfügung stehen.“

Maximilian Funke-Kaiser MdB Digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

„Rechenzentren müssen energieeffizienter und sicherer werden. Zur Stärkung der Resilienz gehört auch die Satellitentechnik, wie der Angriff auf die Ukraine gezeigt hat.“

Prof. Dr. Kristina Sinemus Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung l

51 4/2022 TREND WIRTSCHAFTSRAT WTI 2022

Wohl kaum eine andere Branche war in der letzten Zeit so krisengeschüttelt wie der stationäre Einzelhandel. Während der Corona-Pandemie von der Politik zu wochenlangen Schließungen verdonnert, sind es nun die Folgen des Ukraine-Krieges, die der Branche zu schaffen machen. „Wir stehen derzeit vor Herausforderungen, wie es sie in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben hat“, stellt der Vizepräsident des Wirtschaftsrates, Dr. Karsten Wildberger, unumwunden fest.

Der 53-Jährige ist seit August 2021 CEO der Ceconomy AG, die mit dem Tochterunternehmen MediaMarktSaturn europaweit mehr als 1.000 Elek-

tronikmärkte betreibt und auch im Online-Geschäft erfolgreich tätig ist.

Als Reaktion auf die Energieknappheit hat der Handelskonzern eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen und konnte den Energiebedarf seiner Märkte bereits um 30 Prozent senken. „Außerdem haben wir die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um im Fall einer Gasmangellage die Märkte weiterhin für unsere Kunden offen halten zu können“, erklärt Wildberger. Wochenlange Schließungen wie zu Hochzeiten der Corona-Pandemie wolle man unbedingt vermeiden.

Die Bestrebungen zur Senkung des Energieverbrauchs enden nicht an der Ladentür. „Wir alle sollten möglichst effizient mit Energie umgehen, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufga-

be“, sagt Wildberger. „Nachhaltigkeit ist ein Wert. Deshalb ermutigen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unsere Kunden bei der Wahl möglichst energiesparender Geräte zu unterstützen.“ Gerade in der aktuellen Situation spiele der stationäre Handel mit seinen umfassenden Beratungsund Serviceleistungen eine wichtige Rolle. Dies gelte auch für die Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft: „Reparaturservices, beispielsweise für Smartphones, werden von unseren Kunden immer stärker nachgefragt. Das ist eine Dienstleistung, die es so im Internet nicht gibt und die wir gerne in unseren Märkten vor Ort übernehmen.“

Für Wildberger ist die Zukunft des Handels „Omnichannel“. Er setzt auf

„Die wichtigste Währung unserer Zeit heißt Geschwindigkeit“

52 TREND 4/2022 WIRTSCHAFTSRAT Engagement
Media-Saturn-Holding GmbH
Foto:
Text: Jan Strache

eine noch engere Verzahnung von Online und Offline. „Im Internet bestellt und innerhalb einer halben Stunde im Markt abgeholt – das ist eine Leistung, die der reine Online-Handel nicht bieten kann“, betont der Vizepräsident des Wirtschaftsrates.

Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass die Politik in den letzten Jahren die Bedürfnisse des stationären Einzelhandels vernachlässigt habe. Grundsätzlich müsse hierzulande die Wertschätzung für attraktive Innenstädte wiederentdeckt werden. Andere Länder wie die Niederlande seien Deutschland dabei um Längen voraus. „Das Hauptproblem ist die unglaubliche Komplexität, die wir in Deutschland an vielen Stellen haben. Es gibt Standorte, an denen wir gerne Märkte eröffnen würden, aber immer wieder an einem völlig veralteten Bauund Stadtplanungsrecht scheitern. Es herrscht inzwischen ein weitgehender Konsens, dass hier dringend gehandelt werden muss“, sagt Wildberger. Dazu zähle auch der intelligente Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs.

