Nr. 2 Saison 22/23 – Viol(a)ence in Heaven

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PROGRAMM-MAGAZIN NR. 2 SAISON 22/23 Sinfonieorchester Basel Nikola Hillebrand, Sopran Nils Mönkemeyer, Viola Markus Poschner, Leitung 1921VIOL(A)ENCEINHEAVEN.SEPT.2022.30UHRSTADTCASINOBASEL

PROGRAMM 5 INTERVIEW Markus Poschner, Leitung 6 GUSTAV MAHLER Blumine 10 INTERVIEW Nils Mönkemeyer, Viola 14 WALTER BRAUNFELS Schottische Fantasie 18 PORTRÄT Nikola Hillebrand, Sopran 20 GUSTAV MAHLER Sinfonie Nr. 4 G-Dur 22 GESANGSTEXT Sinfonie Nr. 4 G-Dur 24 RÜCKBLICK 25 ORTSGESCHICHTEN von Sigfried Schibli 26 VORGESTELLT Josip Kvetek, Viola 28 LEXIKON DES ORCHESTERS von Benjamin Herzog 32 IN ENGLISH by Bart de Vries 34 VEREIN SINFONIEORCHESTER‹FREUNDESKREISBASEL› 35 IM FOKUS 37 DEMNÄCHST 38 INHALT ÜBERSICHT DER SYMBOLE Diese Institution verfügt über eine NummerierteHöranlage Rollstuhlplätze im Vorverkauf erhältlich Für Familien mit Kindern geeignet

SINFONIEKONZERT

Konzertpublikum

VIOL(A)ENCEINHEAVEN

Mit herzlichen Grüssen Hans-Georg Hofmann Ivor Bolton Künstlerischer Direktor Chefdirigent

Im kommenden Abonnementskonzert schla gen wir in unserem ‹Sound Atlas› gleich drei unterschiedliche Seiten auf. Der Bratschist Nils Mönkemeyer bringt eine Rarität des von den Nazis verfemten deut schen Komponisten Walter Braunfels nach Basel. Als sogenannter ‹Vierteljude› wurde Braunfels 1933 von seiner Position als Direk tor der Kölner Hochschule für Musik sus pendiert. Seine Werke durften in Deutsch land nicht mehr aufgeführt werden. Braun fels zog sich in innerer Emigration an den Bodensee zurück und komponierte für die Schublade. In dieser Zeit entstand auch sei ne Schottische Fantasie, die weit mehr als eine musikalische Landschaftsbeschrei bung ist. Unser Konzert startet mit Gustav Mahlers Konzertsatz Blumine, der ursprüng lich als eine Art Zwischenmusik zum The aterstück Der Trompeter von Säkkingen entstand und uns damit – geografisch ge sehen – in die Nähe von Basel bringt. Mahlers 4. Sinfonie führt uns im Fi nale dann in eine göttliche Welt der «himm lischen Freuden». Doch wer Heiterkeit und Gelassenheit erwartet, wird irritiert sein. Mahler selbst meinte einmal: «Es ist die Heiterkeit einer höheren, uns fremden Welt darin, die für uns etwas SchauerlichGrauenvolles hat. Im letzten Satz erklärt das Kind, wie alles gemeint sei.»

Wir freuen uns, dass Markus Poschner erst mals unser Orchester in einem Abonne mentskonzert dirigieren wird. Mehr über die programmierten Werke, die Solist*in nen und den Dirigenten erfahren Sie in un serem Programm-Magazin. Wir wünschen Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen.

Liebes

4VORVERKAUF PREISE CHF 105/85/70/55/35 ERMÄSSIGUNGEN • Studierende, Schüler*innen sowie Lernende: 50 % • AHV/IV: CHF 5 • KulturLegi: 50 % • Mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5 • Begleitpersonen von Menschen mit Beeinträchtigung: Eintritt frei (Reservation über das Orchester büro) VORVERKAUF Bider & Tanner –Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel +41 (0)61 206 99 www.sinfonieorchesterbasel.chticket@sinfonieorchesterbasel.ch+41Sinfonieorchester+414051SteinenbergBillettkasseticket@biderundtanner.ch96StadtcasinoBasel14/TouristInfoBasel(0)612263660Basel(0)612722525 ZUGÄNGLICHKEIT Das Stadtcasino Basel ist rollstuhlgängig und mit einer Induktionsschleife versehen. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt. VORVERKAUF, PREISE UND INFOS ZandelIrène© Nils Mönkemeyer, Solist im Sinfoniekonzert ‹Viol(a)ence in Heaven›

5PROGRAMM Konzertende: ca. 21.35 Uhr ca. 8’ ca. 23’ ca. 54’ Gustav Mahler (1860–1911): Blumine (1884) Walter Braunfels (1882–1954): Schottische Fantasie für Viola und Orchester, op. 47 (1932/33) PAUSE Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 4 G-Dur (1901) 1. Bedächtig. Nicht eilen 2. In gemächlicher Bewegung ohne Hast 3. Ruhevoll 4. Sehr behaglich 18.30 Uhr: Konzerteinführung mit Lea Vaterlaus Mi, 21. Sept. 2022, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal VIOL(A)ENCEINHEAVEN Sinfonieorchester Basel Nikola Hillebrand, Sopran Nils Mönkemeyer, Viola Markus Poschner, Leitung HÖR’ REIN

Mir kommt es immer so vor, als ob Mahler im letzten Satz schliesslich aufklä ren will, wie diese Sinfonie eigentlich ge meint ist. In allen Sätzen finden sich immer wieder brutale Einbrüche aus einer anderen Welt, die die scheinbare Idylle in ihr Gegen teil verwandeln und die Hörer schockie ren. Und plötzlich erklärt uns eine Sopran stimme den Sinn des Lebens und singt vom Paradies aus der naiven Sicht eines Kindes. Die Musik spricht dabei jedoch eine ganz andere Sprache: Die Erlösung, von der der Text erzählt, wird einem von der Musik ver weigert und lässt einen ratlos zurück; das Orchester verklingt in einem einzigen Ton. Ich denke, das ist die Hauptaussage dieses Werks: Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen. Genau deshalb ist die 4. Sinfo nie eine meiner Lieblingssinfonien, weil sie unendlich geheimnisvoll und von einer ma gischen und rätselhaften Tiefe beseelt ist.

FH Beginnen wir am Ende. Der letzte Satz von Mahlers 4. Sinfonie ist das Lied Das himmlische Leben aus Des Knaben Wunderhorn. Was hat es mit dieser kindlichen Jenseitsvision als Finale einer Sinfonie auf sich?

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Ein Gespräch mit Markus Poschner über Mahler, Braunfels und den trügeri schen Schein der Musik.

VERKLEIDUNGSSPIELSINFONISCHES im Gespräch«DieDinge sind nicht so, wie sie scheinen.»

VON FLORIAN HEURICH

MP Das Doppelbödige, das Märchenhafte, das kindlich Naive und das Traumhafte sind in dieser Sinfonie die vorherrschenden Parameter. Nie kann man in diesem Werk dem Offensichtlichen vertrauen, es ist qua si überall eine grosse Maskerade. Adorno hat die Vierte sogar einmal als grosse «AlsOb-Sinfonie» bezeichnet.

FH Leben und Tod liegen bei Mahler eng beieinander. Der Ländler steht neben dem Trauermarsch. Wo steckt die Tragik in der an der Oberfläche so heiter wirkenden 4. Sinfonie?

INTERVIEW MARKUS POSCHNER

MP Bei Mahler liegt das Wirtshaus immer direkt neben dem Friedhof. Dieses traum ähnliche Bild hätte tatsächlich auch be stimmte Eindrücke aus seiner Kindheit in Böhmen widerspiegeln können: Seine El tern waren ja Wirtsleute. Die Blaskapellen spielten zuerst auf einer Beerdigung und gleich darauf auf dem Tanzboden, wäh rend die Militärmusik in der Kaserne laut stark alles übertönte. So oder ähnlich be schrieb Mahler selbst seine tiefsten Emp findungen als Kind. Auch der frühe Tod seines geliebten Bruders prägte sein junges Leben zutiefst.

