Offene Strategische Autonomie – der Kontext Seit dem Frühjahr 2020 wird in Europa intensiv über das Konzept einer „offenen strategischen Autonomie (Open Strategic Autonomy)“ der Europäischen Union diskutiert; oft im Zusammenhang mit dem globalen Systemwettbewerb zwischen offenen Marktwirtschaften und staatsgetriebenen Modellen. Weitere Themen sind in diesem Zusammenhang die Krise der Welthandelsorganisation (WTO), die vermehrte Nutzung von unilateralen Maßnahmen, zum Beispiel durch die Vereinigten Staaten, sowie die zunehmende Rückkehr zu wirtschaftlichem Nationalismus. Die Folgen der Coronapandemie nehmen ebenfalls eine besondere Rolle in der Debatte ein. Im Fokus dieser Debatten steht der Wettbewerb auf Augenhöhe, das sogenannte Level Playing Field, für europäische Wirtschaftsbeteiligte. Um die Implementierung und Durchsetzung der Handelsregeln der EU gegenüber Handelspartnern sicherzustellen, welche den Wettbewerb auf Augenhöhe garantieren sollen, wurde das Amt des Chief Trade Enforcement Officer (CTEO) geschaffen. Der CTEO ist gleichzeitig stellvertretender Generaldirektor der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission. Zu den Aufgaben des CTEO gehören unter anderem die Stärkung der Umsetzung der multilateralen, regionalen und bilateralen Handelsabkommen der EU, die Überwachung der handelspolitischen Schutzmaßnahmen der EU sowie die Koordinierung von Streitbeilegungsverfahren zwischen der EU und Drittstaaten (unter Regeln der WTO und europäischen Handelsabkommen). Das Amt hat seit Sommer 2020 Denis Redonnet inne.1 Die tatsächliche Wirksamkeit dieses Amtes muss sich jedoch erst zeigen. Die EU-Handelspolitik soll demnach künftig im Zeichen der europäischen offenen strategischen Autonomie stehen. So verdeutlichte der im Oktober 2020 benannte europäische Handelskommissar, der auch Vizepräsident der Europäischen Kommission ist, Valdis Dombrovskis, dass dies das Leitprinzip sei und zeige, dass die EU ihre globalen Führungsambitionen in einer Reihe von Bereichen stärken und Bündnisse und strategische Partnerschaften aufbauen wolle. Laut Kommissar Dombrovskis bedeute das Konzept der offenen strategischen Autonomie, das europäische „Bekenntnis zu freiem und fairem Handel zu bekräftigen und einen härteren, durchsetzungsstärkeren Ansatz zum Schutz unserer Unternehmen und Verbraucher zu verfolgen, insbesondere durch stärkere Schutzmaßnahmen und Durchsetzung“.2 Auch in dem im November 2020 veröffentlichten strategische Plan der Generaldirektion Handel (DG Trade) für die Jahre 2020 bis 2024 nimmt das Konzept der offenen strategischen Autonomie eine zentrale Rolle ein.3 In der im Februar 2021 abgeschlossenen Überprüfung der EU-Handelspolitik (Trade Policy Review) definiert die Europäische Kommission den Ansatz der offenen strategischen Autonomie als „die Fähigkeit der EU, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und die Welt um sie herum durch Führungsstärke und Engagement zu gestalten, wobei ihre strategischen Interessen und Werte zum Ausdruck kommen“. Die internationale Zusammenarbeit soll weiterhin das bevorzugte Mittel darstellen. Hierfür ist die Offenheit der Europäischen Union zentral, denn sie „bringt Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit
1
Europäische Kommission, Chief Trade Enforcement Officer, <https://ec.europa.eu/trade/trade-policy-and-you/contacts/chieftrade-enforcement-officer/> (eingesehen am 27.11.2020). 2 Europäische Kommission, European Parliament: Speech by EVP Dombrovskis at Trade Policy Day “A Renewed Trade Policy after the Covid-19 Pandemic”, 12. Oktober 2020, <https://ec.europa.eu/commission/commissioners/2019-2024/dombrovskis/announcements/european-parliament-speech-evp-dombrovskis-trade-policy-day-renewed-trade-policy-after-covid-19_en>. 3 Europäische Kommission, Strategic Plan 2020-2024, Directorate-General for Trade, <https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2020/november/tradoc_159104.pdf> (eingesehen am 30.11.2020).
1