LESEZEIT
EL AVISO | 07/2021
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Carlo Schmid
Dein Carlo von Ralph D. Wienrich
Axel Cäsar Springer
Mit freundlich präsidialer Würde bat mich Carlo Schmid in der gemütlichen Sitzgruppe Platz zu nehmen. Nach der kalten Hamburger Dusche fühlte ich mich plötzlich in eine ganz andere Welt versetzt. Der herrliche Duft einer edlen Zigarre erfüllte den Raum. „Brasil“ fragte ich. Schmunzelnd registrierte er meine Frage und meinte anerkennend: „Aha, ein Kenner“, und legte mir eine feine, handgedrehte Brasil mit dem berühmten Knoten an ihrem Ende auf den Couchtisch. „Die wird im Bremer Schnoor gemacht“, sagte er beiläufig um dann zu fragen: „Cognac“? Meinen erstaunten Blick vermochte er elegant zu kommentieren: „Ich glaube“, sagte er mit seinem beruhigenden Bariton betont freundlich, „den können Sie jetzt gut gebrauchen“, und stellte mir einen gut gefüllten Cognacschwenker neben meine Zigarre. Courvoisier mit dem Bundestagsvizepräsidenten Als sich Carlo Schmid ebenfalls in seinem Sessel niedergelassen hatte hob er das edle Kristall gegen das einfallende Sonnenlicht, schmunzelte und sagte genießerisch: „Ein alter Courvoisier, zum Wohl“. „Auf Ihr Wohl“, sagte ich artig und zündete mir meine Zigarre an. Amüsiert schaute er mich von der Seite an und bemerkte: „In erster Linie geht es hier und heute um Ihr Wohl, oder?” stellte er fest und lachte vergnügt. „Sie sind also im Bilde?” erlaubte ich mir die Frage. Carlo Schmid hüllte sich wirkungsvoll in eine gewaltige Wolke und nickte bedächtig. In seiner linken Hand hielt er seine qualmende Brasil, mit seiner Rechten hielt er verspielt schwenkend seinen Courvoisier in Bewegung. „Trinken Sie“, sagte er aufmunternd.
Teil 2
Versonnen schaute er einem davon schwebenden Ring nach als er bedauernd feststellte: „Günthers Problem und somit ist es auch das Ihrige, gründet auf der Tatsache, nicht verlieren zu können. Und dies ohne Wenn und Aber!“ Er beugte sich leicht nach vorn, lachte und stellte dann belustigt fest: „Das Dumme in Ihrem Fall ist nur die Tatsache, dass Sie die Wahrheit berichtet haben!” Als gäbe es einen Sieg zu feiern hob Carlo Schmid mir amüsiert sein Glas entgegen: „Prost, auf die Wahrheit!” „Auf die Wahrheit“, zog ich nach und registrierte besorgt die Ankunft der ersten Cognacwelle in meinen grauen Zellen. Ich nahm mir vor, ab sofort sorgfältig meine Artikulation zu beachten. Starker Tabak und formidabler Cognac auf nüchternen Magen, wie lange konnte das gut gehen? Und als hätte er meine Gedanken erraten schob er die Flasche zu mir und forderte mich, einem Therapeuten gleich, auf: „Bitte, bedienen Sie sich“. Und da ich keinesfalls unhöflich sein wollte, bediente ich mich! Kurz kalkulierte ich unser beider „Fassungsvermögen“ und kam, nicht mehr ganz nüchtern zu dem alarmierenden Resultat, dass angesichts der beeindruckenden Statur des Vizepräsidenten ich mich bereits im Delirium befinden müsste, bevor der Alkohol bei ihm auch nur annähernd Wirkung zeigen würde. Aber da musst Du jetzt durch, sagte ich mir. Das nicht ganz so geheime Geheimnis „Sie wissen um Springers Räume?” setzte ich betont langsam artikulierend das Gespräch fort. „Ich weiß von zweien, einen davon kenne ich“, stellte er trocken fest, „sagen Sie das Ihrem Chefredakteur mit einem Gruß von mir!” Wir begossen die Problemlösung und ich begann mich plötzlich beängstigend wohl zu fühlen. Mich etwas tiefer in den schweren Sessel zurückfallen lassend, winkte ich ab und sagte: „Gaus wünscht darüber keine Diskussion, schon gar nicht mit mir. Ich bin quasi eine Persona non grata für ihn.” „Ungeheuerlich“, brummte Carlo Schmid, erhob sich und ging zu seinem wuchtigen Schreibtisch. Er setzte sich, nahm ein Blatt Papier, zückte seinen