D A S M A G A Z I N D E R F H S T . P Ö L T E N
Ausgabe 13 · Dezember 2020
DEN WANDEL AKTIV GESTALTEN Ein Dossier über gesellschaftliche Schieflagen und Chancen – und aktuelle Herausforderungen, denen wir uns als Hochschule stellen. Verkehrswende · Corona als Tor zu einer neuen Gesellschaft? · Jugend & Forschung im Aufbruch
I nha lt
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AKTUELL Sustainable Development Award, Hochschulranking, Monika-Vyslouzil-Preis, Neue Lehrgänge und Lehrgangsleiter*innen, aktuelle Veranstaltungen und mehr
CAMPUS NEWS Networking for the University of the Future ∙ Qualität als Auftrag – Die neue Leitung des Kollegiums
FORSCHUNG & PRAXIS Datenmikroskop für den ländlichen Raum ∙ Neue Strukturen für die Forschung ∙ Ausbau Motor Rehabilitation
IN DER PRAXIS Mit dem Master Studiengang auf Erfolgskurs: Kathrin Daxböck
HELLE KÖPFE Ausgezeichnete Leistungen an der FH St. Pölten
ZU GAST IN ... ... der Schweiz. Physiotherapie-Absolvent Elias Meusburger genoss in Biel inter professionelles Training – und die Berge.
BLITZLICHTER Artl-Symposium ∙ Mirage bei der Ars Electronica ∙ Science Academy ∙ Ausbau des Campus ∙ Alexa for Wellbeing Online Challenge ∙ Young Campus 2020
ST. PÖLTEN UND DIE WELT Der Hamburger Johannes Schmidt will alles über Audio und Video erfahren.
AUCH DA STECKT FH DRIN
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Dossier
CHANGE MANAGEMENT
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LUST AUF VERÄNDERUNG?
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CHANGE MANAGEMENT
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WÖRTLICH GENOMMEN
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IM GESPRÄCH
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INTERVIEW
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IHRE MEINUNG
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KOOPERATIONEN
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BLICK VON AUSSEN
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Krisen als Chance für Weiterentwicklung
Wie wir als Hochschule die Zukunft gerade jetzt aktiv mitgestalten
Macht die Pandemie die Wirtschaft digitaler?
Jürgen Zajicek und Adrian Wagner: Wie Klimawandel und Pandemie unsere Fortbewegung verändern
Ingolfur Blühdorn: Corona als Tor zu einer neuen Gesellschaft?
Worauf kann man sich heute noch verlassen?
Future Tech Bootcamp ∙ N’Cyan
Eva Grigori: Die Forschung darf sich vom Engagement der Jugend mitreißen lassen.
Impressum Herausgeberin: Fachhochschule St. Pölten GmbH, Matthias Corvinus-Straße 15, 3100 St. Pölten · Chefredaktion: Mag. Daniela Kaser, MAS · Redaktion: Mag. Mark Hammer, Jakob Leissing, MA, Mag. Eva Schweighofer, Bakk. · Fotos und Illustrationen: Gettyimages/Westend61 (S. 1, 13, 15, 17, 20, 24), Martin Lifka Photography (S. 3, 5), Peter Rauchecker (S. 3, 16), Juergen Pletterbauer (S. 4, 7, 16), Thomas Immervoll (S. 4), FH St. Pölten (S. 4, 12, 19, 23, 26), Grüblbauer (S. 4), Foto Kraus (S. 4, 5), Andrea Bichl (S. 5), Tobias Jungmeier (S. 6), Florian Alphart (S. 7), FH St. Pölten/Florian Kibler (S. 9), Juliane Liebhaber (S. 10), Frederic Zimmel (S. 12), FH St. Pölten/ Claudia Mann (S. 12), Florian Lienhart (S. 12), Shutterstock/davooda (S. 14), Celine Daliot (S. 19), Christoph Schönauer (S. 19), AIT/Johannes Zinner (S. 20), privat (S. 21, S. 22, 27, 29), FH St. Pölten/Carola Berger (S. 23, 25), Shutterstock/paparazzza (S. 26), FH St. Pölten/ Stephanie Prauchner (S. 28), FH St. Pölten/Matthias Husinsky (S. 28), FH St. Pölten/Anna Dickermann (S. 28), FH St. Pölten/Christoph Braun (S. 28), Medienservice Magistrat St. Pölten/Josef Vorlaufer (S.29), Eva Stefan (S. 29), Johannes Schmidt (S. 30), Jan Stüven (S. 30), Jana Fitz (S. 31) · Grafik und Produktion: Egger & Lerch Ges.m.b.H., 1030 Wien · Druck: Gugler GmbH, 3390 Melk/Donau
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Edi to r i a l
DER WANDEL ALS KONSTANTE Digitalisierung, Klimawandel, Globalisierung: Unsere Welt entwickelt sich rasant. Ständig werden unsere etablierten Denk- und Arbeitsweisen auf die Probe gestellt. Mit der globalen Corona-Pandemie erreichen diese Veränderungs prozesse eine neue Qualität: Innerhalb weniger Tage hat die Fachhochschule St. Pölten den gesamten Lehrbetrieb auf Distance Learning umgestellt und neue didaktische Konzepte entwickelt. Eine herausfordernde Aufgabe, die wir mit vereinten Kräften bewältigt haben. Was bedeutet ein so tiefgreifender Veränderungsprozess für eine Hochschule? Wie können Tradition und Innovation sinnvoll verbunden werden? Wie können uns Lehre und Forschung bestmöglich auf eine ungewisse Zukunft vorbereiten? In der neuen Ausgabe von „future“ gehen wir außerdem diesen konkreten Fragen nach: Wie kann die Digitalisierung neue und nachhaltige Wirtschafts formen vorantreiben? Was macht die Krise mit der Mobilität? Und: Wie nehmen junge Menschen die aktuellen Veränderungen wahr? Wir glauben, dass Sie beim Durchblättern einige mögliche Antworten, zumindest aber viele Anregungen finden werden – und wünschen eine spannende Lektüre! Dipl.-Ing. Gernot Kohl, MSc FH-Prof. Dipl.-Ing. Hannes Raffaseder FH-Prof. Dipl.-Ing. Johann Haag
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Stark im inter nationalen Vergleich
Neuausrichtung im Wirtschaftsbereich Neuer Fokus, neue Leitung. Das ehemalige Department Medien und Wirtschaft der FH St. Pölten legt als Department Digital Business und Innovation künftig einen noch stärkeren inhaltlichen Fokus auf betriebswirtschaftliche Kernthemen in Zu sammenhang mit Digitalisierung und Innovation. Der Medienschwerpunkt der FH St. Pölten wird im Department Medien und Digitale Technologien gebündelt und weitergeführt. Die Leitung des Departments Digital Business und Innovation übernimmt Susanne Roiser. Roiser ist seit vielen Jahren in unterschiedlichen Positionen an Universitäten und Fachhochschulen tätig und leitete zuletzt die Fakultät Wirtschaft an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Mit ihrer fachlichen Expertise im Bereich Open und User Innovation, Digital und Business Innovation sowie Intrapreneurship und Entrepreneur ship setzt sie spannende Impulse für die Weiterentwicklung. Sie ist im FH-Sektor seit vielen Jahren anerkannt und in Wissenschaft und Wirtschaft bestens vernetzt.
Sustainable Development Award Auszeichnung für Studierendenprojekte. Erstmals vergab die FH St. Pölten heuer den Sustainable Development Award an studentische Arbeiten, die sich mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigen. Die Studierenden präsentierten ihre Projekte online beim Tag der Nachhaltigkeit. Die Siegerarbeiten der 5 Kategorien erhielten jeweils 1.000 Euro Preisgeld.
Spitzenergebnisse im Hoch schulranking. Die Fachhochschule St. Pölten nahm dieses Jahr erstmals am u:multirank teil, einem akademischen Ranking, das die Qualität der Bildungsangebote von rund 1.800 Hochschulen in 96 Ländern bewertet. Dabei erreichte die FH St. Pölten etwa in den Bereichen Wissens transfer und Forschung sowie bei der Studierendenmobilität sehr gute Ergebnisse. Beim fachbezogenen Ranking fand das Department Medien und Wirtschaft besondere Berücksichtigung. Dieses wurde vor allem für den Praxisbezug in Studium und Lehre, die internationale Ausrichtung der Master-Studienprogramme und externe Forschungseinnahmen ausgezeichnet bewertet.
Monika-Vyslouzil-Preis Nutzer*innenbeteiligung in der Sozialen Arbeit. Anlässlich der Pensionierung der ehemaligen FH- Kollegiumsleiterin Monika Vyslouzil stiften das Ilse Arlt Institut, das Wissenschaftsjournal soziales_kapital und die österreichische Fachbereichs konferenz den Monika-Vyslouzil-Preis für Nutzer*innenbeteiligung in der Sozialen Arbeit. Er wird alle 2 Jahre im Rahmen des Forums der Öster reichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit (ogsa) verliehen und würdigt Personen, Projekte oder Organisationen, die sich für Partizipation und Selbstvertretung von Nutzer*innen Sozialer Arbeit engagieren. Der Preis ist mit 2.000 Euro dotiert. Vyslouzil lehrte zuletzt seit 2010 an der Fachhochschule St. Pölten und war federführend an der Entwicklung des Departments Soziales beteiligt. Sie leitete von 2010 bis 2014 das Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung und seit 2014 das Kollegium der FH St. Pölten.
Franz Fidler, Johanna Grüblbauer und Markus Seidl
Führungswechsel im Medienbereich Neue Department- und Studiengangsleitungen. Das Department Medien und Digitale Technologien wird seit Juli von Franz Fidler geleitet, dem bisherigen stellvertretenden Leiter des Departments. Fidler folgt Alois Frotschnig nach, der die Leitung des FH-Kollegiums übernommen hat. Er ist seit 2013 als Leiter mehrerer Studiengänge und Weiter bildungslehrgänge am Department tätig. Für die Studiengänge Medienmanagement und Creative Computing wurden ebenfalls neue Leitungen bestellt: Johanna Grüblbauer ist neue Studiengangsleiterin im Bachelor Medienmanagement, Markus Seidl übernahm die Leitung des neu entwickelten Bachelors Creative Computing.
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Veranstaltungen EVENTcon 2021 Veranstaltung für Schüler*innen zum Thema Eventmanagement 27.01.2021
Data Intelligence: Expert*innen im Bereich künstliche Intelligenz sind am Arbeitsmarkt immer stärker gefragt.
Data Intelligence studieren
Human Resources Excellence in Research. Die FH St. Pölten beteiligt sich an der europäischen Human Resources Strategy for Researchers (HRS4R), die die Arbeitsbedingungen von Forscher*innen in Europa verbessern soll. Für einen im Rahmen des Programms entwickelten Maßnahmenplan und die ersten Schritte in der Umsetzung wurde die Fachhochschule kürzlich von der Europäischen Kommission mit dem Prädikat „Human Resources Excellence in Research“ ausgezeichnet.
