Gemeinsames Suchen einer Welt im Kleinen
und Zuschauer, die ihr regelrecht verfallen waren. Darunter fanden sich auch viele etablierte Künstlerinnen und Künstler. In der jungen internationalen Tanzszene war sie damals schon eine Berühmtheit. Man hörte viel von ihr, aber sehen konnte man ihre Arbeiten nur in Wuppertal.
Prof. Dr. Gabriele Klein, Foto: Bettina Stöß
Die Choreografin Pina Bausch begeisterte von Wuppertal aus Menschen auf der ganzen Welt. Die Hamburger Tanz- und Bewegungswissenschaftlerin Prof. Dr. Gabriele Klein untersucht die internationale Produktion und Rezeption der Stücke Pina Bauschs und begab sich dafür selbst auf Entdeckungsreise. Miriam Althammer: Sie haben sich in den vergangenen Jahren anhand von einer Vielzahl an Archivmaterialien, Interviews und ethnografischen Studien mit neuen Sichtweisen auf Pina Bausch und das Tanztheater befasst. Wie wurde Pina Bausch als junge Choreografin wahrgenommen? Gabriele Klein: Pina war eine begnadete Tänzerin und eine junge, extrem hoffnungsvolle Choreografin. Dennoch wurde sie für ihre ersten Stücke in Wuppertal ausgebuht – so die gängige Darstellung. Wie ich feststellte, ist das jedoch nur die halbe Wahrheit. In der ersten Phase von 1973 bis 1979 war das Publikum stark gespalten. Es gab einerseits das Opernpublikum, das ihren Vorgänger, Ivan Sertic, schätzte. Auf der anderen Seite gab es Zuschauerinnen
Das änderte sich mit der Tourneetätigkeit der Kompanie. In diese Phase fällt 1979 eine erste Indien-Tournee mit dem Doppelabend „Café Müller“ und „Das Frühlingsopfer“. Die Aufführung geriet zum Skandal. Warum? Das waren schreckliche Erfahrungen. In Kalkutta wurde die Bühne gestürmt, die Vorstellung musste abgebrochen werden. Dazu gibt es verschiedene Begründungen. Während des Solos in „Frühlingsopfer“ reißt der Träger des roten Kleides, das das „Opfer“ trägt, so dass eine Brust der Tänzerin entblößt wird – was, so meinen manche, zu provokant, ja zu obszön war für das indische Publikum. In Indien aber war man der Ansicht, dass die Aufführung Opfer einer lokalen politischen Konfliktlage mit den Kommunisten in Kalkutta gewesen sei und das Gastspiel des Tanztheaters einer Auseinandersetzung um bürgerliche, westliche Kunst zum Opfer fiel. Wie ist Pina Bausch mit diesen Erlebnissen umgegangen? Sie hat eine unglaubliche Scheu entwickelt, wollte Indien meiden. Georg Lechner, langjähriger Leiter verschiedener Goethe-Institute in Indien, hat es in den 1990ern geschafft, sie von einer weiteren Tournee zu überzeugen. Im Rahmen eines „East-West-Encounter“ ist sie zusammen mit der indischen Tänzerin und Choreograpin Chandralekha, die als „Mutter“ des modernen indischen Tanzes gilt, getourt. Gezeigt wurde „Nelken“ – und damit hatte sie einen riesigen Erfolg!
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