Natur +Umwelt 3 | 22
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TITELTHEMA 19
INTERVIEW
WETTRÜSTEN IM WALD In naturnahen Wäldern bilden Pilze einen Großteil der b iologischen Vielfalt. Zudem schaffen die Holzbewohner unter ihnen Lebensräume für eine Fülle weiterer Arten. Kaum jemand weiß mehr darüber als der Biologe Georg Möller.
Können Sie das Wirken der Holzpilze an einem Beispiel verdeutlichen? Besonders eindrucksvoll ist der Schiefe Schillerporling. An sterbenden Buchen bildet er zuweilen quadratmeter-große, etwa 5 Millimeter dicke braunrote Frucht
körper. Um ein Abdriften der Sporen zu er möglichen, sprengt er das Splintholz mit Hilfe spezieller Stemmleisten in großen Platten ab. Dabei entstehen manchmal wahre Kunstwerke. In Wirtschaftswäldern ist dieser Schillerporling außerordentlich selten. Stämme, die Anzeichen von Befall zeigen, werden bei der Durchforstung systematisch entnommen. Foto: G. Möller
Herr Möller, von Holz lebende Pilze sind für die Tierwelt in Naturwäldern von größter Bedeutung. Warum? Pilze, die Holz zersetzen, sind biochemi sche Multitalente. Um die Zellulose oder das Lignin aufzuschließen, mussten sie ausgeklügelte Enzymsysteme erfinden. Über die Jahrmillionen der Evolution ha ben die Gehölzpflanzen in einer Art Wett rüsten gelernt sich zu wehren. So lagern Eichen Gerbstoffe in ihr Kernholz ein, um Pilze aufzuhalten. Pilzarten wie der Leber reischling und Schwefelporling waren ihrer seits nicht faul und spezialisierten sich auf den Abbau eben dieser Gerbstoffe. Den meisten Insekten fehlen die für den Holzaufschluss nötigen Enzyme. Auch was bestimmte Aminosäuren, Spurenelemente oder Vitamine betrifft, sind viele auf Pilze ange wiesen. Last but not least ist es viel effizienter, nahrhafte Pilze zu fressen, als sich selbst mit dem widerspenstigen Holz herumzuschlagen. Die Mehrheit der Holzinsekten ist also strenggenommen den Pilzkonsumenten zuzurechnen.
Der Zahnhalsige Baumschwammkäfer lebt in Mulmhöhlen, die der Schiefe Schillerporling in Buchen verursacht.
Welche Tiere profitieren von den Pilzen im Holz besonders? Etwa die Hälfte der rund 1500 holzbewoh nenden Käfer Deutschlands ist von ihnen direkt abhängig. Hinzu kommt eine unbe stimmte Zahl von Rindenwanzen und Pilzmücken, räuberischen Schlupfwespen und Erzwespen etc.
Georg Möller hat über die »Struktur- und Substrat bindung holzbewohnender Insekten« promoviert und war u. a. im Arbeitskreis Wald des BUND aktiv.
Etliche dieser Insekten sind heute sehr selten. Woran liegt das? An unserer Forstwirtschaft, die noch im mer viel zu einseitig an der Holzernte ausgerichtet ist. Rund die Hälfte des in Deutschland geschlagenen Waldholzes wird übrigens nicht einmal stofflich ver wertet, sondern sofort verbrannt. Welch unglaubliche Verschwendung! Wie müssen Politik und Forstwirtschaft dafür sorgen, dass unsere Wälder wieder pilzreicher werden, und somit vielfältiger und stabiler? Aus wissenschaftlicher Sicht gilt die fol gende Faustregel: Um die waldtypische Biodiversität mit einem stabilen Bestand an Urwaldreliktarten zu sichern, sind pro Hektar etwa zehn lebende, dicke Biotopbäume erforderlich, mit Höhlen, Mulmkörpern, verpilzten Stammarealen oder Astabbrüchen. Und dazu mindestens 40 Festmeter dickes Totholz, stehend und liegend. Von diesen Vorgaben sind die meisten Waldflächen in Deutschland weit entfernt. Über welchen Fund haben Sie sich zuletzt besonders gefreut? Über den Zahnhalsigen Baumschwamm käfer in einem Wald bei Templin. Dieses Urwaldrelikt ist eng an den erwähnten Schiefen Schillerporling gebunden. sz