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open.day Die größte Informationsveranstaltung der FH St. Pölten gewährt Einblick in das gesamte Studienangebot (Bachelor, Master und Weiterbildung). 12.03.2021 Weitere Infos auf: fhstp.ac.at/events
Neues Masterstudium. Im Herbst 2021 startet, vorbehaltlich der Akkreditierung der AQ Austria, der neue Master Studiengang Data Intelligence, der Expert*innen im Bereich der künstlichen Intelligenz (AI) ausbildet. In Verbindung mit dem bereits bestehenden Bachelor Studiengang Data Science and Business Analytics bietet die FH St. Pölten damit künftig eine umfassende akademische Ausbildung in diesem zukunfts weisenden Bereich. fhstp.ac.at/mdi
Gute Arbeits bedingungen
MEDIAcon 2021 Fachevent rund um aktuelle Entwicklungen in der Mediaplanung 17.02.2021
Der Großteil der Veranstaltungen findet derzeit online statt. Änderungen aufgrund der aktuellen Situation sind möglich.
Neuer Lehrgang im klinischen Forschungsbereich Michael Morten Steurer und Simon Tjoa
Neue IT-Studien gangsleiter Department Informatik und Security. Für den innovativen M aster Studiengang Applied Research and Innovation in Computer Science konnte Michael Morten Steurer als neuer Studiengangsleiter gewonnen werden. Die Leitung des neuen Master Studiengangs Cyber Security and Resilience, der im Herbst 2020 startete, übernahm Simon Tjoa. Tjoa ist seit 2009 in verschiedenen Funktionen in Lehre und Forschung an der FH St. Pölten tätig. Weil sich die IT-Branche zunehmend inter nationalisiert, werden beide Studiengänge komplett in englischer Sprache abgehalten.
Applied Clinical Research in Health Sciences. Die aktive Teilhabe am Forschungsprozess gewinnt für Angehörige der Gesundheitsberufe zunehmend an Bedeutung: Mit dem neuen Masterlehrgang Applied Clinical Research in Health Sciences bietet die FH St. Pölten eine einzigartige Möglichkeit zur Weiterbildung in der patient*innenorientierten und klinischen Forschung. Neuartig ist die Art der Masterthesis: Diese wird in Form eines wissenschaft lichen Fachartikels entworfen und dann zur Publikation eingereicht. Der berufsbegleitende Lehrgang startet im Sommersemester 2021. fhstp.ac.at/lcr
Ca m pus Ne w s
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NETWORKING FOR THE UNIVERSITY OF THE FUTURE St. Pölten UAS is Austria’s First University of Applied Sciences to Head a European University. B Y
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“Places for pedagogical innovation and excellent research“, – that is how French President Emma nuel Macron described the quality of European Universities. The European Commission has been promoting networking between European universities since 2019, aiming to strengthen the standing of the entire European Higher Education Area in international competition. The programme is designed to enable European Universities to build the university of the future while enhancing their European identity.
Limburg in Belgium and the Vidzeme University of Applied Sciences in Latvia, proposed a concept dubbed “E³UDRES² − the Engaged and Entre preneurial European University as Driver for European Smart and Sustainable Regions”. The concept was selected by international experts from the EU Commission out of a total of 62 submissions. Within the next three years, E³UDRES² will be awarded around five million euros, approx. 1.1 million euros of which will go to the St. Pölten UAS.
“Participating in this excellence programme of the European Commission represents a great opportunity for the St. Pölten UAS and for Austria as a location for higher education and strengthens our position as an innovative university of applied sciences with close ties to society and the economy. I am particularly honoured by the trust placed in the St. Pölten UAS to be the first Austrian university of applied sciences to head a European University”, says Hannes Raffaseder, Member of the St. Pölten UAS’ Executive Board and designated Head of the new European University.“At the same time, it is a mission that brings great responsi bility and creates an incentive to consistently pursue our path”, says Raffaseder.
The European University Initiative was launched in 2017 as part of the Erasmus+ Programme – the EU Programme for Education, Youth and Sport. The initiative aims to promote bottom-up networks of universities to make European higher educational institutions more internationally competitive. www.eudres.eu
REGIONAL – EUROPEAN Next to the Montanuniversität Leoben, the St. Pölten UAS is among the first Austrian universities to coordinate one of currently 41 European Universities. The St. Pölten UAS, in partnership with the Instituto Politécnico de Setúbal in Portugal, the Polytechnical Univer sity Timisoara in Romania, the Szent Istvan University Gödöllö in Hungary, the UC Leuven
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IHR AUFTRAG: QUALITÄT Das Kollegium der Fachhochschule St. Pölten steht seit Sommer 2020 unter der Leitung von Alois Frotschnig und Susanne Roiser. Schwerpunkte möchten diese in den kommenden 3 Jahren insbesondere in den Bereichen Qualität der Lehre, Forschung und Internationalisierung setzen. V O N
Left to right: Managing Director Dipl.-Ing. Gernot Kohl, MSc, Federal Minister Dr. Heinz Faßmann, Mag. Gabriele Permoser, Section Head Innovation in Higher Education at the St. Pölten UAS, and Managing Director FH-Prof. Dipl.Ing. Hannes Raffaseder launching the European University Initiative at the St. Pölten UAS.
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Alois Frotschnig ist seit 17 Jahren an der FH St. Pölten tätig und leitete zuletzt das Department Medien und Digitale Technologien sowie den Bachelor Studiengang Medientechnik. Er folgt Monika Vyslouzil nach, die sich mit August 2020 in den Ruhestand verabschiedete. Susanne Roiser, die seit September das Depart ment Digital Business und Innovation der FH St. Pölten leitet, wurde zur KollegiumsleiterStellvertreterin gewählt. QUALITÄT TROTZ KRISE Zentrale Aufgaben des Kollegiums sind der Lehr- und Prüfungsbetrieb sowie die Qualität in der Lehre. „Die hohe Qualität auch in der aktuellen Situation sicherzustellen, ist derzeit eines unserer Hauptanliegen“, erklärt Alois Frotschnig. „Dabei spielt neben dem Einsatz der Fernlehre – und der entsprechenden Unter stützung unserer Lehrenden und Studierenden – etwa auch die Covid-19-bedingte Anpassung unserer Prüfungsordnung eine Rolle.“ Eine Qualitätsoffensive verfolgt das neue Kollegium auch im Bereich der Internationa lisierung. „Die internationale Mobilität ist derzeit aufgrund der Pandemie sehr einge schränkt. Wir sehen das aber als Chance, uns ganz konkret auf den Ausbau der Qualität in diesem Bereich zu konzentrieren. Hier entstehen
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FH-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Alois Frotschnig folgt Monika Vyslouzil als Leiter des Kollegiums der FH nach, Mag. Dr. Susanne Roiser, MA wurde zur LeitungsStellvertreterin gewählt.
gerade einige sehr interessante Projekte“, so Susanne Roiser. Eine dritte Säule bildet die Forschung. „Die Forschung entscheidet neben der Lehre und der Internationalisierung, ob eine Hochschule als hochqualitativ wahrgenommen wird. Dieses Thema hat für das Kollegium daher eine enorme Bedeutung“, erklärt Frotschnig. ENTWICKLUNGSPROZESSE BEGLEITEN Im ersten Jahr der neuen Funktionsperiode beschäftigt sich das Kollegium darüber hinaus mit dem neuen Hochschulgesetz, das ab 2021 das bisherige Fachhochschulstudiengesetz ablösen wird. Zudem laufen die Vorbereitungen für die nächste Strategieperiode der FH St. Pölten. „Wir möchten auch die Jahresthemen, die unsere Vorgängerin so erfolgreich eingeführt hat, weiterführen, denn diese können zur Profilbil dung der FH einen großen Beitrag leisten“, so Roiser. Das Kollegium wird sich verstärkt auch in FH-weiten Leitprojekten einbringen bzw. diese aufgreifen und fördern.
F o r sc hung & Pr a x is
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DATENMIKROSKOP FÜR DEN LÄNDLICHEN RAUM Umweltinformationen am Smartphone mittels Augmented Reality in der Umgebung einblenden Das Projekt „Dataskop – Sensor-Based Data Economy in Niederösterreich“ macht Umwelt daten für Smartphone-Besitzer*innen in der realen Umgebung sichtbar. Ähnlich wie ein Mikroskop, das winzigste Partikel vergrößert, oder ein Teleskop, das Dinge vor unser Auge holt, die an sich zu weit weg sind, soll das Projekt unter anderem via Augmented Reality Daten in deren realer Umgebung veranschau lichen – zum Beispiel aktuelle Luftverschmut zungswerte. Besonderen Mehrwert könnte diese Technik für Katastrophenschutz, Landwirtschaft, Weinbau, Trinkwasserversorgung oder für den Winter dienst bringen. So könnten beispielsweise
Sensoren, die die Witterungsverhältnisse messen, Räum- und Streufahrzeuge unterstützen. Optimal könnten sie am Land eingesetzt werden und dort die Verkehrssicherheit erhöhen. Derzeit werden technische Prototypen entwickelt. Ziel des Projekts ist eine vernetzte Zukunft des ländlichen Raums, die letztlich auch neue Geschäftsfelder und Arbeitsplätze schaffen soll. Das Projekt Dataskop wird vom Land Niederösterreich gefördert und ist ein Leitprojekt im FTI-Themenfeld „Daten“. Koordiniert wird es von der FH St. Pölten. Partner sind die IMC Fachhochschule Krems, die FOTEC Forschungs- und Technologietransfer GmbH in Wiener Neustadt und das ebenfalls in Wiener Neustadt ansässige Department für integrierte Sensorsysteme der Donau-Universität Krems. www.fhstp.ac.at/dataskop
NEUE STRUKTUREN FÜR DIE FORSCHUNG Das Institut für Medienwirtschaft wird zur Forschungsgruppe Media Business. Und: Ein neues Institut für Digital Innovation kommt. Das bisherige Institut für Medienwirtschaft der FH St. Pölten wandert als Forschungsgruppe Media Business an das Institut für Creative\ Media/Technologies. Die Forschungsgruppe analysiert die digitale Transformation der Medienwirtschaft aus einer sozialwissenschaft lichen Perspektive und schafft damit eine Grundlage für unternehmerische und medien politische Entscheidungen. Im Zuge der Umgestaltung des Departments Medien und Wirtschaft zum Department Digital Business und Innovation (siehe Kurzmeldungen Seite 4) befindet sich auch ein neues Forschungsinstitut
im Bereich Digital Innovation im Aufbau. Dieses wird sich mit betriebswirtschaftlichen Fragen und Phänomenen der Digitalisierung und Innovation beschäftigen. Künftige Forschungs projekte zielen auf das dynamische Wettbewerbs umfeld von Unternehmen ab, die in einem digitalisierten und von nachhaltiger Entwick lung geprägten Ökosystem Wettbewerbsvorteile erzielen wollen. Nähere Informationen finden Sie Anfang 2021 auf https://research.fhstp.ac.at.
