ERKER 09 2016

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UMWELT

PFITSCH

DIE „WIENER NEUSTADT“ STÜRZT EIN Auf einer orographisch rechts des Gliederbaches gelegenen lawinensicheren lichten Waldkuppe liegt unweit des Eingangs zur geologisch überaus interessanten Schlucht des Gliedergangs – das Mineraliensammeln ist dort seit Jahren verboten – eine für das Wipptal einzigartige schmucke Ansammlung von alten Heustadeln. Inmitten des Landschaftsschutzgebietes des Unterberg- und Oberbergtales, einer bis heute intakt erhalten gebliebenen Natur- und Kulturlandschaft, droht ihnen nun der Verfall. Von der dritten Kehre der Pfitscherjochstraße aus ist die „Wiener Neustadt“, wie das Stadeldorf

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in Anlehnung an die in den Jahren 1880 und 1881 vom Österreichischen Touristenclub erbaute Wiener-Hütte – sie wurde am 15. August 1881 feierlich eröffnet – auch bezeichnet wird, in rund 20 Minuten erreichbar. Von Einheimischen wird es von alters her auch das „Negerdorf“ genannt. Einstmals wurde in den elf in massiver Blockbauweise errichteten und mit Schindeln gedeckten Heustadeln das saftige Heu der umliegenden Bergmähder zusammengetragen, um es im Winter mit Schlitten ins Tal zu hornen bzw. talwärts zu buckeln. Berghirten dienten die Heuschupfen auch als Unterschlupf. Später nutzten die ersten Alpinisten auf ihrem Weg zum Dach der Zillertaler Alpen, dem 3.509 m hohen Hoch-

feiler, die an der Waldgrenze auf gut 1.800 m gelegenen Heustadel als willkommene Übernachtungsmöglichkeit. Von Sterzing mit dem Fahrrad kommend, verbrachten sie in den Unterberghütten am Fuße des Hochfernermassivs an der Abzweigung des Fußsteiges ins Unterbergtal auf Heu gebettet die Nacht, um für den schweißtreibenden frühmorgendlichen Aufstieg gerastet zu sein. Seit die steilen Bergwiesen nicht mehr gemäht werden, sind viele Heustadel und Heuhütten in unseren Bergen dem schleichenden Verfall preisgegeben, so auch der einzigartige „Heuschupfenweiler“ der Unterberghütten. Die „Stadelen“ stürzen in sich zusammen. Damit gehen diese eindrucksvollen Zeugen einer jahr-

hundertealten bergbäuerlichen Hochland-Bewirtschaftung unwiederbringlich verloren. Die „einzigartige Heuschupfenlandschaft“ im Talschluss von Pfitsch, wie sie Konrad Stockner vom Amt für Landschaftsökologie nennt, verschwindet als Kulturgut für immer. Im Tourismusentwicklungskonzept der Gemeinde Pfitsch aus dem Jahr 2014 wird angedacht, im Bereich der „Wiener Neustadt“ eine Einkehrmöglichkeit zu schaffen. Im Gegensatz zu vielen anderen Wipptaler Seitentälern gibt es heute in Pfitsch nämlich keine einzige bewirtschaftete Alm, die einen Ausschank anbietet. Vielleicht wäre dies eine Möglichkeit, das Ensemble vor dem endgültigen Verfall zu retten. lg


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