Diese Themen gemeinsam mit der öffentlichen Hand voranzutreiben, hat für Wildberger eine hohe Priorität – keine ganz leichte Aufgabe, wie er zugesteht: „Der Dialog zwischen Wirtschaft und Politik könnte enger und besser sein. Umso wichtiger ist die Rolle des Wirtschaftsrates, denn er verleiht der Wirtschaft eine Stimme gegenüber der Politik und steht für einen klaren ordnungspolitischen Kompass und die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft.“

Die derzeitige Wirtschaftskrise offenbare deutlich die Fehler der Vergangenheit. Deutschland und Europa hätten allzu lange das Thema Effizienz in den Fokus gestellt und dabei das

Dr. Karsten Wildberger

ist Vizepräsident des Wirtschaftsrates und seit August 2021 CEO von Ceconomy und MediaMarktSaturn. Der promovierte Physiker steuert den Handelskonzern durch schwierige Zeiten. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges – drastisch gestiegene Energiekosten, anhaltend hohe Inflation, eingetrübte Verbraucherstimmung – belasten das Geschäft. In dieser Gemengelage setzt Wildberger die Unternehmensstrategie konsequent weiter um. MediaMarktSaturn verbindet das stationäre Geschäft nahtlos mit dem Online-Geschäft, um seinen Kunden auf allen Vertriebskanälen ein attraktives Einkaufserlebnis zu bieten. Von der Politik fordert er faire Rahmenbedingungen im Wettbewerb mit dem reinen Online-Handel.

hohe Gut der Resilienz vernachlässigt. „Es ist höchste Zeit, dass wir das Heft des Handelns wieder in die eigene Hand nehmen und unsere Stärken ausspielen. Die wichtigste Währung unserer Zeit heißt Geschwindigkeit.“ Wildberger ermutigt, mehr Selbstbewusstsein zu beweisen: „Wir müssen wieder lernen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Nicht nur in der Verteidigungs- und Energiepolitik, sondern auch bei Innovation und Produktion.“ Die derzeitige weltpolitische Lage erfordere eine Abkehr von der Outsourcing-Mentalität und eine Vertiefung der heimischen Wertschöpfung.

Dieses Ziel sei jedoch nur durch eine gleichzeitige Stärkung der europäischen Zusammenarbeit zu erreichen – ein Herzensthema, das Wildberger zurzeit allerdings Sorgen bereitet: „Wir müssen Europa wieder handlungsfähig machen und bei der Lösung geopolitischer Herausforderungen eine aktive Rolle übernehmen.

Derzeit sind wir leider weit davon entfernt. Ich hoffe aber, dass die aktuelle Krise in dieser Hinsicht Kräfte freisetzen wird. Auch hier hat Geschwindigkeit höchste Priorität.“

Für ausbaufähig hält Wildberger auch die Krisenkommunikation der Ampel-Koalition: „Die Bundesregierung ist zwar gut darin, ihr Vorgehen mit „Doppel-Wumms“ und anderen Schlagwörtern zu umschreiben. Was die Pläne für Bürger und Wirtschaft konkret bedeuten, bleibt jedoch oft unklar.“ Zugleich zeigt Wildberger viel Verständnis für die Entscheidungsträger in der Politik: „Die Dinge sind nicht banal, und ich bin sicher, dass alle Beteiligten in dieser Zeit ihr Bestes geben. Ich habe allergrößten Respekt vor Menschen, die es schaffen, Themen anzupacken und zu lösen.“ Ein Selbstverständnis, dem sich der Vizepräsident des Wirtschaftsrates auch in seinem Beruf und bei der Ausübung seines Ehrenamtes verpflichtet fühlt. l

53 4/2022 TREND
Foto: Ceconomy
WIRTSCHAFTSRAT Engagement
„Wir müssen wieder lernen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Nicht nur in der Verteidigungs- und Energiepolitik, sondern auch bei Innovation und Produktion.“

Rückblick EinblickAusblick

Saarland Strategie für Mobilität und Infrastruktur

Mit der Erarbeitung einer Strategie für Mobilität und Infrastruktur will der Landesverband Saarland den heimischen Industriestandort stärken. Bei der Auftaktveranstaltung sprach der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr, Oliver Luksic MdB, über die aktuellen Vorhaben seines Ministeriums: „Zentral für die Investitionen ist eine neue Baustrategie in großen Magistralen. 50 Prozent des Verkehrs spielt sich auf der Straße ab. Allerdings fließt aktuell mehr Geld in die Schiene als in die Straße.“ Zukünftig werde die Sanierung von Brücken oberste Priorität haben. Bis 2030 sollten daher jährlich 400 statt wie bisher geplant 200 Brücken saniert werden.