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VERSTÄRKUNG FÜR DEN SCHWERPUNKT MOTOR R EHABILITATION Ein Ausblick auf eine neue Stiftungsprofessur, mehr Weiterbildungsmöglichkeiten und eine neue Datenbank. V O N
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Die Fachhochschule St. Pölten erhält eine Stiftungsprofessur für Angewandte Biomecha nik in der Rehabilitationsforschung. Die Stiftungsprofessur soll die Versorgung von Reha-Patient*innen durch den Einsatz von inno vativen Technologien wie Virtual Reality und künstlicher Intelligenz optimieren und einen Beitrag zur schnelleren und besseren Rehabilita tion leisten. Die FH St. Pölten bündelt seit mehreren Jahren ihr Know-how an den Schnittstellen von Rehabilitation und Digitalisierung. 2016 hat sie dazu einen Schwerpunkt im Center for Digital Health Innovation (CDHI) eingerichtet und baut zusätzlich ein Digital Health Lab auf. „Unsere Arbeit stellt den aktiven und passiven Bewe gungsapparat des Menschen in den Fokus.
Technische Innovationen könnten die Rehabili tation wesentlich verbessern“, erklärt Brian Horsak, Koordinator des Schwerpunkts Motor Rehabilitation an der FH St. Pölten. NEUER BEHANDLUNGSANSATZ BEI A RTHROSE Das Physiozentrum für Weiterbildung und die FH St. Pölten holen ein international renom miertes Behandlungsprogramm für Patient*in nen mit Knie- und Hüftarthrose nach Öster reich. Das Konzept stammt aus Dänemark und nennt sich „GLA:D® – Good Life with osteo Arthritis in Denmark“. Physiotherapeut*innen können in Kursen das Zertifikat für GLA:D® erwerben, Patient*innen entsprechend dieser Richtlinien behandeln und ihnen so ein besseres Leben mit Arthrose ermöglichen. Im Herbst startete am Physiozentrum für Weiterbildung die Ausbildung für Physiothera peut*innen in Österreich. Die FH St. Pölten steuert die wissenschaftliche Analyse der Daten bei, die im Zuge des Programms aus Gründen der Qualitätssicherung erhoben werden. „Die Analyse hilft den Physiotherapeut*innen, die Qualität ihres Programms zu kontrollieren und zu verbessern“, erklärt Barbara Wondrasch, FH-Dozentin am Department Gesundheit der FH St. Pölten. DATENSCHATZ FÜR DIE GANGANALYSE Die FH St. Pölten und die Allgemeine Unfall versicherungsanstalt (AUVA) machten einen der größten Datensätze weltweit zur automatisier ten Ganganalyse öffentlich. Forscher*innen können die Daten nutzen, um Ganganalysen mithilfe von Methoden wie dem Maschinellen Lernen zu verbessern. Der Datensatz und die Beschreibung dazu sind in der Zeitschrift „Scientific Data“ des renommierten Nature- Verlags erschienen. Die Stiftungsprofessur wird vom Land Niederösterreich über die NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H. (NFB) unterstützt. Publikation „GaitRec, a large-scale ground reaction force dataset of healthy and impaired gait“: Brian Horsak, Djordje Slijepcevic, Anna-Maria Raberger, Caterine Schwab, Marianne Worisch, Matthias Zeppelzauer. Scientific Data, volume 7, Article number: 143 (2020). https://cdhi.fhstp.ac.at/schwerpunkte/motor-rehabilitation https://igw.fhstp.ac.at/kooperationen/gla-d-R-austria
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„SO EIN STUDIUM GIBT ES SONST NIRGENDS“ Treasury Managerin, Netzwerkerin und erste Absolventin des Master Studiengangs Wirtschafts- und Finanzkommunikation: Kathrin Daxböck weiß, worauf es bei Controlling und Investor Relations ankommt. V O N
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Wegen der Corona-Bestimmungen musste Kathrin Daxböck ihre Masterprüfung über Microsoft Teams bestehen. „Am Anfang hat mich das nervös gemacht, ausgerechnet am Vortag gab es einen großflächigen Internetaus fall bei uns. Nach dem Start der Prüfung hat aber alles gepasst“, erzählt Daxböck. Als erste Absolventin schloss sie den 2018 gestarteten Master Studiengang Wirtschafts- und Finanz kommunikation mit ausgezeichnetem Erfolg ab. MASTERARBEIT ÜBER F INANZKOMMUNIKATION Neben allgemeinen Fragen zu Themen wie Kommunikationswissenschaft, Finance und Management wurde auch ihr Wissen im Bereich Investor Relations abgefragt – einer der beiden Schwerpunkte, die Daxböck neben Controlling und Datenjournalismus im Studium wählen konnte. „In meiner Masterarbeit bin ich der Frage nachgegangen, wie sich die Finanz kommunikation auf das Unternehmensrating durch Agenturen und Banken auswirkt. Da ich mich beruflich um Creditor Relations kümmere, hat das gut gepasst“, so Daxböck. Dabei war eine Karriere im Finanzbereich eigentlich gar nicht geplant.
Master Studiengang Wirtschaftsund Finanzkommunikation Das interdisziplinäre Studium bildet Expert*innen für Bereiche wie Investor Relations, Financial Reporting & Controlling sowie Daten- und Finanzjournalismus aus. Dabei bietet es einen starken Praxisbezug, intensive Kooperation mit Unternehmen, einen hohen Anteil an englischsprachigen Lehrveranstaltungen und große Forschungskompetenz. fhstp.ac.at/mwf
Kathrin Daxböck, MA arbeitet aktuell als Treasury Managerin beim Glücksspielkonzern NOVOMATIC. Ausbildung und Job gehen bei ihr schon jahrelang Hand in Hand.
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PER ZUFALL ZU NOVOMATIC Ursprünglich hatte die 29-Jährige nach der Handelsakademie Tourismus und Leisure Management studiert: „Während eines Aus landspraktikums bin ich dann zufällig auf eine Ausschreibung für ein Trainee-Programm bei NOVOMATIC gestoßen.“ Seit 2014 arbeitet Daxböck bei NOVOMATIC und konnte dabei auch Auslandserfahrung sammeln. „Eigentlich wäre der Aufenthalt im niederländischen Waalwijk auf 3 Monate begrenzt gewesen. Dort wurde aber gerade eine Abteilung neu aufgebaut. Und so wurden aus 3 Monaten 2 Jahre.“ FAMILIÄRES UMFELD, IDEALE FÄCHERKOMBINATION Mit der Rückkehr nach Österreich wollte sich Daxböck neben dem Beruf noch einmal weiter bilden. „Ich habe mich sehr genau über Master programme informiert, aber erst Wirtschaftsund Finanzkommunikation an der FH St. Pölten hat mir die perfekte Kombination aus Investor Relations, Finanzwesen und Kommunikations wissenschaft geboten. Das gibt es sonst einfach nirgends“, betont die Niederösterreicherin. Eine Wahl, mit der sie auch nach ihrem Abschluss noch zufrieden ist: „Durch die kleine Zahl der Studierenden im Jahrgang und das familiäre Umfeld an der FH St. Pölten habe ich viel für
Mein Studium hat mir im Job sehr geholfen. Kathrin Daxböck
meine weitere Karriere mitgenommen. Obwohl ich selbst aus dem Controlling komme, konnte ich durch die verschiedenen Perspektiven der Lehrenden neue Verknüpfungen zu anderen Themengebieten herstellen“, so Daxböck. NETZWERK-JOB ALS TREASURY MANAGERIN Seit Februar arbeitet Kathrin Daxböck in der Abteilung Group Treasury bei NOVOMATIC: „Als Treasury Managerin habe ich einen Netzwerk-Job: Ich bin in ständigem Austausch mit internen Abteilungen und externen Partnern. Man muss das eigene Unternehmen wirklich gut kennen.“ Kurzfristige Liquiditäts
NOVOMATIC Die NOVOMATIC-Gruppe ist mit rund 5,1 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2019 einer der größten Gaming-Technologiekonzerne der Welt. Die im Jahr 1980 gegründete Unternehmensgruppe verfügt über Standorte in rund 50 Ländern und exportiert Hightech-Gaming- Equipment in mehr als 75 Staaten. www.novomatic.com
planung für den Vorstand, Abwicklung von Krediten und Darlehen für Tochtergesellschaf ten und alle Aktivitäten rund um den schnell lebigen Bereich Investor Relations gehören zum Aufgabengebiet. „Für meinen Job muss ich Wissen aus den Bereichen Kommunikation und Controlling kombinieren. Hier hat mir das Studium sehr geholfen. Ich weiß, worauf es in der Kommunikation mit Analysten und Banken ankommt.“ MEHR ZEIT FÜR HOBBYS Mit dem Abschluss des berufsbegleitenden Masters bleibt neben der Arbeit nun auch wieder mehr Zeit für Hobbys und Reisen. „In meiner Freizeit zieht es mich ins Freie. Ich gehe gerne laufen, wandern und mache Yoga“, so die 29-Jährige. Auch reisen möchte Daxböck so bald wie möglich wieder. „Kuba steht schon lange auf meiner Liste. Ich hoffe, das geht sich im kommenden Jahr aus.“
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PRVA-Wissenschaftspreis A A L P
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M I N H U R E M A G I C , E X A N D E R J Ü R G E N S , U R A K A LT E N B R U N N E R , U L L A C K N E R
Intelligente Firewall für Smart Homes Die Studierenden Armin Huremagic, Paul Lackner, Laura Kaltenbrunner und Alexander Jürgens (Bild unten) sowie (ehemals) Yuliia Korobeinikova entwickeln die intelligente Firewall Apocrat. Sie verhindert Cyber attacken auf Internet-of-ThingsGeräte im Haushalt und schützt User*innen vor Datensammelbegehren der Hersteller*innen. Über Machine Learning analysiert Apocrat das Verhalten der IoT-Geräte und erstellt entsprechende individuelle Verhaltensregeln. Die Studierenden entwickelten ihre Business-Idee unter anderem bei einer sogenannten Screening Week am renommierten Schweizer Forschungszentrum CERN: Bei den dortigen Workshops nutzen Studierende aus ganz Europa das Know-how der CERN-Mitarbeiter*innen, um eigene Projekte zu entwickeln.
B R I A N H O R S A K , K E R S T I N B L U M E N S T E I N , S A N D R A V Y S S O K I
Habilitation und Dissertationen Brian Horsak, Leiter des Forschungs schwerpunktes Motor Rehabilitation der FH St. Pölten, verteidigte an der Universität Wien erfolgreich seine Habilitation zum Thema „Advancements in biomechanical research in gait analysis and motor rehabilitation“. FH-Dozentin Kerstin Blumenstein schloss ihre Dissertation an der TU Wien zum Thema „Interweaving Physical Artifacts with Data Visuali zation on Digital Media in Museums“ ab. Und FH-Dozentin Sandra Vyssoki promovierte an der Medizinischen Universität Wien zum Thema „Burden of mothers and fathers of children with Attention Deficit Hyperactivity Disorder“.
