BIORAMA 66

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KOSTENLOS — ABER ABONNIERBAR

ausgabe 66 — April 2020 / Mai 2020. www.biorama.eu

P.b.b. — 11Z038861 M — 1040 Wien

.66

NICHT NUR SCHÖN BUNT: biodiversität

Wenn Arten weiterhin im derzeitigen Tempo sterben, sind wir bald eine davon. Aussterben: Wann ist es so weit? Vorsorgen: So egoistisch kann Vogelschutz sein. Philosophieren: Der Sinn des Lebens im Elternalltag.

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allen Bäuerinnen und Bauern. Ihr versorgt Österreich! Die österreichischen Bäuerinnen und Bauern sorgen 365 Tage im Jahr dafür, dass unsere Tische gedeckt sind. Auch in Krisenzeiten gewährleisten sie die Versorgungssicherheit mit hochwertigen Lebensmitteln. Das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) bietet auf seiner Webseite weitere Informationen dazu. Näheres unter: www.bmlrt.gv.at

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Bio r a m a 66

E d i t o r i al, Im p r e ssu m

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Die Krone der Nahrungskette

C

bd-cop 15 – klingt ernst, ist es auch. Die 1993 in Kraft getretene Biodiversitätskonvention (cbd) ist ein internationales Abkommen. Deren Vertragsstaaten haben der uno 2010 empfohlen, eine Dekade der Biodiversität auszurufen, die Mitgliedsstaaten der uno sind diesem Aufruf gefolgt. Dieses Jahr wollen die Vertragsstaaten sich zum 15. Mal versammeln, um zu evaluieren, was in den vergangenen zehn Jahren erreicht werden konnte. Wie bedrohlich sind Biodiversitätsverlust und das Artensterben?

Co vermo ntage Ist ock.com/Vize rskaya/Pa ss ako rn_14/Pe tlinDmitry /Globa lP/sca nra il/subin pumsom/Kenneth Canning/Dopeyden/Thomas Demarcz yk/Sonsedska

Um der internationalen Gemeinschaft bestmöglich fundierte wissenschaftliche Daten zur Verfügung zu stellen, wurde 2012 – analog zum Weltklimarat – ein Weltbiodiversitätsrat (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services – ipbes) gegründet. Er zeichnet in seinem letzten Global Assessment Report 2019 ein sehr düsteres Bild für die Artenvielfalt. Klima- und damit Artenschutzziele der meisten Staaten werden voraussichtlich nicht in deren angestrebten Zeiträumen erreicht werden. Lösungsvorschläge liegen bereit. Artenschutz­zonen, Wiederansiedlungsprojekte sowie Klimaschutzmaßnahmen zeigen Erfolge, aber an jenen Verhaltensweisen, die diese Anstrengungen konterkarieren, hat sich zu wenig geändert. Das Artensterben ist heute Dutzende bis Hunderte Male größer als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre. Unser (menschliches) Verhalten ist für die biologische Vielfalt von heute das, was der Asteroid einst für die Dinosaurier war. Wir sind die höhere Gewalt, eine geologische Kraft, sind das Ende der Nahrungskette und vernichten deren Anfang. So wird das nichts. Zusammenarbeit, eine gemeinsame Informationsbasis, klare Aussagen und Bilder braucht es, damit gesellschaftliche Probleme greifbar werden – und Lösungsansätze. Immer und immer wieder. Auch wir haben versucht, das möglichst vielfältig exemplarisch zu liefern. Wir sind kein Asteroid, unser Verhalten ist änderbar. Noch einmal gelaufen! Die nächste Dekade hat gerade begonnen. Wir wünschen gute Lektüre!

Irina Zelewitz, Chefredakteurin zelewitz@biorama.eu

Thomas Weber, Herausgeber weber@biorama.eu @th_weber

impressum HERAUSGEBER Thomas Weber CHEFREDAKTEURIN Irina Zelewitz AUTORINNEN Ursel Nendzig, Susanne Salzgeber, Jürgen Schmücking, Anika Suck, Yasmin Vihaus, Nikolaus Zelewitz GESTALTUNG Michael Mickl, Selina Alge Lektorat Mattias Feldner COVER­MONTAGE Michael Mickl ANZEIGENVERKAUF Herwig Bauer, Micky Klemsch (Leitung), Bernadette Schmatzer, Thomas Weber, Norbert Windpassinger DRUCK Walstead NP Druck GmbH, Gutenbergstraße 12, 3100 St. Pölten PRODUKTION & MEDIENINHABERIN Biorama GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien GESCHÄFTSFÜHRUNG Martin Mühl KONTAKT Biorama GmbH, Wohllebengasse 16 / 6, 1040 Wien; www.biorama.eu, redaktion@biorama.eu BANKVERBINDUNG Biorama GmbH, Bank Austria, IBAN AT44 12000 10005177968, BIC BKAUATWW ABONNEMENT siehe Website: www.biorama.eu ERSCHEINUNGSWEISE 6 Ausgaben pro Jahr ERSCHEINUNGSORT Wien. BLATTLINIE biorama ist ein unabhängiges, kritisches Magazin, das sich einem nachhaltigen Lebensstil verschreibt. Die Reportagen, Interviews, Essays und Kolumnen sind in Deutschland, Österreich und der ganzen Welt angesiedelt. Sie zeigen Möglichkeiten für ein Leben mit Qualität für den Menschen und den Planeten Erde. Ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. biorama erscheint sechs Mal im Jahr.


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Au f tak t

66 Inhalt 03 Editorial 07 Bild der Ausgabe 09 Street Talk 13

Wir sind der Asteroid Das sechste große Artensterben

21 »Biopatente sind nicht böse« Wann können Tiere und Pflanzen patentiert werden? 25 Störenfried und Stadtflaneur Der Waschbär fühlt sich in Europa wie zu Hause. 30 »Niemand fragt, ob wir

Schmet­terlinge brauchen« lbv-Präsident Norbert Schäffer

im Interview zum Vogelschutz 33 »Streng geschützt« Jäger, Hirte und Wolfsschutzaktivist David Gerke über die Schweizer Volksabstimmung zum Jagdgesetz 42 Das dunkle Volk Eine fast vergessene Bienenrasse 44 Stielfragen Rhabarber in Garten und Küche 47 Schmetterlinge im Bauch Terroir verpflichtet. 49 »Viele sagen,

wir machen zu viel« Artischockenernte auf dem Biolandgut La Selva

55 Aus dem biorama-Universum

25 Störenfried und Stadtflaneur

Der ursprünglich nordamerikanische Waschbär wurde in Europa gezielt ausgesetzt und geht nun bedrohten Arten an den Kragen.

60 Mehrweg zu Mittag Ein Start-up digitalisiert Take-away-Gebinde. 62 Surreale Darstellung Ein (digitaler) Auststellungstipp

Marktplatz 52 Marktplatz Kosmetik Was ist Verveine? 64 Marktplatz Food Biocola oder das Malz des Lebens

Kolumnen 66 Elternalltag

Bilder Istock.co m/Sas a Komle n,A lve sgas par/Eige ne s We rk, CC BY-SA 3 .0 , Søren Staun Pete rse n, Samaritans, Noise Abatement Society & Spire Healthcare, Istock.com/artisteer

16 Achtung vor Biodiversität Megadiverses Amazonasbecken


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44 Stielfragen

Rhabarber süß und salzig.

62 Surreale Darstellung Die Kunst fantastischer Frauen.

DAs Dunkle Volk

Noch Mitte des 20. Jahrhunderts machten Dunkle Bienen die Hälfte der Honig­bienen aus. Heute sind sie vom Aussterben bedroht.

64 Biocola …

. . . oder das Malz des Lebens.


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Bi l d d e r Au sga be

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Bedrohungs-Art

Bild: jjsmooth44

»Population by Pixel« – eine Kampagne des wwf Japan – hat 2008 erstmals den Bestand bedrohter Tierarten durch Bilder von diesen visualisiert, die aus so vielen Pixeln bestehen, wie derzeit Exemplare einer Art existieren. 2019 hat der Programmierer Joshua Smith unter dem Imgur-Usernamen JJSmooth44 einen entsprechenden Code geschrieben und so unter anderem den Afrikanischen Wildhund (oben) dargestellt. Der Code ist als »Endangered Species Art« auf der Plattform github frei zur Verfügung gestellt. Die Bestandsdaten zu den Arten werden automatisch abgerufen und so kann sich nun jedeR Bilder von bedrohten Tieren akkurat verpixeln. Irina Zelewitz Der Code ist auf github.com/jms44 zum Download verfügbar. Informationen zum Status des Afrikanischen Wildhundes: iucnredlist.org/species/12436/166502262


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Le se r i nn en m e in u n g

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Wir müssen reden …

LeserInnen an und über uns – Mails, Tweets und hoffentlich Liebesbriefe an die Redaktion – und unsere Antworten.

BIORAMA #63 Liebe biorama-­Redaktion, ich freue mich ganz riesig über jede neue Ausgabe und verbringe mit ihr sehr viel Zeit. Besonders lesenswert fand ich die Ausgabe 63, vor allem den Bericht über Hildegard von Bingen. Seitdem betrachte ich die vielen vermarkteten Produkte, die ihren Namen tragen, sehr skeptisch. Eigentlich vermitteln alle Artikel interessante und wertvolle Informationen, die mich (leider) noch mehr zum Nachdenken anregen (z. B. Text von ­Susanne Salzgeber über Fernreisen). Ich wünsche euch viel Erfolg und Anerkennung, jede Ausgabe gebe ich dann auch weiter. – Raffaella Paolin, per Mail

Liebe Raffaela! Herzlichen Dank für deine Aufmerksamkeit! Wir freuen uns, dass dich unser Magazin zum Nachdenken inspiriert und über dich auch noch andere erreicht, und auch immer, wenn du uns sagst, welche Inhalte biorama für dich noch relevanter machen würden!

Betrifft:

von 0,1–0,5. Solange Frauen von ihren FrauenärztInnen vermittelt wird, es gebe keine vergleichbar wirksame Alternative zu hormonellen Verhütungsmethoden, da offenbar nur wenige ÄrztInnen zum Einsetzen der Kupfer-iup fortgebildet sind, meinen viele Frauen, es bliebe ihnen nichts anderes übrig, außer vielleicht Kondome zu verwenden. Diesen Informationsmissstand könnten JournalistInnen durch bessere Recherche auflösen. – Swantje Knüppel, per Mail

Danke für dein Schreiben! Wir wissen grundsätzlich um die Vorteile der Verhütungsmittel mit Kupfer und möchten diese auch keineswegs verschweigen – wir haben in unserer Ausgabe #64 am Cover jedoch angekündigt, uns mit dem Thema »Natürliche Alternativen zu hormoneller Verhütung« auseinanderzusetzen, weil es immer einen Zielkonflikt gibt zwischen Breite und Tiefe einer Auseinandersetzung. Mit dem Trend natürliche Verhütung sind unserer Recherche zufolge meist vor allem Kalendermethode usw. gemeint und nicht die gesamte Gruppe ­nichthormoneller Verhütungsmittel, auch wenn jedeR unter »natürlich« etwas anderes versteht. Auch Interviews werden gekürzt, man bespricht unter Umständen vieles, entscheidet sich für einen Fokus. Bei einer eingehenden Behandlung von Kupferkette, Kupfer­spirale etc. und ihren Vorteilen würden wir idealerweise auch auf ihre derzeit vieldiskutierten Risiken und Nebenwirkungen eingehen wollen – wir nehmen uns vor, uns dafür an anderer Stelle Zeit und Platz zu nehmen!

BIORAMA #64 Liebes Redaktions­team, ich hatte euer Heft letztens zum ersten Mal im Bioladen entdeckt und es unter anderem aus Neugier über das auf dem Titelblatt angekündigte Thema »Alternativen zur hormonellen Empfängnisverhütung« mitgenommen. Bei allen Berichten zu dem Thema in den üblichen Frauenzeitschriften hat mir immer gefehlt, dass über die hormonfreie (und sichere) Verhütung mit Kupfer informiert wird. Leider werden auch in eurem Artikel/Interview Kupferkette und Kupferball (die unabhängig vom Alter eingesetzt werden können im Gegensatz zur nur am Rande erwähnten Kupferspirale) nicht erwähnt – dabei hat etwa die Kupferkette einen Pearl-Index

Informationen zu Verhütungsmitteln mit ­Kupfer gibt es unter anderem hier familien­planung.de/verhuetung/verhuetungsmethoden und verhuetung.info/spiralen

Betrifft:

BIORAMA #64 Hallo liebe Leute, ich halte gerade euer Heft in der Hand und stolperte gleich über den Artikel »Wäre die Pille für den Mann auf dem Markt, würdest du auf dieses Verhütungsmittel setzen?«. niemand sollte die Pille nehmen … die Einnahme dieser künstlichen Hormone ist pures Gift für den

Bild B oris Voel ke l

Betrifft:


Organismus und für die Umwelt. Ich als Mann finde es sehr bedenklich und auch traurig, dass es immer noch Frauen gibt, die sie nehmen. – Sascha Michaels, per Mail

Lieber Sascha! Vielen Dank für dein Schreiben! Vielleicht hast du gesehen, dass wir uns dem Thema hormonelle und »natürliche« Verhütung in unserer Ausgabe 64 nicht nur im Street Talk, sondern ausführlicher in anderen Formaten auf den Seiten 26 bis 34 gewidmet haben? Auch online auf biorama.eu/ natuerliche-verhuetung. Die Wahl der Verhütungsmethode ist eine persönliche Entscheidung. Wenn wir uns als Magazin mit dem Thema natürliche Verhütung auseinandersetzen, dann ist es uns wichtig, ein möglichst umfassendes Bild zu zeichnen. Und auch einen Kontext zu geben, zu dem auch hormonelle Verhütungsmittel, ihre Nebenwirkungen und Risiken bis zu den Umweltauswirkungen gehören – doch unser Heftumfang setzt uns Grenzen. Die Pille gehört wie auch andere hormonelle Verhütungsmittel zu den wirksamen und vergleichsweise einfach verfügbaren, erleichtert so seit mehreren Generationen Familien- und Lebens­planung massiv und ermöglicht somit mehr Freiheit insbesondere für Frauen. Wir möchten mit unserem Magazin dazu einladen, Frage­stellungen rund um nachhaltigen Lebens­ stil in möglichst vielen Facetten zu betrachten. Das Thema Verhütung wird Thema für uns bleiben, nächstes Mal mit einem anderen Schwerpunkt – und wir freuen uns, wenn wir spätestens dann wieder von dir lesen!

Betrifft:

BIORAMA #65 biorama.eu Ich feiere eure Kolumne auf der letzten Seite! Die ungeschminkte Wahrheit mit mutiger Sicht auf sich selbst. – Boris Voelkel, Voelkel Naturkostsafterei via Facebook-Messenger

Bitte mehr davon an redaktion@biorama.eu!

klima­fakten in perspektive gesetzt.

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Mit dem rot-heiß-roten Online-Heizungsplaner Seit 2018 können sich umweltbewusste Häuslbauer und Heizungssanierer über ein neues, cleveres Onlinetool freuen. Der Heizungsplaner auf www.rot-heiss-rot.at sticht aus der Masse der bisherigen Heizungsrechner erfrischend positiv hervor. Er liefert nämlich nicht nur eine realistische Einschätzung der Investitions- und Betriebskosten für ein neues Heizsystem. Er spricht auch Empfehlungen für das am besten geeignete Heizsystem aus. Außerdem begründet er das Ergebnis. Benutzerfreundlich ist das Tool obendrein und funktioniert in der PC-Variante genauso gut wie auf mobilen Endgeräten. Ohne Registrierung oder ähnliches Pipapo. Die neue rot-heiß-rote Onlineplattform ist übrigens eine Eigenproduktion der HSH-Installatöre. Fazit: Der neu entwickelte Online-Heizungsplaner auf www.rot-heiss-rot.at ist ein cleveres, benutzerfreundliches Tool. Man bekommt einen sehr guten Überblick über Möglichkeiten, Investitionsrahmen, Betriebskosten und Umweltfreundlichkeit von Heizsystemen für sein Haus. Wir sagen: Am besten gleich ausprobieren!

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STREET TALK

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street talk Wir fragen, 5 Weise antworten.

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» Wozu gibt es Stech­ mücken?« interview und Bild Anika Suck und Irina Zelewitz

Zsofi Sebastian Alexis

47, Künstler aus Zürich Bei jedem Stich merkt man, dass man lebt! Außerdem: Jedes Lebe­ wesen hat vielleicht eine ­Seele, wenn man es beispielsweise ­buddhistisch sieht.

22, Drehbuchstudent Gelsen haben eine Daseinsberechtigung als Lebewesen. Nicht zuletzt sind sie wichtig als Nahrung für viele andere. Frösche zum Bespiel brauchen Gelsen. Aber wenn sie mich stechen, ­erschlage ich sie.

22, BWL-Studentin Mücken sind Tiere wie ­andere auch, sie sind Teil der Natur. Sie stören mich nicht, wenn sie ­nerven und stechen – das kann schon ein bisschen unangenehm sein, aber das muss man akzeptieren.

Anette Nadine und Janik

beide 21 und Mathematikstudierende Gelsen sind Teil eines Systems. Sie sind auch Nahrungs­quelle. Wenn ein Tier nach dem anderen wegfällt, bricht irgendwann das ganze ­Öko­system zusammen.

55, Museumskuratorin Moskitos haben ihren Platz in der Natur, in der Nahrungs­kette. In Schweden, wo ich herkomme, werden sie zum Beispiel von ­Vögeln gegessen. Ich esse sie zwar nicht, doch wenn sie mich stechen, erschlage ich sie.


WIE LANDWIRTSCHAFT UND STÄDTE DER ZUKUNFT DIE ARTENVIELFALT BEWAHREN. Online Vorträge & Diskussionen für Interessierte & Stakeholder. Infos & Anmeldung unter global2000.at/kongress

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Vielfalt

VISIONS FOR TRANSITION


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Ar t e r h alt

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Text Anika Suck

Wir sind der Asteroid Wir erleben gerade das sechste große Artensterben der Erdgeschichte. Doch diesmal sind weder Vulkane noch Asteroiden schuld.

W

Bild Isto ck. com/Natu skaDP

eltweit ist jede vierte Art wegen des Klimawandels und fehlendem Lebensraum vom Aussterben bedroht. Die Ursache: wir. Aussterbeereignisse wie das Artensterben, das wir heute erleben, sind zwar per se nichts Neues. Dass jede vierte Art weltweit vom Aussterben bedroht ist, ist allerdings zum ersten Mal die Schuld einer einzigen Art – des Homo sapiens. Der niederländische Meteorologe Paul Crutzen schlug deshalb schon im Jahr 2000 vor, dem Erdzeitalter, in dem wir jetzt leben, einen neuen Namen zu geben. Wir befänden uns längst nicht mehr im Holozän, wie bisher von GeologInnen angenommen. Der Mensch sei jetzt eine treibende geologische Kraft, die die Erde nachhaltig verändert, weswegen wir uns bereits seit der »great acceleration« in den 1950er-Jahren, der »großen Beschleunigung« der Globalisierung und damit der menschengemachten Treibhausgas­emissionen, im sogenannten Anthropozän befänden.

Millionen Jahren. Damals schlug der Asteroid Chicxulub auf der Halbinsel Yucatán ein. Lokal führte der Impact zu Tsunamis und Waldbränden, weitaus verheerender waren jedoch die Folgen für das Klima. Der Kalk, der sich im ChicxulubKrater befand, erhitzte sich und stieg als gasförmiger Schwefel in die Atmosphäre. Die so entstehenden Schwefeltröpfchen hielten jahrelang das Sonnenlicht davon ab, die Erde zu erreichen. Ein langer, kalter Winter war die Folge. Zudem fiel der Schwefel als saurer Regen ins Meer, wodurch die Kalkalgen – ein Grundnahrungsmittel für andere Tiere und essenziell für den Kohlenstoffkreislauf der Erde – ausstarben. Auch heute sind Ozeane die größten CO2-Speicher und damit Lebensgrundlage für Pflanzen, Tiere und Menschen. Fielen die Ozeane als »Puffer« für den Treibhauseffekt weg, hätte das verheerende Folgen für das Klima und alle lebenden Arten.

Ozeane als Puffer für den Treibhauseffekt

Artensterben meist durch Klima verursacht

Vergleichbar ist die heutige Situation mit dem letzten großen Artensterben, dass die Erde erlebt hat: das Aussterben fast aller Dinosaurier und vieler anderer Arten vor 66

Man könne das durch den Asteroideneinschlag verursachte Artensterben nicht hinsichtlich der Geschwindigkeit der Ursachen und auch der Konsequenzen mit dem Einfluss des

Die Timeline des Aussterbens vor 444 Mio. Jahren Die Erde kühlte kurzfristig stark ab, der Meeresspiegel sank um 70–100 Meter und legte Schelfmeere trocken. Gleichzeitig falteten sich Gebirge auf, deren Verwitterung CO2 aus der Atmosphäre zogen und die Erde weiter abkühlten und viele Faunengruppen (ca. 85 % aller Arten) starben aus. Eine Million Jahre später wurde es wieder warm.

vor 383–359 Mio. Jahren Wiederholte Sauerstoffarmut und steigende Meeresspiegel gefolgt von globaler Abkühlung führten dazu, dass zwischen 80 und 90 Prozent aller Meerestierarten ausstarben.


