Superior Hotel 4-2021

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M A N AG EM EN T & M A R K E T I N G

FA I RC AT I O N S

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Urlaub am Mittelmeer – das geht jetzt auch nachhaltig

Spaß statt Travelshaming Sonja Karl und Stefan Seibel haben in diesem Jahr Faircations gegründet, ein Online-Portal für nachhaltiges Reisen. Wie funktioniert das, was verstehen die Start-Up-Gründer darunter und wie macht die Idee die Tourismuswelt besser? Die Fragen an Sonja Karl stellte Peter Erik Hillenbach

Sie haben Faircations erst im Februar dieses Jahres gegründet, mitten im schlimmsten Lockdown. Dennoch konnten Sie namhafte Investoren von Ihrem „green and fair travel“-Konzept überzeugen. Was

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war Ihr stichhaltigstes Argument? Ja, das war schon etwas seltsam – mein Mitgründer war in Frankfurt beim Notar, ich in München, an Reisen und einen gemeinsamen Termin war nicht zu denken. Die Gründung hat auch viel Stirnrunzeln hervorgerufen, nach dem Motto „Seid ihr verrückt, wie könnt ihr jetzt ein Travel­ Start-up gründen!?“. Aber wir hatten ja schon länger an der Idee gearbeitet und tatsächlich sehen wir die Corona-Krise als Wendepunkt, was Reisen angeht. Die Menschen nehmen Reisen nicht mehr als Selbstverständnis hin und beschäftigen sich allgemein mit dem Thema Nachhaltigkeit: die Corona-Krise als „Nachhaltigkeits-­ Verstärker“, sozusagen. Insofern sind wir überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, mit einem neuen, nachhaltigen Reisekonzept an den Markt zu gehen – wenn die Menschen wieder reisen, sind wir da! Und das hat letztlich auch unsere Investoren­ überzeugt. Reisen ist ja leider mit dem paradoxen Makel behaftet, dass der Reisende unweigerlich zerstört, was er besucht; jedenfalls, wenn wir von massenhaftem Reisen sprechen. Wie schaffen Sie den Switch in den Köpfen, dass nur nachhaltiges Reisen echtes Reisen ist? Wären womöglich ZuhauseBleiben und ins Freibad gehen nicht eh viel nachhaltiger? Wir möchten zeigen, dass auch kleine Schritte reichen, um nachhaltiger zu reisen und gleichzeitig die Angst nehmen, dass man dabei auf etwas verzichten muss: Es muss kein veganer Yoga-Retreat oder Zelturlaub im Stadtwald sein, auch ein Bade­urlaub auf Mallorca kann nachhaltiger gestaltet werden: mit einem zertifizierten Hotel, bei der Airline-Auswahl, durch

CO2-Kompensation der Anreise… Generell wollen wir dem Thema nachhaltiges Reisen die Schwere nehmen, also kein „Travelshaming“ betreiben und mit erhobenem Zeigefinger missionieren. Wir wollen locker und spielerisch aufzeigen, wie es einfach nachhaltiger geht – nicht perfekt, aber immer besser. Nachhaltiges Reisen muss Spaß machen, sonst wird es nicht funktionieren – keiner lässt sich freiwillig die schönste Zeit des Jahres vermiesen. Dass das Zuhause-Bleiben und die nähere Umgebung erkunden auch durchaus reizvoll sein kann, haben viele während der eingeschränkten Reisemöglichkeiten der letzten Monate erfahren und diese Entwicklung ist auch gut. Ich möchte aber grundsätzlich nicht in einer Welt leben, in der der Horizont quasi vor der eigenen Haustür endet. Reisen verbindet die Menschen, öffnet und erweitert Horizonte. Und vor allem: jeder zehnte Arbeitsplatz weltweit hängt indirekt oder direkt vom Tourismus ab. Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren und trägt zu Wohlstand und damit zu einer nachhaltig besseren Welt bei. Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind zwei Kernanliegen der gesellschaftlichen Transformation. Ihr Partner Stefan Seibel ist Travel Tech-Experte – wie nutzen Sie digitale Tools, um Nachhaltigkeit zu ermöglichen? Die zunehmende Digitalisierung ist Kern unseres B2C-Geschäftsmodells. Auf unserer Online-Buchungsstrecke können sich unsere Kunden ihre Reise individuell und flexibel zusammenstellen und auch direkt buchen. Dabei müssen sie sich nicht bereits im Vorfeld entscheiden, ob sie nur ein einzelnes Hotel oder mehrere Hotels,

Fotos: Faircation

Frau Karl, ohne Nachhaltigkeitsstrategie braucht heutzutage kein Unternehmen mehr anzutreten. Wo steht die Reisebranche­in dieser Sache, noch ganz am Anfang? Ganz am Anfang würde ich nicht sagen. Aber es ist in der Tat noch ein sehr weiter Weg – für uns ist es wahrscheinlich in gewisser Weise etwas einfacher, denn wir können von Beginn an nachhaltig agieren. Für bestehende Unternehmen mit gewachsenen Strukturen ist es sicher sehr viel schwieriger, ihr gesamtes Handeln Schritt für Schritt nachhaltig auszurichten, sofern der Wille dazu überhaupt vorhanden ist. Es gibt seit vielen Jahren kleinere Anbieter, die sich auf nachhaltige Reisen spezialisiert haben, zum Beispiel die Mitglieder des Forum Anders Reisen, die hervorragende Pionierarbeit geleistet haben. Das Thema ist also nicht neu, aber bislang doch sehr „nischig“, in der breiten Masse ist es noch nicht angekommen. Die großen Veranstalter und OTAs kennzeichnen zwar mittlerweile zum Teil ein „grünes“ Produkt, aber die große Mehrheit der Angebote ist eben nach wie vor herkömmlich. Außerdem wird Nachhaltigkeit dabei oft auf ökologische Aspekte reduziert und die soziale und ökonomische Komponente­wie etwa faire Bezahlung von Hotelangestellten oder Einbeziehung der lokalen Bevölkerung außen vorgelassen. Da ist also noch viel Nachholbedarf, was die Wertschöpfungskette angeht.


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