Für ihre Masterarbeit zu „Ethik des Dirty Campaigning und dessen Auswirkung auf die Image- Zuschreibungen der betroffenen politischen Persönlichkeiten“ wurde Anika Sauer beim Franz Bogner Wissenschaftspreis für Public Relations 2020 mit dem 2. Platz in der Kategorie „Masterarbeiten an Fachhochschulen“ ausgezeichnet. Sauer hat für ihre Abschlussarbeit für den Studiengang Media- und Kommunikationsberatung Dirty Campaigning in der Präsidentenstichwahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer untersucht. Verliehen wird der Preis vom wissenschaftlichen Senat des Public Relations Verband Austria (PRVA).
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Digital-Health-Preis für Masterarbeit Die Masterthesis der Digital- Healthcare-Studentin Anna Lienhart wurde bei der Konferenz dHealth 2020 als beste Arbeit im Bereich Health Informatics gekürt. Lienhart entwickelte ein auf maschinellem Lernen basierendes Vorhersage modell, das Patient*innen mit einem erhöhten Risiko für Dysphagie in einem möglichst frühen Stadium des Krankenhausaufenthalts identifiziert. Wer an Dysphagie leidet, kann Flüssigkeiten, Lebensmittel oder Medikamente nicht oder nur mit Schwierigkeiten schlucken.
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Macht die Pandemie die Wirtschaft digitaler?
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Jürgen Zajicek und Adrian Wagner: Wie Klimawandel und Pandemie unsere Fortbewegung verändern
Ingolfur Blühdorn: Corona als Tor zu einer neuen Gesellschaft?
Worauf kann man sich heute noch verlassen?
Future Tech Bootcamp ∙ N’Cyan
Eva Grigori: Die Forschung darf sich vom Engagement der Jugend mitreißen lassen
Lust auf Veränderung? Gesellschaft und Wirtschaft sind immer im Wandel. Krisen sind nicht nur eine Chance für mikro- und makroökonomische Weiterentwicklung, sondern immer auch ein Treiber von nachhaltiger und disruptiver Veränderung. Geänderte Rahmen bedingungen steigern auch die Innovationsfähigkeit von uns als Individuen, von Unternehmen und ganzen Gesellschaften. Neue Situationen ermöglichen es uns, die bekannten Pfade – und somit unsere „Komfortzone“ – zu verlassen und bringen uns dazu, unkonventionelle Ansätze zu entwickeln und nachhaltiges Krisen- und Innovationsmanagement zu betreiben. Hochschulen spielen hier eine zentrale Rolle: Sie untersuchen die dahinterliegenden Prozesse und Trigger von Innovationen und sind aktiv an Inno vationen und Exzellenzforschung beteiligt. Durch den Austausch mit Wirtschaft und Gesellschaft tragen sie dazu bei, herausfordernde Situationen zu bewältigen. Das Dossier in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins wirft einen Blick auf den Wandel an Hochschulen, die Chancen für einen gesellschaftlichen Umbruch durch Corona, die Relevanz von Nach haltigkeit und das Wechselspiel von Innovation und Tradition. Unser „future“-Redaktionsteam hat Lehrende und Studierende zu ihrer Sicht der Dinge befragt und stellt FH-Projekte zum Thema vor – etwa die Inspiring Chats des Digital Makers Hub. Wir wünschen eine spannende Lektüre! FH-Prof. Dipl.-Ing. Hannes Raffaseder Chief Research and Innovation Officer Mag. Dr. Susanne Roiser, MA Stellvertretende Leiterin des FH-Kollegiums und Leiterin des Departments Digital Business und Innovation
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CHANGE MANAGEMENT – DEN WANDEL AKTIV GESTALTEN Unsere Coverstory zum Thema Wandel wirft einen Blick auf gesellschaftliche Schieflagen und Chancen, auf Krisenmanagement, den Umgang mit Veränderung und natürlich auf die aktuellen Herausforderungen, denen wir uns als Hochschule aktiv stellen. V O N
M A R K
H A M M E R
Technische und gesellschaftliche Veränderun gen stellen derzeit vieles auf den Kopf, was bisher als gegeben galt, und eröffnen Möglich keiten, die vor 10, 20 Jahren noch niemand erträumt hätte. Wer wirtschaftlich am Ball bleiben möchte, muss sich heutzutage schon etwas einfallen lassen. „Die einzige Konstante ist die Veränderung. Stabilität gab es im Wirtschaftsleben nie, und sie ist gerade heute eine Illusion. Traditionelle Geschäftsmodelle, Technologiestandards von heute und etablierte Produkte bzw. Dienstleis tungen konnten immer nur entstehen, weil wir einem ständigen Transformationsdruck unterliegen“, sagt Susanne Roiser. Sie leitet das neue Department Digital Business und Innovation (ehemaliges Department Medien und Wirtschaft) an der FH St. Pölten. Es legt einen Fokus auf betriebswirtschaftliche Kern themen in Zusammenhang mit Digitalisierung und Innovation. Vorherrschende Designs und Lösungen sind Roiser zufolge nur so lange „State of the Art“, bis eine bessere Zweck-Mittel-Kombination den Markt (aus ökonomischer Sicht der Zweck) oder die Problemlösung (Mittel) gänzlich umstruktu
rieren. Jedes (etablierte) Unternehmen sei daher über kurz oder lang von Umstrukturierungen – einem „Change“ – betroffen. Daraus ergeben sich auch neue Möglichkeiten. Aber: „Eine Krise ist nicht automatisch die vielzitierte Chance, sie zeigt jedoch auf, was möglich ist“, sagt Gerd Valchars. Der Politik wissenschaftler hat gemeinsam mit der
Eine Krise zeigt auf, was möglich ist. Dr. Gerd Valchars, Politikwissenschaftler und Mitgründer von umbruch.at
Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger, dem Rechtswissenschaftler Adel-Naim Reyhani und dem Sozialunternehmer Adib Reyhani die Online-Diskursplattform umbruch.at gegrün det. Die Idee zu dieser Initiative entstand während einer Twitter-Diskussion der genann ten vier. Sie wollten das Zeitfenster der Krise nutzen, um ein breit angelegtes Gespräch über gesellschaftliche Visionen und Utopien in Gang zu bringen. Das Forum umbruch.at will dazu Kräfte aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Fortsetzung auf Seite 16
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FEUER
Seit wann der Mensch das Feuer nutzt, ist nicht sicher geklärt, aber die ältesten Funde von Feuerstellen dürften 1,5 Mio. Jahre alt sein, erste Zündutensilien gab es vor 35.000 Jahren.
LANDWIRTSCHAFT
Der systematische Anbau von Pflanzen begann wahrscheinlich vor 9.000 bis 12.000 Jahren.
Zum Thema „Innovationen, die die Menschheit veränderten“, „die Top-10-Innovationen der Geschichte“ oder „bahnbrechende Erfindungen, an die keiner geglaubt hat“ gibt es unzählige Sammlungen. Hier ein kleiner Ausschnitt.
RAD BUCHDRUCK
DAMPF MASCHINE
Vermutlich bereits 3500 v. Chr. von den in Mesopotamien lebenden Sumerern genutzt.
Entwickelt 1458 von Johannes Gutenberg.
Veränderte die Welt ab dem 18. Jahrhundert.
COMPUTER
Die mechanische Rechenmaschine „Analytical Engine“ von Charles Babbage und Ada Lovelace aus dem Jahr 1837 gilt als Vorläufer heutiger Computer.
INTERNET
1969 startete das Internet mit dem ARPANET (Advanced Research Projects Agency), das zunächst die Großrechner von Universitäten und Forschungseinrichtungen vernetzte. Die Grundlagen des World Wide Web entwickelte der Forscher Tim Berners-Lee 1989 am Forschungszentrum CERN.
Weitere Angebote aus dem historischen Innovationsladen mit bahnbrechendem Potenzial sind Brille, Textilien, Schießpulver, Glühlampe, Kompass, Fernseher, Telefon, Elektrizität, Flugzeug, Automobil, Keramik, Schrift, Papier, Kalender, Wein und Brot. Quellen/Inspirationen: tenoftheday.de, wissen.de, derbrutkasten.com, zeit.de, faz.net, geo.de, Wikipedia. · Dezember 2020
INSTAGRAM UND TIKTOK Die Küken der Social Media – aus dem Ei gekrochen 2010 bzw. 2016
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Medien, Kunst und Kultur bündeln. Mit Erfolg: Über 30 Beiträge mit Gedanken zur aktuellen Situation, utopischen Entwürfen und Visionen für die Zeit nach Corona sind bereits erschienen. „Wie ein Vergrößerungsglas zeigt eine Krise Probleme, die es auch vorher schon gab, die aber deutlicher zutage treten, zum Beispiel Un gleichheiten“, sagt Valchars. Als konkretes Beispiel nennt er das Homeoffice: Wer eine große Wohnung, Garten oder Balkon hat, kann leichter im Homeoffice arbeiten; wer vor der Krise schon beengt wohnte, tut sich schwerer. Dazu kommt: Wer im Homeoffice arbeiten kann (oder muss), ist oft ohnehin schon privilegiert. Andere, die zum Erhalt gesellschaftlicher Systeme vor Ort gebraucht werden, setzen sich einem Gesundheitsrisiko aus. Beim Homeoffice schließt sich auch der Kreis zwischen verschie denen Veränderungstendenzen: Das Arbeiten daheim wird erst durch digitale Technik möglich und liefert nun einen Digitalisierungs schub, mehr Homeoffice entlastet das Klima durch weniger Verkehr, führt aber auch zu sozialer Distanz (siehe auch Interview Seite 20). DER WANDEL AN HOCHSCHULEN Hochschulen waren von Corona stark betroffen. Es war und ist kein Leichtes, die Fernlehre ohne Mitarbeiter*innen vor Ort über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Mit Digitalisierung, Wandel und Veränderungsprozessen befassen sich Hochschulen ständig. Sie erforschen
ochschulmanagement ist ein ständiger H Change. Auch von den Lehrenden braucht es eine große Bereitschaft, sich selbst ständig zu verändern, sich didaktisch und technisch weiterzuentwickeln. Dipl.-Ing. Gernot Kohl, MSc, Geschäftsführer FH St. Pölten
Traditionelle Geschäftsmodelle, Technologiestandards von heute und etablierte Produkte bzw. Dienst leistungen konnten immer nur entstehen, weil wir einem ständigen Transformationsdruck unterliegen. Mag. Dr. Susanne Roiser, MA, Leiterin des Departments Digital Business und Innovation sowie stellvertretende Kollegiumsleiterin der FH St. Pölten