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Ar t e r ha lt

14 Vulkane fluteten Sibirien mit Lava, wodurch große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt wurden und sich die Erde erhitzte. 96 Prozent aller Arten in den Meeren und ca. 75% aller Landbewohner, von denen wir Fossilien haben, wurden innerhalb von 60.000 Jahren ausgerottet.

vor 201 Mio. Jahren Starker Vulkanismus, Versauerung der Ozeane und sinkende Meeresspiegel sorgten dafür, dass 75–80% aller Arten sowie 95 Prozent der Riffe verloren gingen.

vor 66 Mio. Jahren Ein Asteroid schlug auf der Erde ein, Vulkanstaub und Schwefel wurden freigesetzt und kühlten die Erde ab, der Kohlenstoffkreislauf der Meere brach zusammen. Drei Viertel aller Arten starben aus.

Heute Der Mensch wird zu einer geologischen Kraft. Noch nie hatten wir eine größere Chance, die eigene Zukunft und die der Erde zum Besseren zu verändern.

menschlichen Verhaltens auf die Artenvielfalt vergleichen, »sehr wohl aber hinsichtlich seiner Auswirkungen«, betont Jürgen Kriwet, Paläontologe an der Universität Wien. Fast jedes der fünf Massensterben, die die Erde gesehen hat, wurde durch Änderungen des Klimas und der Lebensbedingungen verursacht, oft ausgelöst durch Vulkane und Veränderungen des Meeresspiegels. Beim letzten großen Artensterben ging es den Dinosauriern relativ schnell an den Kragen, andere Aussterbeereignisse dauerten Hundert tausende Jahre. Mit einem Viertel bedrohter Arten auf der Welt stellt sich die Frage, wie lange das sechste Massensterben dauern könnte – und ob das Anthropozän dann vorbei ist. Denn je mehr Arten aussterben, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Nahrungsketten und damit auch der Kohlenstoffkreislauf zusammenbrechen. »Je mehr man Ökosysteme degradiert, desto höher ist das Risiko, dass immer stärkere Auswirkungen zu beobachten sind, die nicht kompensierbar sein werden«, fasst Franz Essl, Biodiversitätsforscher an der Universität Wien, zusammen.

Nur ein Teil der Timeline Es ist unmöglich zu sagen, wann dieser Kipppunkt erreicht sein wird. Zu komplex sind die verschiedenen Ökosysteme der Erde und die Rolle aller Arten in diesen. Klar ist allerdings, dass die Menschheit nicht mehr erleben wird, dass sich die Artenvielfalt wieder erholt. »Was wir heute verlieren, ist aus menschlicher Zeitperspektive heraus verloren«, so Essl. Betrachtet man die Artenvielfalt im Kontext der Erdgeschichte, sieht man, dass die Bio­ diversität über Jahrmillionen, mit Ausnahme der fünf großen Einschnitte, graduell zuge-

nommen hat. Der sechste große Einschnitt des Anthropozäns reiht sich auch nur als kleiner Strich in die Timeline der Erdgeschichte ein. Nach jedem dieser Einschnitte hat sich die Artenvielfalt auch irgendwann wieder eingependelt. 400.000 Jahre nachdem der Asteroid einschlug und alle großen Säugetiere ausstarben, kehrten sie in Form von ähnlichen Arten zurück. Aus PaleontologInnensicht ist das kurz – »Die Situation hat sich relativ schnell normalisiert. 400.000 bis 700.000 Jahre nach dem Ereignis gab es bereits wieder große Säugetiere«, fasst es Jürgen Kriwet zusammen.

Zukunftsprognosen ernst nehmen Dass die Artenvielfalt sich nach dem Anthropozän in jedem Fall wieder erholen wird, mag manchen ein Trost sein. Aussterbeereignisse können rasch erfolgen, die Entstehung neuer Arten dauert jedoch viel länger, nämlich Hunderttausende bis Millionen von Jahren. Das seien für uns Menschen irrelevante Zeiträume, meint der Biodiversitätsforscher Franz Essl: »Wichtig ist, das Überleben der Gesellschaft in den nächsten Jahrhunderten zu sichern.« Ausschlaggebend dafür seien die Handlungen, die wir in den nächsten Jahrzehnten setzen, denn ohne ambitioniertes Gegensteuern wird sich die Situation nur stetig verschlechtern. »So gravierend das, was wir bis jetzt erlebt haben auch ist, ist es doch nur der Vorbote dessen, was sich in den nächsten Jahrzehnten stark verschärfen wird«, warnt Essl. Die Handlungsanweisungen an Politik und Gesellschaft seien klar, die Forschung ist sich einig: »Man kann nicht behaupten, dass es ein leichter Weg sein wird. Der andere Weg führt aber längerfristig in eine Welt, die wir uns so sicher nicht wünschen.« .

Bild Istock .co m/Tetia na La zuno va

vor 252 Mio. Jahren


Tiroler

e s ä k g r e B o i B

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MEGADIVERSER   E r l e nd Lo r em ip REGEN su m WALD

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Achtung vor Biodiversität

Text Susanne Salzgeber

U

»

nsere Natur stirbt« lautet ein Buchtitel von Michael Schrödl. Der Bio­loge an der Ludwig-Maximilians-Universität in München leitet die Weichtiersektion der Zoologischen Staatssammlung. Schon in dreißig Jahren werde die Erde eine Wüste sein, wenn Artensterben und Klimawandel ungebremst fortlaufen wie bisher, prognostiziert der Meereszoologe. Seine These: Der gigantische Verlust an Arten, der sich im Aussterben vieler Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen zeigt, beschleunigt den menschengemachten Klimawandel drastisch. Wenn wir so weitermachen wie bisher, kollabiert bis spätestens 2050 die Biosphäre. Schrödls Bio­kalypse – eine Fiktion? Im vergangenen Jahr sind in Brasilien 4,8 Millionen Familien land- und hei-

matlos geworden, eine Milliarde Kilogramm Pestizide wurde von der Agrarindustrie ausgebracht, geschätzt zwei Millionen Menschen erlitten dadurch Vergiftungen. Die Rodungen des brasilianischen Regenwalds – meist durch Brandstiftung – nahmen um 90 Prozent zu. Inzwischen sind 19 Prozent des brasilianischen Regenwalds vernichtet. Unzählige Tier- und Pflanzenarten sind im Land mit der weltweit größten Biodiversität unwiederbringlich verloren. Wie hoch die Verluste genau sind, dazu gibt es noch keine Zahlen, weil die brasilianische Regierung unter Präsident Jair Bolsonaro 80 Prozent der Gelder für die Regenwaldforschung gestrichen hat. Brasilianische WissenschaftlerInnen verlassen ihr Land, wie auch Professor Antônio Andrioli. Seit vielen Jahren

Bild Istock.co m/EPas qual li

Jede zehnte Tier- und Pflanzenart lebt im südlichen Amazonasbecken. Das gehört größtenteils zu Brasilien.


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Die IUCN stuft Goldene Löwenäffchen als stark gefährdet ein. Ein Drittel der Tiere, die geschätzt in freier Wildbahn leben, stammt aus einem Wiederansiedlungsprogramm.

setzt er sich für eine gentechnikfreie Landwirtschaft ein, momentan forscht der Träger des Bayerischen Naturschutzpreises am Rachel Carson Center in München zu den ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen von Gentechnik und Pestiziden. Trotz großer politischer Widerstände in Brasilien wird er nicht müde, die Umweltzerstörung, den Pestizideinsatz sowie die Vertreibung der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern anzuprangern und sich für die Umsetzung einer nachhaltigen Agrarökologie einzusetzen. Andrioli ist Professor an der Universidade Federal da Fronteira Sul einer staatlichen Universität im ländlichen Raum für nachhaltige Entwicklung, die er selbst mitgründete. Die indigene Bevölkerung trug mit ihren Agro-

forst-Methoden und anderen nachhaltigen Nutzungsarten zum Erhalt des Regenwalds bei, bis man sie ihrer Lebensgrundlage beraubte und ihren natürlichen Lebensraum in eine Gensoja-Einöde verwandelte oder in Viehweiden oder andere gentechnisch veränderte Monokulturen wie Zuckerrohr, Baumwolle, Eukalyptus. Allein auf 35 Millionen Hektar Land wird in Brasilien Soja angebaut, eine Fläche so groß wie Deutschland. 95 Prozent davon sind Gensoja, das in Brasilien seit 2004 zugelassen ist und seitdem eine Verdreifachung des Pestizideinsatzes erforderte.

In Europa gibt es so etwas nicht! Wer denkt, dass wir in Deutschland und Österreich nichts mit dem Desaster in Brasilien

»Biodiversitot« von Vreni Häussermann und Michael Schrödl, 2017, Bod (Book on Demand).


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MEGADIVERSER REGEN WALD

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Neuralgisch für Arten- UND Klimaschutz Wie viele seiner WissenschaftskollegInnen erwartet er einen ökologischen Kollaps, sollte mehr als ein Viertel dieses Regenwalds verloren gehen, der die weltweit größte Biodiversität an Flora und Fauna umschließt, und das im größten zusammenhängenden Regenwald­ gebiet und dem größten Süßwasserreservoir der Erde. Er umfasst mehr als sieben Millio-

Der Sojaanbau Brasiliens braucht eine Fläche so groß wie Deutschland.

95%

dieser Flächen werden mit genmanipuliertem Soja in Monokultur bewirtschaftet.

Agrarwüsten statt Regenwald begünstigen den Klimawandel.

nen Quadratkilometer und erstreckt sich über acht Anrainerstaaten. Doch die Schatzkammer der Artenvielfalt wird den Gewinnen von Konzernen geopfert. Dabei ist der Amazonas als Lunge der Erde entscheidend, um der Klimakrise entgegenzuwirken. Jede zehnte Tier- und Pflanzenart lebt hier. »Diese Tropenwälder funktionieren als Wasserpumpe für den ganzen Kontinent«, erklärt Biologe Schrödl. Wenn Wasser verdampft, kühlt es den Boden und gibt diese Energie als Wolke wieder ab. Das lässt einen Sog entstehen, der feuchte Luft vom Atlantik ansaugt und in der Folge zu Regen führt. »Gibt es also weniger Bäume, gibt es weniger Regen und damit noch einmal weniger Bäume – üppige Regenwälder verdorren«, warnt Schrödl. Ganze Nationen würden dann unter Dürren leiden. Vom Anstieg der Klimagase CO2 und Methan, die nicht mehr gebunden werden können, ganz zu schweigen.

Immer wieder: Abholzung für Monokulturen Die Hauptschuld daran tragen die industrialisierte Landwirtschaft, die Zulassung der Gen-

Bilder Istock.co m/mai lso n pi gnatta, Isto ck. co m/Pho to tre at, Istoc k.c om/Ais lan 13

zu tun haben, täuscht sich. Die Bundesregierung unterstützt das EU-Mercosur-Abkommen, das unter anderem den freien Handel von Fleisch und Autos fördern soll. Andrioli fordert, das Mercosur-Abkommen sofort zu stoppen, weil die Abholzung des Regenwalds durch den Vertrag weiter voranschreiten wird. Deutsche Chemieunternehmen wie Bayer und basf profitieren vom Absatz ihrer Pestizide in das südamerikanische Land. Drei von zehn der meistverkauften Pestizide sind in Europa nicht zugelassen, dürfen aber an die BrasilianerInnen verkauft werden. Gentechnisch verändertes Futtermittel kommt nach Deutschland, ohne dass das Fleisch von Tieren, die damit gefüttert wurden, einer Kennzeichnungspflicht unterliegt. Soja aus Brasilien sollte nicht mehr importiert werden dürfen, solange der Anbau mit Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen einhergeht, fordert Andrioli.


technik und die damit einhergehende Monokultur mit dem entsprechenden Sortenverlust. Die politisch einflussreiche Agrarlobby, die im brasilianischen Parlament sitzt, drängt erfolgreich auf eine Ausweitung von Weideflächen sowie Anbauflächen für Produkte wie Soja und Zuckerrohr. Die von Professor Andrioli dokumentierte Folge: Der immer weiter steigende Pestizideinsatz zerstört die Bodenstruktur und jegliches Leben im Boden und darum herum. Eine zusätzliche Bedrohung der Biodiversität in Lateinamerika stellen Ölbohrungen und Berg­bauaktivitäten dar, die von den jeweiligen Regierungen unterstützt werden und an denen internationale Firmen gut verdienen. Auch hier wird das Recht der indigenen Bevölkerung mit Füßen getreten und die Umwelt nachhaltig geschädigt. Der Tagebergbau von Metallen wie Gold und Silber zerstört riesige Flächen, verändert die Lebensadern der Wassereinzugsgebiete, schädigt die Böden, Flora und Fauna, vernichtet Wälder und führt zur Vertreibung und Zerstörung von Hunderten von Dorfgemeinschaften. Zudem wird eine Unmenge an Wasser verbraucht und das Grundwasser­ reservoir geschädigt.

Von den geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzen­ arten weltweit – die meisten sind noch unentdeckt und unerforscht – sind in den nächsten Jahrzehnten bis zu eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Lateinamerika gehört zu den artenreichsten Regionen der Welt. Auf dem Kontinent liegen acht der 17 Staaten, die 2002 die Gruppe der Megadiversen Länder gegründet haben. Vielfältige Klimazonen und Naturräume, die von Wäldern, Steppen, Wüsten, den Hochebenen der Anden, Küsten bis hin zu subarktischen Gebieten reichen, beherbergen unzählige Lebewesen und Mikroorganismen. Über die meisten Arten, die wir verlieren, wissen wir Menschen gar nichts, demnach auch nichts von ihrer Rolle im Ökosystem. Besonders reich an Biodiversität ist das tropische Amazonasbecken in Südamerika. Sieben Millionen Quadratkilometer umfasst es, jede zehnte Tier- und Pflanzenart lebt hier. Acht Anrainerstaaten haben am Amazonasregenwald einen Anteil, zu Brasilien gehört der größte.

70 Millionen Quadratkilometer umfasst der brasilianische Amazonasregenwald in Brasilien. Das entspricht 20× der Fläche Deutschlands und 83× der Österreichs.

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Bisher weltweit zu wenig »Der Zustand der Natur und die gerechte Verteilung der Nutzen der Natur für die Menschen verschlechtern sich weiterhin«, konstatiert der jüngste Bericht des Weltbiodiversitätsrates ipbes (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services). Die ForscherInnen fordern die »sofortige Transformation der globalen Wirtschafts- und Betriebsabläufe, um die Natur, wie wir sie kennen und nutzen, auch in Zukunft sicher zu erhalten. Obwohl in der Vergangenheit viel Naturschutz betrieben wurde, nehmen unsere natürliche Umwelt und ihre Qualität bisher weiter ab.«

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MEGADIVERSER REGEN WALD

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Davi Kopenawa, Träger des sogenannten Alternativen Nobelpreises 2019, und seine Mitstreiter kämpfen für den Erhalt des Amazonas-Regenwalds. Aber Klimaschutz braucht Menschenrechte und den Schutz kultureller Vielfalt. Nicht nur Arten, auch Kulturen sind bedroht.

Lektüretipps: Das Onlinemagazin amerika21.de Die Website des Forschungsund Dokumentations­ zentrums Chile-Latein­ amerika und im Speziellen deren Factsheets unter »Publikationen« fdcl.org

NATURSCHUTZ, DER NATUR UND MENSCH SCHÜTZT Im Herbst will die Staatengemeinschaft auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Konvention über die Biologische Vielfalt (cbd cop 15) im chinesischen Kunming darüber beraten, wie Arten und Ökosysteme effektiv geschützt und nachhaltig sowie gerecht genutzt werden können. International forderten im März 2020 Umweltverbände, darunter auch Nabu und bund, dass die Weltgemeinschaft ein globales Abkommen verabschiedet, das den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2030 stoppt und eine Trendumkehr erreicht, sodass sich die Natur langfristig wieder erholen kann. Dazu sollten auf mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresfläche hochwertige Schutzgebiete entstehen. Zerstörte Ökosysteme wie Moore, Wälder und artenreiche Wiesen müssten wiederhergestellt werden. Reiche Länder wie Deutschland sollen das notwendige Geld bereitstellen. Und ihre Hausaufgaben machen: Die intensive Landwirtschaft, der Haupttreiber des Artensterbens in Europa, muss naturverträglich werden. Ganz im Sinne der alten indigenen Kulturen in Lateinamerika, in denen der Respekt vor der Natur eine zentrale Rolle spielte. Die Hochachtung vor dem Boden, den Pflanzen, den mit uns lebenden Tieren bietet eine Chance, auch in Kulturlandschaften die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Nur so verwandelt sich Biodiversität nicht in Biodiversitot.

»Wir verteidigen den Wald, weil wir ihn lieben!« — David Kopenawa Die Indigenen des Regenwalds engagieren sich für uns Glücklicherweise wehren sich Menschen in Brasilien gegen das brutale und gesetzeswidrige Vorgehen nationaler wie internationaler Unternehmen – und der eigenen Regierung – in diesem für die ganze Welt so bedeutungsvollen Naturgebiet mit seinen indigenen BewohnerInnen. Davi Kopenawa, der Träger des sogenannten Alternativen Nobelpreises (»Right Livelihood Award«) 2019, ist einer der prominentesten. Der Häuptling der Yanomami kämpft für den Erhalt des Lebensraums seines indianischen Volkes im Grenz­gebiet zwischen Venezuela und Brasilien – und somit für den des Regenwalds. Was man tun kann, um die Yanomami zu unterstützen? Einschlägige ngos, etwa Survival International, unterstützen und deren Empfehlungen folgen, sich für die Handelspolitik der EU interes­sieren und entsprechende Handlungen von seinen Abgeordneten verlangen, oder eben auch: beim Lebensmitteleinkauf drauf achten, dass kein Importsoja (aus Brasilien, oder gleich gar keines) verarbeitet oder als Futtermittel eingesetzt wurde – und generell weniger Fleisch essen.

Bild Christian gustavs so n

Die NGO Survival International bietet unter survivalinternational.de/ indigene/yanomami eine Übersicht zu Möglichkeiten, das Volk der Yanomami zu unterstützen.


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»Biopatente sind nicht böse« Genmodifizierte Pflanzen und Tiere können patentiert werden. Das wird seit Jahrzehnten praktiziert, aber auch kritisiert. Ein kürzlich ausgesprochenes Patent sorgte für neue Aufregung.

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Bilder Istock.co m/o lha_stock

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ohmann lsl Classic«, »Lohmann lsl Lite« oder »Lohmann lsl Extra«? Klingt nach Auto- oder Handymodellen? Falsch – es geht hier um Tiere. Genauer gesagt um Legehennen. »Als Weltmarktführer verbessern wir stetig die Leistungsmerkmale der Elterntiere und ihrer Nachkommen. Die sehr hohe Anzahl an brutfähigen Eiern kombiniert mit der hervorragenden Schlupfrate der Lohmann-Tierzucht-Elterntiere garantiert ein Höchstmaß an verkaufsfähigen Legehennen«, heißt es auf der Homepage von Lohmann Tierzucht, einem führenden Unternehmen für die Zucht von Legehennen. Über Lebewesen wie über Produkte zu reden mag für manche befremdlich sein. Für viele LandwirtInnen ist das aber Normalität. Auf der Homepage von Lohmann Tierzucht können sie sich zwischen drei verschiedenen Sorten an Elterntieren entscheiden, je nachdem, welche Leistungsmerkmale für ihre Produktion am wichtigsten sind. Bei den Legehennen ist die Auswahl noch größer. Um die Leistungsmerkmale der Tiere zu verändern, wendet Lohmann Tierzucht, wie viele andere auch, Gentechnik an. »Nicht länger bestimmen Zufall oder Hackordnung Leistung und Qualität. Eine planvolle Selektion ist jetzt der Motor für verbesserte Leistungen«, heißt es über die modernen Zuchtmethoden auf der Unternehmenswebsite. Durch die patentierten Selektionsverfahren seien alle hier angebotenen Braunleger frei vom tma-Syndrom – einem Gendefekt, der Fischgeruch im Eidotter verursacht.

Nur eine Art von (nicht mehr ganz so) vielen Die Hennen von Lohmann Tierzucht sind ein Beispiel von vielen für Tiere, die durch genmodifizierte Verfahren patentierbar wurden. Denn rechtlich ist es so: Genmodifizierte Tiere, Pflanzen oder auch einzelne Zellen können patentiert werden. Ganze Tierarten, Pflanzensorten oder gängige Züchtungsmethoden erhalten hingegen kein Patent. Wirft man einen Blick in die europäische Richtlinie für Biopatente, wird klar, warum. Diese besagt, dass biologisches Material patentiert werden darf, wenn es sich um eine Erfindung handelt, die gewerblich anwendbar ist (die also auf einem gewerblichen Gebiet hergestellt oder benutzt werden kann), oder wenn die Erfindung ein mikrobiologisches Verfahren darstellt, dessen Anwendung nicht nur eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierart betrifft.