Der Bevollmächtigte der Deutschen Bahn für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland, Dr. Klaus Vornhusen, hob die Bedeutung der Bahnreform hervor: „Die Dynamik im Zugverkehr nach der Corona-Krise beweist den Erfolg der Bahnreform 1994, die „Leistung auf der Schiene“ hervorgebracht hat.“ Mit dem heutigen Netz sei die Bahn jedoch nicht in der Lage, ihre gesellschaftspolitischen Aufgaben und Klimaschutzziele zu erfüllen.

Alexander Groß, Geschäftsführer Rohstoffe und Umwelt beim Verband der Bau- und Rohstoffindustrie, unterstrich die elementare Bedeutung der Rohstoffindustrie für den Bau von Infrastrukturprojekten. „Deutschland besitzt heimische Rohstoffe, doch die Frage ist, ob wir sie abbauen wollen. Die Rohstoffindustrie braucht Planungssicherheit.“ Diese Planungssicherheit müsse die Politik ermöglichen.

Die dritte Säule der Energiewende?

Der Fachsprecher Energie der führenden Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, Mark Helfrich MdB, sieht die Tiefengeothermie als schlafenden Riesen, der zügig zur dritten Säule der Energiewende in Deutschland ausgebaut werden sollte. Der Landesverband Schleswig-Holstein hatte nach Sønderburg eingeladen, wo vor gut zehn Jahren eines der drei dänischen Tiefengeothermieprojekte abgeteuft worden war. Obgleich sich nicht alle Projekte optimal entwickelt haben, hat man gelernt und plant jetzt das größte Projekt Europas mit 17 Bohrlöchern in Aarhus, der zweitgrößten Stadt des Königreiches.

Nach der Bohrlochbesichtigung lud der Unternehmer Jørgen Mads Clausen die gut 40 Teilnehmer ins Alsik Hotel zum gemeinsamen Mittagessen ein, bevor anschließend Unternehmen wie Innagri A/S, Danfoss A/S, Weatherford Denmark A/S, Rambøll, Salt Power und Halliburton ihre Projekterfahrungen präsentieren konnten. Diese sind aufgrund der geologischen Bedingungen der norddeutschen Tiefebene relevant, was durch die Fündigkeiten der aktuell laufenden Projekte in Schwerin und Hamburg-Wilhelmsburg bestätigt wird. Der Wirtschaftsrat dankt dem ehemaligen Flensburger Oberbürgermeister Simon Faber für eine großartige grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Region Syddanmark mit Schleswig-Holstein.

Im Rahmen seines Jahresempfangs lud der Landesverband Baden-Württemberg seine Mitglieder in die „Alte Kelter“ in Fellbach ein. In der historischen Fachwerkhalle begann zunächst der Kabarettist Christoph Sonntag mit seinem „Warm-up“ und zog das Publikum in seinen Bann. Nach einer Begrüßungsrede des Landesvorsitzenden Joachim Rudolf, in der er die Bundesregierung für ihre gegen die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft gerichtete Politik kritisierte, betrat der Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Dr. Markus Söder MdL, die Bühne. Im Dialog mit dem Moderator Jens Zimmermann sprach er über die aus seiner

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WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern
Foto: DACHSER SE
Jahresempfang mit Ministerpräsident Dr.
Söder
v.l.n.r. Kerstin Raclet, Landesgeschäftsführerin Wirtschaftsrat der CDU e.V., RheinlandPfalz/Saarland, Alexander Groß, Geschäftsführer Rohstoffe und Umwelt RheinlandPfalz, Hessen, Saarland bei vero - Verband der Bau- und Rohstoffindustrie e.V., Oliver Luksic MdB, Parlamentarischer Staatsekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr, Dr. Klaus Vornhusen, Konzernbevollmächtigter für Rheinland-Pfalz und Saarland der Deutschen Bahn AG, Oliver Wild, Mitglied des Landesvorstandes Saarland, Wirtschaftsrat der CDU e.V.
Baden-Württemberg
Markus
MdL
Mark Helfrich MdB, energiepolitischer Fachsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, spricht in Sønderburg Foto: Wirtschaftsrat

Sicht für die Zukunft Deutschlands und Bayerns entscheidenden Themen. „Wir müssen alles unternehmen, um einen qualifizierten Wohlstand in Deutschland zu erhalten – und das geht nur über den Mittelstand“, betonte der Ministerpräsident. Doch statt wirtschaftliche Anreize zu setzen, stehe Deutschland kurz vor einem „Bürokratieinfarkt“. Dies müsse auch das Wirtschaftsministerium wieder stärker berücksichtigen.

