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Einwurf Italien ist Europameister. Und das, misst man den Fan-Puls der vergangenen Tage, auch zur Freude der Mehrheit der Fußballwelt. Wie gut kennen Sie sich mit Wrestling aus? Keine Sorge, das ist nicht der Versuch, irgendeine Nigel-de-Jong KungFu-Tritt-Gedächtnis-Analogie herbeizuführen. Dieser Sport-Entertainment-Mix lehrt uns so einiges darüber, wie wir Menschen Sport konsumieren wollen – auch in Bezug auf die Europameisterschaft. Bei fast allen großen WrestlingOrganisationen sind die Ausgänge der Kämpfe vorherbestimmt, die Athleten spielen einen Charakter und das ganze ähnelt mehr einer Serie als einem Sportwettkampf. Die Rollen der Wrestler sind dabei mittelalterlich-trivial in die des Bösen und die des Guten aufgeteilt. Dieses beschränkte Storytelling hat indes nichts mit der Unfähigkeit der vorhandenen Kreativköpfe zu tun. Nein, diese scheinverstaubte Filmmasche reflektiert allein unsere Präferenz selbst: Wir mögen Außenseiter und Helden, doch dafür braucht es Favoriten und Bösewichte. Als Dänemark am Mittwochabend denkbar knapp gegen die Englischen „Three Lions“ ausschied, gab es wohl keinen Fußball-Fan abseits der britischen Insel, der nicht mindestens ein weinendes Auge hatte – der letzte Außenseiter nahm Abschied, immerhin erhobenen Hauptes. Fürs Finale brauchte der Fußball-Fan also eine neue Storyline: der Gute und der Böse. Dermaßen unsympathisch waren die Engländer vor dem Turnier eigentlich den Wenigsten und wieso auch? Eine junge, talentierte Truppe, die versucht den jahrzehntelangen Fluch ihrer Nation aufzuheben – klingt eigentlich nach Potential für den Guten. Wenn allerdings auf der anderen Seite ein so sympathisch lächelnder 36-jähriger Hüne namens Giorgio Chiellini steht, dann weiß jeder: die Rolle des Guten übernimmt in diesem Finale nur einer.
Gemäß der Floskel „solche Geschichten schreibt nur der Fußball“ nahmen sich die Engländer ihrer BösewichtRolle dann auch schon im Halbfinale an: Pfiffe während der dänischen Nationalhymne, Air-Sterling schwalbt sich zum entscheidenden Elfmeter und ein Laser-Pointer im Gesicht des dänischen Keepers. Viel besser hätte die Southgate-Elf die Storyline der bösen Engländer eigentlich nicht füttern können. Und auf der anderen Seite lächeln sich die potenziellen Havard-Professoren der Defensivarbeit, zumindest wenn José Mourinho das Sagen hätte, Chiellini und Bonucci weiter in die Herzen der Fußballwelt. Dass sich die Italiener im Viertelfinale gegen Belgien, unter anderem in Person von Ciro Immobile, mit Oscar-verdächtigen Schauspieleinlagen durchsetzen konnten, interessiert wenige Tage später niemanden mehr. Genau wie auch den guten Seiten der Engländer nur noch wenig Beachtung geschenkt wurde. War doch unter anderem ChelseaJungstar Mason Mount nach dem Spiel gegen Dänemark so positiv durch das Verschenken seines Trikots an ein kleines Mädchen aufgefallen. Was ich Ihnen damit sagen will? Wenn man die Story richtig strickt, könnte man beide Finalteilnehmer zum Guten oder zum Bösen schreiben. Am Ende des Tages machen beide Mannschaften nämlich nur das, was man von Sportteams kennt und erwartet: alles mögliche, um zu gewinnen. Dass wir als Fußball-Fans trotzdem so scharf darauf sind, den beiden Mannschaften diese stereotypisierten Rufe unterzujubeln, zeigt doch lediglich eines: Menschen denken gerne in Schubladen, auch wenn die den Umständen eigentlich nicht gerecht werden. Am
Ende dieser Europameisterschaft war Italien die Mannschaft, die besser darin war alles für den Sieg zu geben. Dass die Engländer im Wembley-Stadion im Elfmeterschießen scheitern ist dabei nur eine von den vielen Geschichten, die der Fußball schreibt.
Daniel Baltes 23 Jahre, arbeitet als freier Mitarbeiter für die revue mit dem Fokus auf Fußballund andere Sportthemen. Nach seinem Abschluss 2017 am Lycée Classique de Diekirch studiert der gebürtige Stegener zurzeit Online-Medien-Management an der Hochschule der Medien in Stuttgart.