Text Lucia Scarpatetti

Das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (EPÜ) bildet die Grundlage des europäischen Patentrechts.

Was ist »erfunden«?

In Artikel 53(b) heißt es: »Europäische Patente werden nicht erteilt für: […] b) Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren.«

Laut einem Zusammenschluss von über 30 Organisationen, darunter der gemeinnützige Verein »Arche Noah – Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihre Entwicklung«, verstößt ein Fischfutter-Patent (EP1965658) australischer ErfinderInnen, das im Jahr 2018 ausgesprochen wurde, gegen genau diese Gesetzeslage. Dieses patentiert den Einsatz eines bestimmten Futtermittels an Lachse und Forellen. Das verwendete Saatgut ist aber keine neue Erfindung, sondern besteht aus bereits bekannten Wildgemüsearten wie Borretsch

KritikerInnen meinen, dass sich aus dem Artikel 53(b) mehrere rechtliche Probleme ergeben. »Im Wesentlichen biologisch« sei eine unklare Definition. Außerdem gäbe es keine Klarheit, ob Pflanzen und Tiere, die aus solchen Verfahren stammen, patentierbar sind.


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Nach der Beschwerde gab es bis dato keine neuen Entwicklungen beim Fischfutter-Patent (EP1965658). Es dauert meist Jahre, bis nach einem Einspruch eine endgültige Entscheidung getroffen wird.

und Natternkopf. Diese Pflanzen enthalten von Natur aus eine hohe Konzentration an Fettsäuren, die als Futter bei den Fischen zu einem gewünscht hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren im Muskelgewebe führt. Die AnklägerInnen sprechen von einem eindeutigen Missbrauch des europäischen Patentrechts. Für sie ist klar: Es liegt keine echte erfinderische Leistung vor. Die »Erfindung« bestehe lediglich darin, Fische mit Futter zu füttern, von dem bereits bekannt gewesen sei, zu welchem Ergebnis es führe. Die Patentierung natürlicher Vorgänge zur Produktion von Tieren sei ausdrücklich verboten. Das Bündnis hat bereits Einspruch erhoben.

Braucht Forschung Patente? Urs Niggli ist Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick, eines der weltweit führenden Einrichtungen zur Erforschung biologischer Landwirtschaft. Niggli vertritt die Meinung, dass man die Sinnhaftigkeit von Biopatenten nur im Einzelfall bewerten kann: »Der Begriff Patentierung ist sehr stark an den menschlichen Erfindergeist gebunden. Ein Lebewesen ist keine Erfindung, man kann es also nicht einfach so patentieren. Man kann jedoch ein Lebewesen für eine bestimmte Funktion, die mit einer gentechnischen Methode ermöglicht wurde, schützen. Oder auch einen genau beschriebenen Herstellungsprozess. Man kann also nicht sagen, dass Biopatente böse sind. Die Bewertung, ob sie sinnvoll sind, kommt auf den Einzelfall an.«

Biopatente behindern LandwirtInnen Die Kritik an Biopatenten kommt aus mehreren Richtungen. Die Meinung, dass Tiere und Pflanzen – selbst wenn sie genetisch manipuliert werden – nie eine menschliche Erfindung darstellen können, ist unter KritikerInnen weitverbreitet. »Biopatente schränken die Ernährungssouveränität und die Pflanzenzüchtung auf massive Weise ein und sind zudem moralisch nicht vertretbar, weil Pflanzen und Tiere niemals Erfindungen sein können«, erklärt Bernd Kajtna, Geschäftsführer von Arche Noah. Dass mit Biopatenten das Eingreifen in genetisches Erbmaterial von Lebewesen praktiziert wird, ist außerdem für viele grundsätzlich abzulehnen, so auch für Kajtna: »Die Vielfalt der Natur bietet uns genug Potenziale für innovative Züchtung, ganz

ohne Gentechnik und Patente auf Leben«. Diese Meinung vertritt auch die »Ökologische Tierzucht« (ötz), die Tiere züchtet, die speziell für ökologisch wirtschaftende Betriebe geeignet sind. Ihr Schwerpunkt liegt bei der Züchtung von Legehennen und Zweinutzungshühnern. Die »Ökologische Tierzucht« ist entschiedene Gegnerin von Biopatenten und steht damit dem angeführten Beispiel der Lohmann Tierzucht gegenüber. Die unmittelbarste Kritik ist jene, die vor den Einschränkungen landwirtschaftlicher Tätigkeit warnt – denn erhält ein Konzern das Patent für ein bestimmtes modifiziertes Saatgut, dürfen es andere Bauern und Bäuerinnen nicht mehr verwenden oder müssen für dessen Einsatz zahlen. Für genau diesen Fall gibt es mittlerweile weltweit unzählige Beispiele. Oft können sich LandwirtInnen aber nicht frei für oder gegen Pflanzenmodifizierungen entscheiden – sie werden von Umweltfaktoren gezwungen, erklärt Kajtna: »Pflanzen müssen laufend an neue Gegebenheiten wie Krankheiten, Schädlinge oder Klimaveränderungen angepasst werden. Dafür brauchen ZüchterInnen freien Zugang zum genetischen Material, der ihnen mit Patenten aber verwehrt wird.« Auch die Umweltschutzorganisation World Wide Fund For Nature (wwf) sieht die Kontrolle über Saatgut, die sich LandwirtInnen mit Biopatenten einholen können, kritisch. »Wir sind für ein umfassendes Patentverbot von Tieren und Pflanzen. Die aktuellen Regelungen sind aus ExpertInnensicht nicht klar genug definiert und bieten daher Schlupflöcher für große Konzerne, die sich mit umstrittenen Biopatenten die Kontrolle über Saatgut und Lebensmittel aneignen wollen«, meint Sarah Bimingstorfer von wwf Österreich. Ein Patent zu erhalten dauert außerdem lange und ist kostenintensiv. Bis ein Patent ausführlich geprüft und letztendlich erlaubt wird, vergehen viele Jahre. Die Kosten für eine Patentanmeldung inklusive Erteilung und Veröffentlichung betragen mindestens 550 Euro auf nationaler und 4300 Euro auf europäischer Ebene. Dazu kommen ab dem sechsten Jahr jährliche Gebühren in der Höhe von 104 bis 1775 Euro. Daher sind vor allem große Landwirtschaftsbetriebe in Besitz von Patenten, kleinen Betrieben ist das oft unmöglich. Die dadurch entstehende Abhängigkeit kann existenzbedrohend werden.


Wo bleibt das Recht auf Erfindungsschutz? Warum gibt es Biopatente? Patente und somit auch Biopatente schützen geistiges Eigentum. Der Schutz der eigenen Forschung ist für die ErfinderInnen von hoher Bedeutung. Sie schützen ihren Wissensstand vor Nachahmungen durch andere ForscherInnen. Innovative Pflanzenzüchtung ist aber auch für LandwirtInnen von Vorteil. Dadurch können sie ertragreiche Sorten anbauen und bleiben wettbewerbsfähig, erklärt »Saatgut Austria – Vereinigung der Pflanzenzüchter und Saatgutkaufleute Österreichs« in einer Presseaussendung zum Titel »Pflanzenzüchtung und Sortenzulassung in Österreich«: »Heute wachsen Pflanzen in Österreich, die es vor einem Jahrhundert im großflächigen Anbau noch nicht gegeben hat. Erst die gezielte Züchtung hin zu einer besseren Resistenz vor allem in puncto Temperatur hat es LandwirtInnen ermöglicht, diese Sorten zu kultivieren. Durch eine bessere Widerstandsfähigkeit benötigen die Pflanzen auch weniger Pflanzenschutz, weshalb die Züchtung einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Umgang mit der Umwelt leistet.« Weiters spricht die Verdienstmöglichkeit für ForscherInnen für Biopatente. ErfinderInnen haben das Recht, mit ihren Innovationen Einnahmen zu erzielen. »Um nachhaltig überlebensfähig zu sein, brauchen ZüchterInnen Wertschätzung und eine gerechte Finanzierung für die erbrachten Leistungen«, heißt es bei Saatgut Austria hierzu.

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Bio-Biopatent? Auch in der biologischen Landwirtschaft kommen Biopatente aufgrund der finanziellen Notwendigkeit zur Anwendung. »Verschiedene Anwendungen von Pflanzenextrakten als Fungizide sind im Biolandbau patentiert worden. ForscherInnen des FiBL haben herausgefunden, dass ein natürlicher Pflanzenextrakt in der Landwirtschaft eingesetzt werden kann, um Pilzkrankheiten zu bekämpfen. Hier wurden die neu entdeckte Funktion und der Herstellungsprozess patentiert. Das war eine enorme forscherische Leistung, für die 15 Jahre gearbeitet wurde. Wenn der Wirkstoff ohne Schutz publiziert worden wäre,

23 hätte irgendeine unbeteiligte Firma damit Profit machen können und man hätte die jahrelange Forschung nie refinanzieren können«, erklärt Urs Niggli. Letztlich sollen Biopatente einen Anreiz für weitere Forschung schaffen. Ist es ZüchterInnen aber nicht mehr möglich, unentgeltlich an gewissen Lebewesen zu forschen, weil diese bereits patentiert sind, können Biopatente Innovationen blockieren und LandwirtInnen einschränken. Vor allem in der Saatgutbranche braucht es laut Niggli daher oft keine Patentvergabe. Die in den nationalen Saatgutrechten vorgesehenen Lizenzgebühren würden den ZüchterInnen genug Profit bringen, ohne weitere Forschung einzuschränken. Das treffe vor allem auf die biologische Landwirtschaft zu, so Niggli: »BiozüchterInnen sind alle daran interessiert, dass andere mit dem Saatgut weiterforschen, weil sie einen riesigen Bedarf an schnellem Fortschritt haben. Ich glaube, gerade BiolandwirtInnen sind sich dessen bewusst, dass sie nicht mit genialen Einzelleistungen, sondern mit kollektiven Leistungen schneller weiterkommen.« Während Großkonzerne an den Grundprinzipien des europäischen Patenrechts rütteln, wachen AktivistInnen, PolitikerInnen und viele weitere Gruppen über dessen Entwicklungen. Ob es eine grundlegende Änderung des europäischen Patentrechts geben wird, wird sich vielleicht schon bald zeigen: Derzeit liegen rechtliche Fragen über die Patentierung von Lebewesen, die aus konventioneller Zucht stammen, bei der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts am Tisch. Laut Informationen des Vereins »Keine Patente auf Saatgut!« wird die Entscheidung ab April 2020 vermutet. Sie wird wegweisend für die Richtung der weiteren politischen Debatte um Biopatente sein.

Das Europäische Patentamt ermöglicht online eine einfache Patentsuche. Espacenet ist die weltweit größte kostenlose Sammlung von Patentveröffentlichungen mit über 100 Millionen Dokumenten. Mithilfe detaillierter Suchfunktionen können bestimmte Innovationen oder ErfinderInnen schnell gefunden werden.


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Störenfried und Stadtflaneur

Der Waschbär – ursprünglich Nordamerikaner – fühlt sich in Europa pudelwohl. Mancherorts geht der drollige Kleinbär bedrohten Arten an den Kragen. Ihn ­auszurotten ist allerdings ein aussichtsloser Kampf.

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Bild Istock.co m/olgai t

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e roter, desto dichter ist ein Gebiet besiedelt«, erklärt Ulf Hohmann. Deutschland, vor allem von Hessen aufwärts und der einstige Osten, ist dunkelrot gefärbt. Hier ist das Hoheitsgebiet des Waschbären, der Stammsitz seiner europäischen Population. Bis halb Polen hinein und hinauf nach Dänemark wird es etwas lichter. In den Niederlanden, Belgien und Tschechien hat er sich beinahe flächendeckend breitgemacht. Schweden blieb, geografisch getrennt, bislang verschont. Dafür taucht er in Ungarn und Rumänien immer öfter auf. Österreich markiert derzeit seinen südlichsten Verbreitungsrand. Und nach Luxemburg und Frankreich frisst er sich von Rheinland-Pfalz kommend vor. Hier, an der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Trippstadt, einem Luftkurort im Herzen des Pfälzerwaldes, trägt Hohmann ge-

rade alle Daten über verlässliche Waschbärvorkommen zusammen. Noch ist die Karte unvollständig. Der tiefrote Fleck mitten in Frankreich, erklärt der Verhaltensforscher, verweist auf einen Stützpunkt der US Air Force. »Dort haben Soldaten in den 60er-Jahren Waschbären freigelassen. Bei den Punkten in Spanien vermutet man, dass sie ihren Ursprung von handzahmen Waschbären haben, die sich dann verbreitet haben.« Wenn sie fertig ist, wird die Karte im »Handbook of Mammals of Europe« publiziert, dem umfassenden Referenzwerk über die Säugetiere Europas, das spätestens 2021 erscheinen soll. Gemeinsam mit KollegInnen steuert Hohmann das Kapitel über Procyon lotor bei. Ulf Hohmann gilt als der europäische Experte für den Waschbären und der Waschbär mittlerweile als europäische Art. Zumindest aus zoologischer

Text Thomas Weber

Das Trittsiegel eines Waschbären.


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Sicht. In Brüssel sieht man das anders. Denn die Europäische Kommission schätzt den nordamerikanischen Kleinbären – als eine von insgesamt 66 Tier- und Pflanzenarten – als »invasive Spezies« ein. Diese soll im großen Stil bekämpft werden, weil sie sich massiv ausbreitet und alteingesessenen Arten den Lebensraum streitig macht. Ziel wäre die Ausrottung.

Vom nützlichen Tierchen zum »Faunenverfälscher«

2021

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2061

Gestern, heute, morgen: Binnen weniger Jahrzehnte wurde – und wird – Deutschland zum Waschbärland. (Quelle/Prognosen: Wild & Hund/Uni Trier)

Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen. In den Roaring Twenties – also vor hundert Jahren – trug man in europäischen Studentenkreisen Mäntel aus Raccoon. Auch Colliers aus Waschbärpelz waren in Mode und das aus Übersee importierte Fell sündhaft teuer. Um es künftig selbst verfügbar zu haben, holte man sich vom Preußischen Landesjagdamt in Berlin die offizielle Erlaubnis und setzte am 12. April 1934 einige Tiere in Nordhessen aus. Auch in Brandenburg, im Harz und in Sachsen wurden einige Bären angesiedelt. An dem »harmlosen, wenn nicht sogar durch die Vertilgung von Insektenlarven und Mäusen nützlichen Tierchen« – so ein Zeitungsartikel aus dem November 1934 – verlor man allerdings rasch das Interesse, als sein Pelz aus der Mode kam und die Preise dafür verfielen. Bis sich in den 1950er-Jahren die Meinung durchsetzte, der Waschbär würde als »Faunenverfälscher« die heimische Tierwelt bedrohen. 1954 begann man ihn in Hessen massiv zu bejagen – mit dem klaren Ziel, ihn wieder ganz auszurotten. Den Misserfolg dieses Unterfangens zeigt Ulf Hohmanns Karte in eindrucksvollen Farbverläufen von Tiefrot über Orange bis Blassgelb. Heute hat die ursprünglich gebietsfremde Art auch nach bundesdeutschem Recht den Status einer »heimischen Art«. Anfangs drang der ausgesprochen ortstreue Waschbär auffällig langsam in neue Gebiete vor. Doch seit der Jahrtausendwende ging alles plötzlich sehr rasant. Das belegen auch die Abschusszahlen des Deutschen Jagdverbands. Während in Bayern noch 2008 gerade einmal 371 Tiere erlegt wurden, waren es zehn Jahre später plötzlich schon 2581. Und der Freistaat ist in Hohmanns Karte noch weitgehend gelb gehalten. Was diese Explosion auslöste, beschäftigt die Forschung. Man vermutet, dass dafür eine genetische Frischzellenkur verantwortlich ist, die

durch das Verschmelzen ehemals getrennter Populationen zustande kam. Beleg dafür, dass die Jagd den Waschbären unter Kontrolle hat, sind die steigenden Abschusszahlen aber keiner. »Eher im Gegenteil«, sagt Ulf Hohmann, »diese Zahlen zeigen nur, dass er sich überall ausbreitet und immer höhere Populationsdichten erreicht.« Wie viele Tiere es insgesamt gibt? Aus kleinen, überschaubaren Gebieten weiß man, dass JägerInnen maximal fünf bis zehn Prozent des Bestands erwischen. Bundesweit könne man in Deutschland also vielleicht sogar mit zwei Millionen Waschbären rechnen.

Guter Schwimmer, geschickter Kletterer Die Tiere mögen wärmeliebend sein und baumlose Gegenden meiden, besonders wählerisch sind sie nicht, was ihren Lebensraum angeht. Das belegte 2016 auch eine paneuropäische Studie, die zeigte, dass ausgedehnte Waldgebiete und ein hoher Anteil landwirtschaftlicher Flächen eine Ausbreitung des Kleinbären fördern. »Im Feld dürften vor allem Maisfelder eine wichtige Rolle spielen, da diese sowohl Deckung als auch Nahrung für die Allesfresser bieten«, berichteten Mike Heddergott vom Luxemburger Museum für Naturkunde und Johannes Lang, Biologe an der Universität Gießen, in der Zeitschrift »Wild & Hund«. Am schnellsten dringt der gute Schwimmer und geschickte Kletterer über Flussläufe in neue Gebiete vor. Besonders profitiert das urbanophile Tier von Städten. Dort gibt es Populationsdichten von mehr als 100 Tieren pro 100 Hektar. Allein für Berlin mit seinem Stadtgebiet von 891,8 Quadratkilometern wären das – theoretisch – bis zu 90.000 Waschbären. Das sind Dichten, die von keinem vergleichbaren Wildtier erreicht werden. In Österreich, wo der erste Kleinbär bereits 1974 im Bundesland Salzburg nachgewiesen wurde, definierte 2017 eine Studie Städte wie Wien, Salzburg, Linz, Wels und Graz als »future hotspots« der Bäreninvasion.

Metallmanschette für die Dachrinne Gefahr für den Menschen geht vom Waschbären keine aus. Tollwut ist in unseren Breiten ausgerottet, Wirtstier für den gefährlichen Fuchsbandwurm ist er keines und die Angst vor seinem Spulwurm, der den Mensch als Fehl­zwischenwirt befallen kann, ist übertrieben. In ganz Deutschland gibt es dafür bislang

Bild Ulf Hohmann

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Im urbanen Raum könnte der Waschbär als invasive Art – undenkbar in Europa, gängige Praxis im neuseeländischen Naturschutz beim Zurückdrängen eingeschleppter Säugetiere – nur mit Giftködern bekämpft werden.

zwei dokumentierte Fälle – bei Menschen, die auf engstem Raum mit handaufgezogenen Waschbären zusammenlebten. Ein Störenfried bleibt er, zumal wenn er in Städten gefüttert wird. »Es ist ein großes Missverständnis, dass viele Menschen glauben, das arme Wildtier würde in der Stadt kein Futter finden und müsse deshalb gefüttert werden«, sagt Ulf Hohmann. »Denn die Vororte und Städte sind ein ideales Habitat. Er findet überall Futter und auf dem kahlgeschorenen Rasen kommt er ideal an Regenwürmer heran.« Kein Hindernis, das nicht von ihm überklettert werden könnte. Er zerstört Dachisolierungen, durchwühlt Mülltonnen und Komposthaufen, plündert Obstbäume und den Napf von Hund und Katz. Am ehesten könne ein Waschbär noch durch einen Hund, der auch nachts draußen bleibt, aus dem Garten ferngehalten werden. Für Dachrinnen und Fallrohre, für Obstbäume und Bäume, auf denen Vögel brüten, empfiehlt er eine Metallmanschette von einem Meter Länge, damit sie nicht umgriffen und überklettert werden können. Katzenklappen gehörten nachts verschlossen, sonst dringt das nachtaktive Tier sogar in Häuser ein. Wirkliche Feinde hat der Waschbär auch draußen im Wald und auf weiter Flur keine. Zumindest keine, die sich maßgeblich auf seine Population auswirken würden. Zwar gibt es aus Deutschland mittlerweile Aufnahmen aus Fotofallen, in denen ein Wolf mit einem erbeuteten Waschbären im Maul durchs Bild spaziert. Doch in keiner der 868 von der Uni Senckenberg gesammelten Kotproben von Wolfslosung, die sich Ulf Hohmann eigens auswerten ließ, fanden sich Spuren von Waschbär-dna. »Der Wolf spielt für den Waschbären also keine relevante Rolle. Dasselbe gilt für Puma oder Alligator in den usa. Im Gegensatz zu intensiver Bejagung haben sie keine Auswirkungen auf die Population.«

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In freier Wildbahn wird der Waschbär 10 bis 15 Jahre alt. Weibchen sind mit einem Jahr fortpflanzungsfähig, Männchen ab ihrem zweiten Lebensjahr.

Bei Nordamerikas Indigenen hat es lange Tradition, nicht nur das Fell, sondern auch das Fleisch des Raccoons zu verwerten. Einen Überblick, wie der Waschbär von unterschiedlichen Stämmen gejagt und gegessen wurde (und wird), findet man unter traditionalanimalfoods.org. Als Allesfresser müsste ein erlegter Waschbär jedenfalls vor dem Verzehr auf Trichinen­befall beschaut werden.