7MARKUS POSCHNERINTERVIEW

Kikkasitaliana/KaupoSvizzeradellaOrchestra©

FH Der Titel Blumine geht auf Jean Paul zurück, einer von Mahlers Lieblingsschriftstellern. Welches Programm verbirgt sich hinter diesem Titel?

8MARKUS POSCHNERImINTERVIEW2.Satzwird

MP Das wird für immer sein Geheimnis bleiben, denn es ist ein ganz wunderbarer meditativer Satz. Natürlich gibt es viele Theorien, warum Mahler ihn wieder aus der 1. Sinfonie entfernt hat: die Tonart, die Länge, zu wenig sinfonischer Gestus, zu viel Sentimentalität... Vermutlich trifft alles und doch nichts von alledem zu.

«Es handelt sich um kein Konzert,klassischessondern um eine sehr freie, sogar theatralische musika li sche Erzählung.»

der groteske Totentanz eines Knochenmanns geschildert, symbolisiert durch die um einen Ton höher gestimmte Solovioline. Aber auch der Tod erscheint hier als ein Kinderbild, Furcht einflössend und makaber, in einer ganz unmittelbaren und doch rätselhaften Darstellung.

MP Ich habe schon fast alles Mögliche ausprobiert. Es passiert hier aber zum ers ten Mal, dass ich ein Konzert mit Blumine eröffne. Das ist ein gewagtes Experiment, da sich sowohl die Musiker*innen als auch das Publikum ganz unvermittelt auf diese sehr besondere Stimmung des Werks einlassen müssen. Da es aber so feinstofflich und zerbrechlich ist, empfinde ich es als einen idealen Auftakt, der wunderbar zur Schot tischen Fantasie von Braunfels hinführt. FH Was verbindet Braunfels und Mahler? MP Natürlich dieser österreichisch-deut sche Gestus der Spätromantik als musika lische Grundlage, aber auch das sehr ähn liche Schicksal. Wie Mahlers Musik wurde die von Braunfels ab 1933 verboten und von den Nationalsozialisten als ‹entartet› ab gestempelt. Der Schottischen Fantasie wider fuhr genau dies: Die in Deutschland ge plante Uraufführung wurde abgesagt, und das Werk wurde später in der Schweiz zum ersten Mal gespielt.

FH Mit Blumine springen wir ganz an den Anfang von Mahlers sinfoni schem Schaffen. Ursprünglich war dieses Stück ein Satz der sinfoni schen Dichtung Der Titan, woraus später die 1. Sinfonie wurde. Der Satz wurde dann von Mahler wieder aus dem Werk herausgenommen, sollte sogar vernichtet werden und galt darauf hin lange Zeit als verschollen. Was hat Mahler an dem Stück miss fallen?

MP ‹Blumine› ist das deutsche Ersatz wort für die antike Göttin Flora. Allein durch seine Struktur wirkt dieses Stück fast wie eine implodierte Sinfonie. Es wird ein Thema exponiert, das aufblüht und auf das eine wunderschöne Gegenmelodie folgt. Am Ende hebt der ganze Satz ab und löst sich vom Irdischen. Alles verflüchtigt sich und mündet ins Ätherische. Es ist wie ein Erblühen und Absterben, fast wie die ge samte 4. Sinfonie, nur im Zeitraffer.

FH Wie soll man dieses Stück heute auf führen? Als eigenständiges Werk, als Teil der 1. Sinfonie oder quasi als An hang an diese Sinfonie?

FH Ist die Schottische Fantasie eher eine sinfonische Dichtung – Braunfels schwebte eine ‹landschaftliche Schau› vor – oder doch eher ein Bratschen konzert? MP Keines von beiden oder beides zusam men. Es handelt sich um kein klassisches Konzert, sondern um eine sehr freie, sogar theatralische musikalische Erzählung. Man merkt, dass Braunfels ein Opernkomponist war, der ganz offen mit Assoziationen um ging. Wir Interpreten können uns da sehr kreativ auf diese ungemein farbige Tonspra che einlassen. Eine wunderbare Aufgabe.

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LIEBESEPISODEEINE

Der Trompeter von Säkkingen auf die Bühne kam, schuf Mahler eine 1884 mit dem Schauspiel uraufgeführte, vom Publikum positiv aufgenommene Begleitmusik. Ein Stück daraus bildet das Ständchen, das der Trompeter Werner der Angebeteten namens Margareta darbringt, «in der Mondnacht nach dem Schlosse, wo Margareta wohnt, über den Rhein hinüber geblasen», wie es in einer zeitgenössischen Schilderung heisst. Die serenadenhafte Melodie der Trompete korrespondiert im Verlauf des Stücks mit einem Oboen-Gesang, woraus sich die romantische Zusammenkunft von Werner und Margareta ableiten lässt. Mah ler bezeichnete den Satz gegenüber seiner Vertrauten Natalie Bauer-Lechner einmal als «Liebesepisode».InKasselentstand aber nicht nur diese Begleitmusik, sondern auch Mahlers erste ernsthafte Komposition, die sich ei nen Platz im Konzertrepertoire erobern konnte: Die Lieder eines fahrenden Gesellen, deren Komposition auch mit einer Liebes affäre des Musikers mit der in Kassel enga gierten Sängerin Johanna Richter in Ver bindung gebracht wird und deren musika lisches Material dann in seine 1888 kompo nierte 1. Sinfonie einfloss. Aber auch ein Stück leichterer Muse aus Kassel fand zu nächst Platz in der Sinfonie: das dort als «Blumine» titulierte Ständchen aus dem Trompeter von Säkkingen. Mahler hatte die Sinfonie ursprüng lich als «Tondichtung in Symphonieform» konzipiert. Nach der erfolglosen Urauf führung des Werks 1889 in Budapest wag te Mahler erst vier Jahre später eine neu erliche Aufführung, nunmehr in Hamburg, wo er inzwischen als erster Kapellmeister

GUSTAV MAHLER Blumine ZUM WERK

10 VON RAINER LEPUSCHITZ Gustav Mahler war in seinen zwei Jahren als 2. Kapell meister am Hoftheater von Kassel nicht nur für das Dirigieren des Opernreper toires zuständig, sondern musste darüber hinaus AlsKompositionDamitSchauspielaufführungendiemusikalischbetreuen.warauchdasArrangierenvonOuvertürenundZwischenaktmusikenfürdieSprechtheaterstückeundgelegentlichdievonSchauspielmusikverbunden.inKasseleinedramatisierteFassungvonJosephVictorvonScheffelsEpos

11 am Stadt theater engagiert war. Das Auto graf dieser revidierten Hamburger Version nennt das Werk nunmehr «Symphonie», gibt aber gleichzeitig immer noch ein «Pro gramm» in Anlehnung an den Roman Der Titan des von Mahler bewunderten Dich ters Jean Paul wieder. Der erste Teil Aus den Tagen der Jugend enthält drei Sätze: Frühling und kein Ende, Blumine und Mit vollen Se geln; der zweite Teil Commedia humana hat zwei Sätze: Todtenmarsch in Callots Manier und Dall’ Inferno al Para diso. Der Erfolg der Hamburger Aufführung ermutigte Mahler, das Werk dem damals GUSTAV MAHLERZUM GustavWERKKlimt,

Schloss Kammer am Attersee (um 1908). Auch Mahler verbrachte zwischen 1893 und 1896 mehrere Sommer am Attersee.

akg-images/Sotheby’s©

in Wei mar als grossherzoglich-sächsischer

Kapell meister tätigen Richard Strauss für eine Aufführung anzubieten, die dann 1894 beim Tonkünstlerfest Weimar erklang, er neut in fünfsätziger Form. Doch die Kritik reagierte grossteils mit Unverständnis, we ni ger auf die Musik, als auf das ihr bei gegebene Programm. Der Blumine -Satz wurde in einer Kritik als «trivial» be zeichnet. Bei der nächsten Aufführung 1896 liess Mahler dann nicht nur das Programm weg, sondern auch die Blumine . Fortan war die 1. Sinfonie ein viersätziges Werk.