Insgesamt sei die Bundesregierung durch ein „sehr norddeutsches Denken“ geprägt. Dies zeige sich beispielsweise beim Ausbau der Energieinfrastruktur. Der Süden als „industrielles Leistungsherz Deutschlands“ müsse in Berlin endlich wieder geschätzt und die Südschiene zwischen Baden-Württemberg, Bayern und Hessen gestärkt werden.

Im Gegensatz zum Bund sehe der Freistaat Forschung und Entwicklung als Investitionsschwerpunkt und unterstütze dabei zahlreiche Lehrstühle, unter anderem für Künstliche Intelligenz. Ministerpräsident Söder mahnte, dass durch fehlende Investitionen der schleichende Abstieg drohe. Dennoch habe das „Businessmodell Deutschland“ nicht ausgedient.

sischen Landtagspräsidentin nachfolgte, den Anwesenden interessante Einblicke in ihre Arbeit. Dabei sprach sie unter anderem über die Herausforderung, fortan bei ihrer Arbeit überparteilich handeln zu müssen: „Dies ist nicht immer leicht, macht den Job aber sehr reizvoll und attraktiv. Für mich ist es das schönste Amt, das man innehaben kann.“ Kritik übte Astrid Wallmann an der Größe des Landesparlamentes, dem zurzeit 137 Abgeordnete angehören. „Im Landtag funktioniert es noch mit den 37 zusätzlichen Abgeordneten, aber im Bundestag sieht dies ganz anders aus.“

Sorge bereite ihr außerdem der derzeitige Zustand der Diskussionskultur: „Wir müssen lernen, wieder zuzuhören und zu reflektieren.“ Nur wenn Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zusammenarbeiten, können die aktuellen Herausforderungen gemeistert werden, zeigte sich Astrid Wallmann überzeugt. Die deutsche Wirtschaft müsse wieder mehr Eigeninitiative zeigen, gleichzeitig das Unternehmertum aber auch politisch gefördert werden.

Beim Jahresabschluss der Sektion Wiesbaden gewährt Astrid Wallmann MdL, die im Juli 2022 dem jetzigen hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein MdL im Amt der hes-

Das 27. Weimarer Wirtschaftsgespräch fand unter dem Titel „Doppelte Zeitenwende – Welche wirtschaftspolitischen Wege sollten jetzt eingeschlagen werden?“ statt. Erstmals hatten die Gäste die Gelegenheit, sich direkt an der Diskussion zu beteiligen. Dazu wurden in vier Gruppen Fragen und Statements gesammelt, zu denen anschließend der Generalsekretär der CDU Deutschlands, Mario Czaja MdB, die Präsidentin des Wirtschaftsrates, Astrid Hamker, sowie der Landesvorsitzende der CDU Thüringen und Vorsitzende der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Prof. Dr. Mario Voigt MdL, Stellung bezogen. Dabei sprach sich Mario Czaja für eine umgehende Entlastung des Mittelstandes aus und bekräftigte die Notwendigkeit der Technologieoffenheit bei der Energieerzeugung. Astrid Hamker forderte die Ampel-Koalition auf, mehr Experimentierfreudigkeit zu zeigen. Dem Fachkräftemangel könne sie beispielsweise mit Aufstiegsversprechen, einer Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung und einer dringend nötigen Anhebung des Qualitätsniveaus der Schulabgänger entgegenwirken.

v.l.n.r.

Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete die Verleihung der Wilhelm-Röpke-Medaille an den Unternehmer Martin Röder, Geschäftsführender Gesellschafter der Gelenkwellenwerk Stadtilm (GEWES) GmbH, und den früheren Oberbürgermeister der Stadt Jena, Dr. Peter Röhlinger.