Sargnagel für bedrohte Arten Warum ihm die EU-Behörden, fast 90 Jahre nachdem er in Europa angesiedelt wurde, wieder an den Pelz wollen, liegt allerdings an seiner ökologischen Bedeutung. Zwar ist sich die Forschung mittlerweile weitgehend einig, dass gebietsfremde Arten in Mitteleuropa »aufgrund der relativen Artenarmut im Zuge der postglazialen Besiedlungsgeschichte weit weniger an der Gefährdung der einheimischen Artenvielfalt beteiligt sind als anderswo auf der Welt«. Dass die Anwesenheit des Waschbären in manchen Gegenden auf Kosten gefährdeter Arten geht, ist allerdings offensichtlich. »Kleinräumig kann er desaströse Effekte haben«, bestätigt Ulf Hohmann. Meist sei der Waschbär zwar bloß der Buhmann, der aufzeige, dass etwas seit Längerem im Argen liege – etwa wenn Waschbären Uhus die letzten verbliebenen alten Bäume als Un-

» Als gebietsfremde, invasive Art sollte der Waschbär in Österreich intensiv bejagt werden.« — Klaus Hackländer, Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft, boku Wien terkünfte streitig machen, wenn sie die Gelege bedrohter baumbrütender Vögel plündern oder wenn sie die Eier der stark gefährdeten Europäischen Sumpfschildkröte ausbuddeln. Das ändere allerdings nichts daran, dass das Auftauchen des Waschbären der letzte Sargnagel für diese Arten sein könne. »Das Ziel muss sein, weitere ökologische und ökonomische Schäden zu verringern und die fortschreitende Ausbreitung zu verlangsamen«, meint deshalb Klaus Hackländer vom Wiener boku-Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft und fordert, der Waschbär solle in Österreich »als gebietsfremde, invasive Art intensiv bejagt werden«. Dass diese Strategie zum gewünschten Erfolg führt, dafür gibt es allerdings keine Garantien. »Ich kann mit gutem Gewissen sagen«, sagt Ulf Hohmann, »eine flächendeckende Bejagung des Waschbären mit dem Ziel, ihn zu managen, ist nicht möglich.« Kleinräumig, um Vogelschutzgebiete oder Amphibienlaichplätze zu schützen, wäre die Jagd auf den Kleinbären aber jedenfalls notwendig – »sonst frisst uns der Waschbär die letzten europäischen Schutzgebiete.«

Bild Ulf Hohmann

Dass der Maskenträger noch intensiver bejagt werden soll – mit Fallen und künftig vielleicht auch mit Nachtsichtgeräten –, darüber herrscht weitgehende Einigkeit. Denn sowohl mit der Landwirtschaft als auch mit dem Naturschutz gibt es Konfliktpotenzial. Waschbären haben eine ausgesprochene Vorliebe für Kirschen, Pflaumen und Weintrauben. Auch auf Maisäckern schlagen sie zu. »Häufig kommt an solchen reichhaltigen Nahrungsquellen der gesamte Sozialverband der lokalen Waschbärenpopulation zusammen, sodass einzelne Obstbäume innerhalb weniger Nächte abgeerntet werden können«, heißt es in einer bereits 2012 erschienenen Metastudie.


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»Niemand fragt, ob wir Schmet­terlinge brauchen« Natur und ihre Vielfalt sind schützenswert – nicht nur, aber auch, weil sie unsere Umwelt sind, erklärt der bestechend pragmatische Vogelschützer Norbert Schäffer.

Norbert Schäffer

ist Vorsitzender des Landesbunds für Vogelschutz in Bayern (LBV), einer der größten Naturschutzverbände Deutschlands.

biorama: Warum sollte es einen kümmern, ob es möglichst viele Vögel gibt oder ob von einer bestimmten Art möglichst viele Vögel überleben? Norbert Schäffer: Warum brauchen wir grundsätzlich biologische Vielfalt? Für den Natur- und Artenschutz gibt es verschiedene Begründungen. Eine anthropozentrische, die fragt: Was haben wir Menschen davon? Ein zentrales Beispiel hierfür ist, dass Tiere und Natur sehr gute Indikatoren für den Zustand der Umwelt sind. Das gilt besonders für Vögel. Die Schädlichkeit von Dichlordiphenyltrichlorethan (ddt) beispielsweise ist uns in den 1950ern nur aufgefallen, weil die Greifvögel nicht mehr erfolgreich gebrütet haben und man sich gefragt hat: Woran liegt das? Die negativen Folgen für den Menschen wurden daraufhin herausgefunden und ddt verboten. Ich kann aber auch sagen: Vögel haben das Recht, da zu sein. Also eine moralische Kategorie. Es gibt auch Leute, die das religiös begründen, als Teil der Schöpfung. Der Auerhahn im Bayerischen Wald interessiert als Wirtschaftsfaktor nicht sehr. Aber wenn es eine ethische oder ökologische Pflicht gibt, Arten zu erhal-

ten, dann gilt sie nicht nur für manche Arten. Ich werde selten mit der Frage konfrontiert, ob wir Natur grundsätzlich brauchen. Das betrifft immer nur einzelne Tiere wie den Wolf, aber nie Schmetterlinge. Niemand fragt, ob wir wirklich Schmetterlinge brauchen. Wo endet die Daseinsberechtigung – zum Beispiel beim Fischotter? Wir sagen, der Fischotter soll bei uns leben dürfen. Wir sehen aber auch, dass er Schwierigkeiten machen kann. Einerseits muss man Schäden minimieren. Etwa dadurch, kleine Forellenzuchten einzuzäunen. Das kann ich aber nicht einzelnen TeichwirtInnen auflasten, das muss die Gesellschaft bezahlen, denn die Gesellschaft entscheidet sich für den Erhalt der Artenvielfalt. Wenn diese Schutzmaßnahmen aufgrund der Gegebenheiten nicht möglich sind oder die Schutzmaßnahmen überwunden werden, dann wird entschädigt. Und wenn die Kompensationszahlungen eine definierte Grenze überschreiten, dann kann man entnehmen. Und da stimmen wir dann auch zu, beispielsweise bei der Entnahme von Graureiher, Biber

Bilder Istock.co m/cre at ivenatu re_Nl, No rbert Schäffer

Interview Irina Zelewitz


oder Kormoran. Es werden in Bayern mit Zustimmung des Landesbunds für Vogelschutz (lbv) viele Tausend Kormorane geschossen. Aber für uns ist wichtig, dass diese Kette von Maßnahmen so eingehalten wird. Dass zuerst Schutzmaßnahmen getroffen werden und erst entnommen wird, wenn alles andere nicht hilft. Sind mit dieser Vorgangsweise alle relevanten Interessengruppen zufrieden? Natürlich wäre es manchen FischzüchterInnen lieber, es gäbe keinen einzigen Kormoran in ihrer Gegend. Und vielen unserer Mitglieder wäre es am liebsten, wenn kein Tier geschossen würde. Aber im Grunde geht das so ganz gut für alle. So, und nur so, funktioniert der Umgang mit Konfliktarten. Sie sind Artenschützer. Geht es Ihnen nicht längst auf die Nerven, Naturschutz immer mit einem Nutzen für die menschliche Gesundheit rechtfertigen zu müssen? Wir räumen der Natur ein Daseinsrecht ein – unabhängig von damit verbundenen Vorteilen. Ein Naturschutzgebiet fordern wir vordergründig, um die Natur zu schützen, nicht, damit die

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1979

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V o ge l s ch u tz

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Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V. ist ein Umwelt- und Naturschutzverband mit über 100.000 Mitgliedern und Förderinnen und Förderern.

Menschen dort spazieren gehen können. Wenn die Automobilindustrie sagt: »Wir verkaufen die Freude am Fahren und wir verkaufen Lebensglück«, sag ich: »Nein. Sie verkaufen Autos!« Und da versuchen wir schon, dem etwas gegenüberzustellen und zu zeigen, was Arten- und Naturschutz für ein Potenzial hat, Lebensglück zu fördern. Und es ist mittlerweile auch in vielen Beispielen nachweisbar, wie sich Artenvielfalt und der Aufenthalt in einer artenreichen Natur auf die Lebensqualität und das Lebensglück auswirken. Wir haben ein lbv-Projekt in Kooperation mit knapp hundert stationären Pflegeeinrichtungen in Bayern, bei denen wir in den Gärten und Parks ein Futterhäuschen für Vögel aufgestellt und die BewohnerInnen dazu aufgerufen haben, die Vögel zu beobachten. Die Universität Eichstätt hat gemessen, wie sich das auf eine Reihe von Indikatoren im Bereich Mobilität bis zu manchen kognitiven Fähigkeiten auswirkt. Die Auswertung ergibt: Es lässt sich wissenschaftlich nachweisen, dass es den Leuten durch die Vogelbeobachtung deutlich besser geht. Wir können das aber auch anekdotenhaft erzählen: In einem der teilnehmenden SeniorInnenheime lebt eine Frau, die über hundert Jahre alt ist und seit Jahren ihr Zimmer nicht verlassen hat. Dann hat sie die anderen BewohnerInnen draußen bei der Vogelbeobachtung gehört und seitdem nimmt sie ein Mal täglich die Reise zum Vogelfutterhaus auf sich. Müssen die Vögel dazu divers sein? Wir gehen davon aus, dass das Unvorhergesehene wichtig ist, dass verschiedene Arten zu sehen und zu hören sind und Erinnerungen wecken. Wir wissen ja, dass alte Menschen in einem frühen Stadium der Demenz mitunter nicht mehr wissen, was sie gestern zu Abend gegessen haben. Doch Vogelgesang weckt Erinnerungen, die Jahrzehnte zurückliegen. In vielerlei Hinsicht sind das Vorteile, die auch andere Beschäftigung mit Tieren haben kann. Aber es ist weniger aufwendig und funktioniert selbstorganisiert im Gegensatz zu einem Termin, wo um 14 Uhr die Sozialpädagogin oder der Sozialpädagoge mit zwei Hunden kommt, die man dann streicheln darf. Die Vögel kann

man sich selbstbestimmt ansehen – oder eben nicht. Wir gehen aber nicht davon aus, dass es notwendig ist, dass möglichst viele Rote-Liste -Arten beim Vogelhaus vorbeikommen. Das wird sich vielleicht ändern, wenn die Kohorte, bei der Birdwatching derzeit so boomt, ein gewisses Alter erreicht? Ja! Wenn ich dann in einem SeniorInnenheim bin, gilt das nicht mehr. Wobei man sagen muss: Es ist ein erheblicher Anteil der Bevölkerung, der rausgeht, um Vögel im eigenen Garten oder bei einem Spaziergang zu beobachten. Aber die würden sich nie zu den Birdwatchern zählen. Weil sie es nicht mit dem Ernst und dem Hintergrundwissen betreiben, den sie sich unter Birdwatching vorstellen. Es wäre aber ein Gewinn, wenn die Menschen, die damit Zeit verbringen, das auch bewusster machen. Das steigert die Chance, dass diese Naturerfahrungen positive Effekte erzielen – für die Menschen selbst und auch für deren Umgang mit der Natur. Sind heimische Stechmücken besser als solche Arten, die eingeschleppt wurden oder sich erst durch den Klimawandel in unseren Breiten wohlfühlen? Abgesehen von einigen wenigen Arten – wie etwa Käfer, die derzeit unsere Wälder ernstlich bedrohen – muss man sagen, dass für den Artenschutz derzeit nicht die Neozoen ein Schwerpunktthema sind. Auch noch nicht der Klimawandel, sondern es ist die Landnutzung. Auf einem Acker, der mit Pestiziden oder Dünger behandelt, oder eine Wiese, die regelmäßig gemäht wird, gibt es einfach nicht mehr viel Leben. Also vor allem gibt es weniger Nahrung für die Vögel in den Feldern, mitunter ist aber auch die häufige Mahd ein Problem, weil dadurch der Brutplatz fehlt. In ganz Europa nehmen Feldvögel deutlich stärker ab als andere Vogelarten. Das bedeutet aber nicht nur, dass weniger gedüngt und gemäht werden soll – fast wichtiger ist, dass es Strukturen gibt, die einen Rückzugsort für die Vögel darstellen, wenn gemäht oder gespritzt wird. Das müsste doch möglich sein, dass da am Rand eines Feldes auch eine Hecke wächst.


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»Streng geschützt« Modestrecke Einseitiger aufmacher

Mit Letztstand 2019 lebten in der Schweiz sieben bis maximal neun Wolfsrudel. In sieben davon gab es Nachwuchs.

David Gerke ist Jäger, Hirte und als Wolfsschutzaktivist einer der Initiatoren des Schweizer Referendums über den Schutzstatus des Wolfs. Präventive Abschüsse hält er für denkbar, die Forderung nach wolfsfreien Zonen allerdings für »surreal«. Interview Thomas Weber

BildER David Gerke, g ru ppe wo lf schwei z

David Gerke

Der Schweizer, wohnhaft in Biberist ist Schafhirte, als Jäger akademisch ausge­ bildeter Jagdwirt und Präsident der »Gruppe Wolf Schweiz«. gruppe-wolf.ch

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rstmals wird in der Schweiz über den Schutzstatus eines Wildtiers abgestimmt. Einer der dafür Verantwortlichen ist David Gerke. Unterstützt von wwf, BirdLife, Pro Natura und Zoo Schweiz engagiert er sich mit der »Gruppe Wolf Schweiz« gegen eine Revision des Jagdgesetzes. Durch sie würde der Wolf faktisch jagdbar und der Artenschutz für den Wolf würde nur noch auf dem Papier existieren. Auch der Schutz von Luchs und Fischotter, Biber und Bär wäre dadurch bedroht. Das von ihm initiierte Referendum »Nein zum Jagdgesetz!« findet am 17. Mai statt. Dabei ist Gerke ohne Weiteres keinem der beiden Lager auf der oft so verhärteten Front in Wolfsfragen zuzuordnen. Im Gespräch mit biorama erklärt er, warum er präventive Abschüsse von Wölfen ohne vorherige Schutzmaßnahmen von Weidetieren für völlig verkehrt und die politische Forderung nach wolfsfreien Zonen für »surreal« hält. BIORAMA: Herr Gerke, als Jäger, akademisch geprüfter Jagdwirt, zeitweiliger Schäfer und ehrenamtlicher Wolfsschutzaktivist sitzen Sie zwischen den Stühlen der gängigen Rollenzuschreibun-

gen. Warum ist der Wolf in Europa aus Ihrer Sicht noch eine bedrohte Art? David Gerke: Vom Aussterben bedroht ist der Wolf nicht und verschiedene Wolfspopulationen Europas sind wachsend. Aber noch immer sind weite Teile West- und Mitteleuropas ohne Wolfsvorkommen und einige Populationen befinden sich nicht in einem günstigen Erhaltungszustand. Daher liegt regional durchaus noch eine Gefährdung der Art vor. Und ob gefährdet oder nicht: Als einheimischer Tierart gestehe ich dem Wolf ohnehin ein Existenzrecht zu. In Deutschland trat Mitte März eine Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes in Kraft, die es erlaubt, dass Wölfe im Fall von durch sie verursachten »erheblichen Schäden« an Nutz- und Weidetieren abgeschossen werden dürfen, bis keine Tiere mehr gerissen werden. Anders als bisher darf damit auch geschossen werden, wenn nicht klar ist, welcher Wolf genau für die Schäden verantwortlich ist. Wie beurteilen Sie diese »Lex Wolf«? Nun, Deutschland hat bisher den europäischen Schutz des Wolfs sehr streng ausgelegt,


strenger als fast alle anderen europäischen Länder. Eine gewisse Korrektur überrascht mich deshalb nicht. Die neue Regelung in Deutschland sehe ich allerdings kritisch, weil sie mir nicht geeignet erscheint, um Konflikte mit schadenstiftenden Wölfen wirklich zu lösen. Einfach so lange Wölfe abzuschießen, bis man das »richtige« Tier erwischt hat, kann mehr Probleme verursachen als lösen. Auch wäre etwa das Erlegen von Adultwölfen mit abhängigen Jungtieren gegen den Tierschutzgedanken. Auch in der Schweiz soll sich durch eine Änderung des Jagdrechts der Schutzstatus des Wolfs ändern. Dagegen haben Sie mit anderen ngos wie dem wwf ein Referendum initiiert, weil der Artenschutz für den Wolf durch das neue Jagdgesetz nur mehr auf dem Papier bestehen würde. Inwiefern? Das Jagdgesetz sieht verschiedene Änderungen vor. Formell bleibt der Wolf damit zwar geschützt. Jedoch würden Eingriffe bei geschützten Wildtieren wie Wölfen bereits dann möglich sein, wenn geringe Schäden drohen, selbst ohne vorher ergriffene Präventionsmaßnahmen. Heute müssen erhebliche Schäden trotz ergriffener Prävention vorliegen, um in die Bestände einzugreifen. Das ist ein Paradigmenwechsel im Umgang mit geschützten Wildtieren, weil Abschüsse nicht mehr die letzte, sondern die erste Lösung wären. Gibt es auch Argumente der Befür­ worterInnen der Revision, die Sie nachvoll­ ziehen können? In der heutigen Situation mit deutlich gewachsenen Wolfspopulationen ist es sicherlich so, dass der Fokus beim Management auf den Erhalt der Ge-

200 bis 250 Luchse gibt es mittlerweile in der Schweiz. Dieses Tier wurde allerdings in Bayern fotografiert, im Nationalpark Bayerischer Wald.


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samtpopulation gelegt werden muss und nicht mehr auf den Schutz jedes Einzeltiers. Insofern ist es verständlich, wenn bei Abschüssen vermehrt präventiv anstatt reaktiv gearbeitet werden soll. Aber auch präventive Abschüsse ersetzen keinen Herdenschutz.

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Eine der Befürchtungen ist, dass sinkende Jagderträge ein Regulationsgrund für geschützte Arten wie Luchs und Wolf sein können. Wie denkt denn die Schweizer JägerInnenschaft darüber? Die JägerInnenschaft ist da sehr gespalten. Grundsätzlich wissen alle Jagenden, dass das Fressen und Gefressenwerden einen Teil des natürlichen Kreislaufs darstellt. Daher ist es auch niemals ein Schaden, wenn Großraubwild Rehwild, Hirsche oder Wildschweine erbeutet. Andererseits hätte man trotzdem gerne hohe, sichere Jagderträge. Für die JägerInnenschaft ist es deshalb eine schwierige Situation. Für mich selber ist klar: Steigende Schalenwildbestände, insbesondere von Reh-, Rot- und Schwarzwild mit entsprechenden Schäden an land- und forstwirtschaftlichen Kulturen, sind ein europaweites Phänomen. Forderungen nach einer Dezimierung von Großraubtieren zur Sicherung von Jagderträgen sind für mich in dieser Situation daher völlig aus der Zeit gefallen und stellen eine ernsthafte Gefahr für die Akzeptanz der Jagd dar. Die Schweizer Bevölkerung lebt zu zwei Dritteln in Städten und die Stadtbevölkerung gilt als besonders wolfsfreundlich. Andererseits ist es zwar das erste Mal, dass über den Schutzstatus eines Wildtiers abgestimmt wird. Bei Tierschutzfragen – zuletzt bei der Hornkuh-Initiative über die Enthornung von Rindern – ging der Entscheid aber zumeist gegen das Tier aus. Ist also alles offen? Ja. Wir stimmen zwar gelegentlich über Fragen zu Umwelt- und Tierthemen ab, doch gab es noch keine vergleichbaren Abstimmungen über den Umgang mit geschützten Wildtieren. Die Schweizer Bevölkerung stimmt meist regierungstreu ab, manchmal aber auch etwas umweltfreundlicher als die Regierung. Es ist aber sicherlich eine unkonventionelle Abstimmung, bei der das Stimmverhalten nicht entlang der üblichen Parteilinien verläuft. Insofern erlaube ich mir keine Prognose.

Was ist denn die Regierungshaltung dem Wolf gegenüber? Die Regierung sagt Ja zum Wolf, aber auch Ja zu einer erleichterten Regulation. Es ist wohl kein Liebes-Ja zum Wolf, aber Resultat der Erkenntnis, dass er nun mal wieder da ist und die Bevölkerung im 21. Jahrhundert definitiv keine erneute Ausrottung mehr gutheißen würde.

Die Berner Konvention, 1979 in Bern (Schweiz) als bindender völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz von wildlebenden Pflanzen und Tieren und ihrer natürlichen Lebensräume unterzeichnet, unterscheidet zwischen »streng geschützten« und »geschützten« Arten.

Egal wie das Referendum ausgeht: Das Schweizer Ergebnis wird in den Nachbarländern jedenfalls instrumentalisiert werden. Was passiert im besten, was im aus Ihrer Sicht schlimmsten Fall? Welche Bedeutung die umliegenden Regierungen dem Schweizer Abstimmungsresultat beimessen werden, weiß ich nicht. Dazu fehlen mir die Kenntnisse über die jeweiligen politischen Verhältnisse. Was die betroffenen Verbände und Organisationen machen werden, dürfte aber absehbar sein: Ein Ja zum neuen Jagdgesetz würde von GegnerInnen des Tiers so interpretiert, als habe die Schweiz Nein zum Wolf gesagt, obwohl es nur ein Ja zu dessen leichterer Regulierung war. Die BefürworterInnen des Wolfs würden ein Nein natürlich kommunikativ einsetzen, um Bestrebungen zur Lockerung des Schutzes zu bekämpfen. Die Gefahr einer falschen Interpretation des Ergebnisses ist hoch.