23.URAUFFÜHRUNG1884ENTSTEHUNGStreicherJuni1884amHoftheater

Dieca.DAUER8Minuten

Blumine wurde erst 1967 durch eine Drucklegung in der US-amerikani schen Theodor Presser Company der Öffentlich keit wieder zugänglich. Seither gab es zahl reiche Aufführungen des Satzes, aber nur selten innerhalb der 1. Sinfonie, da diese von Mahler in ihrer endgültigen Form als viersätzig festgelegt worden war. Interes sant ist aber, dass sich das zweite Thema des Sinfonie-Finales auf den Blumine -Satz bezieht.Auch sonst birgt der Satz, auch wenn er tatsächlich ziemlich einfach gestrickt ist, so manche wertvolle Mahler’sche Sub stanz: In der Instrumentierung kann man schon Vorwegnahmen von Passagen der 2. Sinfonie entdecken, und die Trompeten weise scheint in ihrer Stimmung schon ein wenig die Posthorn-Episode aus der 3. Sin fonie anzukündigen. In der einzigen ex pressiven Verstärkung des Satzes spürt man auch, dass sich Mahler als Student mit Bruckners Sinfonik beschäftigt hatte. Neben der Trompete und der Oboe kommen auch noch dem Horn Soloaufga ben zu, während die Streicher und Harfen den Satz zart und mitunter nur schemen haft begleiten. Die Blumine kann trotz ihrer Sentimentalität eine zauberhafte Wirkung entfalten. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich

12GUSTAV MAHLERZUM WERK Blumine

2BESETZUNGFlöten,2Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, Trompete, Pauken, Harfe, von Kassel unter der Leitung des Komponisten

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INTERVIEW

VON BENJAMIN HERZOG Der Bratschist Nils Mönkemeyer spürt das Meer in Walter Braunfels’ Schottischer Fantasie. Ein überhaupt in vielerlei Hinsicht anspruchsvolles Werk, das aber gerade darum dankbar zu spielen sei.

NM Das Schöne daran, Bratschist zu sein, ist, dass wir aufgrund des etwas knappen Repertoires gezwungen sind, uns mit allen Epochen zu beschäftigen. Das erfordert für mich als Künstler eine grosse stilistische Bandbreite. Und daran kann man nur wachsen. BH Sie geben auch Werke für Ihr Instru ment in Auftrag. Was steckt gerade in der Pipeline?

NM Mehr als gut zu spielen, das Publikum und mein Umfeld für das Stück zu begeis tern, kann ich eigentlich nicht tun. Am wichtigsten scheint mir, Komponist*innen anzufragen, die so schreiben, dass ein Stück auch nach der Uraufführung weiter gespielt werden kann.

NM Als Nächstes ein Konzert von Isabel Mundry. Und im Dezember werde ich ein Werk von Peter Ruzicka in Zürich urauf führen. Das sind die zwei nächsten grösse ren Stücke, die ich lernen werde. Ich ver suche eigentlich, jedes Jahr etwas ganz Neues zu spielen, eine neue Tonsprache zu lernen. Das ist immer spannend.

NILS MÖNKEMEYER im Gespräch

BH Sie spielen ein Repertoire vom 18. Jahr hundert bis in die Gegenwart. Ein bratschender Allrounder?

BH Auf Ihrer Homepage steht: Nils Mönkemeyer ist einer, der «mit, im und vom Enthusiasmus lebt.» Wie enthusiasmieren Sie sich jeden Tag?

«Wenn man etwas tut, das man liebt, dann trägt einen das.»

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BH Bei neuen Werken bleibt es häufig bei der Uraufführung und vielleicht ein paar Folgeterminen. Was tun Sie dafür, dass ein Stück länger lebt?

NM Das Schöne ist ja, wenn man etwas tut, das man liebt, dann trägt einen das. Dann muss man sich gar nicht motivieren, sondern die Motivation ist dann ein Teil von dem, was man tut. Und so geht mir das mit Musik. Jeden Tag. DER RUF DES DUNKLEN KLANGES

15NILS MÖNKEMEYERINTERVIEW

ZandelIrène©

BH Ihr Kollege Antoine Tamestit be schreibt den Ton seiner Bratsche als verführerische Frauenstimme, die aber doch so tief singe, dass er sich frage, ob sie nicht etwa ein Mann sei. Was ist die Bratsche für Sie?

NM Es gibt zumindest Anklänge an kelti sche Musik, an schottisch klingende Tänze oder Melodien, die verwandt sind mit schot tischen Volksliedern. Ob die nun original sind oder nicht, weiss ich nicht. Vielleicht ist es auch einfach so ein Gefühl: Dass man auf der Heide steht, und das Meer öffnet sich vor einem. Es ist ja auch etwas Mysti sches in der schottischen Landschaft. Das hört man definitiv in dieser Musik.

BH Einfach zu spielen ist Braunfels’ Fantasie nicht: Viele Doppelgriffe, alles eng verflochten mit dem Orchester. Überhaupt eine dicke Partitur. Wo steht das Stück auf der Kniffligkeits Skala für Bratschisten von 1 bis 10? NM Zwischen 8 und 9. Allerdings, wenn ich es dann spiele, so hoffe ich doch eher bei 5. Es soll ja nicht schwer wirken. Ich mag allerdings die Tatsache, dass es nicht einfach geschrieben ist. Denn die Arbeit und das physische Ringen bringen ja auch eine grosse musikalische Intensität mit sich, die im Konzert dann spürbar ist. BH Sie unterrichten an der Musikhoch schule München. Nehmen Sie diese Fantasie auch mit Ihren Studieren den durch? Oder gilt es da erst mal die Basics abzuarbeiten?

NM Gewöhnlich arbeitet man im Studium eher mit dem Standardrepertoire, ja. Da geht es um die Vorbereitung für den Beruf, für Orchesterstellen. Bei 95 Prozent mei ner Student*innen ist das so. Aber in den Meisterklassen würde ich den Braunfels schon durchnehmen.

BH Wie ist das eigentlich: Sogenannte ‹Edelbratscher*innen›, die also von Anfang an Bratsche spielen und nicht zuerst Geige – sind die eher die Regel oder die Ausnahme?

NM Sie sind eher die Ausnahme. Ich bin, so gesehen, auch kein ‹Edelbratscher›. Aber das ist auch egal. Irgendwann ruft einen dieser dunklere Klang, und ab da gehört man zum dunklen Register.

BH Haben Sie Schottland vor Augen beim Spielen? Macbeth, die Klippen, den Wind, wie er um brüchige Schlossmauern pfeift?

BH Was ist in Braunfels’ Schottischer Fantasi e die Herausforderung für den Solisten? Muss er selbst besonders viel Fantasie haben?

16NILS MÖNKEMEYERINTERVIEW

NM Ich fühle mich hier wie jemand auf der Opernbühne, der eine grosse Wagneroder Strauss-Partie zu singen hat. Das ist alles sehr klangmalerisch. Meine Aufgabe sehe ich auch darin, eine Geschichte zu erzählen. Als Solist und in den grossen Dialogen mit den Solobläser*innen. Die Fantasie ist also ein Werk, das mich in vie lerlei Hinsicht fordert.

NM Wenn wir den Durchschnitt aller mensch lichen Stimmen nehmen, dann ist das in etwa das Register der Bratsche. Da durch ist die Bratsche sehr nah an unserer persönlichen, auch inneren Stimme. Männ lich wie weiblich. Im Klang behält sie darü ber hinaus immer einen geheimnisvollen Schleier. Das Unaussprechliche, was eben nur Musik sagen kann, da ist die Bratsche besonders gut aufgehoben.

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MIT LEICHTIGKEIT DEN NORDEN GEZEICHNET Seine Schottische Fantasie entstand von 1932 bis 1933. Sie sollte beim Festival des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Dortmund uraufgeführt werden. Ca’ the Yowes toe the knowes (Treib die Schafe auf den Hügel), eine Volksweise, die jeder Schotte mitsingen kann – die Melodie haben auch die Kollegen Britten, Vaughan Williams oder Stevenson strapa ziert –, hat auch Braunfels zitiert. Dabei hat er keine blosse ‹schottische Pastorale› geschaffen – es ist die Oberfläche, die Richtung Norden weist. Der Unterbau ist eher südlich voller sonniger Luftigkeit und Schwärmerei. Braunfels war auch im mer von der Leichtigkeit der Musik Bizets fasziniert, die sich hier widerspiegelt.

