~ Kolumne ~ GROSSMÜTTERREVOLUTION
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Sind Grosseltern
erpressbar ?
E
s war sehr streng heute», sage ich zu meinem Mann, nachdem wir unseren Enkel am Abend zu den Eltern gefahren hatten. «Es war auch ein schöner Tag», meint er. Wir sind glücklich. Enkel und Enkelinnen zu hüten, ist für Grosseltern schön und anstrengend. Wir tun es
BERNADETTE KURMANN (1950) aus Ebikon LU, ist Krankenschwester und Journalistin, Mutter von drei Töchtern und Grossmutter. Seit 2017 aktiv bei der GrossmütterRevolution.
gerne, weil wir die Kleinen lieben und weil wir unsere Töchter und Schwiegersöhne entlasten möchten. Wir sehen, wie stark sie durch Beruf und Familie gefordert sind. Ich spüre Dankbarkeit, wenn wir ihnen unter die Arme greifen. Der grossen Verantwortung sind wir uns bewusst. Wenn ich mir vorstelle, was passieren könnte, dann stockt mir allemal der Atem. Wie war ich baff, als ich von einer Bekannten hörte, dass sie und ihr Mann auf Drängen ihrer Tochter einen Kurs für Grosseltern besuchten. Deren Schwiegermutter hatte vier Kinder und jahrzehntelang als Tagesmutter gearbeitet. «Ihr traue ich die Betreuung des Babys zu. Dir, Mami, fehlt diese Erfahrung», argumentierte sie. Die Verletzung war gross. Es ist richtig, meine Bekannte hatte «nur» die eine Tochter – alleine – aufgezogen. Sie blieb stets berufstätig und hatte die beiden Kinder ihres zweiten Lebenspartners mitbetreut. Dem Frieden zuliebe besuchte das
Ehepaar den Kurs. Ich fragte mich, ob ich dieser Forderung auch nachgekommen wäre. Eine andere Bekannte wurde von ihrer Schwiegertochter kontrolliert. «Nichts Süsses», hatte sie verordnet. Sie untersuchte hinterrücks den Abfall nach Papier von Süssigkeiten. Die Frau «schluckte diese Pille» und hat nie mit
ihr darüber gesprochen. Auch sie war verletzt. In einer der Grosseltern-Ausgaben las ich kürzlich, dass eine Tochter ihre Eltern bat, doch auf das Glas Wein am Mittag und Abend zu verzichten, weil sie die Sicherheit ihres Kindes in Gefahr sah. Ansonsten werde sie ihnen ihr Kind nicht länger anvertrauen. Ich fragte mich: Müssen Grosseltern sich erpressen lassen? Auf solche Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten. Ich muss sie für mich selber finden. Ich würde meinen Töchtern sagen, dass ich als Grossmutter nicht bloss Empfängerin von Anweisungen sein möchte. Ich denke, wir würden einen Weg finden. Aber was, wenn nicht? Würde ich auf meine Enkelkinder verzichten? Ich bin unsicher, zögere und komme zum Schluss: Ich habe mich ein Leben lang für meine persönliche Autonomie eingesetzt, darauf kann ich im Alter nicht verzichten. Klar ist: Das Leben ohne Enkel würde trister. •
REDEN ÜBER DAS, WAS SPRACHLOS MACHT Corona hat die Endlichkeit des Lebens wieder vermehrt ins Bewusstsein vieler Menschen gerückt. Doch auch ohne das Virus begegnet uns der Tod auf mannigfaltige Weise – ehe er uns selbst an der Hand nimmt. Deshalb haben sich fünf Frauen der GrossmütterRevolution aus verschiedenen Erfahrungswelten zur Arbeitsgruppe Endlichkeit zusammengefunden, um sich über das (Tabu-) Thema Sterben auszutauschen. Eigene Erfahrungen haben geholfen, sich ver-
tieft mit den vielfältigen Aspekten des Lebensendes auseinanderzusetzen. Dabei zeigte sich die Bedeutung der Sprache. Sie hilft, den persönlichen Empfindungen, den Fragen und Ängsten einen Ausdruck zu geben und damit dem Sterben und Tod, die zum Leben gehören, den Schrecken zu nehmen. Deshalb hat die Arbeitsgruppe auf der Website der GrossmütterRevolution einen GschichteChratte für Erlebnisberichte geschaffen. # 05 ~ 2021
Weitere persönliche Geschichten sind willkommen. Maru Stocker nimmt die Texte unter der Mailadresse marustocker@bluewin.ch gerne entgegen. Den GschichteChratte und weitere Informationen über die Arbeitsgruppe Endlichkeit finden Sie unter: grossmuetter.ch/arbeitsgruppen/ arbeitsgruppe-endlichkeit