Unterzeichnet haben 46 europäische und vier afrikanische Staaten, in denen europäische Zugvögel überwintern. Innerhalb der Europäischen Union passiert ihre Umsetzung u. a. im Rahmen der Fauna-FloraHabitat-Richtlinie (FFH).

Was in der Wolfsdebatte kaum Thema ist: Man kann sogenannte »schadenstiftende Einzeltiere« längst erlegen. Wird die tatsächliche Handlungsfähigkeit der Politik nicht bewusst untertrieben? Frankreich oder Skandinavien etwa gehen mit dem Wolf gänzlich anders um als Deutschland, Österreich oder die Schweiz – bei demselben Schutzstatus. Was mir als Schweizer mit dem Blick eines Außenstehenden sofort auffällt: In allen EU-Ländern, in denen der Wolf im Annex IV der ffh-Richtlinie (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, Anm.) steht und damit »streng geschützt« ist, wird sehr unterschiedlich mit ihm umgegangen. Wir können z. B. Deutschland und Frankreich vergleichen. In beiden Ländern herrscht EU-rechtlich exakt derselbe Schutz, die Population in Deutschland ist sogar etwas größer als in Frankreich, beide Populationen sind grenzüberschreitend mit den Nachbarländern und befinden sich noch nicht in einem sogenannten »günstigen Erhaltungszustand«. Während

Herdenschutz bezeichnet alle Maßnahmen, die dem Schutz von in Herden gehaltenen Weidetieren wie Schafen oder Rindern dienen, vor allem vor großen Beutegreifern wie Wolf, Bär und Luchs. Herdenschutz bieten etwa besondere Elektrozäune oder Herdenschutzhunde. Vereinzelt setzt man auch auf Esel, Alpakas oder Lamas als wehrhafte Herdenmitglieder.

Im jagdlichen Jargon bezeichnet das Luder ein totes Tier, mit dem fleischfressende Tiere wie Fuchs oder Marder angelockt werden. Ein Luderplatz oder Luderloch bezeichnet den Ort, an dem das tote Tier abgedeckt oder vergraben wird.

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Biorama 66

WOLF

Deutschland bisher extrem restriktiv ist mit Abschussbewilligungen und bisher noch nicht einmal ein halbes Dutzend erteilt hat (wie sich die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes auswirken wird, muss sich erst noch zeigen), erlegt Frankreich mittlerweile jährlich 100 Wölfe bei einer festgesetzten Abschussquote von 17–19 Prozent der Population. Ich will Frankreich nicht als Vorbild betrachten und halte die dortige Abschusspolitik für weitgehend gescheitert in Bezug auf die Verhinderung von Schäden und die Steigerung der Akzeptanz des Wolfs. Aber es zeigt doch, dass die EU-Regeln selbst für den Umgang mit streng geschützten Arten gemäß Annex IV der ffh-Richtlinie sehr flexibel sind und pragmatische Lösungen erlauben. Die stetigen Forderungen nach einer Lockerung der ffh-Richtlinie und auch der Berner Konvention kann ich daher aus Sicht eines flexiblen Wolfsmanagements nicht verstehen und halte sie für politisch motiviert.

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Im deutschen Schleswig-Holstein wurde monatelang erfolglos der Problemwolf GW924m gejagt, der wiederholt als wolfssicher geltende Zäune überwunden und Schafe getötet hatte. Das Problem löste sich schließlich erst, als er in Niedersachsen vor ein Auto lief. Aus Sicht des Jägers: Wie ließe sich denn der Wolf am besten bejagen? Nun, ich bin zwar aktiver Jäger und mittlerweile auch Jagdwirt und habe ein großes Wissen zum Wolf, aber ein Wolfsjäger bin ich natürlich nicht. Wir wissen, dass Lappjagden in den flachen Gebieten Mittel- und Osteuropas geeignet sind, um Wölfe zu bejagen. In Skandinavien bewährt sich Snow-Tracking in Verbindung mit Hubschraubern (Arial Hunting). Und verschiedentlich wird auch die Jagd am Luderplatz angewendet. Vieles davon ist jedoch im alpinen Gelände nicht so einfach anwendbar. Die Erfahrung aus der Schweiz zeigt, dass nur eine Minderheit der Abschussbewilligungen tatsächlich vollzogen werden kann, trotz riesigem Aufwand. Die Alpen sind für die Jagd ein sehr anspruchsvolles Gelände und die Wölfe reagieren sehr sensibel auf den Jagddruck. Die gezielte Jagd auf einen bestimmten schadenstiftenden Wolf ist zudem nochmals viel schwieriger als der Abschuss eines beliebigen Wolfs. Praktisch ist er oft beinahe unmöglich, wie nicht nur wir SchweizerInnen immer wieder merken, sondern es gerade auch die Deutschen lernen. Auch meine eigenen Erfahrungen bestätigen dies. Ich hatte schon mehrfach das Privileg, wildlebende Wölfe in den Schweizer Alpen beobachten zu dürfen, sehr berührende und eindrückliche Erlebnisse übrigens. In keinem dieser Fälle hätte ich jedoch einen Wolf erlegen können, wenn ich es gemusst hätte. Das heißt aber auch: Selbst ich als Jäger mit vielen Erfahrungen zum Wolf würde bei der Wolfsjagd an meine Grenzen stoßen.


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Irgendwann, da sind sich fast alle einig, wird der Wolfsbestand in ganz Europa gemanagt werden. Wann sollte das aus Ihrer Sicht der Fall sein? Er wird schon heute fast überall gemanagt. Denn Wolfsmanagement bedeutet nicht nur Abschüsse, sondern immer auch Herdenschutz für Nutztiere und Information für die Menschen. Es ist eine Binsenwahrheit unter WildtierbiologInnen, dass Wildtiermanagement zu 90 Prozent Menschenmanagement ist. Letztlich ist die Entscheidung darüber, ob, wann und wie Wölfe gemanagt werden, eine politische. Ich finde den heutigen Ansatz, wonach der »günstige Erhaltungszustand« der Population ein maßgebender Faktor dafür ist, in welchem Umfang Eingriffe möglich sind, grundsätzlich gut und zukunftsträchtig. Also eine Beibehaltung des gesetzlichen Schutzes, der bei gesicherten Beständen jedoch ein zielführendes Management zulässt, das dann auch mit Erfolgskontrollen auf seine Tauglichkeit überprüft wird. Ich nehme an, Sie begrüßen, dass das Füttern von Wölfen in Deutschland künftig explizit verboten ist, oder? Absolut. Wildlebende Wölfe sind für Menschen grundsätzlich völlig ungefährlich, weshalb man sich auch in Wolfsgebieten jederzeit ohne Angst aufhalten kann. Aber wenn Wölfe gefüttert werden, können sie in der Folge aktiv die menschliche Nähe suchen und dabei auch gefährlich werden. Deshalb ist es natürlich wichtig, dass man solche sogenannten futterkonditionierten Wölfe rasch erlegen kann. Genauso wichtig ist aber, dass Wölfe gar kein vom Menschen bereitgestelltes Futter finden. Dazu braucht es neben viel Aufklärung auch durchsetzbare Verbote. Ein solches integrales Wolfsmanagement, das auch den Menschen in die Pflicht nimmt, wird mit dem neuen Jagdgesetz in der Schweiz aber leider verpasst. Es setzt auf Abschüsse, ohne den Menschen vermehrt in die Pflicht zu nehmen, und schwächt sogar die Stellung des Herdenschutzes, weil der aktive Schutz von Weidetieren keine Voraussetzung mehr für Wolfsabschüsse ist, anstatt ihn zu stärken. Es stellt daher kein geeignetes Instrument für ein konfliktarmes Zusammenleben mit dem Wolf dar. Wenn die Revision des Jagdgesetzes in der Schweiz verhindert wird und die ngos

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Insgesamt 15 Bären wurden seit der Rückkehr der Art 2005 in der Schweiz nachgewiesen. Zwei wurden als »Problembären« getötet. Die meisten Tiere lebten scheu und zurückgezogen.

in Deutschland die »Lex Wolf« erfolgreich bekämpfen: Was raten Sie extensiven SchafhalterInnen, die bereits jetzt kaum ökonomisch über die Runden kamen und die ihre Existenz durch den Wolf bedroht sehen? Eigentlich ändern diese Gesetze für mehr Wolfsabschüsse für Schafhaltende sehr wenig. Solange es Wölfe gibt, gibt es keine Alternative zum Herdenschutz. Wir sehen das auch überall dort in Europa und Asien, wo der Wolf ganz regulär bejagt wird, etwa in Spanien oder Teilen Osteuropas: Ohne Hirten, Herdenschutzhunde und gute Zäune geht es nirgends. Es ist zwar legitim, wenn sich Schafhaltende für die Wolfsregulation einsetzen. Ich halte es aber für in höchstem Maße fahrlässig, wenn dieses Engagement dazu führt, dass der Herdenschutz vernachlässigt wird. Das ist durchaus auch ein Vorwurf an die Politik, gerade auch in Österreich: Wenn die Politik den Bäuerinnen und Bauern suggeriert, man löse für sie das Wolfsproblem, indem man sich für eine Regulierung oder gar surreale Forderungen für einen wolfsfreien Ostalpenraum einsetze, lässt man sie geradewegs ins Verderben rasen. An mehr und besserem Herdenschutz führt kein Weg vorbei, wenn die Haltung insbesondere von Kleinvieh auch bei der Rückkehr des Wolfs noch Zukunft haben soll. Deshalb sollte das Engagement der Schafhaltenden voll und ganz einer fairen finanziellen Abgeltung aller Teile des Herden­ schutzes gelten.

Buchtipps

»Wolf, Luchs und Bär in der Kulturlandschaft. Konflikte, Chancen, Lösungen im Umgang mit großen Beutegreifern« Ulmer Verlag, Stuttgart 2019.

»Der Wolf. Im Spannungsfeld von Land- & Forstwirtschaft, Jagd, Tourismus und Artenschutz« Stocker Verlag, Graz 2019.


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Wir verlangen von anderen Ländern, Tiger und Elefanten zu schützen, sind aber als reiche Länder nicht bereit, unsere Nutztierhaltung so anzupassen, dass wir mit dem Wolf zusammenleben können? – CHRISTIAN PICHLER, WWF Österreich

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Einst haben wir ihn ausgerottet, dann streng geschützt, jetzt kommt er zurück in unsere Lebensräume. Weil Zusammenleben gelernt sein will, widmet BIORAMA dem Thema Wolf eine Informationsseite; in Kooperation mit dem WWF nach dem Credo: Wir lassen uns nicht hetzen, sondern arbeiten bewusst langsam, überprüft, fundiert. biorama.eu/mit-dem-wolf-leben-lernen

Spanische Spezialitäten für Fortgeschrittene

donfredo.at

Eine entgeltliche Kooperation von BIORAMA und dem WWF.


Fisch des jahres

THEMA WaSSER

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tiv. at

Die Bachforelle fühlt sich in kalten Fließgewässern am wohlsten.

jägerin der Nacht

bild BAW-IGF/W Hauer

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ie Bachforelle ist ein anspruchsvoller Fisch – sie liebt kühle, klare und sauerstoffreiche Gewässer mit Kies- oder Sandgrund. Tagsüber versteckt sie sich im Uferschatten, nachts ist sie als einzelgängerischer Raubfisch auf der Suche nach Krebstieren, Insekten, Schnecken oder anderen Fischen. Die Bachforelle gehört zur Familie der Lachsfische und ist ein beliebter Speiseund Anglerfisch, zählt aber teilweise auch zu den gefährdeten Arten. Um die natürlichen Bestände zu entlasten, werden Speisefische in Aquakulturen gezüchtet, wobei Jungfische oft auch wieder in Bächen ausgesetzt werden. Idealer Lebensraum sind naturnahe Gewässer mit hoher Wasserqualität.

Mit der Ernennung zum »Fisch des Jahres« wird Bewusstsein für einzelne Arten und deren Lebensraum geschaffen. Auch in Deutschland wird jedes Jahr der »Fisch des Jahres« ernannt – dort ist es heuer die Nase, ein teilweise stark gefährdeter Süßwasserfisch mit ebenso hohen Ansprüchen an seine Um­­gebung wie die Bachforelle.

Entgeltliche Einschaltung DES BMLRT

Sie schillert bunt getupft und liebt kaltes, klares Wasser: Die Bachforelle ist der österreichische Fisch des Jahres.


WASSER IM FOKUS Wasser ist unsere wichtigste Ressource und unser Umgang damit ein Thema, das weltweit, auf EU-Ebene und national zentral behandelt wird.

Ein europäischer Grüner Deal Hand in Hand zu mehr Nachhaltigkeit in der EU

Gemeinsame Ziele: Die EU wird bis 2050 klimaneutral.

Naturnahe Gewässerlebensräume schaffen Mehrwert für Menschen, Tiere und Pflanzen.

Eindämmung der Umweltverschmutzung zum Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen.

Wasser bewusst bewirtschaften

Unternehmen, die saubere Produkte und Techno­ logien entwickeln, werden unterstützt. Es muss ein gerechter Übergang gewährleistet sein, der alle Menschen berücksichtigt.

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Wasser und ­Klimawandel Seit 1993 wird der Weltwassertag jährlich am 22. März gefeiert um weltweit Aufmerksamkeit auf das Thema Wasser zu lenken. Wasser ist der wichtigste Schlüssel zur Anpassung an den Klimawandel, daher lautete das heurige Motto »Wasser und Klimawandel«. Mehr dazu: www.wasseraktiv.at www.generationblue.at

Seit wir Menschen Land und Wasser kultivieren, verändern wir unsere Umwelt. Damit das bewusst geschieht, gibt es den Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan (NGP). Die Schaffung und Erhaltung intakter Gewässerlebensräume sind wichtiger Teil der Gewässerbewirtschaftung. Natur­räume sind für uns Menschen Orte der Erholung und für die Tier- und Pflanzenwelt wichtige Lebensräume, die für einen guten ökologischen Zustand der Gewässer in ­Österreich sorgen. Geschaffen vom Menschen – genutzt von allen N atürliche Umgehungskanäle für Wasserlebewesen ermöglichen Fischwanderungen selbst bei stark genutzten Flussabschnitten. N aturnahe Überschwemmungsflächen und Renaturierungen sorgen für Ausweichfläche von überschüssigem Wasser bei Hochwasserereignissen. G ewässerrandstreifen und naturnahe Uferzonen schaffen resiliente Lebensräume, die sich nach Extremwetterereignissen von selbst wiederherstellen können.

Bilder VERBUND, Neunteufel Abbildung Neunteufel, 2020; Datengrundlage: HOLLER, 2010

Als Teil der europäischen Gemeinschaft wollen wir uns gemeinsam um die dringenden Herausforderungen kümmern, die durch den Klimawandel und den Verlust von Natur­raum und Artenvielfalt bereits eingetroffen sind und noch auf uns zukommen werden. Das geht nur mit einer übergeordneten Strategie, die für alle Mitgliedsstaaten gilt – das ist der »Green Deal«.


brauchen eine Grundlage für die Bewilligung ­neuer Nutzungen, um eine langfristige und nachhaltige Nutzung von Grundwasser zu ermöglichen.

Roman Neunteufel forscht am Institut für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Universität für Boden­kultur und ist einer der Studienautoren des Projekts »­Wasserschatz Österreichs«. Mit welchen großen Fragen befassen Sie sich bei diesem Projekt? Wir machen eine Bilanz der Grundwasserkörper, um zu sehen, ob es schon Knappheiten gibt oder zukünftig welche zu erwarten sind. Wir schauen uns dabei verschiedene Nutzungen an: Wasserversorgung, Industrie, produzierendes Gewerbe und auch die Landwirtschaft. Die Wasserverfügbarkeit in Grundwasserkörpern ist regional sehr unterschiedlich: Es gibt Regionen, die mehr Grundwasser haben und welche, die bereits jetzt zum Teil oder saisonal zur Spitzenabdeckung auf andere Ressourcen, etwa aus größeren Verteilnetzen, zurückgreifen müssen. Wie stark haben sich die Grundwasserspiegel in ­Österreich bereits verändert? Das lässt sich nicht so einfach sagen. Derzeit halten sich steigende und sinkende Grundwasserspiegel einigermaßen die Waage. Der Grundwasserspiegel hängt im Wesentlichen vom Nieder­schlag ab. Für die Zukunft gibt es beim Niederschlag verschiedene Szenarien und man kann nur die mögliche Bandbreite dazwischen abschätzen: Feuchtere Szenarien sind für die Grundwasserspiegel keine Schwierigkeit, bei trockenen Szenarien hingegen muss man wissen, wo gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen sein werden. Wir untersuchen den derzeitigen Stand der Grundwasserkörper, sodass ­Politik und Behörden danach, wenn notwendig, Maßnahmen ableiten können. Wofür werden diese Daten verwendet? Einerseits sind sie die Datengrundlage für den Maßnahmenplan des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans nach Vorgabe der Wasserrahmenrichtlinie (eu-wrrl). Das Projekt hat für Österreich aber einen weiteren Sinn: Die ­Behörden

Österreichs gröSSter Schatz Das Projekt »Wasserschatz Österreichs« befasst sich mit der nachhaltigen Nutzung des Grundwassers unter Berücksichtigung des Klimawandels. Das Projekt stellt die aktuelle Situation der Grundwasserverfügbarkeit dar und bietet eine detaillierte Fachgrundlage für die Planung von Vorsorgemaßnahmen im Zuge des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans.

Niederschlag, Grundwasserneubildung und nachhaltig nutzbares Grundwasserdargebot im Überblick. Entgeltliche Einschaltung DES BMlrt

Der Wasser­ versorgungs­experte

Was ist das Ziel des Projekts? Wir erstellen für jede österreichische Gemeinde ein Wasserbedarfsmodell, in dem wir abschätzen, welcher Wasserbedarf derzeit besteht und welcher – unter Betrachtung von Bevölkerungsprognosen, sozio-ökonomischen Faktoren und dem Klimawandel – in Zukunft bestehen wird. Die nötigen Datengrundlagen bekommen wir von Interessensverbänden, Wasserversorgungsunternehmen und von den Landesregierungen – das wird alles hochgerechnet, um auf den Wasserbedarf eines Gemeindegebiets zu kommen und der nachhaltig verfügbaren Grundwasserressource gegenübergestellt. Bei Industrie und Gewerbe, Landwirtschaft und ausgewählten Dienstleistungen wird analog vorgegangen. Das Ergebnis wird als Bilanz je Grundwasserkörper dargestellt und dient als Fachgrundlage für die wasserwirtschaftliche Planung und bei neuen Ansuchen von Wasserentnahmerechten von Unternehmen, Landwirtschaften oder auch Privatpersonen.


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d u nk l e bie n e

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Das dunkle

Text Thomas Weber

Volk Mitte des 20. Jahrhunderts stellte die Dunkle Biene noch die Hälfte des Bienenbestands nördlich der Alpen – heute nur mehr ein Prozent.

Die urtümliche »Dunkle Biene« droht auszusterben. Nun soll die gezielte Vermarktung des »dunklen« Honigs das Verschwinden dieser Ur-Honigbiene verhindern. ganz verloren geht. Die könnte sich in Zukunft als überaus nützlich erweisen. Zwar weniger wegen ihrer besonderen Winterhärte. Doch die Dunkle Biene zeichnet sich durch besondere Anpassungsfähigkeit aus. »Sie kommt mit Witterungsrückschlägen gut zurecht«, weiß Hobby­imker Dietmar Eppenschwendtner, der südlich von Salzburg dreißig dunkle Völker hält. Sie seien sparsam und »einfach haushälterischer, was die Honigvorräte betrifft«. Der Bienenkundler Friedrich Ruttner beschrieb ihre »extreme Vorsicht als Überlebensstrategie in einer harten Umwelt«. Zwar sei sie sanftmütig, dafür am Flugloch besonders verteidigungsbereit – etwa gegenüber räuberischen Wespen und Hornissen. Dass sie über einen starken Putztrieb verfügt, könnte sich als hilfreich beim Befall durch Varroamilben erweisen. »Könnte vielleicht«, betont Eppenschwendtner. Es fehlt schlicht an Forschung. Die Zucht indes gestaltet sich als schwierig. Bei einem frei fliegenden Insekt, dessen Paarung in der Luft stattfindet, lässt sich schwer kontrollieren, auf welche Drohnen eine

Buchtipp »Mein Bienengarten. Bunte Bienenweiden für Hummeln, Honig- und Wildbienen« von Elke Schwarzer erscheint 2020 in einer überarbeiteten und erweiterten Auflage im ­Ulmer Verlag. »Bio-Imkern in der Stadt und auf dem Land. Monat für Monat durchs Bienen­ jahr« von Dietmar Niessner, 2018 im Löwenzahn Verlag erschienen, etabliert sich als Standardwerk der Bioimkerei. Der Verein AMZ (Austrian Mellifera Züchter) informiert unter dunkle-biene.at über Apis mellifera mellifera, der Zuchtverband Dunkle Biene Deutschland e. V. auf dunkle-­biene.com. Auf YouTube betreibt Kai-­ Michael Engfer den Kanal »Nordbiene«.