Walter Braunfels war ein Romantiker des 20. Jahrhunderts, der den Tonsatz aus reizte, das Neue im Bekannten suchte, ohne das tonale System zu zerbrechen. Er war einer der wichtigsten Komponisten der Weimarer Republik, musikalisch zu tiefst mit der Ästhetik des 19. Jahrhunderts verwachsen. Das verwundert nicht, denn seine musikinteressierte Mutter war mit Grössen wie Clara Schumann und Franz Liszt persönlich befreundet. Seine Ausbil dung absolvierte Braunfels in München und Wien – er profilierte sich auch als hervorragender Pianist.

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VON STEFAN LANG Walter Braunfels stand in den 1920er-Jahren gleich berechtigt neben Richard Strauss an der Spitze der Konzert- und Opern programme. 1933 ging er in die innere Emigration. Doch er komponierte weiter. Schottland war Inspi rationsquelle für einige seiner Orchesterwerke.

WALTER BRAUNFELS Schottische Fantasie ZUM WERK

ROMANTISCHER FELS

Dieser Text entstand ursprünglich für Deutschland funk Kultur. Die Isle of Skye in Schottland

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ANDERE ZEITEN Die geplante Uraufführung wurde abge setzt, weil das Kulturleben Deutschlands nach der Machtergreifung 1933 grundsätz lich neu geordnet wurde. Braunfels wurde als ‹Vierteljude› registriert, obwohl er schon längst aus innerer Überzeug zum Katho lizismus übergetreten war. Zudem hatte er 1923 einen Kompositionsauftrag der NSDAP abgelehnt, eine Art Parteihymne zu kom ponieren. Hitler war persönlich vorstellig geworden. An diesen Vorfall erinnerte man sich. Braunfels wurde seiner Ämter entho ben, seine Musik aus sämtlichen Program men gestrichen.

WALTER BRAUNFELSZUM WERK

WijnandsJochem/Horizons/akg-images© Schottische Fantasie 2BESETZUNGFlöten,2Oboen, 3 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, Posaune, Pauken, Harfe, Streicher 6.URAUFFÜHRUNG1932–1933ENTSTEHUNGDezember1933in Winterthur mit dem Musikkollegium Winterthur unter der Leitung des Komponisten und mit Oskar Kromer als Solist ca.DAUER23Minuten

DAS KOMPONIEREN BLIEB Trotzdem blieb Braunfels in Deutschland, ging in die innere Emigration, zog an den Bodensee und komponierte – vorerst für die Schublade. Nach dem Zweiten Weltkrieg, 1947, kam der ehemalige Kölner Oberbür germeister Konrad Adenauer mit der Bitte auf ihn zu, die Musikhochschule der Stadt wieder ins Leben zu rufen. Er übernahm erneut das Direktorenamt der Hochschu le, das er aber schon 1950 wieder ablegte, um zurück an den Bodensee zu ziehen.

HILLEBRAND

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NIKOLA

Die deutsche Sopranistin Nikola Hillebrand wird von der Fachpresse für ihre hell leuchtende Stimme mit edlem Timbre, ihre Leich tigkeit und ihre ausgefeilte Technik, den ans Herz gehenden charmanten Vor trag sowie ihre nuancen reiche Gestaltung gepriesen.

Noch am Anfang ihrer Karriere stehend, hat sie bereits an den führenden Opernund Konzerthäusern wie der Bayerischen Staatsoper und beim Wiener Musikverein sowie beim Glyndebourne Festival gesun gen. Seit Herbst 2020 gehört Nikola Hille brand dem Ensemble der Semperoper Dres den an. In der Saison 2022/23 ist sie dort in Partien wie Pamina (Die Zauberflöte), Musetta (La Bohème), Zdenka (Arabella), La Musica (L’Orfeo von Monteverdi), Gilda (Rigoletto), Ännchen (Der Freischütz) und Adele (Die Fledermaus) zu erleben. Letz tere sang sie bereits 2018 beim Silvester konzert der Semperoper an der Seite von Jonas Kaufmann als Eisenstein. Weitere Höhepunkte der letzten Saison waren Zdenka in Richard Strauss’ Arabella am Theater Bonn und konzertante Aufführun gen von Johann Strauss’ Fledermaus mit dem Orchestre National in Lyon. Mit der Partie der Zdenka feierte sie auch ein he rausragendes Debüt am Opernhaus Zürich. Als Pamina wird Nikola Hillebrand im De zember 2022 ihr Debüt an der Staatsoper Hamburg geben. Auf ihrem Weg hat Nikola Hillebrand bisher mit Dirigenten wie René Jacobs, Robin Ticchiati, Jérémie Rhorer, Franz Wels ter-Möst, Alexander Soddy, Manfred Honeck und Stephan Gottfried zusammen gearbeitet. Zu den Höhepunkten der jüngs ten Vergangenheit zählen Konzerte mit dem Collegium 1704 und Václav Luks in

NIKOLA HILLEBRAND Sopran PORTRÄT

NIKOLA HILLEBRANDPORTRÄT

KleinerChristian©

wurde Nikola Hillebrand am National theater Mannheim engagiert. Als Mitglied des Ensembles stand sie hier unter ande rem in Rollen wie Sophie (Der Rosenkava lier), Despina (Così fan tutte), Gilda (Rigo letto), Norina (Don Pasquale) und Königin der Nacht (Die Zauberflöte) auf der Bühne. Mit ihrer Interpretation der Titelpartie in Monteverdis L’Incoronazione di Poppea feierte sie in ihrem ehemaligen Stamm haus einen grossen Erfolg.

21 Warschau und in der Kölner Philharmonie sowie das Brahms-Requiem mit Raphaël Pichon und dem Ensemble Pygmalion im Wiener Konzerthaus und in der Philhar monie Essen, Ausschnitte aus Humper dincks Hänsel und Gretel mit dem Ton künstler Orchester Niederösterreich in Grafenegg oder Mozarts Laudate Domi num aus den Vesperae solennes de Confes sore sowie dessen Requiem mit der Staats kapelle Dresden unter der Leitung von Manfred Honeck in der Semperoper Dres den. Eine Tournee mit Arien von Mozart und Mendelssohn Bartholdy führte Nikola Hillebrand gemeinsam mit dem Kammer orchester Basel nach Deutschland und in die Schweiz.Zukünftige Höhepunkte sind Kon zerte mit Auszügen aus Richard Strauss’ Rosenkavalier in Bordeaux, Myslivečeks Abramo ed Isacco mit dem Collegium 1704 unter Václav Luks bei den Salzburger Fest spielen, Mahlers 4. Sinfonie mit dem Sin fonieorchester Basel unter der Leitung von Markus Poschner und Mendelssohns Paulus unter der Leitung von Fabien Gabel in Grafenegg.

Nikola Hillebrand ist neben ihrer Opernund Konzerttätigkeit eine passionierte Liedsängerin. Sie ist Gewinnerin des inter nationalen Liedwettbewerbs ‹Das Lied 2019› in Heidelberg (Juryvorsitz Thomas Quast hoff) und feierte zuletzt ihre LiederabendDebüts beim Heidelberger Frühling, beim Festival de Pâques in Aix-en-Provence und bei Leeds-Lieder. In der kommenden Saison wird sich Nikola Hillebrand beim Schleswig-Holstein Festival, in der Wig more Hall in London, in der Essener Phil harmonie sowie im Beethoven haus in Bonn vorstellenNachkönnen.ihremStudium in München

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Mahlers skeptischer Blick auf die «Welt als Jetztzeit» – geprägt von Lügen, Intrigen und menschlichem Leid – entwirft mit die ser «himmlischen Welt» einen utopischen Gegenentwurf. Doch zeigen sich auch an diesem himmelblau getönten Firmament Risse und Brüche – wovon Mahlers 4. Sin fonie an vielen Stellen erzählt. Mahlers Anliegen war es, motivische Spuren des Liedes auch in den übrigen Sätzen aufscheinen zu lassen: «Jeder der 3 ers ten Sätze hängt thematisch aufs in nigste und bedeutungsvollste mit dem letz ten zusammen», lautete sein Hinweis. Die Rückkopplung des überschaubaren Liedes auf die übrigen Sätze begünstigte deren rasche Niederschrift und die Beschränkung auf eine – für Mahlers Verhältnisse – redu zierte Orchesterbesetzung. Orchestersoli treten nun ähnlich wie bei Kammermusik vermehrt hervor, zudem schrumpfte die

GUSTAV MAHLER Sinfonie Nr. 4 G-Dur ZUM WERK

Von Theodor Wiesengrund Adorno stammt das Bonmot, Mahlers 4. Sinfo nie sei ein Meisterwerk des «Als-Ob von der ersten bis zur letzten Note». Tatsächlich spielt das Werk ein doppelbödiges Spiel mit uns. Die im Finale ver sprochenen «himmlischen Freuden» erweisen sich als trügerisch.

