Akt des Widerstands: Die »Myanmar Diaries« zeigen den gefährlichen Protest unter einem Militärregime. Foto: The Myanmar Film Collective
Mutiges Kino Der Berlinale-Filmpreis von Amnesty International ging in diesem Jahr an den Dokumentarfilm »Myanmar Diaries«. Eine lobende Erwähnung gab es für »Mein kleines Land«. Von Jürgen Kiontke
S
ag ich es ihm, sag ich es ihm nicht …« Eine junge Frau zählt Bubble-TeaBlasen ab. Sie ist schwanger und überlegt, ob sie das ihrem Freund mittteilen soll. Denn der ist gerade anderweitig beschäftigt: Er hat beschlossen, sich der Guerilla im Dschungel anzuschließen und gegen die Militärregierung in Myanmar zu kämpfen. Seit dem Putsch am 1. Februar 2021 herrscht in dem Land eine beispiellose Repression. Nach Erkenntnissen von Amnesty International geht das Militärregime brutal gegen Aktivist_innen und Journalist_innen vor, nimmt sie in Haft und tötet sie. Wer auf die Straße geht und demonstriert, läuft Gefahr, erschossen zu werden. Ein Filmkollektiv, das aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, hat die aktuelle Situation dokumentiert und eine Kopie seiner »Myanmar Diaries« (NL/MMR/NOR 2022) außer Landes ge-
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schafft. Die jungen Filmemacher_innen verstehen ihre Arbeit als Akt des Widerstands. Ihr Werk handele vom »frühlingshaften Traum« von Freiheit in Myanmar, »vom Enthusiasmus und von der Hoffnung einer jungen Generation, die brutal niedergeschlagen wurde«. Das hybride Filmformat aus gespielten und dokumentarischen Szenen gewährt einen Blick auf die landesweiten Proteste und den zivilen Ungehorsam. Dabei werden auch Handyfilme von Bürger_innen verwendet, die brutale Übergriffe des Militärs auf die Zivilbevölkerung zeigen: Bei Demonstrationen wird scharf geschossen; Kinder verhandeln mit Soldaten, damit diese ihre Eltern nicht zum Verhör mitnehmen. Wegen solch eindrücklicher Szenen gewannen die »Myanmar Diaries«, die im Februar bei der Berlinale in der Sektion Panorama liefen, den mit 5.000 Euro dotierten Filmpreis von Amnesty International. Die Jury, der in diesem Jahr der Regisseur Franz Böhm, die Schauspielerin Eva
Meckbach und die Amnesty-Referentin Ines Wildhage angehörten, bezeichnete den Film als beeindruckend investigativ und zutiefst mutig: »Mutig sind alle Beteiligten, die unter Lebensgefahr diesen Film produziert haben, mutig sind die Menschen, die dieser Film porträtiert und die sich dem Militärregime in Myanmar entgegenstellen.« Außerdem habe das Filmkollektiv eine ganz eigene Dramaturgie und Bildsprache dafür gefunden, wie man es schaffe, Menschen zu zeigen, ohne sie zu zeigen. Mit einer lobenden Erwähnung bedachte die Jury den äußerst sehenswerten japanischen Film »My Small Land« (J 2022). Im Mittelpunkt steht eine kurdische Familie, die in die Mühlen der japanischen Bürokratie gerät, nachdem ihr der Aufenthaltsstatus entzogen wurde. Die Jury lobte insbesondere die hervorragend spielende 18-jährige Lina Arashi. Dem stark erzählten Film gelinge es, »den inhumanen Umgang mit Geflüchteten anzuprangern«. Für den Amnesty-Filmpreis waren insgesamt 15 Filme nominiert, viele von ihnen beschäftigten sich mit Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen. ◆ Informationen zum Filmpreis von Amnesty International: www.amnesty.de/der-amnestyfilmpreis-auf-der-berlinale2022