Bilder  Di etmar Eppe nschwendtner

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ine Biene ist eine Biene ist eine Biene? Das war zumindest nicht immer so. Wie bei anderen Nutztieren hat sich die Leistungszucht auch bei den Honigbienen auf wenige Rassen konzentriert. In Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol dominiert deshalb seit Jahrzehnten die Carnica-Biene (Apis mellifera carnica). Die Imkerei setzt zu 99 Prozent auf diese Rasse. Doch die Carnica-Biene war nicht immer allein auf weiter Flur. Noch 1950 gehörte gut die Hälfte aller Honigsammlerinnen der urtümlichen Bienenrasse Apis mellifera mellifera an, für die sich ihrer dunklen Panzerfärbung wegen der Name »Dunkle Biene« einbürgerte. In der Schweiz macht die Dunkle Biene auch heute noch geschätzt zehn Prozent der Bienenpopulation aus. Doch durch die intensive Verdrängungszucht ist das nördlich der Alpen einst bis hinauf nach Irland und Skandinavien verbreitete Tier heute bis auf wenige Restbestände fast verschwunden. Das Ziel der paar Dutzend ZüchterInnen in Deutschland und Österreich ist deshalb die reine Erhaltungszucht, damit die seltene Genetik nicht


»Auf bestimmte Eigenschaften der Dunklen Biene, etwa Resistenzen gegenüber Krankheiten, wird man in der Zucht womöglich einmal zurückgreifen müssen.«

N AT Ü R L I C H

S A U B E R

— Dietmar Niessner, Bioimker ­ önigin abfliegt. Schutzgebiete, in denen sich die Imkerei K ausschließlich dunklen Völkern verschreibt, wären sinnvoll. Durchsetzen ließen sie sich allerdings nur mit politischem Willen und entsprechenden Vorgaben. Theoretisch lässt sich ein jedes Bienenvolk in ein dunkles Volk verwandeln – einfach, indem eine entsprechende Königin eingeschleust und die alte entfernt wird. Einstweilen behilft man sich mit künstlicher Besamung und geografisch geschützten Belegstellen, um die Dunkle Biene am Leben zu erhalten. Gerade bei Nutztieren schafft genetische Vielfalt Stabilität. »Auf bestimmte Eigenschaften, etwa Resistenzen gegenüber Krankheiten, wird man in der Zucht womöglich einmal zurückgreifen müssen«, sagt Bioimker und Buchautor Dietmar Niessner. Er selbst arbeitet zwar mit Carnica-­Bienen, hält den Erhalt ihrer dunklen Schwestern aber für essenziell – »weil man nie weiß, welche Eigenschaften man einmal braucht«. Der Bewusstseinsbildung zuträglich sein könnte, dass künftig Banderolen am Glas auf die urtümlichen Sammlerinnen des Honigs hinweisen sollen. Im Gegensatz zur Sammlerin selbst ist der Honig zwar nicht dünkler als von anderen Bienen. »Ein Produkt zu bekommen, das von einer Population stammt, die nur ein Prozent zur gesamten Honig­produktion beiträgt«, vermutet Imker ­Eppenschwendtner, »das wäre aber an sich schon etwas ­Besonderes«.

FÜR DICH

Gemeinsam säen für mehr Artenvielfalt mit Bio-Saatgut


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RHABARB ERREZ EPTE

Stielfragen

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Werbefotograf trifft »Rhabarbermann«: eine Hommage an den Frühlingsboten, bei der man nicht weiß, ob man zuerst loskommen oder losgärtnern möchte.

Rezepte aus:

»Rhabarber – raffinierte Rezepte für SüSSes und Herzhaftes« von Søren Staun Petersen ist 2020 erstmals auf Deutsch bei LV.Buch erschienen.

D

ass Buchautor Søren Staun Petersen auf Foodfotografie spezialisiert ist, wird erst auf den letzten Seiten offenbart und erklärt, was man da durchgeblättert hat. Der Däne kreiert Rezepte und fotografiert die Ergebnisse. Wo er kein Experte ist, sucht er sich unterstützende fremde Federn – die einer Diätberaterin, aber auch die eines Biolandwirts, dem »Rhabarbermann von Fünen«. Die Rezepte dazu setzen teils basale, teil fortgeschrittene Kochkenntnisse voraus, richtig aufwendig wird es aber nie. Wer auf Rhabarber steht, bekommt Ideen für die Küche und kompaktes, nützliches Wissen für Einkauf, Verarbeitung und den eigenen Garten. So liefert bereits die kompakte Einleitung Sortenkunde, ausgehend von Stielfarben: »Grundsätzlich sind die rotstieligen Sorten süßer und milder im Geschmack, wobei diejenigen am mildesten sind, die auch rotes Fruchtfleisch aufweisen.« Nützliches Wissen.

Aus dem Wissen des Rhabarberbauers Lars Skitte »Rhabarber ist eine Staude, die während der Anbausaison Vorrat für das Wachstum des nächsten Jahres sammelt. Deshalb ist es wichtig, nicht zu aggressiv vorzugehen, wenn die Stängel geerntet werden. Rhabarberstängel sollen nicht abgeschnitten, sondern herausgezogen werden, damit ständig neue nachfolgen. Wichtig ist, nur einen Stängel auf einmal herauszuziehen, und zwar mit einem schrägen Zug zur Seite. So wird die Pflanze weitmöglichst geschont und ihr Herz nicht mit herausgezogen. Gleichzeitig nimmt man den saftigen Blattfuß mit in die Küche.«

BLONDIE MIT PISTAZIEN • 300 g weiße Schokolade • 200 g Butter • 1 Vanilleschote • 200 g Zucker • 125 g Mehl

• 3 Eier • etwas flüssiger Honig • 180 g Pistazienkerne, gesalzen

200 g Schokolade im Wasserbad schmelzen lassen, die Butter in einem Topf schmelzen. Vanilleschote der Länge nach aufschneiden und die Samen herauskratzen. Zucker, Mehl und Vanillesamen in einer Schüssel mischen und die Eier unterschlagen, bis die Mischung luftig ist. Butter und die geschmolzene Schokolade mit einem Teigschaber oder Ähnlichem unter die Mischung heben. Zum Schluss die Pistazienkerne und die restlichen 100 g Schokolade grob hacken und ebenfalls unter die Mischung heben. Den Teig in eine Form geben. Den Rhabarber in lange Stücke schneiden und oben auf den Teig legen. Mit etwas Honig bepinseln. Den Kuchen bei 180 °C ca. 50 Minuten backen. Wenn Sie ihn anstechen, darf gern noch etwas am Stäbchen kleben bleiben. Kuchen vor dem Anschneiden und Servieren ganz abkühlen lassen.

Bilder  Søren Staun Petersen, istock.com/johngollop

Text Irina Zelewitz


TARTE MIT GEBACKENEM RHABARBER TEIG • 200 g Mehl • 2 EL Puderzucker • 120 g kalte Butter • ca. 3 EL Wasser RHABARBER • 280 g Rhabarber • Saft von 1 Orange • 50 g Rohrzucker

CRÈME • 1 Vanilleschote • 30 g Zucker • 2 Eigelb • 10 g Maisstärke • 200 ml Milch • 100 ml Sahne

Mehl und Puderzucker mischen. Die Butter in kleine Würfel schneiden und in das Mehl krümeln, bis es eine flockige Konsistenz hat. Wasser hinzufügen und alles zu einem Teig

45 kneten. Für mindestens 4 Stunden kaltstellen – gern über Nacht. In einer Kuchenform mit 25 cm Durchmesser für ca. 15–20 Minuten bei 200 °C blindbacken. Rhabarber in kleinere Stücke schneiden, in eine Form geben, mit Orangensaft und Zucker bepinseln. Bei 180 °C für 10 Minuten backen, bis er weich ist, aber seine Form noch behält. Vanilleschote der Länge nach aufschneiden und die Samen herauskratzen. Die Samen mit dem Zucker mischen. Zucker, Eier und Maisstärke gut vermengen. Milch und Vanilleschote aufkochen lassen. Die Schote herausnehmen und die Eimischung hineingießen. Erhitzen und vom Herd nehmen, wenn die Mischung eindickt. In den Kühlschrank stellen. Sahne schlagen und unter die kalte Crème heben. Die Crème auf den abgekühlten Kuchenboden geben und mit Rhabarber abschließen – wie künstlerisch es wird, liegt in Ihrer Hand. Evtl. mit rotem Sauerklee und Minze garnieren.


Alles über Marion erfährst du auf bauersuchtbiene.at


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W e i nb au ku ltu r

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Schmetterlinge im Bauch

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Biodiversität vom Berg ins Glas – wer Terroir verkauft, soll es auch schützen.

uf der ganzen Welt werden Weinflaschen von Bienen oder deren natürlichen Fressfeinden geziert, Vulkan- und Schiefergestein dienen als Namensgeber für große Cuvées. Erfolgreich wird die Herkunft betont, ein Geschmacksversprechen in Aussicht gestellt und vor allem die Naturverbundenheit der abgefüllten Tropfen suggeriert. »Terroir« verkauft sich, und zwar richtig gut! Ein Begriff wurde zur Marketingstrategie. Was steckt dahinter? Nacht- und Tagestemperaturen, Niederschlagsverteilung, Sonnenstunden, Hangneigung und Bodenbeschaffenheit sind nur eine Auswahl klassischer Terroir-Kriterien. Wie steht es um die Verantwortung des Weinbauern, der Weinbäuerin und die Biodiversität am Weinberg – ist ihre Einflussnahme und das Leben auf, unter und über den Böden nicht auch wesentlicher Bestandteil des Terroirs? »Die Kunst der Winzer­ Innen besteht darin, Standort wie Reb(sort)e zu begreifen und aus diesem Verständnis heraus ihr eigenes Handeln abzuleiten.« Dann erst könne von einem Terroir-Verständnis gesprochen werden, meint der Biologe Wilfried Hartl vom Forschungsinstitut Bioforschung Austria.

Bild Istock.co m/Hi ldeAnna

Das Leben über der Erde (ge)zählt Schmetterlinge sind wichtige Bestäuber und als Insekten bedeutender Teil der Nahrungskette. Insbesondere Tagfalter reagieren sehr empfindlich auf Umweltfaktoren und fungieren somit als sensibler Bioindikator unserer Ökosysteme. Gemäß einem Biodiversitäts-Monitoring aus den Jahren 2008–2010, durchgeführt in Weingärten, Obstanlagen und Naturschutzgebieten

der Tschechischen Republik, liegen die Hauptgründe für das Verschwinden von Schmetterlingen aus unseren Weingärten in der Anwendung von nichtselektiven chemischen Insektiziden und dem Mangel an Artenreichtum in den Weingärten selbst. »Jedes Tier im Weingarten ist eine Verlebendigung, selbst Wildverbiss an meinen Reben und ein Ausbleiben vieler Tiere in den Gärten meiner Nachbarn sind ein genuines Qualitätssiegel für meine Arbeit«, lautet gar der Zugang von Michael Gindl. Der Weinbauer bewirtschaftet seine Weinberge in Hohenruppersdorf im Weinviertel (Niederösterreich) biodynamisch – und zwar Demeter-zertifiziert.

Text Nikolaus Zelewitz

Was bringt Bio der Diversität? Mit Stand 2016 wurden laut Bio Austria in der Europäischen Union 293.000 Hektar Weinanbaufläche biologisch bewirtschaftet, das entspricht einem Anteil von 7,3 %, Tendenz steigend. Deutschland lag mit seinem Wert im europäischen Mittel, Österreich mit 12,5 % etwas darüber. WinzerInnen-Verbünde wie Ecovin sind bestrebt, diesen Anteil stetig zu erhöhen. Ein Team rund um Eva Erhart von der Bioforschung Austria und Milan Hluchý, Präsident von Ekovín Tschechien, hat sich im Rahmen des Projekts »Naturschutz durch Ökologisierung im Weinbau – ecowin cz-at« das Ziel gesetzt, vor allem die nicht schädlichen Tagfalter zurück in die Weingärten Südmährens und Wiens zu holen. Ein eigens entwickelter Begrünungs-Mix aus rasch wachsenden wie auch zwei- und mehrjährigen Arten sollte sich als wertvolle Futterbe-

Das grenzüberschreitende Projekt »Naturschutz durch Ökologisierung im Weinbau ECOWIN CZ-AT« setzte sich zum Ziel, ökologische Bewirtschaftung im Weinbau in die Praxis umzusetzen, um das Verschwinden der Schmetterlinge aus der Kulturlandschaft zu stoppen.


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Das Schmetterlingsvorkommen auf den Pollauer Bergen (Südmähren) um das Jahr 1910

Das Schmetterlingsvorkommen in den drei konventionell bewirtschafteten Weinbergen im Untersuchungsgebiet in Südmähren.

pflanzung für die Schmetterlinge bewähren. Der Traubenwickler, ein für die Blütenknospen und Beeren äußerst schädlicher Nachtfalter, konnte – unter Verzicht auf chemische Insektizide – mittels selektiver Verwirrmethode erfolgreich von seiner Vermehrung abgehalten werden. Hierfür werden die Pheromone des Traubenwicklerweibchens großzügig im Weingarten ausgebracht, was zur Verwirrung bei den Männchen und einer vergeblichen Partnersuche führt. 2019 wurde das SchmetterlingsMonitoring, zehn Jahre nach der Implementierung dieser beiden Methoden, in denselben Weingärten wiederholt. Es zeigte sich in allen ökologisch bewirtschafteten Weingärten im Schnitt eine 30-prozentige Erhöhung der Schmetterlings-Biodiversität.

Gesetz des Bodens Einen Nachweis darüber, wie prägend etwa Mikroben (z. B. Bakterien, Viren, Pilze) im Boden des Weinbergs für den RebDas Schmetterlingsvorkommen in den stock und die Trauben sind, haökologisch bewirtschafteten Weinbergen im ben ForscherInnen vom Argonne Untersuchungsgebiet in Südmähren. National Laboratory im US-Bundesstatt Illinois im Jahr 2015 geliefert. Anhand von Erbgutanalysen an Merlot-Rebstöcken unterschiedlicher Lagen konnte eine vom Boden ausgehende Bakterienbesiedelung auf Wurzeln, Blättern, Blüten und Trauben nachgewiesen werden. Das Schmetterlingsvorkommen in einem Wo Weingärten durch verNaturschutzgebiet in Südmähren. gleichsweise intensive Bodenbearbeitung über Jahrzehnte hinweg ausgelaugt und ihrer Biodiversität beraubt wurden, droht nicht nur sukzessive Bodenerosion, sondern stehen die WeinmacherInnen vor einem weiteren Dilemma. Um ihren vielleicht schädlingsfreien, aber in dieser Hinsicht ihres Terroirs beraubten Trauben noch etwas Leben einhauchen zu können, bleibt ihnen für den Moment keine andere Wahl, als im Keller alle Register der Kellertechnik zu ziehen.

Bauern, AlchemistInnen und der Frühling Welchen Einfluss Hefe während und nach Beendigung des Gärprozesses auf den Geschmack von Wein nimmt, das zeigt uns die breite Palette von am Markt verfügbaren Reinzucht- bzw. Aromahefen. Sowohl im (lebendigen) Weingarten als auch im Keller finden wir natürlich vorkommende Hefepilze, die nur darauf warten, Zucker in Alkohol zu verwandeln. Wer es mit dem Terroir wirklich ernst meint, schenkt diesen Mitbewohnern etwas mehr Vertrauen. Terroir und Kellertechnik – gehören diese Dinge zusammen? Kommt drauf an … In bestimmten Regionen – allen voran in Frankreich – kam die Weinkultur früher zur Blüte als in anderen und somit wurden manche Methoden typisch für deren Herkunftsregion. Viele dieser technischen und stilistischen Errungenschaften gilt es dankbar zu bewahren, manche zu überdenken – Geschmackssache. Mit regionsspezifischem »Terroir« haben sie angesichts ihrer beliebigen Kopierbarkeit nur noch selten zu tun. Terroir-Betonung bedeutet: zur Geltung bringen, was da ist. Und der Schutz dessen – der Biodiversität – als Maxime setzt in letzter Konsequenz auch Biodynamik als Bewirtschaftungsphilosophie voraus. »Die Umstellung auf biodynamische Bewirtschaftung hat zuerst im Kopf und in weiterer Folge im Boden, an den Pflanzen, in der Familie und zuletzt auch bei den KonsumentInnen zu erfolgen«, betont Wilfried Hartl. Eine nur minimalinvasive – den Geschmack des Weingartens konservierende – Arbeit im Keller ist für viele längst die logische Schlussfolgerung daraus. Immer mehr WinzerInnen haben das Selbstbewusstsein, sich wieder vermehrt als Bauern und LandschaftspflegerInnen, weniger als AlchemistInnen zu sehen. Die gustatorische Wahrnehmung ist ein Zusammenspiel von mehreren Sinneswahrnehmungen und uns nur ansatzweise in die Wiege gelegt. Zu einem Großteil sind es individuelle Erfahrungen, die darüber entscheiden, was schmeckt und was nicht. Ob Kohlsprossen, Glutamat-Nudeln oder Wein: Geschmack wird gelehrt, gelernt und entwickelt sich. Es verlangt – gerade beim anspruchsvollen und kontroversiellen Themenkomplex Wein – auch von KonsumentInnen etwas Mut, sich von vermeintlich sicheren Pfaden verabschieden zu können. »Es ist das Ende der Welt«, sagt die Raupe. »Es ist der Anfang einer neuen«, sagt der Schmetterling.

Bilder dr. milan hl uchy

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Ar t i sc h o cken a r be it

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»Viele sagen, wir machen zu viel«

80 verschiedene Kulturen werden beim Biolebensmittelhersteller La Selva angebaut und verarbeitet. Diese Vielfalt baut auf Überzeugung – und einer Menge Arbeit.

Bild La Selva

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n der Region Maremma, im Süden der Toskana, bewegt sich Anfang Mai ein Traktor durchs Feld, links und rechts fliegt das Blütengemüse in hohen Bögen. Gefahren wird er von Alina Adam, ihre Kolleginnen begleiten ihn an den Flanken durch hüfthohe Disteln, entfernen deren Früchte nach einem kurzen prüfenden Blick auf Reife – Größe, Farbe, Form – mit einem gekonnten kräftigen Dreh von der Pflanze und werfen sie in die auf den Traktorenarmen aufgereihten Körbe. Die Mitarbeiterinnen scheinen genau zu wissen, was sie tun, die Stimmung ist gut. Alle paar Tage wird das auf jedem Feld der Anbauflächen von insgesamt 17 Hektar wiederholt, damit die bis zu 15 Früchte einer Artischockenpflanze jeweils zum idealen Reifezeitpunkt einkassiert werden können. Die Artischockensorten »Capriccio«, »Terum« und »Violetto di Toscana« wachsen wild gemischt, die Reife erkennt man bei der einen Sorte an der durchgehend violetten Farbe, die andere ist auch erntebereit vorwiegend grün. Dazwischen gedeiht einiges Beikraut und auch jene Artischocken, die sich bereits öffnen, sie werden stehen und blühen gelassen. Sie werden später im Jahr in den Boden eingearbeitet. Die

Reste, die bei der Verarbeitung der Ernte anfallen, kehren über die Kompostierung ebenso als Humus auf das Feld zurück. Die gesamte Region Maremma – übersetzt: sumpfiges Küstenland – hat sich mehrmals stark gewandelt. Geprägt war die Gegend von auf wenige Feldfrüchte (etwa Getreide) konzentrierte Landwirtschaft, Bergbau und den Sümpfen, früher ein Malariagebiet, die großteils im 18. und 19. Jahrhundert trockengelegt wurden. Die Region ist dünn besiedelt, der toskanische Massentourismus findet nördlich von hier statt, biologische Landwirtschaft etabliert sich erst und der Weinbau war bis vor wenigen Jahren eher der Deckung des Eigenbedarfs gewidmet, als dass er auf internationale Vermarktung abgezielt hätte. Doch inzwischen setzt die Region auf sanften Tourismus und ihre Naturschutzgebiete. Den Bayern Karl Egger, der sein Unternehmen La Selva 1980 gegründet hat, kann man jedenfalls in dieser Hinsicht als Pionier bezeichnen. Er war außerdem einer der Begründer von Naturland, als es noch keine Bioverordnung auf gesetzlicher europäischer Ebene gab, die Feldarbeit noch fast ausschließlich von Italiener­

Text Irina Zelewitz


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Ar t i sc ho cke n a r beit

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Innen erledigt wurde und die Arbeit mit schwerem Gerät Männerarbeit war.

»Artischockenarbeit ist Frauenarbeit«

Die Menschen, die auf La Selva arbeiten, tun das nicht kurzfristig, sondern leben auch in der Region.

Artischockenprodukte machen rund 6 Prozent der Manufaktur-Produktion von La Selva aus.