Die 4. Sinfonie führte Mahlers Beschäfti gung mit den Gedichten aus Des Knaben Wunderhorn zu einem vorläufigen Ab schluss. Bereits in den ‹Wunderhorn-Sin fonien› Nr. 2 und 3 waren Gedichte aus der von Clemens Brentano und Achim von Arnim herausgegebenen Sammlung (1805–1808) eingeflossen. Die 4. Sinfonie, entstan den zwischen 1899 und 1901, exponiert im Finalsatz das bereits 1892 vertonte Wun derhorn-Gedicht Das himmlische Leben. Es zeichnet, aus kindlicher Perspektive, das Bild eines jenseitigen Schlaraffenlands.

DIE SPHÄRE DES KINDHAFT EINFACHEN

VON TILLA CLÜSSERATH

«WAHRHEIT UND DICHTUNG IN TÖNEN»

Der sinfonische Weg zum Paradies führt über die Sphäre des «kindhaft Einfachen» (Mahler), was erklärt, warum manche Melo dien Erinnerungen an bekannte Kinder lieder wecken (zum Beispiel Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann im 1. Satz). Märchenhaft schon der Beginn der Sinfonie: Von hellem Schellenklang eingeläutet, erklingt das an Mozart und Haydn geschulte Hauptthema – doch ist dem nicht recht zu trauen. Im mer wieder kommt es zu unvermittelten Einbrüchen, wie zum Beispiel am Ende der Durchführung des 1. Satzes, wo ein disso nanter ‹Aufschrei› für Unruhe im Orches ter sorgt (Adorno meinte hier topfschla gende Kinder zu hören). Ähnliches wieder holt sich im Finale, wo jeweils am Ende der Strophen die Stimmung etwa durch grell aufspielende Piccoloflöten und bogenschla gende Streicher empfindlich gestört wird.

Dieser Text entstand ursprünglich für den West deutschen Rundfunk (WDR).

Der 2. Satz beschwört einen alten Toten tanz – «Freund Hein spielt auf», so Mah ler. Den gewünschten schrillen Fidelklang des aufspielenden ‹Knochenmanns› errei chen Konzertmeister*innen durch Herauf stimmen aller Saiten um einen Ganzton. Über den 3. Satz erfuhr Bruno Walter von Mahler selbst, «er habe dabei die Vision eines der Kirchengrabmäler gehabt, wo das liegende Steinbild des Verstorbenen mit gekreuzten Armen im ewigen Schlaf dar gestellt ist». Entsprechend «Ruhevoll» und innig werden zwei Themen variiert.

Im Finale müsste nach Auskunft des Wunderhorn -Liedes «alles für Freuden» erwachen – allein die Musik ‹spricht› das Gegenteil: «Morendo», ersterbend, verlangt der Komponist am Ende und lässt seine 4. Sinfonie mit einem tiefen Kontrabass-E im Pianissimo verklingen. Wie Mahler selbst über seine die ganze Welt umfas senden Sinfonien sagte, spiegelt sich «Er fahrenes und Erlittenes […], Wahrheit und Dichtung in Tönen» darin.

GUSTAV MAHLERZUM WERK

Sinfonie Nr. 4 G-Dur 4BESETZUNGFlöten,3Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, Pauken, Schlagzeug, Streicher 25.URAUFFÜHRUNG1899–1901ENTSTEHUNGNovember1901 in München mit dem Kaim-Orchester unter der Leitung des Komponisten und mit Margarete Michalik als Solistin ca.DAUER54Minuten

fine-art-images/akg-images© Gustav Mahler (1860–1911)

23 Länge der Sinfonie fast auf ‹Normalmass›. Die heutige Beliebtheit verdankt die 4. Sin fonie ihrem heiter-klassizistischen Gestus und einer klaren Architektur: Auf den leb haften Kopfsatz folgt ein Scherzo (mit zwei Trios) sowie ein langsamer Variationssatz, den Mahler zu seinen besten zählte. Im Finale dann das Orchesterlied Das himm lische Leben, strophisch vorgetragen vom Solo-Sopran.

GUSTAV MAHLER Sinfonie Nr. 4 G-Dur GESANGSTEXT

24 4 . SEHR BEHAGLICH Wir genießen die himmlischen Freuden, D’rum tun wir das Irdische meiden. Kein weltlich’ Getümmel Hört man nicht im Himmel! Lebt alles in sanftester Ruh’. Wir führen ein englisches Leben, Sind dennoch ganz lustig daneben; Wir tanzen und springen, Wir hüpfen und singen, Sankt Peter im Himmel sieht zu. Johannes das Lämmlein auslasset, Der Metzger Herodes d’rauf passet. Wir führen ein geduldig’s, Unschuldig’s, geduldig’s, Ein liebliches Lämmlein zu Tod. Sankt Lucas den Ochsen tät schlachten Ohn’ einig’s Bedenken und Achten. Der Wein kost’ kein Heller Im himmlischen Keller; Die Englein, die backen das Brot. Gut’ Kräuter von allerhand Arten, Die wachsen im himmlischen Garten, Gut’ Spargel, Fisolen Und was wir nur wollen. Ganze Schüsseln voll sind uns bereit! Gut’ Äpfel, gut’ Birn’ und gut’ Trauben; Die Gärtner, die alles erlauben. Willst Rehbock, willst Hasen, Auf offener Straßen Sie laufen herbei! Sollt’ ein Fasttag etwa kommen, Alle Fische gleich mit Freuden ange schwommen!

SINFONIEMAHLER:NR.4G-DUR(1901)

GUSTAV

Dort läuft schon Sankt Peter Mit Netz und mit Köder Zum himmlischen Weiher hinein. Sankt Martha die Köchin muß sein. Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, Die unsrer verglichen kann werden. Elftausend Jungfrauen Zu tanzen sich trauen. Sankt Ursula selbst dazu lacht. Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, Die unsrer verglichen kann werden. Cäcilia mit ihren Verwandten Sind treffliche Hofmusikanten! Die englischen Stimmen Ermuntern die Sinnen, Dass alles für Freuden erwacht.

25©BennoHunziker©SinfonieorchesterBaselLetztes Sinfoniekonzert der Saison 2021/22 ‹Aufbruch› im Stadtcasino Basel mit Steven Isserlis (Cello) und Jukka-Pekka Saraste (Leitung) Gastspielreise nach Stuttgart am 3. Juli 2022 RÜCKBLICK

VON SIGFRIED SCHIBLI Schottland, das heisst in der Musik: virtuose FiddleKaskaden, Harfengeklimper und melancholischeGitarrenakkorde,Flötenmelodien,nichtselten mit Ostinati unterlegt. Heute tragen Musikstars wie der Fiddler Ryan Young, die Folk-Sängerinnen Iona Fyfe und Josie Duncan oder die Band Project Smok schot tische Folklore in alle Welt. nannte und seinem Kollegen Ignaz Mosche les widmete. Diesem floss im selben Jahr 1828 ein Werk für Klavier und Orches ter mit dem Titel Anklänge aus Schottland aus der Feder. Mendelssohn seinerseits legte zwei Jahre nach seiner schottischen Kla viersonate eine Orchester-Ouvertüre mit dem Titel Die Hebriden vor, so genannt nach der Inselgruppe vor der Nordwestküste Schottlands. Ein ähnliches Werk schrieb der dänische Komponist Niels Wilhelm Gade Ende der 1840er-Jahre. Es hiess Nachklänge von Ossian und weist auffällige Ähnlich keiten mit der Mendelssohn-Ouvertüre auf.

