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„CORONA ALS EINGANGSTOR ZU EINER NEUEN GESELLSCHAFT?“
Univ.-Prof. Dr. Ingolfur Blühdorn leitet das Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) an der Wirtschafts universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Nachhaltigkeit, soziale Bewegungen, emanzipatorische Politik sowie Gesellschafts- und Demokratietheorie.
www.wu.ac.at/ign
Die Pandemie hat unsere Gesellschaft verändert – leider aber wenig zum Guten, meint Gesellschaftstheoretiker und Nachhaltigkeitsforscher Ingolfur Blühdorn. V O N
E V A
S C H W E I G H O F E R
Nach der großen Klimabewegung 2019 scheint die Corona-Pandemie dieses Thema nun verdrängt zu haben. War’s das mit der großen Klimawende? Die Pandemie hat das Klimathema zunächst verdrängt. Sie rückte dafür andere Dimensionen der Nicht-Nachhaltigkeit moderner Gesell schaften ins Zentrum – etwa die Auszehrung der öffentlichen Gesundheitssysteme oder die systematische Geringschätzung ganzer Berufs gruppen. Inzwischen ist auch das Klimathema wieder präsent. Dennoch kann man mit Recht sagen, dass von Corona bisher kaum Impulse für eine sozial-ökologische Transformation ausgegangen sind. Stattdessen wird der Versuch unternommen, das längst als nicht-nachhaltig erkannte System erneut zu stabilisieren.
Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit In seinem aktuellen Buch „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“ hinterfragt Ingolfur Blühdorn, warum die vielbeschworene ökologische Transformation der Gesellschaft bisher nicht stattfindet. Als „nachhaltig nicht-nachhaltig“ bezeichnet er Gesellschaften, die ihre ökonomische, soziale, politische, kulturelle und ökologische Unhaltbarkeit zwar erforschen, dokumentieren und öffentlich thematisieren, die bestehende Ordnung gleichwohl aber mit aller Entschiedenheit verteidigen.
Eingeschworene Solidarität auf der einen Seite, Rangeleien in den Supermärkten und gegenseitiges Anschwärzen auf der anderen: Hat die Pandemie verstärkt zu Ausgrenzungen in der Gesellschaft geführt? Kennzeichen der sozialen Nicht-Nachhaltigkeit auch der wohlhabenden Gesellschaften des globalen Nordens sind die zunehmende soziale Ungleichheit und Ausgrenzung sowie die immer tiefere Spaltung und Polarisierung. Sie entlädt sich in zunehmend gewaltsamen Konflikten, die von manchen politischen Akteur*innen gezielt geschürt werden. Bezogen auf Corona zeigen sich diese Spaltung und Polarisierung auch in der Ablehnung der Corona-Maßnahmen in einigen Teilen der Gesellschaft.
Wird die Gesellschaft nach Corona eine andere sein? Die Pandemie hat die Gesellschaft bereits jetzt verändert. Viele hatten gehofft, das Virus könnte zum Motor für eine sozial-ökologische Transformation werden. Rückblickend wird Corona vielleicht tatsächlich einmal als Ein gangstor zu einer neuen Gesellschaft gesehen werden. Leider aber wohl nicht zu einer sozial-ökologisch transformierten, sondern eher zu einer Gesellschaft, die zur Sicherung der Freiheiten und Lebensstile ohnehin schon privilegierter Gesellschaften und Gesellschafts teile das Ideal einer sozial und ökologisch gerechten Weltgesellschaft und eines guten Lebens für alle endgültig aufgegeben hat.