Selva. Sie setzt nach kurzem Überlegen nach: »Wir sind halt auf dem Land, da ist es in Deutschland vielleicht auch so. Aber wir haben uns hier zusammengerauft.« Gleichzeitig gebe es in der Leitung des Betriebs gerade Bewegung, einen Generations­wechsel – »das erlebe ich als Veränderung. Caroline (Caroline Egger, die Tochter des Eigentümers Karl Egger, Anm.) wächst gerade in ihre Rolle hinein und wird als Eigentümerin dann vielleicht auch mehr eingreifen und machen wollen.« »Wir glauben daran, dass jeder Job von Frauen und von Männern gemacht werden soll, und das Geschlecht kann natürlich keine Grundlage sein, um zu beurteilen, ob jemand für dieses oder jenes fähig ist. Es hat sich jedoch bisher her­ ausgestellt: Artischockenarbeit ist Frauenarbeit. Es geht um Fingerfertigkeit. Es scheint, dass die männlichen Mitarbeiter das nicht so gut können. Und es braucht Konzentration«, erklärt Stivaletti ernst und fügt hinzu: »Und Teamleading, von der Ernte über den Dienstplan bis hin zur Verarbeitung.« Und wo findet man die Saisonarbeitskräfte mit den entsprechenden Ausbildungen an den Geräten, etwa einem Staplerschein oder Traktorführerschein, oder auch welche, die einen haccpKurs für die Lebensmittelverarbeitung mitbringen? Die Ausbildungen werden meist im Betrieb durchgeführt oder vom Betrieb finanziert, und es handelt sich nicht um klassische Saisonarbeit für einen Bruchteil des Jahres. »Es ist in unserer Organisationslogik einfach notwendig, dass die Leute verschiedene Dinge können.

Bilder  FRE DERICO GUISSANI, La Selva, Irina z ele witz

Naturland ist einer der größten deutschen Verbände für ökologischen Landbau. La Selva ist Gründungsmitglied, dessen Landwirtschaft seit 1984 Naturland-zertifiziert und seit 2018 »Naturland FAIR«-zertifiziert.

Vom Stapler, der die frisch eingefahrene Ernte auf dem Verarbeitungsgelände bei Albinia zur Waschanlage fährt, winkt eine Mitarbeiterin. In der Manufaktur werden Spitze und Fuß der Früchte mit scharfen Messern abgeschnitten und das Herz mit einer kreisenden Schnittbewegung aus der scheinbar butterweichen gröberen Hälfte der Blätter geschnitten – bei über 750.000 Artischocken in der Saison –, in 15 Sekunden pro Stück. Der Selbstversuch zeigt: butterweich ist hier noch gar nichts und den Nachahmungsversuch sollte man anfangs nur mit Stahlhandschuhen wagen. Von hier bis zum Ende der Abfülllinie, wo die blanchierten Herzen schlussendlich in Gläser mit Öl eingelegt werden, arbeiten wieder ausschließlich Frauen. »Wir wollen hier keine Vorurteile und Rollenvorstellungen prolongieren«, sagt Christian Stivaletti, Geschäftsführer des deutsch-italienischen Biolebensmittelherstellers, auf die Frage, ob das ein für die Gegend typisches Bild der Feldarbeit und Verarbeitung ist. »Die übliche Vorstellung von Frauenarbeit ist hier eine andere, als wir sie haben, das ist ein Fakt. Aber diese Vorstellung wollen wir nicht prolongieren.« Einer der beiden landwirtschaftlichen Leiter geht in Pension, seine Nichte Benedetta Zauli wird ihm demnächst nachfolgen. »Ja, auch im Bereich der Verarbeitung gibt es Frauen in leitenden Positionen. Aber die haben es anfangs nicht leicht. Es ist nicht so normal hier wie vielleicht in Deutschland, als Frau anderen – auch Männern – was zu sagen«, sagt Monika Mayer. Die Lebensmitteltechnologin verantwortet seit 20 Jahren die Qualitätssicherung und Rezepturentwicklung bei La


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Und wir versuchen die, die Interesse zeigen, zu überzeugen, sich weiterzubilden. Besonders die, die das Zeug zur Teamleiterin oder zum Teamleiter haben«, erklärt Stivaletti. »Unser Ziel ist es, die gleichen Leute jedes Jahr zu haben. MitarbeiterInnen mit Erfahrung.«

Anders als – nicht nur – der Süden Süditalien ist in landwirtschaftlicher Hinsicht in den vergangenen Jahren über Landesgrenzen hinweg für die dort teilweise vorherrschende »Caporalato«, die Ausbeutung von SchwarzarbeiterInnen, bekannt geworden. Stivaletti gibt zu bedenken, dass die Arbeitsbedingungen im Süden zwar in einer Gesamtbetrachtung wohl am schlechtesten sind und nur im Allgemeinen in Zentral- und Norditalien besser, aber: »Auch im Süden sind nicht in allen Betrieben die Bedingungen schlecht beziehungsweise katastrophal, vereinzelt ist es auch in unserer Gegend nicht in Ordnung. Aber für uns ist das kein Thema. Wir setzen auf faire und gute Arbeitsbedingungen und Mitarbeiter­ Innenbindung. Auch wenn uns Grenzen gesetzt sind: Wir können einem Großteil der Mitarbeiter­Innen nicht 365 Tage im Jahr Beschäftigung bieten.« Drei bis vier Arbeitskräfte, »SchülerpraktikantInnen und Studierende«, sagt Stivaletti, werden für die Zeit der händischen Basilikum­ ernte und für die Verarbeitung zusätzlich gebraucht, der Rest wird mit den rund 70 jeweils für ein Jahr befristet Beschäftigten bestritten. »Unser Ziel ist es, dass unsere MitarbeiterInnen den Großteil des Jahres bei uns beschäftigt sind, zusätzlich zu den 30 ganzjährig unbefristet Angestellten im Büro und in der Produktion haben wir rund 70 MitarbeiterInnen, die befristet für mindestens 156 Tage im Jahr an­gestellt werden, um eine komplette An­ erkennung des Arbeitsjahres für die Pension zu gewährleisten.« Unabhängig von der Anzahl

der Arbeitstage pro Jahr gewährt das italienische Arbeitsgesetz den MitarbeiterInnen den Bezug von Arbeitslosengeld für die Zeit, in der die Landwirtschaft keine Arbeit bieten kann. Im Bereich Ernte gebe es Kernteams, die quasi der Fruchtfolge des La-Selva-Sortiments folgen und immer dort arbeiten, wo gerade etwas zu tun ist. »Bis irgendwann die Weinabfüllung kommt, die dauert dann zwei Monate.« Insgesamt könne so ein Großteil der Mitarbeiter­Innen drei Viertel des Jahres beschäftigt werden. »Wir sind zu komplex, wir machen zu viel, sagen viele. Aber die Vielfalt ist eben auch schön und macht Spaß und so können wir möglichst vielen im Team zumindest halbwegs übers Jahr weg Arbeit bieten.« Die durchschnitt­liche Verweildauer im Betrieb beträgt 15 Jahre. Das ist ungewöhnlich, nicht nur in der italienischen Landwirtschaft. Die Traktorfahrerin der Artischockenernte, die Rumänin Alina, hat schon vor Jahren ihren Wohnsitz und den ihrer Familie nach Italien, in die Maremma, verlegt.

Die 2010 eingeführte Zertifizierung »Naturland FAIR« erweitert die Standards & Kriterien zum ökologischen Anbau um solche zu sozialer Verantwortung und fairem Handel.

Die Autorin hat auf Einladung von La Selva im Mai 2019 die Artischockenernte in der Maremma besucht. Alina Adam arbeitet, wie auch ihr Mann und dessen Bruder, auf dem Biolandgut La Selva.


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Mar k t pl atz Ko sm etik

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Welche Verveine?

Zwei Kräuter mit vielen Namen.

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Der Lavendel und Verbenen Tee von dm BIO kombiniert Zitronenverbene nicht nur mit Lavendel, sondern auch noch mit Hagebutte, Minze, Anis, Zitronenschale und Rosen­blütenblätter und schmeckt so insgesamt intensiver und herber als purer Zitronenverbene-Tee.

Pur gibt’s Zitronenverbene etwa von Sonnentor – im Beutel und lose – als »Zitronenverbene – königliches Luiserlkraut«. Durch den fein zitronig-herben Geschmack (Sonnentor beschreibt ihn mit »Zitrone – blumig – krautig«) lässt sie sich gut mit anderen Kräutern kombinieren. Fein auch als Eistee!

Sehr reichhaltig, wer möchte, dass sie schnell einzieht, verwendet entsprechend nur eine Erbsengröße der Weingarten Handcreme von dieNikolai. Das bedeutet allerdings auch weniger vom anhaltenden Duft von Honigextrakt und Zitronenverbeneöl. Handgefertigt in Österreich. Demeter-zertifiziert.

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Bilder istock.co m/i lbusca , istock.co m/ Ole na Lykhats ka

erbene und Zitronenverbene sind zwar botanische Verwandte, aber in ihrer Verwendung und den ihnen zugeschriebenen Vorteilen sehr unterschiedlich. Beide sind Eisenkrautgewächse, hinter dem starken, zitronig-herben Duft vieler mit »Verveine« angepriesenen Produkte steckt meist die Zitronenverbene, die mediterranes Klima mag. Eisenkraut duftet milder, wächst in Mitteleuropa wild und spielt auch in der hiesigen Volksheilkunde eine Rolle.


53 Text Irina Zelewitz Bild Michael Mickl

Bei Esbjerg steckt hinter den Verbene-Produkten das Echte Eisenkraut. Verarbeitet wird dessen ätherisches Öl, das gibt dem Ganzen einen zurückhaltenden zitronigen Duft und soll entzündungshemmend wirken. Die Rasiercreme für die Nassrasur pflegt und das ultraleichte Aftershave Gel Verbena entspannt gereizte – normale bis fettige – Haut. Ob das daran liegt, dass beide während der Herstellung mit der Musik Mozarts beschallt wurden, ist schwer zu beurteilen. Uns überzeugt die Anwendung – und die Naturkosmetik-Zertifizierung nach dem Kapitel B33 des Österreichischen Lebensmittelgesetzbuchs. esbjerg.at

Styx nennt die Leitpflanze vorne auf der Verpackung seiner Kräutergarten Augenpflege einfach Eisenkraut und man bekommt auch Verbena officinalis. Ausgleichend und belebend soll sie wirken, die leichte Formulierung ist ideal für die wärmere Hälfte des Jahres. Ist vegan und trägt die Zertifikate ecocert und cosmos natural.

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Bio r a m a 66

Au s d e m Ver l ag

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UnD sonst so, im bioramaUniversum ...

team

Die Lieblingsgartenbücher der Redaktion Buchempfehlungen der vier Garten(arbeits)affinen in der Redaktion.

Fibel für (angehende) GärtnerInnen

Print

Green Spider Network

Unsere gemeinsam mit der EU-Kommission produzierte Sonderausgabe über das Umweltnetzwerk ist nun online verfügbar. Seit 25 Jahren gibt es das »Green Spider Network« schon – ein Zusammenschluss von Kommunikationsverantwortlichen europäischer Ministerien und Umweltagenturen, die sich mit dem Schutz von Natur und Wasser, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft beschäftigen. Anlässlich dieses Jubiläums hat biorama gemeinsam mit der Europäischen Kommission eine englischsprachige Sonderausgabe produziert, die Good-Practice-Beispiele u. a. aus Ungarn, Irland, Malta, Kroatien, Tschechien, den baltischen Staaten und dem »wasseraktiven« Österreich porträtiert. Die Publikation zeigt, »How European Governments address environmental and climate issues« – und Virginijus Sinkeviius, in der Von-der-Leyen-Kommission verantwortlicher Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei, erläutert in seinem Editorial den European Green Deal. biorama.eu/green-spider-network

Das Grundlagenkapitel hat man in einer guten halben Stunde durch, und fühlt sich danach mehr als bemächtigt, den Gartensommer zu bewerkstelligen. Es gibt überall simple Zusatztipps für ein gutes Gelingen, grafisch dargestellte Praxistipps, übersichtliche Steckbriefe sowie Infos zu Aussaat, Fruchtfolge, Nährstoffen und Lagerung. Was man am Schluss gelernt hat? Dass sehr viele »heimische« Gemüsesorten ihren Ursprung auf anderen Kontinenten haben. Und dass man mit dem richtigen Spickzettel leicht mit den Profis mithalten kann. Vielleicht klappt es bei mir ja dieses Jahr mit den Karotten … »Gemüse und Kräuter im Garten«, Selina Alge ist auf einem Vorarlberger Dr. Markus Phlippen, Bauernhof aufgewachsen, nun beackert sie Becker Joest Volk Verlag, 2019. ein Selbsterntefeld in Wien/Favoriten

Gelungener Vorher-Nachher-Effekt Anschauliche Anleitungen und Skizzen navigieren durch unterschiedlich verwilderte Gartenecken. Grobe Schnittmaßnahmen sind auch hier unvermeidlich. Empfohlen wird zunächst die Beobachtung im Jahreskreislauf sowie der Einsatz von Pflanzen, die zur Bodenqualität passen. Hervorzuheben sind Tipps zum behutsamen Jäten, um nicht mitunter »Pflanzenschätze« zu vernichten. Doch mit dem Ziel der Erhaltung und kombiniert mit Infos zum möglichen Integrieren von Pflanzen in den bestehenden Garten sind Baileys Tipps ansprechend und man verspürt rasch den Drang zum Buddeln. Kleiner Minuspunkt: eine fehlende Über- »Refresh sicht der zu den Bodenarten passenden your Garden« Nick Bailey, Ulmer, 2020. Pflanzen. Paula Wurzenrainer ist glückliche Besitzerin eines Gartens, in dem sie wachsen lässt, was sich ohne allzu große Pflege wohlfühlt.


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Au s d e m Ver l ag

Launiges Büchlein

Wer will, dass es wimmelt …

Tjards Wendebourgs »Der Kies muss weg! Gegen die Verschotterung unserer Vorgärten« ist eine leicht zu lesende Streitschrift, die Lust macht, den ersten Stein zu werfen. Und zwar raus aus dem Garten! Der Landschaftsplaner argumentiert abseits aller Geschmacksfragen mit Objektivierbarem. Er belegt beispielsweise, dass die Schotter-Ödnis, die sich in den Vorgärten der Vorstädte breitmacht, nur vermeintlich pfle- »Der Kies muss geleicht ist und dass die Stein- weg! Gegen die wüste ein wahrer Anschlag auf Verschotterung unserer die Artenvielfalt ist, der unsere Vorgärten«, unmittelbare Umwelt im Som- Tjards Wendebourg, mer auch noch weiter aufheizt. Ulmer, 2020.

… holt sich Sonja Schwingesbauers preisgekrönten (Top-5-Gartenbücher der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e. V.) Beitrag zu Umwelt- und Artenschutz. Die Landschaftsplanerin liefert auf 320 Seiten übersichtlich gestaltetes Nützlingswissen für alle, die sich manchmal fragen, was sie tun können, damit es Eichhörnchen, Hummel, Spitz- & Hasel- »Wo die wilden maus oder Zaunkönig im Gar- Nützlinge wohten richtig gut geht. Und einen nen – Gärtnern für eine angeschlossenen Teil mit Maßbunte Tier- und nahmen und Anleitungen zum Pflanzenwelt« Anlegen eines wildtierfreund- Sonja Schwingesbauer 2019, Löwenzahn. lichen Gartens.

Kreative Ansätze zur Problemlösung

Ein »Biogarten zum Ernten, Freuen und Teilen«

»Ein Lob der Unordnung im Garten« (Pala Verlag). Die Geoökologin Sigrid Tinz zeigt, wie selbst kleine Änderungen in der Gartengestaltung große Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben und wie sich diese, etwa bei scheuen Tierarten, mit der Webcam beobachten lassen. Ihr Ansatz ist gleichermaßen kreativ wie mitunter passiv, denn: »Wer nichts macht, macht selten etwas falsch.«

Biogarten- und Biogartenbuchprofi Andrea Heistinger hat wieder ein neues Buch geschrieben und es ist wieder ziemlich anders als alle bisherigen. Wer weiß, wie sie das macht? »Wühl dich glücklich« richtet sich eher an Gartenneulinge, es wird sogar ein »Anfängerbeet« bepflanzt, wobei auch Fortgeschrittene hier noch einiges Neues lesen werden. Auch wenn die bildliche Begleitung, die Gartenarbeit als fröhliches Gehüpfe zwischen Obstbäumen, etwas gewöhnungsbedürftig ist. Das Buch schafft, was es sich vorgenommen hat: richtig Lust aufs Gärt- »Wühl dich glücklich« nern zu machen – und die auch Andrea Heistinger, zu teilen. Löwenzahn, 2019.

Was Thomas Webers Haus umgibt, darf schon als Plantage bezeichnet werden, und er als Profigemüsegärtner.

»Haufenweise Lebensräume«, Sigrid Tinz, Pala, 2019

Irina Zelewitz beschränkt ihre Gärtnerinnenam­ bitionen auf zwei Quadratmeter Balkongarten und ist damit voll gefordert.

abo

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sc h mu t zkü be l ka m pag n e

Am Anfang ist der Wertstoff Wenn ein Produkt mit inneren Werten überzeugen will, ­sollte auch die Verpackung dazupassen – und so viel wie möglich davon wieder in einen weiter gefassten Kreislauf von ­Materialien rückführbar sein.

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Was schützt …

… was bleibt

… Gewürze? Üblicherweise sind trockene Gewürze in flexiblen Verpackungen in Beuteln aus Kunststoff oder einer Kombinationen aus Papier, Polyester, Aluminium und Poly­ethylen verpackt. Diese Verbundstoffe – sogenannte Multilayer-Folien – sind sehr schwer zu trennen und daher kaum recycelbar.

… Tee in Beuteln? Der klassische Teebeutel, wie wir ihn kennen, heißt im Fachjargon »Doppelkammerbeutel« oder »Einkammerbeutel« – zum Beispiel in Unterscheidung zum »Pyramidenbeutel«. Die Beutel selbst sind aus unterschiedlich nachhaltig produzierten Cellulosefasern, doch mitunter sind kleine Mengen Kunststoff bei­ gemengt, die bei einer Kompostierung nicht abbaubar wären. Kunststoff wird etwa auch benützt, um Aufgussbeutel zu versiegeln. Es ist also nicht empfehlenswert, einen Teebeutel auf dem Kompost zu entsorgen, ohne sich über die Zusammensetzung des Beutels zu informieren.

Mu ltim ate r ialv er bu biolo g is ch abbau nd, oft n icht m it ba und Far ben bekle r en Etik etten bt und b edruckt -> r estm üll

Papier oder Papier mit Kun ststoffbeim isch ung, Klamm ern und mit unter synthet isch gewachstem Faden -> restmüll

… losen Tee? Egal, wie loser Tee verpackt ist, es fällt jedenfalls weniger Verpackung an als bei Beuteltees. Die Verpackungen sind sehr unterschiedlich zusammengesetzt – mitunter aus Poly­ propylenfolie oder recycelbarer PET-Folie, oft aber auch aus – wie oben erwähnt – kaum zu recycelnden Verbundstoffen aus Papier und Kunststoff und auch hier Aluminium.

cellophan -> restmüll

beschichtete r karton -> restmüll

Verbundmaterial oder beschi chtetes Papier -> restmüll

Bilder Istock.co m/tayacho, isto ck. com/ale xandrbo gnat, isto ck. com/bagi1998, istock .co m/mi eszko9, Sonnentor

herkömmlich


» Uns ist es wichtig, unseren Fans einen transparenten Einblick in unser Tun zu geben und auch offen über die Entsorgung unserer Verpackungen zu sprechen.« – Johannes Gutmann, Sonnentor-Gründer

Bei Sonnentor

Produkte samt Verpackung die Umwelt möglichst wenig belasten – vom eingesetzten Material bis zur Entsorgung. Das im österreichischen Waldviertel beheimatete Unternehmen Sonnentor nimmt diese Verantwortung ernst. Derzeit verarbeitet Sonnentor zu rund 70 % nachwachsende Rohstoffe für seine Verpackungen. Welchen Unterschied bedeutet das konkret – und wie sind die fortschrittlichen Materialien zu entsorgen?

Was schützt … Alle Sonnentor-Gewürze sind im Karton erhältlich, manche auch in einer Weißblechdose. Ausgangsstoff für die Karton-Überverpackung ist Holz aus FSC®-zertifizierten Wäldern. Der Karton kann in der Papiertonne entsorgt werden. Im Inneren der Schachtel werden die Gewürze von einer cellulose­basierten »Holzfolie« geschützt. Wenn du einen Heimkompost hast, kannst du die Holzfolie hier entsorgen. Sie baut sich unter optimalen Bedingungen nach ca. 45 Tagen restlos ab. Hast du keinen eigenen Kompost, entsorge die Folie im Restmüll. Industrielle Kompostier­ Sonnentor-Tees im Aufgussbeutel sind in Schachteln aus verantwortungsvoller Waldwirtschaft verpackt. Seit Herbst 2019 kann durch die neuen Aufgussbeutelhüllen auf die äußere Cellophanierung der Teepackungen verzichtet werden. Das spart jährlich bis zu 20.000 kg Holzfolie. Die klassischen Doppelkammerbeutel bestehen aus den bis zu zwei Meter langen Hartfasern der Textilbanane (Abacá) und Cellulosefasern aus Holz. Das Holz ist FSC®- oder PEFC-zertifiziert. Die Teebeutel haben eine natürliche Braunfärbung und sind ungebleicht. Ihre Aromaschutzhülle besteht jetzt aus überwiegend erneuerbaren Ressourcen – einer Mischung aus Papier und Holzfolie. Sie spart jährlich 15.000 kg erdölbasiertes Plastik, das bis dahin anstatt der neuartigen Folie verwendet ­wurde.

