Level Playing Field im internationalen Wettbewerb – Handlungsfähigkeit der EU erhöhen
▪
Die Verfügbarkeit von Informationen ist zur Gestaltung und Inbetriebnahme eines reaktiven Anti-Coercion Instrumentes zentral. Hier ist Anonymität notwendige Voraussetzung, damit Wirtschaftsbeteiligte sensible Informationen teilen. Vor diesem Hintergrund sollte überlegt werden, wie diese Vertraulichkeit rechtssicher gestaltet werden kann. Eine Trennung von den Anforderungen der Blockadeverordnung ist in diesem Zusammenhang sicherlich eine der hinreichenden Bedingungen. Es stellt sich daher die Frage, ob eine zentrale europäische Stelle – ein EU Resilience Office – Informationen zur Betroffenheit von extraterritorialen Sanktionen sammeln und Daten zum Schutz der Wirtschaftsbeteiligten für europäische Maßnahmen aufbereiten sollte?
Maßnahmen zum Schutz vor extraterritorialen Wirtschaftszwängen und zur Durchsetzung geoökonomischer Interessen sind größtenteils Neuland für Europa. Binnenmarkt und Außenhandel florieren auf der Grundlage von Offenheit und Handel. Ordnungspolitische Selbstdisziplin ist einer der Grundpfeiler für unseren gesellschaftlichen Wohlstand und sollte nicht dem Trend geopolitischer Auseinandersetzungen geopfert werden. Umso wichtiger ist es, dass die EU eine sinnvolle Balance aus Anreiz, Hebel, Abschreckung und Unternehmensschutz für eine strategische Interdependenz Europas mit der Welt findet.
EU-Durchsetzungsverordnung (Enforcement Regulation) Die EU-Durchsetzungsverordnung (Enforcement Regulation) besteht in ihrer bisherigen Form seit Mai 2014. Diese erlaubt es der Europäischen Union unter bestimmten Bedingungen, in internationalen Handelsabkommen gemachte Zugeständnisse zurückzuziehen oder auszusetzen oder auch neue Restriktionen (beispielsweise Zölle oder Quoten) einzuführen, um die Handelsinteressen der Union zu schützen. Voraussetzung für solche Maßnahmen war ursprünglich unter anderem ein abgeschlossenes WTO-Streitschlichtungsverfahren: Ohne eine finale WTO-Entscheidung durften keine Maßnahmen ergriffen werden.12 Status quo Aufgrund der Blockade des WTO-Berufungsgremiums13 hat die Europäische Kommission am 12. Dezember 2019 eine Änderung der EU-Durchsetzungsverordnung vorgelegt, die den EU-Rechtsrahmen dafür schaffen soll, EU-Rechte unter dem WTO-Übereinkommen auch dann durchzusetzen, wenn der Interim-Revisionsmechanismus14 (Multi-party interim appeal arbitration arrangement, MPIA) nicht zur Verfügung steht und die blockierte Revisionsinstanz den Abschluss der WTO-Streitschlichtung verhindert. So soll vermieden werden, dass Handelspartner der EU die Lähmung des Berufungsgremiums nutzen, um das internationale, regelbasierte Handelssystem zu unterlaufen. Darüber hinaus sollen
12
European Parliamentary Research Service, Review of EU Enforcement Regulation for Trade Disputes, 20. Juli 2020, <https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2020/652021/EPRS_BRI(2020)652021_EN.pdf>. 13 Seit dem 11. Dezember 2019 ist die Berufungsinstanz des Streitschlichtungsmechanismus der Welthandelsorganisation (Appellate Body, AB) nicht mehr handlungsfähig, da die USA die notwendige Nachbesetzung von AB-Mitgliedern verhindern. WTOStreitschlichtungsfälle können damit nicht abschließend zu Ende geführt werden. Auch mit der Wahl Joe Bidens zum neuen USPräsidenten ist nicht abzusehen, ob und wann die USA diese Blockade aufgeben werden. 14 Der MPIA ist ein auf WTO-Recht basierendes, unabhängiges, zweistufiges System zur Streitbeilegung, das im Zuge der Blockade des WTO-Berufungsgremiums geschaffen wurde. Neben der EU sind mehr als 20 weitere WTO-Mitglieder beigetreten. Der MPIA soll so lange zur Verfügung stehen, bis das WTO-Berufungsgremium wieder funktionsfähig ist. 15