Verkäufer*innenkolumne
Kämpfen und Glücklichsein Wenn ich etwas gelernt habe in meinem Leben, dann ist es zu kämpfen. Wenn mich nun jemand fragt, gegen was kämpfen, dann sage ich: gegen das Nicht-mehr-weiter-Mögen und gegen das Böse. Fragt man mich, gegen wen kämpfen: gegen die bösen Menschen. Fragt man, für was ich kämpfe: für mich und für das Weiterleben. Vor einigen Jahren, als ich schon seit etwa sechs Jahren in meiner neuen Wohnung (unterdessen sind es schon elf Jahre) stabil und drogenfrei und auch ohne Alkohol war, da geschah es, dass ich mich beim Aufwachen ganz anders gefühlt habe als bis dahin in meinem Leben. Ein wenig unsicher, verwundert, misstrauisch, aber vor allem neugierig stand ich auf, und mit mir zusammen stand auch mein Kater Anubis auf. Er begleitet mich nun schon, seit er halbjährig ist, seit fünfzehn Jahren durch mein turbulentes Leben. Immer war er für mich da und stand mir treu zur Seite. Vor allem schlief er immer ganz nah bei mir, das tut er heute noch.
Vor vier Jahren hatte ich leider einen Rückfall in die Drogensucht. Deshalb stand ich wieder einmal an dem Punkt, an dem ich kurz davor war, alles Gute, das ich mir erarbeitet hatte, zu verlieren. Also hiess es wieder: kämpfen. Ein Jahr lang gegen die Sucht, und nun habe ich es endlich geschafft, ich bin stabil! Glaube wieder an mich selber, ja nicht nur das, ich weiss auch, dass es nicht viele Menschen gibt, die eine Suchterkrankung in den Griff bekommen. Darum auch heute: Ich bin glücklich! Und weiss nun aber, dass ich immer vorsichtig bleiben muss. Denn ach, wie schnell ist Sich-glücklich-Fühlen auch schon wieder vorbei. Was mir hilft, sind die alten Philosophen. Die wussten schon 500 Jahre vor Christus: Glücklichsein, das kann man lernen, und ich weiss: Zum Glücklichsein bedarf es wenig. Dafür braucht es umso mehr Arbeit an sich selber. Schon Buddha sagte: Wer die Menschen kennt, ist weise, wer sich selber kennt, ist erleuchtet. K ARIN PACOZZI, 55, verkauft Surprise immer freitags in Zug. Sie arbeitet ausserdem in sozialen Einrichtungen, hilft beim Kochen und in Ateliers. Auch Sport gehört in ihre Wochenplanung.
Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.
ILLUSTRATION: JULIA SAURER
Zurück nun zu diesem merkwürdigen Morgen. Ich stand also auf, trottete zu meiner Kaffeemaschine, liess sie laufen und öffnete die Balkontür. Drehte mich um, nahm meinen Kaffee, goss Milch hinein und ging hinaus auf meinen wunder-
schönen Gartensitzplatz. Dort blieb ich stehen, drehte mich um mich selber, konnte nur Schönes sehen und fühlte mich gut. Da ging es mir auf: Ich war glücklich!
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Surprise 517/22