Einige Jahre nach der Hebriden -Ou vertüre liess Mendelssohn seine Schottische Sinfonie in a-Moll folgen, bis heute eines der populärsten Werke des Meisters. Um dieses Werk rankt sich eine Geschichte, die mehr als nur eine Anekdote ist. Als Mendelssohns Freund und KomponistenKollege Robert Schumann dieses Werk hör te, pries er «jene alten im schönen Italien gesungenen Melodieen» (sic). Wie das?

Schumann verwechselte die Schottische mit der noch gar nicht veröffentlichten Italie nischen Sinfonie Mendelssohns! Woraus man füglich den Schluss ziehen darf, dass Programm-Musik nur bedingt Geschichten, Landschaften oder Kulturen ‹abbildet›, dass es auch bei programmatischer Musik immer einen Deutungsspielraum gibt und dass selbst erstrangige Musikkenner wie Schumann sich bei der Zuordnung von Mu sik zu einer Region täuschen können.

ORTSGESCHICHTEN

SCHOTTLANDTÖNENDES

Im Unterschied zu vielen SchottlandLiebhabenden kannte Mendelssohn Schott land aus eigener Anschauung: Er bereiste es 1829 mit seinem Freund Karl Klingemann. Die beiden waren in Durham, Edinburgh, Staffa, Glasgow und machten sich kundig, was es mit dem Dudelsack auf sich hat. Ob sie dabei auch den schotti schen Whisky mit gleicher Sorgfalt erkundet haben, wurde

26 Aber Schottland war schon lange, bevor es Tonträger gab, ein Thema in der Musik. Nicht wenige Komponisten sogenannter klassischer Musik waren fasziniert von den dortigen Burgen und Schlössern, Landschaf ten und Küsten, von der Volksmusik. Die wenigsten Schottland-Liebhaber waren Schotten, und lange nicht alle haben das Land bereist. In den Salons des frühen 19. Jahrhunderts waren ‹Écossaisen› ausge sprochen beliebt, und die Komponisten ka men meist aus Deutschland, Öster reich, Frankreich oder Tschechien. Ludwig van Beethoven schrieb solche Tanzsätze im Zweier- oder Dreiertakt, auch Franz Schu bert liess sich vom schottischen Lokal ko lorit anregen.Diegrösste Schottland-Begeisterung unter allen Tonkünstlern aber legte Felix Mendelssohn Bartholdy an den Tag. Als noch nicht Zwanzigjähriger schrieb er eine Fantasie für Klavier, die er Sonate écossaise

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GilardiFototeca/akg-images©

Aufführung traditioneller schottischer Tänze vor Königin Victoria, 1868

TÖNENDESadaptiert. SCHOTTLANDORTSGESCHICHTEN

von der musikhistorischen Forschung noch nicht abschliessend geklärt. Auf den Tren nungsschmerz von ihrem geliebten Bruder reagierte Mendelssohns Schwester Fanny Hensel mit dem Lied Im Hochland, Bruder, da schweifst du umher aus ihrem Zyklus Liederkreis. Walter Braunfels, dessen Schottische Fantasie für Viola und Orchester in diesem Konzert erklingt, war somit keineswegs der Erste, der sich musikalisch von Schottland inspirieren liess. Er komponierte neben seiner Schottischen Fantasie auch ein Werk mit dem Titel Hebridentänze für Klavier und Orchester. Schon dreissig Jahre vor Braunfels hatte ein aus New York gebür tiger Komponist mit einem schottisch in spirierten Klavierwerk von sich reden ge macht: Edward MacDowell schrieb 1901 eine Keltische Sonate in e-Moll. Im Unter schied zu Braunfels und Mendelssohn hatte MacDowell schottische und irische Vor fahren. Und die in Schottland populäre Volksweise Ca’ the Yowes toe the knowes (Treib die Schafe auf den Hügel) mit ihrem sanft wogenden Rhythmus wurde ausser von Braunfels auch von Benjamin Britten, Ralph Vaughan Williams und vom musi zierenden Dichter Robert Louis Stevenson

JK Ich hatte für alle Instrumente her vorragende Dozent*innen, die mich lehr ten, bei jedem Instrument einen eigenen Stil und eine eigene Technik zu finden. Ich spiele beispielsweise nicht ‹geigerisch› Brat sche, sondern versuche, einen eigenen Klang zu finden, der zum Instrument passt. So kann ich zwischen den Instrumenten gut wechseln und es gibt in meinem Kopf kein Durcheinander. LV Du begannst Deine Ausbildung auf der Geige. Wann kamen die anderen Instrumente dazu?

LV Josip Kvetek, von der Geige über die Barockgeige bis zur Bratsche: Wie kann man drei Instrumente gleich zeitig studieren?

VON LEA VATERLAUS Josip Kvetek wurde 1992 in Speyer in Deutschland geboren, bevor seine Familie nach Ende des Kroatien kriegs wieder zurück in die kroatische Heimat zog. Seine musikalische Ausbil dung an der Violine begann er in Osijek und Zagreb, und er setzte sein Musikstudium in Vio line, Barockvioline und Bratsche im amerikanischen Denton, Texas, fort. Sein Masterstudium an der Brat sche absolvierte er erst an der renommierten ameri ka nischen Yale School of Music und bis vor Kurzem an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit der Saison 2022/23 ist er stellvertretender

JOSIP KVETEK im Gespräch VORGESTELLT

Solobratschist SinfonieorchesterbeimBasel.

«ICH MÖCHTE ALLES SPIELEN UND KUNST MACHEN»

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JK Ich wollte bereits im Alter von 17 Jah ren Bratsche lernen, aber der Musiklehrer an meiner damaligen Schule war der Mei nung, dass ich erst mein Potenzial auf der Geige entwickeln sollte. Zudem fand ich in Kroatien keine Bratschenlehrperson, die gut zu mir passte. Als ich das Gefühl hatte, in Zagreb langsam alles zu ken nen, be schloss ich, meine Möglichkeiten zu erwei tern und nach Amerika zu gehen. Dort spielte ich als Konzertmeister und Solist

29JOSIP KVETEKVORGESTELLT KvetekJosip©

LV Besitzt Du eine speziell wertvolle Bratsche?

LV Auf dem Programm steht Walter Braunfels’ Schottische Fantasie für Bratsche und Orchester mit Nils Mönkemeyer als Solist. Kennst Du das Stück und den Solisten?

JK Nicht wirklich, nein. Ich hatte nie genügend Geld, um mir ein teures Instru ment zu kaufen, und bewarb mich nicht bei Stiftungen, denn ich mag das Instrument, das ich spiele. Ich spiele meistens auf mo dernen Instrumenten – meine Bratsche ist vier Jahre alt, und ich habe eine zweite Bratsche desselben polnischen Geigenbau ers, die erst einen Monat alt ist. Eines Tages wäre ich gerne im Besitz eines wert vollen Instruments, das eigentlich ins Mu seum gehört (lacht), aber ich brauche das nicht, um gut musizieren zu können . Mit einem wertvollen Instrument ist man nur gestresst, und ich finde, man sollte zu jedem Instrument gut Sorge tragen.

LV Du bist seit dieser Saison stellver tretender Solo Bratschist beim Sin fonieorchester Basel. Kanntest Du Basel schon vorher?

Die Bratsche steht nicht im Scheinwerfer licht, hält hinter den Kulissen aber alles zusammen.

«Die Bratsche steht nicht im Scheinwerfer licht, hält hinter den Kulissen aber alles zu sammen.» LV Gibt es viel Solo Literatur für die Bratsche? JK Ja und nein. Vergleicht man das Brat schen-Repertoire mit jenem der Geige oder des Klaviers, ist es natürlich wenig. Suche ich mir aber gezielt die Stücke aus, die mir gefallen, finde ich immer genügend Mate rial. Es stimmt aber, dass es nicht viele virtuose Solokonzerte für die Bratsche gibt. Bei den Probespielen wird dies ersichtlich – zur Auswahl stehen meist nur Hinde mith, Walton und Bartók. Ich verstehe, dass die Bratsche nicht das attrak tivste Instrument für ein virtuoses Konzert ist, wenn man sie neben die Geige stellt, die in den hohen Lagen brillieren kann. Trotz dem kann man ohne die Bratsche keine Orchester- oder Kammermusik machen.