silbernen Füllhalter und begann mit sichtlichem Vergnügen zu schreiben. Erstaunt fragte ich: „Schreiben Sie immer alles von Hand?” Er schaute mich an: „Ja“, sagte er, „ich muss die Worte wachsen sehen“. Es war eine klare, sehr schöne Schrift. Wenige Zeilen nur, aber sehr deutliche Sätze. Als ich das Dokument in meinen Händen hielt, las ich: „Lieber Günther, die Personalie über Axel Springer hat mich amüsiert. Er hat mir bei einer unserer Begegnungen einen dieser mystischen Räume gezeigt und dabei über seine Besorgnis um Deutschland gesprochen. Du musst in Bonn wirklich gute Leute haben, die so etwas Delikates ans Licht der Öffentlichkeit bringen. Besten Gruß, Dein Carlo“ „Das wird helfen, denke ich. Ihr Chefredakteur wird das nicht ignorieren können“, stellte er sachlich fest. Ob er wohl der Ur-Informant gewesen sein mochte, fragte ich mich, aber von Bedeutung war das jetzt auch nicht mehr
Günter Gaus
für mich! Nach einem letzten, kräftigen Schluck erhob ich mich und war über meine relative Standfestigkeit doch angenehm überrascht. Ich bedankte mich und war um einen aufrechten Abgang bemüht. Auf dem Weg zur Tür glaubte ich bemerkt zu haben wie der Vizepräsident mich mit leicht ausgebreiteten Armen hinaus geleitete. Ab in den Schreibtisch Im Spiegel-Büro traf ich im Empfang auf die zurückkehrenden Kollegen. Ernst ´Ego` Goyke war der erste, dem ich etwas zu nahe kam: „He“, trompetete er laut: „Mein Gott, Wieni, hast du geflaggt. Wo hast du dir denn Trost angetrunken“? Statt zu antworten präsentierte ich unserem Bürochef, Hans Roderich Schneider, das Dokument. „Und“, fragte dieser nur, „was machen wir nun damit?” „Das muss Gaus lesen“, erwiderte ich triumphierend. Mittlerweile war auch Erich Böhme, ein sehr guter Freund von Gaus, hinzu getreten, er las den Text und fragte mich hernach: „Und das soll der Chefredakteur zu lesen bekommen?” „Klar“, erwiderte ich ungerührt. „Du musst des Teufels sein, Wieni. Du willst Gaus als Verlierer vorführen? Das überlebst du nie und nimmer!“ „Es ist die Wahrheit“, beharrte ich. Die Personalie muss nicht berichtigt werden“! Hans Roderich Schneider machte dem Ganzen ein Ende und verschloss das Dokument mit den anerkennenden Worten: „Schöne Schrift“, in seinem Schreibtisch, blinzelte mir zu und postulierte: „Wir lassen erst einmal Gras darüber wachsen, einverstanden?” Die falsche Berichtigung – 25 Jahre später Gut 25 Jahre später, ich produzierte mittlerweile für die ZDF-Sendung „Streit um Drei“ Filme in Berlin, als ich eines Abends an der Bar des Hotels Westing Grand auf einen bereits mäßig abgefüllten Günther Gaus traf. Er beäugte mein Radeberger und fragte mich: „Was trinken Sie denn da?“ Ohne auf seine Frage einzugehen hob ich ihm lediglich mein Bier entgegen. „So, ein Bier“, stellte er fest, stutzte, schaute mich prüfend an um dann zu fragen: „Kennen wir uns“? „Und wie“, erwiderte ich. „Helfen Sie mir auf die Sprünge“. „Gern, Bonner Spiegelbüro vor einem Vierteljahrhundert, Springer Personalie und deren unnötige Berichtigung“. Seine Augen verengten sich zu winzig kleinen Schießscharten, dann tippte er mir unentwegt mit seinem rechten Zeigefinger gegen die Brust: „Sie sind der…“ „Ja“, sagte ich, „genau der bin ich“, aber dann überraschte er mich doch mit meinem Namen. „Kompliment“, sagte ich. Gaus sah mir ins Gesicht und fragte: „Trinken wir eine Flasche Rotwein miteinander?” „Einverstanden, gern“, willigte ich ein. Und bevor wir unsere Gläser erhoben, sagte Gaus versöhnlich: “Ihre Personalie und meine Berichtigung vergessen wir, einverstanden?” „Lieber Günther Gaus“, sagte ich, „meine Personalie war richtig. Falsch war nur die von Ihnen ins Heft gehobene Berichtigung!” Er sah mich eine Weile nachdenklich an, erhob dann sein Glas: “OK, Prost!” Ende