55 4/2022 TREND
WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern
v.l.n.r. Daniel Sander, Jens Zimmermann, Ministerpräsident Markus Söder MdL, Joachim Rudolf, Dominik Sikler, Michele Vulcano Die hessische Landtagspräsidentin Astrid Wallmann MdL stand den Mitgliedern der Sektion Wiesbaden Rede und Antwort Foto: Wirtschaftsrat
Thüringen 27. Weimarer Wirtschaftsgespräch
Hessen Polit-Talk mit Landtagspräsidentin Astrid Wallmann MdL Mihajlo Kolakovic, Mario Czaja MdB, Astrid Hamker, Prof. Dr. Mario Voigt MdL Foto: Karsten Seifert Foto: Jens Körner

Berlin-Brandenburg

Das traditionelle Grünkohlessen des Landesverbandes Berlin-Brandenburg erfreute sich auch in diesem Jahr wieder großer Beliebtheit. 120 Unternehmer kamen trotz weiter Anreise nach Mahlow. Politischer Gast war Philipp Amthor MdB, Fachsprecher für Staatsorganisation und Staatsmodernisierung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. In seiner Rede kam er unter anderem auf den fortdauernden Ukrainekrieg, die außergewöhnlich hohe Inflation, die Vorboten einer Rezession, Kaufkraftverluste und Sorgen um Arbeitsplätze sowie die allgemein schwierige aktuelle Situation zu sprechen. Kritik äußerte er an der Ampelkoalition, die sich zu viel Zeit für dringend benötigte Entscheidungen lasse und sich als in sich zerstritten präsentiere. Man dürfe allerdings nicht nur den Blick auf den politischen Gegner richten, sondern auch ganz selbstkritisch die Gründe für die Niederlage bei der letzten Bundestagswahl aufarbeiten. Hierzu bedürfe es einer inhaltlichen und personellen Neuaufstellung unter Friedrich Merz.

Energiekrise, Bürgergeld, Bildungspolitik: Das Themenfeld, das Ministerpräsident Hendrik Wüst MdL beim Wirtschaftsrat Nordrhein-Westfalen in den Blick nahm, war weit gefasst. Die vielen interessierten Gäste erlebten einen Ministerpräsidenten, der in den Zeiten der Krise auf Pragmatismus setzt und diesen auch in der NRW-Landesregierung verankert sieht, beispielsweise bei der Energieversorgung. Der Ministerpräsident wies auf den Kohlekompromiss zwischen Landes- und Bundesregierung sowie dem Unternehmen RWE hin: „Wir brauchen die Kohle aktuell für die Versorgungssicherheit.“ Während die Ampelkoalition in Berlin von inneren Konflikten geprägt sei, sei die Landesregierung in Düsseldorf „stabil, weil wir an der Stabilität arbeiten.“

Wüst unterstrich die Position der Union beim Bürgergeld und lobte die erfolgreiche Durchsetzung der Unionslinie. Dafür gab es spontanen Applaus der Zuhörer. „Die Vertrauenszeit ist vom Tisch, die Bezieher müssen vom ersten Tag an kooperieren, das ist gut so“, stellte der Ministerpräsident fest. Zugleich kritisierte er den Umgang, den die Union mit ihren Vorschlägen zunächst erleben musste: „Da wurde der Knüppel ausgepackt.“ Die stärkste Oppositionsfraktion im Bundestag repräsentiere die bürgerliche Mitte und eine sachliche Diskussion sei dringend erforderlich. l

Impressum

Herausgeber: Astrid Hamker, Präsidentin, für den Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Redaktion: Klaus-Hubert Fugger, Chefredakteur / Katja Sandscheper, Redakteurin

Wissenschaftliche Beratung: Simon Steinbrück

Gemeinsame Postanschrift: Redaktion Trend Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-300/301, Telefax 0 30 / 2 40 87-305 Internet: www.trend-zeitschrift.de E-Mail: pressestelle@wirtschaftsrat.de

Projektleitung: Information für die Wirtschaft GmbH

Geschäftsführer: Iris Hund

Klaus-Hubert Fugger (v.i.S.d.P.) Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon 0 30 / 2 40 87-401, Telefax 0 30 / 2 40 87-405

Bankverbindung:

Deutsche Bank AG/Bonn, 3105590 (BLZ 380 700 59) IBAN: DE84 3807 0059 0310 5590 00, BIC: DEUTDEDK380

Verlag: Information für die Wirtschaft GmbH

Anzeigenkontakt: Katja Sandscheper, Telefon 0 30 / 2 40 87-301

Gesamtherstellung: Meinders & Elstermann GmbH & Co. KG Weberstraße 7, 49191 Belm Telefon 0 54 06 / 8 08-0

Erscheinungsweise: quartalsweise Anzeigenpreise: Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 17 Bestellungen: Beim Verlag

Bezugsbedingungen: Einzelpreis 7,50 Euro (einschl. MwSt.) Jahresabonnement 25,– Euro (einschl. MwSt.), zzgl. Versandkosten. Abonnements (vier Ausgaben) werden für ein Jahr berechnet. Kündigungen müssen sechs Wochen vor Ablauf des Abonnements schriftlich vorliegen, andernfalls verlängert es sich für ein weiteres Jahr.