Lösungen für gesellschaftliche Probleme, passen sich an internationale Entwicklungen und technische Neuerungen an und müssen ihre Lehre und Forschung ständig hinterfragen und adaptieren. Laut Gernot Kohl, dem Geschäftsführer der FH St. Pölten, stehen Hochschulen aktuell auch unabhängig von Corona vor einer Reihe an Herausforderungen. Eine davon ist der „War of Talents“: Das heißt, ausgezeichnete Mitarbeiter*innen zu finden, zu halten und ihnen Perspektiven zu geben. Die FH St. Pölten unternimmt vieles in diese Richtung. Sie hat ein Employer-Branding-Projekt gestartet, nimmt an der europäischen Human Resources Strategy for Researchers (HRS4R) teil und unterstützt Doktorats- und Habilitationsprojek te. Auch der Wettbewerb um Forschungsmittel werde härter. Werden die Töpfe neu und gleich hoch dotiert, wenn Regierungen nach Corona sparen müssen? „Finanziell stehen Fachhoch schulen schon jetzt vor großen Herausforderun gen. Eine Anpassung der Studienplatzfinanzie rung ist überfällig. Im Hochschulvergleich ist der FH-Sektor deutlich unterfinanziert. In den nächsten Jahren wird der Wettbewerb um die besten Studierenden härter werden: Die An gebote werden immer mehr, die Studierenden zahlen gehen zurück“, erklärt Kohl. Große Veränderungen brauchen laut Kohl eine klare Vision und Strategie sowie eine konsequen te Umsetzung. „Die FH St. Pölten hat sich in den letzten Jahren qualitativ und quantitativ stark entwickelt, unter anderem durch die Beteili gung am weltweit größten Blockchain-Zentrum, dem Austrian Blockchain Center (ABC)“, sagt
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B u c h ti pp
Wie Transformation gelingt Ökologische und soziale Probleme gibt es heut zutage viele. Aber wer kann sie lösen, und warum? Das Buch der deutschen Transformationsforscherin Kora Kristof untersucht Erfolgsfaktoren für den nachhaltigen Wandel und erläutert, wie diese praktisch genutzt werden können. Dabei geht es ihr zum einen um (Selbst-)Reflexion als wichtige Grundhaltung und um zentrale Kompetenzen – beispielsweise Widerstände zu nutzen, statt sie zu bekämpfen, oder adäquat mit Zeitaspekten umgehen zu können. Zum anderen stellt Kristof Muster erfolgreicher Veränderungsprozesse ins Zentrum. Sinnvoll kann es zum Beispiel sein, Veränderungen zunächst in kleinem Maßstab zu testen oder Innovationen mit Exnovationen zu verbinden, also Neues mit dem Ausstieg aus Altem. Die Dipl.-Volkswirtin Kora Kristof leitet die Abteilung „Nachhaltigkeitsstrategien, Ressourcenschonung und Instrumente“ am deutschen Umweltbundesamt. Wie Transformation gelingt: Erfolgsfaktoren für den gesellschaftlichen Wandel. Kora Kristof, 2020 Oekom, München, 216 Seiten, ISBN 978-3-96238-132-5 Buch 26,00 €, PDF 20,99 €, auch als E-Book erhältlich
Kohl. Solche Kooperationen finden jetzt ganz neue Rahmenbedingungen und neue Vertrags konstellationen mit anderen Hochschulen, die laut Kohl zukünftig verstärkt auftreten werden. Auch die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Unternehmen wird demnach zunehmen. Duale Studiengänge und Kombi-Angebote aus Studium und Lehre werden immer beliebter. Laut dem deutschen Change-Management-Experten Ulrich Wehrlin sind Hochschulmanager*innen eigent lich permanente Change-Manager. „Hochschul management ist ein ständiger C hange. In der Lehre geht es weniger um Change-Management. Aber es braucht von den Lehrenden eine große Bereitschaft, sich selbst ständig zu verändern, sich didaktisch und technisch weiterzuent wickeln“, so Kohl. Laut Wehrlin bilden Hochschulen junge Menschen für Berufe aus, die es noch nicht gibt und in denen sie Probleme lösen werden, die man heute noch nicht kennt – Stichwort Digitalisierung. Mit diesen sogenannten Future Work Skills beschäftigt sich die FH St. Pölten auch langfristig besonders intensiv (siehe Schwerpunkt „future“ Ausgabe 12). In Firmen beiräten liefern Vertreter*innen von Unter nehmen wichtige Informationen. Sie können abschätzen, was zukünftig gebraucht wird. Und auch Hochschulmanager *innen benötigen laut Kohl ein gutes Gespür für das, was kommen wird. „Als wir vor circa 15 Jahren unseren Studiengang zum Thema IT Security beantragt haben, war es schwer, andere davon zu überzeu gen, dass dieser Bereich wichtig ist. Heute ist das selbstverständlich. Man muss den Mut haben, auf Themen zu setzen, von denen man denkt, dass sie aufgehen“, sagt Kohl. Aber auch bestehende Berufsfelder können wichtig bleiben oder wichtiger werden – so wie aktuell der Bereich der Pflege vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. NACHHALTIGKEIT: GEPLANTER WANDEL NACH DER KRISE Börsencrashes, Klimawandel, begrenzte Ressourcen, soziale Ungleichheiten – es gibt viele Gründe, warum ein Wandel zu einer nachhaltigeren Gesellschaft gefordert wird. Fortsetzung auf Seite 18
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Wandel hat dabei 2 Gesichter: das drohende der Katastrophe und das freundliche eines bewusst eingeleiteten Wandels zu einer besseren Welt. Die deutsche Volkswirtin Kora Kristof widmet sich der Frage, wie der Wandel zu einer nach haltigen Gesellschaft gelingen kann. Eine wesentliche Voraussetzung ist für sie, dass die Menschen die Prozesse der Veränderung auch verstehen: „Wir wissen zwar viel darüber, was sich ändern sollte, scheitern aber oft kläglich an der konkreten Umsetzung. Es genügt also nicht, dass wir uns mit der Frage ‚Was soll sich verändern?‘ beschäftigen. Vielmehr wird es immer wichtiger, zu wissen, wie wir die anstehenden Veränderungen auch erfolgreich umsetzen können“, sagt Kristof. „Wenn wir mit unseren Ideen aus der Nische in den Mainstream wachsen wollen, sind immer mehrere Akteur*innen betroffen. Wir müssen den Kreis der üblichen Beteiligten verlassen und gezielt auch Akteur*innen mit ganz anderen Perspektiven und Interessen einbinden – auch die expliziten Contra-Player*innen der Verände rung“, so Kristof.
Linktipps umbruch.at – Visionen und Utopien für die Zeit nach Corona umbruch.at mind-changer.net – Revolutionäre Inspiration für die Gestaltung der Welt von morgen mind-changer.net Wachstum im Wandel – Initiative und Konferenz zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität wachstumimwandel.at Degrowth – Initiativen und Konferenzen zum Thema Postwachstum degrowth.info, www.degrowthvienna2020.org Theory U: Ansatz des MIT-Forschers Otto Scharmer zum Thema Change ottoscharmer.com/theoryu, www.presencing.org
MEHR PARTIZIPATION, MEHR CHANGE Mit dem Gedanken der Einbindung beschäftigt sich an der FH St. Pölten auch das Department Soziales. „Wir brauchen Partizipation, Mitbetei ligung der Menschen bei Change-Prozessen und ein gerechteres Wirtschaftssystem. Ohne ein Umdenken auf allen Ebenen wird es nicht gehen“, sagt Alois Huber, Dozent am Depart ment. „Wir sehen, dass die Reichen reicher werden und die Armen ärmer. Natürlich gibt es auch Verlierer*innen. Die ideale Welt gibt es nicht, aber wir können versuchen, Veränderun gen fairer zu gestalten. Die Soziale Arbeit ist hier gefordert, Kritik zu üben, denn wir wissen, wer auf der Strecke bleibt. Und diese Menschen haben in der Regel keine Lobby“, so Huber.
Ohne ein Umdenken auf allen Ebenen wird es nicht gehen. DSA Mag. (FH) Alois Huber, Dozent am Department Soziales der FH St. Pölten
Ist nun die Coronakrise eine Chance, mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Gesellschaft zu etablieren? Krisen bieten laut Kristof oft einen Öffnungswinkel für Verände rungen – schon indem sie zeigen, wie schnell Umstellungen möglich sind, wenn sie plötzlich sein müssen. Und: Krisen schaffen veränderte Rahmenbedingungen. Sie holen neue Ak teur*innen vor den Vorhang und beschleunigen die Suche nach neuen Ressourcen. Wer aller dings die Veränderung aktiv mitgestalten will, muss schnell handeln und gut vorbereitet sein. Denn, so gibt Kristof abschließend zu bedenken: „Die Windows of Opportunity schließen sich manchmal so schnell wieder, dass nicht genug Zeit bleibt, überhaupt Ideen und Lösungsvor schläge zu entwickeln.“
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Digital Business: Wird die Pandemie zum nachhaltigen Motor für neue, digitale Formen des Wirtschaftens?
Die Corona-Pandemie wirkt wie ein digitaler Urknall: Was vor Kurzem noch unmöglich schien, ist Alltag geworden. Genau deswegen ist es so wichtig, dass sich die Branche immer wieder neu erfindet und innovativ bleibt. Innovation meint damit „digitale R esilienz“ – sprich die Fähigkeit, sich mittels Digitalisierung gegen Krisen zu immu nisieren. Für unsere Generation bedeutet das, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die die Branche digital transformieren und in die Zukunft lenken.
Ob Digitalisierung nach haltig ist, ist auch eine Frage des Mindsets. Die aus der Not entstandene digitale Transformation ist ein konstanter Wandlungsprozess, der auf Neuund Umdenken basiert. Im Zentrum zukunfts fähigen Wirtschaftens stehen dabei nicht die Technologien, sondern wir Menschen, die die Konzepte mitgestalten und entwickeln. Eines hat uns die Corona-Pandemie unmissverständlich gezeigt: Nur wenn’s uns Menschen gut geht, wird’s auch der Wirtschaft gut gehen.
Rebecca Mayr, BA studiert Digital Media Management an der FH St. Pölten und entwickelte beim Creative Pre-Incubator das Start-up-Projekt Dreamshell, eine digitale Kosmetikplattform für individuelle Hautprodukte.
Mag. Doris Kantauer leitet den Bachelor Studiengang Management und Digital Business an der FH St. Pölten. Zuvor war die studierte Wirtschaftspädagogin als Education Lead für Hochschul- und Research-Kund*innen bei Microsoft Österreich zuständig.
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Durch die CoronaPandemie wurde unsere Arbeitswelt digitaler, und entsprechend wichtiger wurde auch die Security-Awareness. Neue digitale BusinessModelle eröffnen neue Chancen. Dabei ist speziell im Business-Umfeld das Thema Sicherheit von grundlegender Bedeutung, um vertrauenswürdige Anwendungen im professionellen Umfeld anbieten zu können. Dipl.-Ing. Peter Kieseberg leitet das Institut für IT Sicherheitsforschung sowie das Josef Ressel Zentrum für BlockchainTechnologien und Sicherheitsmanagement an der FH St. Pölten und lehrt seit 2017 als FH-Dozent in den IT-Studiengängen.
