Surprise 495/21

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ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING

Blick in den Spiegel, dass meine Augenbrauen unzähmbar verstrubbelt und die Falten um meine Nase herum tiefer geworden sind. Ich dürfte mich einfach nicht verhüllen, selbst wenn ich befände, dass die Welt nicht bereit ist für diesen unbehandelten Makel einer jungen Frau. Jaja, ich weiss, man soll in diesem ­Feminismus heutzutage immer selbst­ bewusst und sexy oder aufmüpfig ­behaart und «out there» sein, aber das braucht Energie! Und manchmal wäre es schlicht einfacher, sich schnell was überzuwerfen – so wie Eva damals fand, es sei voll nervig, im Paradies immer perfekt rasiert sein zu müssen und sich deshalb einen Sweater und ein paar Jeans überwarf. Ich muss ganz ­ehrlich sagen, manchmal würde ich sogar im Schwimmbad gern einen Gesichtsschleier tragen. Und das nicht aus Radikalitätsgründen. Sondern weil ich ­gemerkt habe, dass meine Badi-Begleitungen sehr schlecht darin sind, mich darauf hinzuweisen, wenn ich einen Popel an der Nase habe. Man stelle sich vor, dass ein Verhüllen des Gesichts für den Fall eines ungewollten Popel­ flitzers strafbar sein soll! Und das, weil unsere radikalen Feminist*innen hinter dem Verhüllungsverbot uns mit ihrer Symbolpolitik alles verbieten wollen!

Moumouni …

… will den Niqab! Nun ist also in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum der Einführung des Frauen­stimmrechts in allen Kantonen. Ich ­betrachte all die Schweizer Jubiläums­ festivitäten zum Anlass einer demokratischeren Demokratie, sage: «Trallalaa!» und fühle mich dabei wie die Mutter eines 18-Jährigen, der nun legal saufen darf. Die sich fragt, ob er denn wirklich soviel saufen muss! Heisst, ich frage mich, ob in diesem Land im Rausch der direkten Demokratie nicht manchmal vergessen geht, dass, nur weil man über alles abstimmen kann, es schädlich ist, tatsächlich über alles ­abzustimmen. Was macht es mit einer Gesellschaft, das Gefühl zu haben, es sei rechtens, per Mehrheitsentscheid zu bestimmen, wer welche Kleidung trägt oder nicht trägt? Ich weiss es nicht. Aber es macht mir Angst. Surprise 495/21

Ich habe natürlich ein Interesse daran, dass das Verhüllungsverbot nicht zu ­einem Verfassungsartikel wird. Es gibt nämlich auch andere Gründe, das ­Gesicht zu verhüllen, ausser aufmüpfig gegenüber unserer ach so säkularen, ­f­eministischen Demokratie zu sein: Nicht nur gefährliche Hooligans und Islamis­ tinnen können das Bedürfnis haben, sich zu verhüllen. Mir fallen mehrere Szenarien ein, bei denen ich es lächerlich oder je nachdem skandalös fand, dass irgendwelche Leute so demokratietrunken ­waren, dass sie über etwas abgestimmt haben, das sie schlicht und einfach nichts angeht! Man stelle sich vor, ich bin mal wieder im Stress, bevor ich aus dem Haus gehe, weil all diese Frauensachen so lange dauern. Und dann (im letzten Moment!) entdecke ich beim abschliessenden

Und nein, ich verharmlose nicht den ­gewaltbereiten Islamismus – ich weiss, dass das ein Problem ist, unter dem im Übrigen weltweit in erster Linie andere Muslime leiden, nicht nur die «west­ lichen» Staaten, die das Gefühl haben, Islamismus sei in einem Vakuum im ­Orient entstanden und wehe nun aus dem Nichts wie ein Sandsturm zu uns rüber. Ich wäre ja froh, wir würden statt auf Gesichtsschleier auf Waffenexporte ­verzichten – das wäre mal ein Symbol!

FATIMA MOUMOUNI  hat grössere Angst vor der Radikalisierung der ­Gesellschaft als vor einem Gespenst, das sich von einem Verhüllungsverbot abschrecken lässt.

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