56 TREND 4/2022
WIRTSCHAFTSRAT Aus den Ländern
Ministerpräsident Hendrik Wüst MdL Foto: Ulrich Gunka Nordrhein-Westfalen Austausch mit Ministerpräsident Hendrik Wüst MdL Philipp Amthor MdB bei seiner Rede vor den Mitgliedern des Landesverbandes Berlin-Brandenburg in Mahlow Foto: Wirtschaftsrat Philipp Amthor MdB zu Gast beim traditionellen Grünkohlessen

Im Handelsblatt am 15.09.2022

ImSpiegel der Presse ImSpiegel der Presse

„Der Bundesjustizminister muss unverzüglich handeln und die lange überfällige Online-Registerauskunft datenschutzkonform aufstellen. Ansonsten müssten bis zur Nachbesserung vorübergehend Zugangsbeschränkungen eingeführt werden“, sagte der Generalsekretär des Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger.

Die Rheinische Post schrieb am 01.10.2022

Der Wirtschaftsrat fordert von der Bundesregierung, bereits im Zuge der beschlossenen Verstaatlichung des Energiekonzerns Uniper einen Plan für den späteren Ausstieg vorzulegen. „Aktuell ist die weitgehende Übernahme des Unternehmens wohl der beste Weg, um einen Zusammenbruch dieses systemkritischen Energiemarktes zu verhindern. Der Staat muss aber – analog dem Einstieg bei der Lufthansa – von Anfang an ein ExitSzenario mitplanen“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger.

In der WELT am 06.10.2022

„Die Bundesregierung doktert nur an den Symptomen herum. Sie muss aber zur Kenntnis nehmen, dass wir zum einen eine Angebotsknappheit durch gestörte Lieferketten und explodierende Energiepreise haben und zum anderen eine getriebene Inflation durch die Flutung der Märkte durch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank“, betonte die Präsidentin des Wirtschaftsrates, Astrid Hamker.

Die Nachrichtenagentur REUTERS am 11.10.2022

Der Wirtschaftsrat kritisiert die Pläne der EU-Kommission für ein defizitfinanziertes EU-Konjunkturprogramm. „Im aktuellen inflationären Umfeld ist es unverantwortlich, neue kreditfinanzierte Programme zu fordern“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger. Regierungskreise dementierten einen Medien-Bericht, dass Kanzler Olaf Scholz neue gemeinsame EU-Kredite unterstützen könnte.

Die Augsburger Allgemeine am

17.10.2022

Für ein Industriestrompreis-Konzept werden übergangsweise Kohlekraftwerke und Kernkraftwerke, die bereits aus dem Markt ausgeschieden sind oder ausscheiden sollen, außerhalb des Strommarktes speziell für die Industrie betrieben und ein staatlich überwachter kostenorientierter Strompreis festgelegt“, schlug Generalsekretär Wolfgang Steiger vor.

Die Fuldaer Zeitung zitierte am 03.11.2022

Generalsekretär Wolfgang Steiger kritisiert das von der EU beschlossene Ende der Verbrennertechnologie ab 2035 und warnt vor Deindustrialisierung, Arbeitsplatzverlusten und neuen Abhängigkeiten: „Mit dem beschlossenen Ende des Verbrenners auf Europas Straßen schreiben wir über einhundert Jahre Forschung und Entwicklung ab. So wirkt sich das beschlossene Verbot von Neuzulassungen aus.“

In der Bild am 08.11.2022

Der Wirtschaftsrat hält den Vorstoß von ARD-Chef Tom Buhrow für eine Fusion von ARD und ZDF nicht für ausreichend. Nötig sei außerdem eine „Optimierung der Personalstrukturen“ und eine „spürbare Vergünstigung“ der Rundfunkgebühren, mahnte Generalsekretär Wolfgang Steiger.