«Eines Tages wäre ich gerne im Besitz eines wertvollen Instruments, das eigentlich ins Museum gehört.»

30JOSIP KVETEKVORGESTELLTerstBarockgeige

JK Die Opern der Hochrenaissance, bei spielsweise die frühen Opern von Claudio Monteverdi! Ich liebe deren Harmonien, Melodien und Stil und spiele dann am liebs ten Barockgeige. Wegen der vielen Rezita tive, die ohne Orchesterbegleitung sind, habe ich in einer dreistündigen Oper aus serdem meist nur etwa vierzig Minuten zu spielen und kann den restlichen Abend das Bühnengeschehen beobachten. In den Proben ist es schon oft beinahe passiert, dass ich den Einsatz verpasst habe! (lacht)

JK Ja, ich kannte Basel bereits. Mit dem Gstaad Festival Orchester spielte ich ein mal ein Konzert hier, und ich habe die Stadt schon mehrmals besucht. Mittler wei le woh ne ich auch hier, denn ich finde es wichtig, in der Stadt, in der ich eine neue Stelle annehme, richtig in das dortige Kunst- und Kulturleben eintauchen zu können.

LV Eine solche Vielfalt an Instrumenten und Stilen umfasst ein riesiges Re pertoire. Welche Musik magst Du am liebsten?

LV Der Titel des aktuellen Konzerts heisst ‹Viol(a)ence in Heaven›. Was meinst Du zu diesem Wortspiel?

in einem Barockorches ter, danach kam die Bratsche dazu. Ich begann das Instrument immer mehr zu mögen – und blieb schliesslich dabei!

JK Ich finde es sehr lustig! Ein ähnlicher Spruch beschreibt eine schmerzliche Über zahl von Geigen als ‹Viol(in)ence›.

31JOSIP KVETEKVORGESTELLTJKNein,dasStück

habe ich nie gespielt. Nils Mönkemeyer lernte ich letzte Spiel zeit bei den Hofer Symphonikern kennen. Wir spielten ein Klavierkonzert mit seinem Klavierpartner William Youn, und er selbst war auch dabei. Ich bewundere seine Spiel tech nik sehr und freue mich auf das Kon zert mit ihm.

LV Was verbindet Dich mit Gustav Mah ler, dessen Werke an diesem Konzertabend auch gespielt werden?

JK Ein sehr persönliches Erlebnis! Nach dem Krieg war es in Kroatien nicht mög lich, viel umherzureisen. Eine meiner ers ten Reisen führte mich zu einem Orches terprojekt in Frankreich, in dem ich eine Sinfonie von Gustav Mahler aufführte. Ich erinnere mich daran, dass dieser Moment für mich sehr denkwürdig war: Ich kam aus einer kleinen Stadt in einem kleinen Land und hatte bisher meist nur in Strei cherbesetzungen gespielt. Hier war ich aber plötzlich in einem riesigen Orchester und führte mit Musiker*innen aus aller Welt dieses fantastische Werk auf! Ich liebe Mah lers Musik: Er lässt kein Instrument aus, alle Stimmen sind gleichgestellt und fügen sich wunderbar zusammen.

LV Hast Du Ziele, die Du als Musiker er reichen möchtest?

JK Ich möchte einfach weiterhin Musik machen, sei es in einer kleinen Kammer musik formation in Deutschland oder die Auf führung einer Sinfonie von Mahler in der Carnegie Hall – ich geniesse beides gleichermassen. Ich möchte alles spielen und Kunst machen, ob auf der Geige, der Barockgeige oder der Bratsche. Ich finde, dass jeder Ort gute Musik verdient, und bereite mich deshalb auch auf jede Konzert situation gut vor. Jedes Mal, wenn ich spiele, möchte ich gut spielen. Das ist mein Ziel.

LV Josip Kvetek, herzlichen Dank für das Gespräch!

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VON BENJAMIN HERZOG Es sei der Nervenkitzel, verrät mir ein Orchestermusiker. Gewohnt, in Sichtkon takt mit den Dirigent*innen zu spielen, versteckt er sich immer wieder gerne in den Kulissen des Theaters. Er und Mit spielende, die dann dort die Bühnenmusik spielen und sind. Beides. Das Italienische ist da genauer. ‹Banda sul palco› heisst diese Extratruppe. Auf der Bühne, öfters aber unsicht bar dahinter. Und da sollte dann ein Monitor stehen, der nicht im ent scheidenden Moment ausfällt. «Wir wuss ten, es kommt ein Applaus vor unserem Einsatz, und danach haben wir einfach blind losgespielt», erzählt der Musiker noch heute lachend. Verdi, La Traviata, 1. Akt, im Hause Violettas wird ein tönendes Fest gegeben. Doch wie stellt man Musik in der Musik dar? Dazu braucht’s die zweite Ebene. Für solche Feste, Tänze, für das ‹Jagdge tön› der Hörner im Tristan. Mozart hat das Multidimensionale in der Ballszene seines Don Giovanni auf die Spitze getrie ben. Hier spielen drei Bühnenmusiken gleichzeitig. Theoretisch. Aus praktischen Gründen bleiben die Musiker*innen heu te meist im Graben sitzen. Der Adel tanzt da sein Menuett, die Leute vom Land einen ‹Teutschen› und Giovanni den neuen bürgerlichen Kontratanz. Mit diesem cha otisch-raffinierten Quodlibet verkuppelt Mozart Melodien, Rhythmen und auch Stände und mischt so, zwei Jahre vor der Französischen Revolution, die Karten der Gesellschaft schon mal neu. Bühnenmusik kann aus einem ein zelnen aus der Ferne erklingenden Trom petensignal bestehen wie in Beethovens Fidelio. Wenn schon sichtbar, dann gleich richtig, sagte sich dagegen Verdi, der für den Triumphmarsch in Aida extra lange Trompeten bauen liess; die sogenannten ‹Aida-Trompeten›. Pittoresk auch die Kuh hörner, die in Grétrys Guillaume Tell Lo kalkolorit versprühen oder die legendäre Bühnenorgel, die neben einer Donnerma schine sphärisch in Meyerbeers Robert le diable hineintönt. Gleich ein ganzes Orches ter hievte Stockhausen für den Samstag seines Zyklus Licht auf die Bühne. Womit sich allerdings der Effekt einer vom Or chester getrennten Bühnenmusik in sich selbstVorauflöst.400Jahren hingegen setzte Marco da Gagliano, Komponist der Oper La Dafne, noch voll auf Illusion. Ein Sänger soll sich hier auf der Lira da braccio (eine Weiter entwicklung der mittelalterlichen Fidel) begleiten. Heute gibt es singende Geiger innen, damals entschied man sich, zwi schen den Kulissen Streicher*innen zu po sitionieren, die die mythologischen Bratschenklänge diskret fingieren sollten. Noch bei Wagner tönt’s illusorisch aus dem Graben, wenn Beckmesser seinen Meister singern auf der Laute altmodische Gesangsregeln erklärt. So klampfig schlecht BÜHNENMUSIK

DESLEXIKONORCHESTERS

B WIE

33 klingt das, dass es hierfür geradezu Talent braucht. Und Profis an der Gitarre. Damit stach Wagner, vielleicht un bewusst, in ein Wespennest, denn oft wur de die Bühnenmusik tatsächlich nicht von den ersten Kräften gespielt. Ausgehend von den vorhandenen personellen Mög lichkeiten lag auch die Ausgestaltung in den Händen der Theaterleitung. Warum also nicht gleich die zweite Garde verpflich ten? In der italienischen banda schwingt dieser Semiprofessionalismus mit. Orches termusiker*innen, die zu Bühnenmusik verknurrt wurden, fühlten sich oft richtig gehend strafversetzt. Womit wir wieder beim Ner venkitzel einer solchen, modern gesprochen, Band wären. Denn deren ety mologische Fäden gehen bis in die Ge schichte der Söldner zurück, die sich ge genseitig an ihren Stoffbändern erkannten. Gleiche Farbe hiess: Wir spielen zusammen und erschiessen uns nicht.