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„AUTO UND INDIVIDUALVERKEHR WERDEN NICHT VERSCHWINDEN“ Verkehrswende, Digitalisierung, E-Mobilität: Unsere Fortbewegung beschäftigt uns in Zeiten von Klimawandel, Urbanisierung und Pandemie mehr denn je. „future“ hat bei 2 Experten nachgefragt, welche Trends die Krise beschleunigen und welche sie ausbremsen. V O N
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Stichwort „Mobilität“: Welche Themen werden uns in den nächsten Jahrzehnten besonders beschäftigen?
DI Jürgen Zajicek ist Research Engineer am Austrian Institute for Technology und leitet Forschungsprojekte zum multimodalen umweltfreundlichen Transport von Personen und Gütern.
Jürgen Zajicek: Der Fokus wird in den nächsten 10 Jahren auf der Verringerung des CO2-Aus stoßes liegen. Der Trend geht weg von Ver brennungsmotoren, hin zur Elektrifizierung der Antriebe. In Bezug auf die Urbanisierung müssen neue Mobilitätslösungen gefunden werden, die den Mikro-ÖV (Nahmobilitäts angebote für den Personenverkehr, vorrangig auf kommunaler Ebene, Anm.) als Zubringer zum öffentlichen Verkehr stärken. Pendler*in nen, die wegen mangelnder Anbindung auf das Auto nicht verzichten können, sollten spätestens am Stadtrand in Parkhäusern ab gefangen werden. Wenn man diese Personen dort in das höherrangige ÖV-Netz einspeisen könnte, wäre das ideal. Wichtig wäre auch, die Kosten für die Parkhäuser gleich in den Preis für das Ticket miteinzurechnen. Adrian Wagner: Genau das ist der Punkt: Das Auto bzw. der motorisierte Individualverkehr werden nicht verschwinden, aber sie sollen einen möglichst geringen Anteil in der Wege kette einnehmen.
Zajicek: In manchen Regionen muss man eben die „First oder Last Mile“ mit dem Auto fahren: vom eigenen Haus bis zur Anbindung oder einem Verkehrsknoten, wo man dann in den öffentlichen Überlandverkehr einsteigen kann.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Güter- und Nachtzugverkehr? Zajicek: In Bezug auf den Güterverkehr muss das Ziel sein, den Hauptlauf der Transporte dort, wo es Sinn macht, auf die Schiene zu bringen. Die Feinverteilung der Waren („First und Last Mile“) sollte mit klimaschonenden Lkw stattfinden, die diese Kurzstrecken locker elektrisch zurücklegen. Mit der Verlagerung entsteht allerdings ein Kapazitätsproblem auf den Strecken, dem mit Automatisierung und geeigneten Sicherungs systemen entgegnet werden kann. Das Ziel muss sein: der internationale Hauptlauf der Waren per Schiene und die Feinverteilung über Elektromobilität. Die Kapazitäten dafür müssen aber erst geschaffen werden. Wagner: Wichtig für den Personenverkehr ist, ein entsprechendes Angebot zu schaffen, damit der Zug auch auf der Langstrecke konkurrenz
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fähig ist. Viele Destinationen innerhalb Europas sind auch mit dem Zug bestens erreichbar. Der zeit nimmt Österreich beziehungsweise die ÖBB gerade eine Vorreiterrolle ein und positioniert die Marke Nightjet erfolgreich. Ab Dezember 2020 wird Amsterdam angefahren, seit Februar besteht eine zweiwöchentliche Verbindung nach Brüssel. Ein Vorteil ist auch, dass die Bahn hier verschiedene Preiskategorien für die Fahrten bieten kann, mit einem Platz im Sitzwagen, Liegewagen oder Schlafwagen.
Welche technischen und politischen Meilensteine sehen Sie kommen? Zajicek: Grundsätzlich müsste Kostenwahrheit hergestellt werden, um die Bahn zur Straße konkurrenzfähiger zu machen, weil zum einen der Dieselpreis gestützt wird und zum anderen die Sicherheitsstandards im Vergleich zur Straße viel strenger sind. Im Personenverkehr ist das geplante 1-2-3-Ticket ein wichtiger Schritt. Wenn für die Kund*innen alles mit einem Ticket und einer App machbar ist, eingeschlossen das bereits erwähnte Parken in den P&R-Anlagen am Stadtrand bzw. an den Nahverkehrsknoten in der Fläche, dann wird so ein Angebot auch gut angenommen. Wagner: Das 1-2-3-Ticket ist definitiv mehr als eine politische Willensbekundung. Es müssen aber auch die notwendigen Voraussetzungen für die gesteigerte Nachfrage geschaffen werden. Für die Kund*innen ist ein Gesamtpaket das Wichtigste. Sobald die Kund*innen für ihre Wege Tickets bei verschiedenen Anbietern über mehrere Plattformen buchen müssen, ist der Anreiz, einfach ins bereits vorhandene Auto einzusteigen, sehr groß.
Die Hauptaufgabe wird sein, die Leute wieder zum Umstieg auf den öffentlichen Verkehr zu motivieren, die durch die Pandemie den Individual verkehr stärker genutzt haben. Ing. Dipl.-Ing. Adrian Wagner, BSc, Junior Researcher am Carl Ritter von Ghega Institut für Mobilitätsforschung der FH St. Pölten
Die Corona-Pandemie hat die Art, wie wir uns bewegen, verändert. Welche Vorteile könnten sich daraus ergeben? Wagner: Die Hauptaufgabe wird sein, jene Leute wieder zum Umstieg auf den ÖV zu motivieren, die durch die Pandemie den Individualverkehr · Dezember 2020
Ing. Dipl.-Ing. Adrian Wagner, BSc ist Junior Researcher am Carl Ritter von Ghega Institut für integrierte Mobilitäts forschung der FH St. Pölten und beschäftigt sich in seiner Dissertation mit Optimierungsmöglichkeiten durch Automatisierung im Güterverkehr.
stärker genutzt haben – und durch verschiedene Maßnahmen gleich auch neue Kund*innen zu gewinnen. Dass es jetzt mehr Homeoffice gibt, kann auch für den öffentlichen Verkehr ein Vorteil sein. Auch wenn die Pandemie ihn Fahr gäste kostet: Es geht ja letztlich nicht darum, möglichst viele Fahrgäste zu generieren, sondern CO2 einzusparen und den Individual verkehr einzuschränken. Zajicek: Die Pandemie hat gezeigt, dass das Homeoffice ein attraktives Konzept ist. Dadurch „fehlen“ zwar Leute in den öffentlichen Verkehrsmitteln. So wird aber wiederum Platz geschaffen für diejenigen, die an diesem Tag in die Firma müssen. Man könnte sich an dieser Stelle fragen: „Wieso müssen alle Punkt 8 Uhr ihren Dienst antreten“? Wenn ich durch Ausbau der Gleitzeitmodelle den Mobilitätsbedarf über den Tag und nach den Bedürfnissen der Mitar beiter*innen verteile, dann nehme ich da auch einen riesigen Kapazitätsdruck beim ÖV heraus. So ein Umdenken würde ich jedenfalls als Vorteil sehen. Damit würde sich die Mobilität der Zukunft schon ein Stück weit verändern.
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„CORONA ALS EINGANGSTOR ZU EINER NEUEN GESELLSCHAFT?“
Univ.-Prof. Dr. Ingolfur Blühdorn leitet das Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) an der Wirtschafts universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Nachhaltigkeit, soziale Bewegungen, emanzipatorische Politik sowie Gesellschafts- und Demokratietheorie.
www.wu.ac.at/ign
Die Pandemie hat unsere Gesellschaft verändert – leider aber wenig zum Guten, meint Gesellschaftstheoretiker und Nachhaltigkeitsforscher Ingolfur Blühdorn. V O N
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Nach der großen Klimabewegung 2019 scheint die Corona-Pandemie dieses Thema nun verdrängt zu haben. War’s das mit der großen Klimawende? Die Pandemie hat das Klimathema zunächst verdrängt. Sie rückte dafür andere Dimensionen der Nicht-Nachhaltigkeit moderner Gesell schaften ins Zentrum – etwa die Auszehrung der öffentlichen Gesundheitssysteme oder die systematische Geringschätzung ganzer Berufs gruppen. Inzwischen ist auch das Klimathema wieder präsent. Dennoch kann man mit Recht sagen, dass von Corona bisher kaum Impulse für eine sozial-ökologische Transformation ausgegangen sind. Stattdessen wird der Versuch unternommen, das längst als nicht-nachhaltig erkannte System erneut zu stabilisieren.
Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit In seinem aktuellen Buch „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“ hinterfragt Ingolfur Blühdorn, warum die vielbeschworene ökologische Transformation der Gesellschaft bisher nicht stattfindet. Als „nachhaltig nicht-nachhaltig“ bezeichnet er Gesellschaften, die ihre ökonomische, soziale, politische, kulturelle und ökologische Unhaltbarkeit zwar erforschen, dokumentieren und öffentlich thematisieren, die bestehende Ordnung gleichwohl aber mit aller Entschiedenheit verteidigen.
Eingeschworene Solidarität auf der einen Seite, Rangeleien in den Supermärkten und gegenseitiges Anschwärzen auf der anderen: Hat die Pandemie verstärkt zu Ausgrenzungen in der Gesellschaft geführt? Kennzeichen der sozialen Nicht-Nachhaltigkeit auch der wohlhabenden Gesellschaften des globalen Nordens sind die zunehmende soziale Ungleichheit und Ausgrenzung sowie die immer tiefere Spaltung und Polarisierung. Sie entlädt sich in zunehmend gewaltsamen Konflikten, die von manchen politischen Akteur*innen gezielt geschürt werden. Bezogen auf Corona zeigen sich diese Spaltung und Polarisierung auch in der Ablehnung der Corona-Maßnahmen in einigen Teilen der Gesellschaft.
Wird die Gesellschaft nach Corona eine andere sein? Die Pandemie hat die Gesellschaft bereits jetzt verändert. Viele hatten gehofft, das Virus könnte zum Motor für eine sozial-ökologische Transformation werden. Rückblickend wird Corona vielleicht tatsächlich einmal als Ein gangstor zu einer neuen Gesellschaft gesehen werden. Leider aber wohl nicht zu einer sozial-ökologisch transformierten, sondern eher zu einer Gesellschaft, die zur Sicherung der Freiheiten und Lebensstile ohnehin schon privilegierter Gesellschaften und Gesellschafts teile das Ideal einer sozial und ökologisch gerechten Weltgesellschaft und eines guten Lebens für alle endgültig aufgegeben hat.
Ihre Meinung
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Alles fließt! Alles im Griff? Corona, Klimawandel, Digitalisierung. Die Gesellschaft ist im Wandel. Wir haben nachgefragt: Worauf kann man sich heute noch verlassen? Wandel als Konstante: Was ist dran an dem Schlagwort? Tradition versus Innovation: Sind sie ein Gegensatz? Wo liegt Ihre persönliche Präferenz?