Lose Tees von Sonnentor kommen mit wenig Verpackung aus. Ausgangsstoff für ihre KartonÜberverpackung ist Holz aus FSC®-zertifizierten Wäldern. Das Papier kann in der Papiertonne entsorgt werden. Trenne dafür der Papierhülle von der Innenfolie. Auch hier kann die Holzfolie im Heimkompost kompostiert werden. Hast du keinen Kompost, wirf die Folie bitte in den Restmüll.

… was bleibt -> holzfolie post om k im He tmüll oder r es

anlagen können, auch aufgrund der schwierigen Unterscheidbarkeit zu konventionellen Folien, noch nicht mit biobasierten Folien umgehen, sie werden meist aussortiert. karton -> papiermüll Die Teeanhänger davor bitte vom Faden trennen und im Papiermüll entsorgen.

Be u te l – Tee samt e Faden in k lusi v –> in den post/­ He im kom Biomüll. schutzhülle -> restmüll

Zusätzlich wurde die Stärke des Papiers auf 40 g/m2 reduziert. Das spart weitere 22.000 kg Verpackungsmaterial. Die eingesetzte Druckfarbe ist kompostierbar. Wirf die Beutelhülle derzeit bitte trotzdem, aufgrund der Beschichtung, in den Restmüll.

k arton -> pap ie r müll

versch luss -> restmüll

holzfolie post -> He imkom üll tm oder r es

Entgeltliche Einschaltung

Eine Verpackung muss zum Produkt passen – da geht es auch um innere Werte: Für Mensch und Umwelt wertvolle Produkte passen nicht in verschwenderische, umweltschädliche Hüllen. Gleichzeitig nützt das cleverste Verpackungsmaterial nichts, wenn unklar ist, wie man es so entsorgt, dass es recycelt werden kann. »Erweiterte Produktverantwortung« bedeutet, dass diejenigen, die Waren in den Verkehr bringen, sich auch sub­ stanziell an der Verantwortung dafür beteiligen, dass diese

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Me h r w eg

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Mehrweg zu Mittag Revolution to go: Das Kölner Start-up Vytal möchte mit seinem digitalen Mehrwegsystem das To-go-Business ökologisieren. Text Thomas Weber

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it jedem gelieferten oder in der Mittagspause geholten Essen wächst der Müllberg. Meist ist es Einwegverpackung aus Kunststoff, die im Restmüll landet und verbrannt wird. Das ist auch bei Öko-Einwegverpackung, die theoretisch biologisch abbaubar wäre, nicht anders, weil in der Praxis entsprechende Kompostieranlagen fehlen. Damit hadern viele. Was sich für von zu Hause Mitgebrachtes, Selbstgekochtes individuell leicht mit Tupperware lösen lässt, scheitert bei Fertig-Gekauftem bislang am System beziehungsweise an den Hygienerichtlinien. Restaurants dürfen Speisen nicht in von Gästen selbst mitgebrachte Gebinde abfüllen. Der Müllberg bereitete auch dem Betriebswirt Tim Breker Kopfzerbrechen. Als Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group versuchte er eigentlich gerade ganz an-

dere Probleme zu lösen. Doch das Unmittelbare blieb unübersehbar: »Wenn im Büro fünf Teammitglieder für alle Essen bestellten, dann reichten die Büromülleimer nicht aus, um den Verpackungsmüll zu entsorgen«, erinnert sich Breker. Das ließ ihn und ein paar Gleichgesinnte nicht los. »Das hat uns so gestört,« sagt er. Deshalb habe man recherchiert, gesehen, dass es für das Problem bislang keine brauchbare Lösung gebe, und sich selbst Gedanken gemacht. Das Ergebnis der gemeinsamen Denkanstrengung ist seit Herbst 2019 im Einsatz. Es hat das Potenzial, das Problem gleich für die ganze Gastro-Branche zu lösen. Denn die FoodBox Vytal kommt als digitales Mehrwegsystem ohne Pfand – und damit ganz ohne Kosten – aus, funktioniert via App oder KundInnenkarte und hilft nicht zuletzt Restaurants, Kosten und ihren Gästen Müll zu sparen.

»Vorerst konzentrieren wir uns auf Partnerbetriebe, die Essen zum Mitnehmen anbieten, und auf Restaurants, die mit eigenem Personal selbst auf E-Bikes oder Fahrrädern Essen ausliefern«, sagt Tim Breker. Supermärkten wird künftig auch ein Spülservice angeboten.

Bild V ytal

Kunde Andrea, Box Amira Wer frische Speisen aus dem Gasthaus, aus der Kantine oder aus dem Take-away-Laden mitnehmen möchte, hat sich einmalig zu registrieren. Das funktioniert künftig per App, vorerst aber noch über eine Offline-Karte mit QR-Code. Die QR-Karte wird von allen Gastro-Partnerbetrieben ausgegeben, die Food to go in der Mehrwegbox Vytal anbieten. Die ist aus wärmebeständigem Polypropylen, bpa-frei, auslaufsicher und sowohl für die Mikrowelle als auch für große Gastro-Spülmaschinen geeignet. »Beim Einkaufen werden einfach der QR-Code auf der Vytal-Box und jener auf der KundInnenkarte gescannt, damit braucht es kein Pfand, weil das System weiß, dass Kunde Andrea jetzt die Box Amira hat«, erklärt Tim Breker. »Wenn Andrea die Box binnen 14 Tagen retour bringt – zum Ursprungsort oder auch zu einem anderen Partnerbetrieb oder zu einer Rückgabebox in einer kooperierenden Kantine –,


Das beste Waschmittel ist Bio. Sonett Testsieger bei ÖKO-TEST

fallen keine Kosten an. Falls Andrea vergisst oder krank ist, dann gibt es via App eine Erinnerung. Und wenn Andrea die Vytal-Box nicht rechtzeitig retourniert, kauft sie die Box Amira um 10 Euro. Damit kauft sie sich von der Rückgabe frei, hat ein Nutzungsrecht, bleibt aber eingeladen, sie später wieder in den Kreislauf zurückzubringen.« Gastro-Partnerbetriebe, die ihre Speisen einwegverpackungsfrei ausliefern oder zum Mitnehmen anbieten möchten, zahlen eine einmalige Einrichtungsgebühr an das Start-up und bekommen die Boxen je nach Bedarf geliefert. Danach fallen pro ausgegebener Schüssel 20 Cent an, »also nur pro Befüllung«. Alles wird via App mitverfolgt, die Verrechnung erfolgt monatlich und jedes Restaurant bekommt aufgelistet, wie viel Verpackungsmüll und CO2 es durch den Umstieg von Einweg auf Mehrweg gespart hat. Betriebswirt Breker schätzt das digitale Mehrwegsystem auch als deutlich attraktiver ein als Pfandsysteme mit Geldeinsatz: »Das klassische Pfandsystem ist nicht sonderlich motivierend. Pfand ist ein reaktives System, wir sind ein aktives System. Pfand ist immer entweder zu hoch oder zu niedrig, der Pfandbeitrag ist nie optimal. Entweder er ist zu hoch, dann greifen die Leute zu Einweg. Oder er ist zu niedrig, dann bringe ich das Leergut nicht zurück. Unsere Mehrwegalternative ist am Point of Sale kostenlos – und sie bleibt kostenlos, wenn sich die NutzerInnen umweltfreundlich verhalten und sie zurückbringen. Kosten entstehen ja nur, wenn die Box nicht retourniert wird. Mental sind das dann aber echte Kosten, weil das Geld im Kopf noch nicht als bereits ausgegeben verbucht wurde. Dass dieses psychologische Incentive funktioniert, das sehen wir.«

reddot design award winner & iF communication design award winner

Mit Note 1,8 und der Bewertung „gut“ setzte sich das Sonett-Waschmittel-Konzentrat an die Spitze von 26 Produkten, darunter 4 aus dem Bioladen. Die Waschleistung wurde mit „gut“ bewertet. Bei der Bewertung der Inhaltsstoffe erhielt das Sonett-Waschmittel als einziges Produkt die Note „sehr gut“. Saubere Wäsche und saubere Umwelt mit getrennten Komponenten, das ist ökologisches Waschen mit dem Sonett-Baukastensystem. Mittel für Waschen und Reinigen, die das Wasser achten als Träger alles Lebendigen Sonett – so gut. www.sonett.eu

Erhältlich im Naturkostfachhandel.


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K u nst

Ithell Colquhouns ironische »Tree Anatomy«, 1942, Öl auf Holz. Tree Anatomy/ © Samaritans, Noise Abatement Society & Spire Healthcare/ The Estate of the late Dr. Jeffrey Sherwin and the Sherwin Family.

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Surreale Darstellung

Frauen spielten in der internationalen Bewegung des Surrealismus eine umfassendere Rolle, als es bisher schien.

Text Susanne Salzgeber und Irina Zelewitz

Ein fantastisches Ziel Am 25. September 2015 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Diese Agenda wurde in 17 Zielsetzungen, den Sustainable Development Goals (SDG), formuliert. Das fünfte Ziel lautet Gender Equality – Geschlechtergleichstellung. Genauer: »Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen.« Die Umsetzung dieser Ziele soll gerade stattfinden. Wie weit wir in Europa und der Welt hier bisher gekommen sind, versucht unter anderem die Plattform SDG Watch darzustellen: sdgwatcheurope.org

Bilder  VG Bild-Kunst/Bonn 2020, S amaritans /No is e Abateme nt S o ci ety & Spire Healthcare

I

an. Künstlerinnen gelang es zunächst als Partn Tieren erkannte Leonora Carrington einen nerin oder Modell in den Kreis um den Gründer Kern, der sich nicht zähmen ließ. Und an ihrer der Surrealisten-­Gruppe, André Breton, einzuSeelenverwandtschaft zur Natur und ihren dringen. Allerdings zeigt sich bei genauerer BeLebewesen ließ die 1917 in England geborene trachtung, dass die Beteiligung von Künstlerinund 2011 in Mexico City gestorbene surrealisnen an der internationalen Bewegung wesenttische Künstlerin und Schriftstellerin fantastilich umfassender war als allgemein bekannt scher Literatur keinen Zweifel. Auch sie war und bislang dargestellt. rebellisch und entfloh früh dem großbürger­ lichen Milieu. 1937 zog sie als junge Kunststudentin mit Max Ernst nach Paris, gehör»Fantastische Frauen. Surreale Welten von te dort als Malerin und Schriftstellerin zur Meret Oppenheim bis Frida Kahlo« zeigt Gruppe der SurrealistInnen, floh im Krieg zuden weiblichen Beitrag zum Surrealismus in nächst nach Spanien, dann in die usa und ließ rund 260 Gemälden, Papierarbeiten, Skulpturen, sich schließlich in Mexiko nieder. Ihre Bil­Fotografien und Filmen. der offenbarten ihre Träume, Fantasien und ­Halluzinationen und boten ihr eine Tür zu Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main ist ihrem alternativen Selbst. Sie ist eine von 34 derzeit (Stand Redaktionsschluss) vorübergehend Künstlerinnen aus elf Ländern, deren Werke geschlossen. Inzwischen empfiehlt sich das erstmals in einer großen Überblicksausstellung, Digitorial® unter: schirn.de/fantastischefrauen/ »Fantastische Frauen«, in der Schirn Kunsthaldigitorial le Frankfurt gewürdigt werden, und zwar als eigenständig anerkannte Künstlerin und nicht als Muse Max Ernsts. Die 1906 in Assam, heutiges Indien, geborene Britin Ithell Colquhoun bereiste Europa, um sich mit dem Werk der Surrealisten auseinanderzusetzen. Viele ihrer Werke können als Antwort auf deren Auseinandersetzung mit Sexualität und Erotik verstanden werden – so auch die 1942 entstandene »Anatomie des Baums. »Göttin, Teufelin, Puppe, Fetisch, Kindfrau oder wunderbares Traumwesen – die Frau war Lebendig werdendes Schaukelpferd und Hyäne, beide können als Alter Egos das zentrale Thema surrealisti- Carringtons verstanden werden. Selbstporträt in der Auberge du Cheval d’Aube scher Männerfantasien«, kün- (1938) Öl auf Leinwand /The Metropolitan Museum of Art /The Pierre and Mariadigt die Schirn ihre große Schau Gaetana Matisse Collection 2002.


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mar k t pl atz f o o d

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Biocola oder das Malz des Lebens Nein, es ist kein Widerspruch, und ja, auch BiokonsumentInnen haben Anspruch auf Cola.

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B

egonnen hat es (ungefähr) in der zweiten Hälfte der Nullerjahre. So ab 2006 oder 2007. Die ersten ProduzentInnen von Biosoftdrinks kamen mit ihren e­ rsten Coca-Cola-Imitaten auf den Markt. Richtig los ging es dann in den frühen Zehnerjahren. Mit Pomp und Gedöns wurden auf der BioFach die großen Marken präsentiert. Dass Cola und Bio eine nicht ganz so schlüssige Kombination sein könnten, murrten damals nur ein

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paar ­ÖkohardlinerInnen. Mittlerweile ist das ­Angebot recht stattlich und die HerstellerInnen scheinen sich von der Idee verabschiedet zu haben, dem originalen Cola möglichst nahe zu kommen. Biocolas schmecken (fast) ausnahmslos nach Malz und/oder karamellisiertem Zucker. Die Frage ist nur, wie hoch der Malzfaktor ­jeweils ist. Hier ein kleiner Ausschnitt dessen, was am Markt gerade angeboten wird.

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Bild istock.co m/mi crostockhub

Text und Bild Jürgen Schmücking


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Höllinger Juice Bio-Cola

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Gefühlt gibt es das Bio-Cola von Höllinger schon eine kleine Ewigkeit. Die knallrote Plastikflasche (oder die etwas weniger knallige Aludose) fällt auf. In der Flasche ist eine malzbraune Limonade mit feiner Perlage (man könnte auch sagen: lahm) und mildem Geschmack. Wenig(er) Zucker, kein Koffein.

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BioZisch Guarana-Cola

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Ein Designerprodukt, wie es im Buche steht. Das fängt bei der Flasche an (klein, hip, bestes Format für Bars) und hört beim Inhalt auf. Eine harmonische Komposition aus Galgant, Zimt und Nelken, dazu Koffein, das aus der Kakao­ bohne (!) gewonnen wird. Dadurch auch leichte Schokonoten und ein herrlicher Filler für Rum-Drinks.

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Das einzige »functional«-Cola im Feld. Zumindest das einzige, das es draufschreibt. Hinter BioZisch steht der Fruchtsaftzampano Voelkel, und das Ding ist echt gelungen. Wer brasilianische Guarana-Limos kennt, wird feststellen, dass der Guarana-Gout bei BioZisch viel intensiver ist. Außerdem ist es leicht bitter. Was einigermaßen über alles andere drüberfährt. Was andererseits aber auch großartig ist.

Red Bull simply Cola

Es ist schon irgendwie ding, hier über ein Mateschitz-­ Zuckerwasser zu schreiben. Aber wenn schon, denn schon. Und die ORGANICS-Serie gehört einfach zum Markt. Die Beschreibung spricht von ausgewählten Pflanzenextrakten, Biozitronensaftkonzentrat und unverwechselbarem Cola-­ Geschmack. Eh. Malz(zuckerl)faktor Ende nie.

Aqua Monaco Organic Cola

Now Black Cola

Das Black Cola von Lammsbräu (Now ist die Marke der Limo-­Linie) hat seinen Namen, weil es das dunkelste am Markt erhältliche Biocola ist. Wie BioZisch sind auch beim Black Cola ein paar Gramm belebendes Guarana im Spiel. Basis ist gepresster Fruchtsaft, sodass sich am Flaschen­ boden schon einmal ein Depot bilden kann.

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Naturfrisk Cola Cool

Dieses dänische Biocola kam direkt aus der Minibar eines Kopenhagener Biohotels in die Wertung und rollte sie quasi von hinten auf. Überraschender Antrunk (ist da Gemüse im Spiel?) und spannender Abgang. Lakritz, Vanille! Insgesamt viel Karamell, dabei aber zurückhaltend süß. Eigenständig und doch recht nah am Original. Perfekter Highball-Filler.

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Brand Garage Cola Mama

Eigentlich ist Brand Garage für eine Handvoll sensationell guter Limonaden bekannt. Orange-Maracuja, fermentierter Ingwer, Zitrone. Alles wunderbar ­balancierte und erfrischende Limos. Beim Cola muss aber noch geübt werden. Sehr malzdominant und einfältig. Erinnert irgendwie an Cola-Lollis.

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E lt e r nal ltag

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Zeit der groSSen Gedanken Text Ursel Nendzig

Ich philosophiere gern, wälze mit Hingabe schwierige Fragen, Sinn des Lebens, Tod und Teufel, alles. Aber es passt mir einfach nicht immer.

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.

illust ration Na na Mandl

D

er größere Sohn trägt, wie man so schön sagt, sein Herz auf der Zunge. Das ist meistens sehr nett, wenn er einem etwa spontane Liebesbekundungen zuteilwerden lässt. Manchmal ist es mittel, nen mit »Mama«. Ich möchte das hier wenn er zum Beispiel einen in derselben Sekunde erschnell erledigen, um mir ein Glas Wein fundenen Witz erzählt. Und ihn dann so oft wiedereinzuschenken, geheim gehortete Chips holt, getrieben von der Hoffnung, er würde dadurch zu essen und sinnlosen Scheiß auf Netflix lustig werden. zu schauen. Aber gut, kein Problem, dann Manchmal ist es tatsächlich lustig, wie damals, diskutieren wir eben den Sinn des Lebens. da war er gerade drei und wir auf Besuch bei mei»Weißt du, ich bin mir nicht sicher, ob das nem Bruder samt Familie und Familienkatzen. Leben an sich einen Sinn macht, aber jetzt, Eine der Katzen schoss plötzlich aus dem Nichts wo du schon mal da bist, kannst du ja das an ihm vorbei, und er erschrak ganz fürchterlich Beste draus machen.« und schrie: »Diese Arschlochs-Katze!« Ich war Drei Tage später, die gleiche Ausgangssituso beeindruckt wegen des Genitiv-Konstruktes, ation. Das Comic zur Seite, dann, geschnieft: die Bruder-Familie eher verschreckt, na ja, auch »Ich bin so traurig, weil man alles im Leben verständlich. nur einmal erleben kann. Selbst wenn man es In letzter Zeit wird dieses sein Zungen-Herz noch ein zweites Mal macht, ist es nicht mehr interessant bis schwierig. Dann nämlich, wenn genau gleich.« Alter Schwede. die ganz großen Gedanken ungefiltert aus seinem Mund sprudeln. Meistens ist das beim Einschlafen. Das läuft hier so: Die Söhne le» Ich bin so traurig, weil man gen sich ins Bett und während alles im Leben nur einmal der kleinere etwas vorgelesen erleben kann.« bekommt (zurzeit »Lustiges Taschenbuch«, samt Geräuschen, frage nicht), schmökert der groDann, wieder ein paar Tage danach, ich dachte ße selbst in einem Buch, o. k., Comic. Soschon, er schläft: »Mama?« Ich rolle die Augen, im bald der kleine dann trotz meiner BemüDunkeln darf man das: »Jaaa?« »Ich will nicht sterhungen, was »knuff«, »sproing« etc. beben.« »Versteh ich gut, ich auch nicht. Aber es dauert trifft, eingeschlafen ist, wende ich mich noch sehr, sehr lange, bis du stirbst. Die Statistik sagt, dem großen Kind zu. Der klappt sein du wirst 80 Jahre alt!« »Aber jetzt sind schon fast zehn Comic zu, das er bis gerade eben verdavon vorbei!« gnügt gelesen hat, dreht sich zur Seite Ich dachte, dass es nicht mehr schlimmer werden und seufzt: »Was macht das Leben für könnte, bis vor ein paar Tagen. »Mama, seit einiger Zeit einen Sinn, wenn man am Ende doch denke ich sehr stark über etwas nach.« Oh, ganz was Neusowieso sterben muss?« es! »Was denn?« »Ich möchte einen Ohrring.« Wir erinnern uns: Es ist abends. Oh, Boy! Was kommt als Nächstes? Die UnendlichEin langer Tag als Elternteil liegt keit des Alls und unsere eigene Bedeutungslosigkeit? hinter mir. Ich habe drei Millionen Ein Tattoo? Fragen beantwortet, alle began-


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einmal anders

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1900 Die weltweiten Co2-emissionen haben sich seit 1900 fast verzwanzigfacht.

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