Das Handelsblatt schrieb am 14.11.2022

Der vom Bundestag verabschiedete Bürgergeld-Gesetzentwurf der Ampelparteien ist ein klarer Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip, nachdem die Solidargemeinschaft nur herangezogen wird, wenn der Einzelne sich nicht selbst helfen kann, sagte Wolfgang Steiger. Der Wirtschaftsrat forderte die Unions-Länder auf, im Vermittlungsausschuss hart zu bleiben.

In der Neuen Osnabrücker Zeitung am 18.11.2022 Erzeuger von Wind- und Solarenergie verdienen gerade sehr viel, weil die Strompreise explodiert sind, die Produktionskosten aber nicht. Die Regierung will diese „Zufallsgewinne“ abschöpfen. Doch der Wirtschaftsrat warnt die Ampelkoalition vor einem Abwürgen der Energiewende. Die Pläne der Bundesregierung für einen „steuer- und verfassungsrechtlich höchst zweifelhaften Ansatz“ könnten zu „beträchtlichen Kollateralschäden in der Energiewirtschaft“ führen, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger.

4/2022 TREND
Fotolia.com ©mitrija Foto: Fotolia.com ©IvicaNS WIRTSCHAFTSRAT Forum ©Klaus Suttmann 57
Foto:

49

Für Nutzer mag das 49-Euro-Ticket eine erfreuliche Nachricht sein, für das Gesamtsystem öffentlicher Nahverkehr es eine fatale Entscheidung. Die dringend erforderliche Neugestaltung der Strukturen wurde nicht angefasst. Das schwächt die Betriebe weiter und macht sie noch abhängiger von Zuweisungen des Staates. Jetzt wird der Ruf nach der vollen Kostenübernahme durch den Staat laut.

Quelle: Tagesschau

1.820.000

Die Zahl der offenen Stellen auf dem deutschen Arbeitsmarkt liegt nach wie vor auf hohem Niveau. Im dritten Quartal standen bundesweit 1,82 Millionen offene Stellen 2,44 Millionen Arbeitslosen gegenüber. Quelle: Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

2.000.000.000.000

Auf zwei Billionen Euro steuert mittelfristig nach der jüngsten Verabschiedung des Haushalts die Schuld des Bundes zu. Mit 45,61 Milliarden neuen Schulden bewegt sich die Aufnahme im Rahmen des Grundgesetzes, aber das sind nicht einmal zehn Prozent der tatsächlichen Lasten, die in Sondervermögen ausgelagert werden. Der Staat gibt zu viel Geld aus. Allein das Bürgergeld kostet fünf Milliarden Euro zusätzlich.

Quelle: Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

887,7

Trotz Energiekrise und Konjunkturflaute kann der Staat mit 887,7 Milliarden Euro Mehreinnahmen rechnen. Steuerexperten erwarten für 2023 8,9 Milliarden Euro mehr oder insgesamt Rekordeinnahmen von 937,3 Milliarden Euro. Bis 2026 nehmen Bund, Länder und Kommunen rund 126,4 Milliarden Euro mehr ein als noch im Mai erwartet.

Quelle: Tagesschau

ZahlenQuartalsdes

Böser, böser Kapitalist

10,4

Die Inflationsrate in Deutschland kletterte im Oktober erstmals auf mehr als zehn Prozent und markierte damit den höchsten Wert seit 1951. Hauptursache ist nach wie vor die Energiekrise.

Quelle: destatis

100

2023 springen die Sozialversicherungsbeiträge erstmals wieder über die 40Prozent-Marke. Die Demografie belastet die Sozialkassen und die Kosten für Arbeit steigen. Ein Teil der Lösung muss lauten: Wir müssen länger arbeiten. Dazu zählen die Dynamisierung des Renteneintrittsalters und eine höhere Jahresarbeitszeit. 100 Stunden mehr pro Jahr pro Erwerbstätigem würden bis 2030 rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden ersetzen, die durch Überalterung verloren gehen.

Quelle: IW Köln

70

Die wirtschaftliche Lage der deutschen Krankenhäuser ist so schlecht wie lange nicht: Rund 70 Prozent der Kliniken erwarten in diesem Jahr einen Verlust, 96 Prozent gehen von einer Verschlechterung in den nächsten fünf Jahren aus. Eine solch negative Einschätzung der Lage gab es seit Beginn der Befragung 2014 nicht.