Verlassen: „Alles fließt und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.“ Mit diesen Worten rückte der Philosoph Platon die „Flusslehre“ seines Kollegen Heraklit vor 2.500 Jahren ins Bewusstsein. Vor dem „Nichts bleibt“ haben wir Angst. Wandel als Konstante: Die Welt besteht aus voneinander abhängigen Prozessen. So bedingen sich die Verbreitung des Coronavirus, der Klimawandel und die Digitalisierung gegenseitig. Konkreter: Arbeiten im Homeoffice vermeidet die An steckungsgefahr, schont das Klima und fördert die Digitalisierung. Tradition & Innovation: Tradition ist eine Illusion – wichtig ist das Lernen aus Veränderungen. Gesellschaften lernen meist erst im Nachhinein aus Katastrophen, Kriegen und Krisen. Beim Klimawandel wird Antizipation allerdings zur Überlebensfrage. Mag. Martin Adam leitet das FH-Service Personal und Recht an der FH St. Pölten.
Verlassen: In der Coronakrise brauchte es am Anfang vor allem Krisenmanagement, weniger Change- Management. Dazu kommt es erst jetzt, weil Change das bewusste Gestalten von Veränderung ist. Man muss ein System aufbrechen, verändern und wieder festigen. Essenziell für Change-Management ist die Kommunikation. Wandel als Konstante: „Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders“, hat schon Herbert Grönemeyer gesungen. Man muss minimale gesellschaftliche, ökolo gische, wirtschaftliche und technische Veränderungen erkennen, prognostizieren und diese Aspekte verknüpfen. Menschen brauchen aber auch Konstanten, Sicherheit und Orientierung. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Tradition & Innovation: Innovation ist überlebensnotwendig. Wir brauchen sie für die aktive Gestaltung der Zukunft. Menschen brauchen aber auch Orientierung und Strukturen. Das zeigt sich in der Tradition. In Summe sollte man agieren statt reagieren. FH-Prof. Mag. Wolfgang Römer ist ausgebildeter Wirtschaftsinformatiker und Kulturmanager. An der FH St. Pölten unterrichtet er Innovationsmanagement und strategisches Management.
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Verlassen: Werte und Traditionen verändern sich. Viel entscheidender ist Anpassungsvermögen, also die Fähigkeit, auf neue Situationen zu reagieren, brauchbare Lösungen und Bewältigungsmethoden zu finden und anzuwenden. Wandel als Konstante: Irgendetwas ändert sich immer, nicht alles und auch nicht sofort. Durch die Konfrontation mit neuartigen Situa tionen werden Ideenreichtum und Kreativität kontinuierlich auf die Probe gestellt. Stagnation als Konstante wäre ein Albtraum. Tradition & Innovation: Die eiden sind keine Gegensätze, sie b liegen nur an jeweils anderen Punkten am Zeithorizont. Nicht jede Innovation bewährt sich, nicht jede Tradition hält ewig. Ich persönlich kann mehr mit Innovation anfangen, vor allem im Sinne von Anpassung und Optimierung. Lea Wall studiert im Bachelorstudium Marketing & Kommunikation an der FH St. Pölten und ist seit Juni 2020 Vorsitzende der Studierendenvertretung (ÖH) an der FH St. Pölten.
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BOOTCAMP FÜR DIE TECHNOLOGIEN VON MORGEN Future Tech Bootcamp: neue Ideen rund um Internet of Things (IoT), Radar-Technologie, erneuerbare Energien und künstliche Intelligenz (AI). Das zweite Future Tech Bootcamp der Initiative „Digital Makers Hub“ fand heuer wegen des Coronavirus nicht an der FH St. Pölten, sondern online statt. Im Rahmen der viertägigen Co-Creation- Session arbeiteten Studierende zusammen mit Expert*innen aus der Industrie an praxisbezogenen Lösungen für die Herausforderungen von morgen. Mit dabei waren auch internationale Gäste aus Deutschland, Frankreich und Indien. Unter anderem ertüftelten die Teilnehmenden Gadgets, die helfen, den Corona-Sicherheitsabstand zu halten; sie entwarfen eine dezentrale Selbstorganisation des Netzes nach einem kompletten Stromausfall; überlegten, wie Fabriken durch intelligentes Datenmanagement Energie sparen können; planten den Einsatz von Radar-Technologie für die smarte Steuerung von Zügen und überlegten sich, wie autonome Fahrzeuge mittels Licht untereinander kommunizieren könnten.
Das Future Tech Bootcamp ist ein Open-Innovation- Community-Building-Format von Industry meets Makers in Kooperation mit der FH St. Pölten, der IV Niederösterreich, Smartup St. Pölten, der Zu kunftsakademie Mostviertel, DigitalCity.Wien und weiteren Partner*innen. Das Future Tech Bootcamp wird im Rahmen des Digital Makers Hub veranstaltet. Der Digital Makers Hub fördert eine digitale Kultur der Zusammen arbeit, unterstützt KMUs beim digitalen Wandel und bietet eine Plattform für Personen und Institutionen, die den digitalen Wandel in Österreich vorantreiben. Als eines von bundesweit 3 Projekten wird der Hub vom Bundesministerium für Digitalisierung und W irtschaftsstandort im Rahmen des Programms „Digital Innovation Hubs in Österreich“ gefördert. www.industrymeetsmakers.com
VEREIN FÜR DIGITALE EMPATHIE Österreichische Leitunternehmen und Forschungseinrichtungen engagieren sich im Verein „N’Cyan – Innovation für Menschen“. Die Digitalisierung soll empathischer und mensch licher werden: Das ist die große Vision des Vereins N’Cyan. Dazu will diese Plattform die Kraft des Ursprungs mit der digitalen Zukunft vernetzen. Gegründet wurde der Verein im Frühjahr 2019, und vom Start weg waren sowohl große, international agierende Unternehmen als auch regionale Partner*innen und Forschungseinrichtungen mit an Bord. Im Frühjahr 2020 lancierten die FH St. Pölten und der Digital Makers Hub in Kooperation mit N’Cyan 8 „Inspiring Chats“ zu unterschiedlichen Zukunftsthemen im Netz. Aktuell baut der Verein in St. Jakob in Osttirol ein physisches Forschungsund Kommunikationszentrum auf. https://ncyan.at www.digitalmakershub.at/inspiring-chats
Blick von außen
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Jugend und Forschung im Aufbruch Den Aufbruch der Jugend nicht verpassen
Eva Grigori, BA MA ist Dozentin am Department Soziales der FH St. Pölten. Ihr Spezialgebiet ist die Offene Kinder- und Jugendarbeit.
Wir wissen heute, dass die sogenannte Generation Y, also jene Personen, die nach 1995 geboren sind, mit großer Sicherheit davon ausgeht, dass sie gesellschaftspolitisch etwas bewegen kann. Wir wissen heute, dass diese jungen Menschen einen so eindeutigen Zugang zur Diversität haben wie keine andere Generation zuvor. Zivilgesellschaftliches E ngagement – wie im Rahmen von Fridays for Future oder Black Lives Matter – ist für sie ebenso selbstverständlich wie vernetzte, synchrone Kommunikation in ständiger Gleichzeitigkeit von Offline- und Online-Räumen. Zugleich steckt die österreichische Jugendforschung in den Kinderschuhen. Nicht, dass es sie überhaupt nicht gäbe – doch sie entstammt Qualifizierungs arbeiten, vereinzelten Projekten, ist geprägt von den Agenden ihrer Auftraggeber*innen, nicht zugänglich oder schlichtweg unseriös. Folgt man prominent besprochenen Publikationen, dann sieht die Jugendforschung Jugend so: hedonistisch, konsumorientiert, desinteressiert und vor allem: handysüchtig. Hier braucht es radikales Umdenken: Wozu dient Jugendforschung, was will sie erreichen und wo liegt ihr Potenzial? Das Tempo unserer Zeit ist hoch. So hoch, dass die Forschung der Entwicklung der Jugend kaum folgen kann. Vielleicht versäumt sie dabei aber auch ihren Aufbruch. Wir am Department Soziales vertreten die Überzeugung, dass der Wert von Forschungsergebnissen steigt, wenn nicht über, sondern gemeinsam mit Menschen geforscht wird. So kann die Forschung mit ihren Dynamiken Schritt halten und eher konkrete Verbesserungen in ihrer Lebenswelt bewirken. Es sollte also nicht über Jugend geforscht werden, sondern gemeinsam mit der Jugend. Und ja, die Forschung darf sich vom Engagement der Jugend für eine bessere Welt mitreißen lassen.
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Zu Ga st in …
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„MACHT EIN PRAKTIKUM IN DER SCHWEIZ!“ Physiotherapie-Absolvent Elias Meusburger absolvierte sein Berufspraktikum in der Nähe der Schweizer Hauptstadt Bern. Er schwärmt vom Schweizer Gesundheitswesen – und natürlich von den Bergen. V O N
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Elias Meusburger, BSc genoss die Zeit im Spitalzentrum Biel trotz der CoronaEinschränkungen.
„Die Schweiz ist extrem weit in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung, besonders in der Ausbildung.“ So lautet die Conclusio von Physio therapie-Absolvent Elias Meusburger, der sein Pflichtpraktikum in der nördlich von Bern gelegenen Stadt Biel absolviert hat. Von Februar bis Ende Juni arbeitete er im Spitalzentrum Biel in allen Abteilungen mit und tauschte sich mit Kolleg*innen verschiedener Gesundheitsberufe aus – auch nach Ausbruch des Coronavirus. Ein Glück für Meusburger, denn in Österreich wurden Pflichtpraktika umgehend ausgesetzt. So konnte der gebürtige Salzburger sein Studium wie geplant im Juli abschließen.
Malerische Aussicht auf den 15 km langen Bielersee im Kanton Bern.
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Weil es im Personalhaus des Spitals wenig Bewegungsraum gab, ging Praktikant Meusburger in seiner freien Zeit wandern.
