Visitenkarten, keine Cash Cows Literaturbetrieb Wegen Corona wurden Buchpublikationen verschoben und
Auftritte abgesagt. Aber auch sonst gilt: Vom Buchverkauf allein lässt es sich nicht leben. TEXT DIANA FREI
Rosa, grüne und gelbe Post-its, die sich zu Handlungssträngen zusammenfügen. Ein Schreibblock, dazu Caffè latte und Sfogliatelle vom SBB-Spettacolo, Unterzeile: «Geplottet wird traditionell im Zug …» So sieht #writerslife auf Facebook oder Instagram aus. Es gehört dem Krimiautor Sunil Mann, der auch fast jeden Tag ein neues Schulhaus postet, wo er eine Lesung hält. Manchmal sind es drei an einem Tag, manchmal vier. Schullesungen sind etwas weniger lukrativ als Erwachsenenlesungen, etwa in Buchhandlungen, aber die Menge summiert sich. Die Erträge aus den Buchverkäufen seien «minim», sagt Mann, sie machten etwa ein Fünftel seines Einkommens aus. Hinzu kämen sporadische Auftragsarbeiten für Magazine, Banken oder Genossenschaften. «Zusammen ergibt das ungefähr einen Primarlehrerlohn.» Der Plot im Zug, die ganz frühen Phasen beim Schreiben: Ist das schon bezahlte Arbeit bei einem Autor, der sich etabliert hat? «In dem Fall war es das nicht», sagt Mann, «weil ich da noch keinen Vertrag abgeschlossen hatte. Aber ich weiss in der Zwischenzeit, dass ich in der Regel einen Abnehmer finde, wenn ich etwas schreibe.» Gemäss einer Umfrage von Suisseculture Sociale von 2016 können lediglich 21 Prozent der Autor*innen in der Schweiz von der Literatur leben. Kommt hinzu, dass sie in der Regel sehr bescheiden leben: Insgesamt verdienen nur 23 Prozent mehr als knapp 25 000 Franken aus der lite22
rarischen Tätigkeit. Die Lebenssituationen der Schreibenden sind sehr unterschiedlich, aber grundsätzlich unsicher. Die Autorin Renata Burckhardt sagt etwa: «Ich arbeite an diversen Institutionen und Orten und für unterschiedlichste Projekte. Mein Einkommen setzt sich zusammen aus Aufträgen für theatrale Texte, Stücke, szenische Einrichtungen, Kolumnen, Essays, Schreibworkshops, Dozenteneinsätze und selten Lesungen. Es ist toll, aber auch anstrengend. Unsicherheit muss man aushalten können. Und immer wieder muss man sogar Auftraggebern erklären, dass man gewisse Sachen gerne schriftlich vereinbart hat – was in anderen Branchen total üblich ist.» Im Kollektiv das System ausgleichen Jemand wie der Autor und Spoken-Word-Künstler Gerhard Meister lebt von den Einkünften aus seinen Theaterstücken und Hörspielen und eigenen Auftritten, auch mit der Gruppe Bern ist überall. «Wenn ich ein neues Theaterstück schreibe, dann im Auftrag des Theaterhauses oder der Gruppe, die das Stück aufführen werden. Ich bekomme ein Honorar, und für die Aufführungen gibt es zusätzlich Tantiemen.» Jede*r Autor*in ist in einer anderen Situation. Das sagt auch Daniela Koch vom Zürcher Rotpunktverlag. Und: «Jeder Text ist anders, jede Zusammenarbeit ist anders. Standard ist bei uns, dass wir 20 bis 30 Seiten Text brauSurprise 502/21
FOTO(1): BARAK SHRAMA, FOTO(2): MICHAEL ISLER
Milena Moser (links) ist ausgewandert, um sich die Freiheit beim Schreiben zu bewahren. Christoph Simon (rechts) kann vom Schreiben leben, für ein Auto reicht es allerdings nicht.