B WIE BÜHNENMUSIKLEXIKON DES ORCHESTERS

WigetJanine©

→ Das nächste Mal: C wie Choral

While Mahler’s career showed, against all odds, an upward curve, in many ways Braunfels’ career was nipped in the bud. Although he was reinstated after the Second World War as the director of the Conserva tory, his music fell out of fashion. Having witnessed the atrocities of the First World War while being conscripted, and being marginalised during the Nazi era, the events may have been stacked against him too strongly. However, his Scottish Fantasy testifies to his talent, against all odds. Per haps it is time for a reappraisal of his work.

AGAINST THE ODDS IN ENGLISH 34

BY BART DE VRIES Antisemitism thwarted the personal devel opment of both Walter Braunfels (1882–1954) and Gustav Mahler (1860–1911). But while the latter eventually joined the ranks of the greats, the first is still waiting for rediscovery.Borninto a Jewish family in Bohemia (in what is now the Czech Republic), Gustav Mahler was unlikely to pursue a career as a composer and conductor. His father sang in a choir, but otherwise his family of dis tillers had no known connection to music. He developed his skills step by step through musical directorships in Ljubljana, Kassel, Prague, Budapest and Hamburg. But to reach the pinnacle of success, becoming the principal conductor and director of the Vienna Court Opera, he had to pay a high price. Two months before his appointment in April 1897, he converted to Catholicism – yet even a change of religion was barely enough. Both as a composer and conduc tor, he continued to be met with prejudice and outright racism. A well-known, influ ential critic infamously said about his com positions: “What I find so hideously repel lent about Mahler’s music is its unequi vocally Jewish character.” And when he made some minor revisions (a not uncom mon practice among conductors) to Beet hoven’s work, he was reproached by another critic saying: “If Mr. Mahler really wants to make corrections let him set about Mendels sohn or Rubinstein – […] – but let him just leave our Beethoven in peace.” And again another critic referred to his style of conducting as ‘mauscheln’, a derogatory term that in this context was meant to ridicule his arm movements (‘violent’) and swaying of the upper body, things that were considered typically Jewish. As opposed to Mahler, Braunfels came from a musical family. His mother, who was primarily responsible for his upbring ing – his father died when he was three years old – was a great-niece of Louis Spohr and played the piano with no other than Franz Liszt. His sister received lessons from Clara Schumann. Some of Braunfels’ most profound learning experiences were the rehearsals and performances of several of Mahler’s symphonies, which he could at tend while a student in Munich. Braunfels’ heyday was in the 1920s and early 1930s when legendary conductors like Bruno Walter and Wilhelm Furtwängler performed his music. Although Braunfels’ also conver ted to Catholicism later in life, he did so from Protestantism. However, being born to a Jewish father was enough for the au thorities to dismiss his music in 1933 as ‘entarted’. They would eventually forbid the performance of it and force him to step down from his position of director at the Conservatory of Music in Cologne. His Scottish Fantasy (for viola and or chestra) was composed in 1932/33, just be fore he had to retreat from public life. The opening theme of the piece comes directly from the famous Scottish folk song Ca’ the Yowes. It returns in disguise in the second movement, and more clearly at the end of the third. In the final movement Braunfels uses the theme in a Rondo with variations.

Wir unterstützen die Arbeit der Musiker* innen des Sinfonieorchesters Basel mit konkreten Projekten und finanziellen Bei trägen. Darüber hinaus tragen wir dazu bei, in der Stadt und der Region Basel eine positive Atmosphäre und Grundgestimmt heit für das Sinfonieorchester Basel und das kulturelle Leben zu schaffen. Unser Verein bietet seinen Mitgliedern ein reich haltiges Programm an exklusiven Anlässen mit dem Sinfonieorchester Basel sowie über ausgewählte Veranstaltungsformate exklusive Möglich keiten des direkten Kon takts zu Musiker*innen. Wir fördern das gemeinschaftliche musikalische Erleben sowie den Austausch unter unseren Mit gliedern. Nehmen Sie direkt Kontakt mit uns www.sinfonieorchesterbasel.ch/freundesoderfreundeskreis@sinfonieorchesterbasel.chauf:besuchenSieunsereWebsite­kreis

35 HunzikerBenno©

Der Freundeskreis ist eine engagierte Gemein schaft, die Freude an klassischer Musik sowie eine hohe Wertschätzung gegenüber dem Sinfonie orchester Basel verbindet.

VEREIN‹FREUNDESKREISSINFONIEORCHESTERBASEL› MUSIK VERBINDET –FREUNDSCHAFT AUCH 35 HunzikerBenno©

HunzikerBenno© Familienkonzert ‹Der Karneval der Tiere› im Theater Basel

Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel N.N., Erzähler*in Franz Broich, Regie

Schnelle Esel, schillernde Fische, stolze Löwen und anmutige Schildkröten treffen sich mit vielen weiteren Tieren, um zusam men den Karneval der Tiere zu feiern. Dies mal haben sich auch ein paar neue Gäste aus der Tierwelt in die Parade gemogelt. Ein grosses Vergnügen mit etlichen musi kalischen Ausschnitten aus Camille SaintSaëns’ Karneval der Tiere, komponiert für Kammerorchester und zwei Klaviere. Die Familienkonzerte des Sinfonieorchesters Basel richten sich an Musikbegeisterte jeden Alters – ein Musikvergnügen für die ganze www.sinfonieorchesterbasel.chTICKETSFamilie!

Camille Saint Säens (1835–1921):

37IM TheaterDi,FamilienvorstellungenFOKUS27.September2022,16&18UhrBasel,KleineBühneSchulvorstellungenMi,28.September2022,10&14UhrTheaterBasel,KleineBühne DERDERKARNEVALTIERE

Der Karneval der Tiere (1886)

CONCERT LOUNGE KLASSIK MEETS POP & ROCK

OPERNPREMIERE SALOME

Sinfonieorchester Basel Picassoplatz 2 4052 Basel +41 (0)61 205 00 www.sinfonieorchesterbasel.chinfo@sinfonieorchesterbasel.ch95

DER KARNEVAL DER TIERE So, 25. September 2022, 10 Uhr Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel Theater Basel, Foyer und des Theater Basel Di, 27. September 2022, 16 & 18 Uhr Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel, Mi, 28. September 2022, 10 & 14 Uhr N.N., Franz Broich Theater Basel, Kleine Bühne 38

Orchesterdirektor: Franziskus Theurillat Künstlerischer Direktor: Hans-Georg Hofmann Redaktion Programm-Magazin: Lea Vaterlaus & Elisa Korrektorat:BonomiUlrich Hechtfischer Gestaltung: Atelier Nord, Basel Druck: Steudler Press AG Auflage: 5000 Exemplare VORVERKAUF (falls nicht anders angegeben): Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel +41 (0)61 206 99 www.biderundtanner.chticket@biderundtanner.ch96

DEMNÄCHSTIMPRESSUM

Detaillierteinfo@stadtcasino-basel.ch60Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch

SINFONIEKONZERT LA MER So, 2. Oktober 2022, 18.30 Uhr Sinfonieorchester Basel, Herbert Fritsch, Theater Basel, Grosse Bühne Sänger*innen des Theater Basel, Chor des Theater Basel, Clemens Heil Fr, 21. Oktober 2022, 20 Uhr Sinfonieorchester Basel, Sam Himself, Stadtcasino Basel, Musiksaal Hauschka, Pekka Kuusisto, Stephan Schmidt, Michael Künstle, Aziz Shokhakimov Mi, 19. Oktober 2022, 19.30 Uhr Sinfonieorchester Basel, Pekka Kuusisto, Stadtcasino Basel, Musiksaal Aziz Shokhakimov

MITSINGKONZERT UNVERGESSLICH!

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Billettkasse Stadtcasino Basel Steinenberg 14 / Tourist Info 4051 Basel +41 (0)61 226 36

SPALENBERG 26 E ST.JOHANNS-VORSTADT 47 E BASLERLECKERLY.CHBASEL Die leckersten Läckerli heissen Leckerly.

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