Amnesty Journal Mai/Juni 2022

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OSTAFRIKA BURUNDI

G

ermain Rukuki ist müde, er hat in der Nacht nicht geschlafen. »Wir müssen bald eine neue Wohnung finden«, sagt er. »Das ist alles gerade nicht einfach.« Er macht eine vage Geste. Seit September 2021 lebt Rukuki in Belgien, geflohen aus Burundi, wo er vier Jahre lang unschuldig im Gefängnis saß. Seine Familie kam im Februar 2022 nach. Da hatten sie sich fast fünf Jahre lang nicht mehr gesehen, seit seiner Inhaftierung im Jahr 2017 waren sie getrennt gewesen. Die Geschichte der Inhaftierung und unrechtmäßigen Verurteilung Germain Rukukis begann deutlich vorher, im Jahr 2004. Er studierte damals an der Université de Burundi in Bujumbura Wirtschaft, als er beschloss, sich in einer Menschenrechtsorganisation zu engagieren. »Es ist sinnlos, eine Wirtschaft aufbauen zu wollen, solange die Menschenrechte und die Freiheit der Menschen nicht Grundlage des Staates sind«, sagt er. »Alles andere

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kommt danach.« Rukuki begann als Freiwilliger für ACAT (Action des Chrétiens pour l’Abolition de la Torture) zu arbeiten, einer christlichen Menschenrechtsorganisation, die sich für die Abschaffung der Folter einsetzt. Zwei Jahre später fing Rukuki an, Gefängnisse zu besuchen und Gefangene zu befragen, um möglichen Menschenrechtsverletzungen nachzugehen. »Bei einem meiner ersten Besuche wurden wir auf dem Weg dorthin von Polizisten eskortiert. Irgendwann überholte uns ein Polizeiauto. Die Polizei fing uns ein paar hundert Meter weiter ab, und beschuldigte uns, auf dem Markt einer Stadt, durch die wir gefahren waren, zehn Millionen burundische Francs (umgerechnet nach heutigem Wert knapp 4.500 Euro) gestohlen zu haben. Wir verwiesen auf die Es-

»Die Kerker in Burundi sind Aufbewahrungsorte für Oppositionelle.« Germain Rukuki

korte, die uns durch den Ort geleitet hatte, und der zuständige Kommissar bestätigte, dass wir nichts getan hatten. Die Polizei nahm unser Auto auseinander und fand nichts. Als sie fertig waren, war es aber zu spät, um noch zum Gefängnis zu fahren. Das war eine meiner ersten Erfahrungen in dieser Arbeit.« Rukuki erlebte diese Zeit stets als unsicher und gefährlich, aber das Jahr 2015 verschärfte die politische Situation in Burundi. Oder um es in Rukukis Worten zu sagen: Das war das Jahr, in dem ein Nagel in den Sarg geschlagen wurde. Der damalige Präsident Pierre Nkurunziza ließ sich verfassungswidrig für eine dritte Amtszeit wählen. Expert_innen sahen Burundi, das schon einige Bürgerkriege hinter sich hat, am Rand eines neuen Bürgerkriegs. Nkurunziza verfolgte Menschenrechtsaktivist_innen, die er für Proteste gegen seine Wiederwahl verantwortlich machte. Germain Rukuki erzählt, dass er im Juli 2015 einem Anschlag entging und im September nur knapp einer Entführung entkam. Andere Oppositionelle flohen, 400.000 Menschen verließen das Land. Rukuki beschloss, zu bleiben. Seine


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