INTERDISZIPLINÄRE ZUSAMMENARBEIT Vor allem die gelebte interdisziplinäre Zu sammenarbeit faszinierte den Praktikanten. Bei regelmäßigen Besprechungen erarbeitet das gesamte mit einem Patienten oder einer Patientin befasste Gesundheitspersonal gemein sam die bestmögliche Behandlungsstrategie. „Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit habe ich in Österreich so noch nicht erlebt. Gerade für die kommissionelle Prüfung war die praktische Arbeit im Krankenhaus und der tägliche Kontakt mit den Patient*innen ein großer Vorteil“, erzählt Meusburger. Bei der Prüfung an der FH St. Pölten wurde auf die Vor-Ort-Behandlung eines Patienten ver zichtet – stattdessen nahmen die Studierenden vorab ein Video von einer Behandlung auf, das bei der Prüfung bewertet und theoretisch hinterfragt wurde. GIPFELBLICK BIS NACH FRANKREICH Ohne Konsequenzen für den Auslandsauf enthalt war die Corona-Pandemie aber auch in der Schweiz nicht. Meusburger war während seines Auslandspraktikums im Personalhaus des Spitals einquartiert. „Gerade während des Lockdowns war ich in diesem Gebäude sehr auf die eigenen 4 Wände beschränkt. Deshalb habe ich möglichst viel Zeit in der Natur ver bracht“, erzählt der 24-Jährige. Vom Chasseral, einem Berggipfel im Berner Jura, genießt man einen tollen Rundumblick nach Frankreich, auf den Neuenburgersee bzw. den Bielersee bis in die Schweizer Alpen. „Der ganze Naturpark Chasseral ist ein tolles Ausflugsziel“, so Meus burger. „Wichtig war aber auch, dass ich mich bei allen administrativen Angelegenheiten immer auf die Fachhochschule Bern und das Büro für International Relations der FH St. Pöl ten verlassen konnte.“ · Dezember 2020
SCHWEIZ, SALZBURG ODER SCHWEDEN? Mit der Rückkehr nach Österreich und dem Studienabschluss galt es, einen Job zu finden. Schnell kristallisierte sich eine Rückkehr in die Heimat als die beste Option heraus: „Die Chance, wieder in mein Heimatbundesland Salzburg zurückzukehren, wollte ich mir nicht entgehen lassen.“ Seit Oktober betreut Meusburger auf der Reha im Spital Oberndorf Patient*innen aus den Bereichen Innere, Intensivmedizin und Orthopädie. „Genau das habe ich gesucht. Obwohl es mich schon immer nach Skandinavien gezogen hat“, so Meusburger. „Die skandinavischen Länder stärken, so wie die Schweiz, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen und sind in der medizinischen Versorgung und Ausbildung top.“ Ein Masterstudium in Schweden ist eine Option für die Zukunft: „Aber jetzt will ich erst mal Berufserfahrung sammeln!“
Berufspraktikum an der Berner Fachhochschule (BFH) Die Berner Fachhochschule (BFH) ist eine der führenden anwendungsorientierten Hochschulen der Schweiz. Mit 31 Bachelor- und 25 Masterstudiengängen bietet sie ein umfangreiches Studienangebot in den Bereichen Agronomie, Gesundheit, Technik, Soziale Arbeit, Wirtschaft und Kunst. www.bfh.ch
Physiotherapie-Studium an der FH St. Pölten Eine praxisorientierte Ausbildung auf wissenschaftlichem Niveau: Die Ausbildung zur Physiotherapeut*in an der FH St. Pölten gehört zu den gefragtesten Bachelor Studien gängen. Studierende lernen hier, wie sie Patient*innen darin unterstützen können, beweglicher zu werden und zu bleiben. fhstp.ac.at/bpt
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B lit z lic ht e r
DeepSpace Experience und Sound Design Studierendenprojekte bei der Ars Electronica. Studierende der FH St. Pölten präsentieren bei der Ars Electronica in Linz das kolla borative Spiel „Mirage“ für den Ars Electronica DeepSpace 8K sowie Projekte aus der Masterklasse Audio Design.
sozial.digital – Hilfe! Wir digitalisieren uns Arlt-Symposium 2020. Im Sep tember lud das Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der FH St. Pölten zum traditionellen Arlt-Symposium. Titel war heuer „sozial.digital – Hilfe! Wir digitalisieren uns“. Die Fachtagung fand erstmals online statt und beschäftigte sich mit dem Potenzial der Digitalisierung für die Soziale Arbeit. https://arltsymposium.fhstp.ac.at
Auch diesen Sommer konnten Jugendliche in das Angebot der FH St. Pölten hineinschnuppern. Als Talente-Praktikant*innen (Bild links) oder Teilnehmer*innen der Science Academy (Bild rechts).
Das Spielfeld von „Mirage“ besteht aus interaktiven wabenförmigen Leuchtfeldern.
Forschungs- und Hochschul-Luft schnuppern Talente-Praktika und Science Academy. Auch heuer bot die FH St. Pölten Jugendlichen im Sommer wieder die Gelegenheit, aktuelle Ausbildungs- und Forschungsthemen kennenzulernen. Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie förderte 4-wöchige Talente-Praktika für Schüler*innen ab 15 Jahren, damit diese Praxiserfahrung in Naturwissenschaft und Technik gewinnen. Bei der Science Academy des Landes Niederösterreich nahmen 19 Schüler*innen an einer Sommerblockwoche des Lehrgangs „Smart World“ an der FH St. Pölten teil. Und für das laufende Wintersemester des Lehrgangs erhielten die Teilnehmer*innen IoT-Experimentier-Sets, um im Distance Learning daheim experimentieren zu können.
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Ausbau des Campus St. Pölten
Alexa, kannst du mir helfen?
Michael Macher: Sein Pitch für ein interaktives Gedächtnistraining wurde mit einem Amazon-EchoGerät ausgezeichnet.
Alexa for Wellbeing Online Challenge. Im Sommer organisierte die FH St. Pölten die Alexa for Wellbeing Online Challenge, durchgeführt im Rahmen der alljährlichen hauseigenen Veranstaltung build. well.being. Die Teilnehmer*innen der Challenge machten sich Gedanken über das Potenzial von Alexa im Gesundheits- und Sozialbereich und entwickelten in interdisziplinären Teams neue Skills für die Sprach assistentin. Zu gewinnen gab es für die Designer*innen der 5 besten Skills jeweils ein Amazon-Echo- Gerät. Den ersten Platz belegten David Schwarz und Michael Macher mit einem Gedächtnistraining bei Demenz.
Dachgleiche beim FH-Zubau. Trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie erreichte der Rohbau des FH-Zubaus im Juni rund 9 Monate nach der Grundsteinlegung die Dachgleiche. Über den Sommer wurden Fenster und Glas elemente eingebaut, bis zum Jahres ende soll die Außenhülle fast vollständig fertiggestellt sein. Der Bezug ist für September 2021 geplant.
Nachhaltige Jugend-Projekte Young Campus 2020. Jugendliche entwickelten im Rahmen der Jugenduni „Young Campus“ inno vative Ideen rund um das Thema Nachhaltigkeit. Unter dem Motto „Nachhaltige Jugend“ arbeiteten die Teilnehmer*innen in Teams an eigenen Projekten – vom Unternehmens konzept für ein umweltschonendes Lastenfahrrad-Taxi bis zu einem interaktiven Müllmonster-Computerspiel. https://youngcampus.fhstp.ac.at
· Dezember 2020
St . Pö lt e n und die We lt
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GRÜSS GOTT STATT MOIN Als erster Student nutzt Johannes Schmidt das Dual-Degree-Programm von FH St. Pölten und HAW Hamburg. Neben neuen Perspektiven und Auslandserfahrung profitiert der 23-Jährige von 2 Masterabschlüssen. V O N
J A K O B
Johannes Schmidt, BSc dreht schon seit der Schulzeit Videos.
L E I S S I N G
Mindestens 6 Monate, vielleicht sogar länger: Der Hamburger Johannes Schmidt verbringt im Rahmen des neuen Dual-Degree-Programms ein Auslandssemester an der FH St. Pölten. „Es kann gut sein, dass ich länger bleibe und eine meiner beiden Masterarbeiten hier schreibe“, erklärt der Gaststudent. Für den Abschluss des Programms muss sowohl an der Heimat-Fach hochschule als auch an der Partnerhochschule eine Masterthesis verfasst werden. „Ich möchte mich mit Audiosystemen für eine besondere Art der Remote Production auseinandersetzen“, so Schmidt, der nach dem Abschluss des Dual Degrees nicht nur über einen Dipl.-Ing. der FH St. Pölten, sondern auch über einen Master of Arts der HAW Hamburg verfügt.
KREATIVES AUDIODESIGN Schmidt studiert aktuell Digital Media Pro duction an der FH St. Pölten in der Masterklasse Audio Design. An der HAW Hamburg ist er im Studiengang Zeitabhängige Medien/Sound – Vision – Games inskribiert. „Ursprünglich habe ich mich stark für den Videobereich interessiert und auch viel in diesem Bereich gearbeitet. Im Master wollte ich aber bewusst den Schwerpunkt auf Audio legen“, so Schmidt. „Es wird unter schätzt, wie viele kreative Möglichkeiten es für Audiodesigner im Filmbereich gibt – insbesonde re im Bereich 3D, Virtual Reality und immersive Audio.“ GEMEINSAMER START INS SEMESTER Zweifel am Auslandssemester hatte Schmidt auch trotz Corona nicht. „Ich bin froh darüber, wie professionell man hier an der FH St. Pölten betreut wird“, so Schmidt. Wichtig sei ihm der gemeinsame Start ins Semester gewesen. „Gerade zu Beginn ist es wichtig, die Kolleg*innen und Professor*innen persönlich kennenzulernen. So fällt das gemeinsame Arbeiten im virtuellen Raum deutlich leichter.“ Seine Freizeit nutzt der 23-Jährige, um St. Pölten und Wien zu erkunden und berufliche Projekte voranzutreiben. Gemeinsam mit Studienkol leg*innen ist Schmidt schon seit der Schulzeit im Bereich des Live Broadcasting tätig. „Wir betreuen einige größere Kunden in Hamburg. Seit dem Ausbruch der Pandemie wird unser Angebot verstärkt nachgefragt.“ NEUE WEGE GEHEN Seine berufliche Zukunft steht für den Hamburger noch nicht fest. „Zum einen reizen mich meine aktuellen Projekte, zum anderen der Bereich Live-Broadcasting. Dabei wäre für mich sowohl der Audio- als auch der Videobereich spannend – wichtig ist mir nur, neue Wege in der technischen Umsetzung zu gehen“, so Schmidt.
HAW Hamburg: Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg ist die drittgrößte Fachhochschule Deutschlands. Sie ist in 4 Fakultäten gegliedert: Design, Medien und Information, Life Sciences, Technik und Informatik sowie Wirtschaft und Soziales. www.haw-hamburg.de
A uch da st e c k t
dr in
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Von August 2019 bis Februar 2020 absolvierte unsere Medientechnik studentin Jana Fitz ein Auslands semester an der Utah Valley University (UVU), um Digital Cinema zu studieren. Ihre Langzeit belichtung zeigt ihre italienische Freundin Asia bei einem Roadtrip mit einem alten Truck ins Monument Valley. Die UVU, eine von 158 Partnerhochschulen der FH St. Pölten, hat derzeit rund 23.000 Studierende und gehört zu den am schnellsten wachsenden Universitäten der USA.
· Dezember 2020
„Die einzige Konstante ist die Veränderung. Stabilität gab es im Wirtschaftsleben nie, und sie ist gerade heute eine Illusion.“ Seite 14
„Auch in der Lehre braucht es von den Lehrenden eine große Bereitschaft, sich selbst ständig zu verändern.“ Seite 16
„Wie ein Vergrößerungsglas zeigt eine Krise Probleme, die es auch vorher schon gab, die aber deutlicher zutage treten, zum Beispiel Ungleichheiten.“ Seite 16
„Rückblickend wird Corona vielleicht tatsächlich einmal als Eingangstor zu einer neuen Gesellschaft gesehen werden.“ Seite 22
„Beim Klimawandel wird Antizipation zur Überlebensfrage.“ Seite 23
www.fhstp.ac.at