Surprise 502/21

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«Privilegierte haben immer eine Wahl» Kino In seinem SpielfilmdebĂŒt «Spagat» regt Regisseur Christian Johannes Koch zum Nachdenken darĂŒber an, wie wir als Gesellschaft mit Sans-Papiers umgehen. TEXT MONIKA BETTSCHEN

Das einfĂŒhlsame Drama «Spagat» taucht ein in das FamilienleWas war Ihnen bei der Recherche wichtig? ben der Lehrerin Marina, die eine AffĂ€re mit Artem, dem Vater Als Filmemacher möchte ich mich politisch Ă€ussern können, ohne ihrer SchĂŒlerin Ulyana, hat. Das Vater-Tochter-Gespann hat keine dass eine Geschichte schon auf den ersten Blick als politisches Aufenthaltsbewilligung. Als Ulyana bei einem Diebstahl erwischt Statement daherkommt. Vielmehr möchte ich zeigen, wie das Lewird, werden alle Beteiligten auf eine Zerreissprobe gestellt. Der ben einzelner Menschen konkret von einer jeweiligen Politik beFilm halte uns einen Spiegel vor, sagt der Schweieinflusst wird. ZusammenhĂ€nge können durch zer Regisseur Christian Johannes Koch im TeleFilme sichtbar gemacht werden, gerade deshalb fongesprĂ€ch. halte ich die Recherche fĂŒr zwingend notwendig: Der Regisseur Sie war auch essenziell in der Entwicklung von Herr Koch, Ihr Spielfilm-Erstling «Spagat» «Spagat». Mir wurde klar, dass ich eine grosse Verantwortung trage, sowohl im Umgang mit jehandelt vom Alltag zweier Sans-Papiers und nen, die mir Einblick in ihren Alltag im Verborgevon einer durchschnittlichen Schweizer nen gewĂ€hrten, als auch in Bezug auf die PerFamilie. Weshalb haben Sie diesen beiden spektivenwahl, wie ich ihre LebensumstĂ€nde zeige. LebensrealitĂ€ten gleich viel Raum gegeben? Vor einigen Jahren bin ich auf Gesetzestexte zum Thema Sans-Papiers gestossen, die mich nicht Die Lehrerin Marina verheddert sich durch ihre AffĂ€re mit Artem in einem LĂŒgengeflecht. mehr losgelassen haben. Demnach gibt es fĂŒr ein Kind etwa die Pflicht, zur Schule zu gehen, aber Und als Artem sich bei der Arbeit in einer gleichzeitig dĂŒrfte es gar nicht im Land sein. Ich Kiesgrube verletzt, ĂŒbernimmt sie heimlich die Behandlungskosten. Womit sie aber erkannte, wie scheinheilig unser Rechtssystem die LoyalitĂ€t zu ihrer Familie gefĂ€hrdet 
 diese Menschen behandelt. In diesem WiderDer Filmemacher Christian spruch liegt der Kern von «Spagat». Als sich die Und mehr noch! Als Lehrerin hat Marina – aus Johannes Koch, 35, hat an der Idee fĂŒr einen Spielfilm verdichtete, war fĂŒr mich FilmuniversitĂ€t Babelsberg gesellschaftlicher Perspektive – die Pflicht, sodeshalb klar, dass dies kein Migrationsfilm ĂŒber Filmregie studiert. «Spagat» ist wohl im Klassenzimmer als auch im Privatleben «die anderen» werden sollte, sondern einer ĂŒber nach mehreren KurzïŹlmen sein eine Vorbildfunktion zu erfĂŒllen. Durch ihre priuns. Die Art, wie das Schweizer Umfeld im Film erster LangspielïŹlm. vaten Verstrickungen ĂŒberschreitet sie aber Grenzen und bricht Gesetze. Zum Beispiel, als agiert, hĂ€lt uns allen einen Spiegel vor. 24

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