Quelle: Roland Berger

Twitter hat als Social-Media-Plattform jahrelang Defizite auflaufen lassen. Im Gegensatz zu anderen Mitbewerbern flog bisher das Geschäftsmodell nicht. Gleichzeitig war und ist es als Medium für Meinungsmacher eben durch diese ständig in aller Munde – häufig sicherlich als Dreckschleuder von Extremen missbraucht. Gesunde Positionen aus der Mitte haben es seit Gründung schwer, was freilich kaum jemanden erregt. Typische plumpe, antikapitalistische Reflexe löste jetzt dagegen die Übernahme durch Tesla-Milliardär Elon Musk aus. Sogar Saskia Esken kündigte ihren Account. Für Twitter kann Elon Musk der große Wurf werden. Wer politische Einflussnahme oder gar „Zensur“ fürchtet, dessen Sorge wird sich wahrscheinlich weniger erfüllen. Selbst Elon Musk kann durch sein Investment mehr verlieren, als er gewinnen kann – nämlich sein Sieger-Image. Denn im Gegensatz zu den weitgehend unbekannten Gründern und entlassenen Führungsleuten steht er viel stärker im Fokus. Ihm dürften dabei andere Medien weniger gefährlich werden als viele Analysten, für die sein Image auch den Tesla-Kurs entscheidend mitbestimmt.

58 TREND
Ihr Spindoktor WIRTSCHAFTSRAT Forum
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Familienunternehmen sind einzigartig. Und so beraten wir sie auch.

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Wenn Alt und Jung zusammenhalten, haben alle eine sichere Zukunft. Das gilt besonders für die Pflege. Damit sie bezahlbar bleibt, muss sich dringend etwas ändern. Unser Vorschlag: die Älteren solidarisch unterstützen und den Jüngeren die Spielräume für private Vorsorge schaffen. www.pkv.de/generationenvertrag

Der neue Generationenvertrag für die Pflege. Endlich: die Jugendbewegung für jedes Alter.

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Im Spiegel der Presse

2min
page 57

Rückblick | Einblick | Ausblick

5min
pages 54-55

Die wichtigste Währung unserer Zeit heißt Geschwindigkeit“ Dr. Karsten Wildberger

4min
pages 52-53

Junger Wirtschaftstag

3min
pages 48-49

Impressum

2min
page 56

Impressionen

2min
pages 50-51

Impressionen

1min
page 46

Aufstiegsversprechen erneuern

2min
page 47

Neues aus den Kommissionen

6min
pages 44-45

Reden wir über die Zukunft  Dr. Reinhard Ploss

1min
page 38

Bedrohungslage fordert den Mittelstand heraus  Derk Fischer

4min
pages 40-41

Warum nachhaltiges Handeln alternativlos ist  Christoph Pohl

3min
pages 42-43

Dezentrale Struktur zentrales Element  Tino Krause

1min
page 34

Deutschland muss ein Einsteiger-Land werden  Friedrich Merz MdB

1min
page 33

Europa muss Innovationsführer werden  Mariya Gabriel

1min
page 32

Deutschland übertreibt die Sicherheit  Dr. Markus Leyck Dieken

2min
page 31

Zeit zu handeln  Kai Hankeln

1min
page 30

Ein Digitalministerium wäre ein Aufbruchssignal gewesen“  Prof. Kristina Sinemus

4min
pages 10-11

Mehr Freiheit wagen  Prof. Dr. Hendrik Streeck

2min
page 29

Mehr Freiheit gefordert  Klara Geywitz und Lars von Lackum in der Diskussion

3min
pages 26-27

Deutschland verspielt alle Standortstärken  Dr. Dorothea Siems

4min
pages 6-7

Green-Washing hilft dem Klima nicht  Prof. Dr. Harald Schwartz

8min
pages 20-23

Freiheit ist ein Wettbewerbsvorteil  Bettina Stark-Watzinger MdB

4min
pages 8-9

Investitionsturbo für erneuerbare Energien statt staatlicher Gängelung  Stephan Frense und Björn Spiegel

3min
pages 24-25

2023 wird ein Reformjahr  Dr. Thomas Steffen

1min
page 28
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