Waffen hamstern Waffenverkäufer in den USA verzeichnen in der Corona-Krise Rekordumsätze. Es scheint ganz so, als könne man das Virus erschießen. Von Bernd Pickert
Woher kommt der Ansturm? Eine ähnliche Motivation dürfte hinter dem jetzigen Run auf die Waffenläden stehen. Bei den US-Demokraten etablierte sich Ende Februar Obamas früherer Vizepräsident Joe Biden als Favorit für die Präsidentschaftskandidatur, und auch der gilt als strikter Verfechter schärferer Waffengesetze. Aber das allein erklärt den Ansturm nicht: Es ist vielmehr die Corona-Krise, die die Menschen zum Waffenkauf treibt – ganz so, als ob sie das Virus erschießen könnten. »Angst und Ungewissheit lässt viele Leute Waffen kaufen«, sagt die Strafrechtsprofessorin Lacey Wallace von der Penn State Altoona University. »Der wichtigste Grund, warum Leute Waffen kaufen und besitzen wollen, ist persönlicher Schutz. Wenn sie in den Nachrichten sehen, dass alles dichtgemacht wird und das Virus sich ausbreitet, schafft das eine Menge Unsicherheit«, sagte sie der Huffington Post. Das reflektiert auch ein Narrativ, das allen dystopischen Serien und Hollywood-Filmen gleich ist: Ob nun in der ZombieApokalypse oder in einem umweltbedingten inszenierten Welt-
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untergang: Wer mit seiner Familie eine Überlebenschance haben will, braucht Waffen, um sich nach dem Staatszerfall im Kampf um die knappen Ressourcen durchsetzen zu können.
Gefährliches Narrativ Dieses Narrativ hat die Trump-Regierung Ende März sogar noch befördert: In einem Memorandum der Heimatschutzbehörde über Wirtschaftszweige und Berufsbilder, die während der Pandemie dringend aufrecht erhalten werden müssen, finden sich das Gesundheitswesen, die Sicherheitsbehörden, Apotheken und der Lebensmittelhandel, aber eben auch Waffengeschäfte. Das ist rechtlich zwar nicht bindend, weil die Ausgestaltung von pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens den Bundesstaaten und Gemeinden obliegt. Aber fast überall dort, wo Gouverneure entschieden, im Zuge des öffentlichen »Lockdowns« müssten auch Waffengeschäfte schließen, kam es zu Klagen der Waffenlobby. Und dank der Empfehlung aus Washington, Waffenläden als Teil der kritischen Infrastruktur zu betrachten, waren sie oft erfolgreich. Die stärkste Organisation der Waffenlobby, die zuletzt von internen Skandalen und Konflikten geplagte National Rifle Association, tut alles, um den Druck zu erhöhen: Handreichungen an ihre Anhänger tragen Titel wie »Covid-19: Bedrohung des Zweiten Verfassungszusatzes« oder »Pandemie zeigt die Gefahr der sogenannten ›allgemeinen‹ Backgroundchecks«. Der 1791 verabschiedete zweite Verfassungszusatz, der eigentlich davon spricht, dass »das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden« dürfe, weil »wohlgeordnete Milizen die Sicherheit eines freien Staates gewährleisten«, wurde spätestens seit einem Urteil des Obersten Gerichtshofes von 2008 in ein allgemeines Individualrecht auf Waffenbesitz uminterpretiert. Für die Schusswaffenlobby ist das
In keinem anderen Industrieland sterben so viele Menschen an Waffengewalt. AMNESTY JOURNAL | 03/2020
Foto: Ringo H.W. Chiu / AP / pa
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ie US-Amerikaner rüsten auf. Seit die Corona-Krise Mitte März auch im öffentlichen Bewusstsein der USA angekommen ist und Gemeinden und Bundesstaaten das öffentliche Leben heruntergefahren haben, boomen die Waffenkäufe. Die Bundespolizei FBI, die für obligatorische Backgroundchecks in lizensierten Waffengeschäften zuständig ist, verzeichnete von Ende Februar bis Ende März eine Rekordzahl von 3,7 Millionen Anträgen. Die Anzahl der gekauften Waffen dürfte allerdings noch wesentlich höher liegen: Zum einen, weil auch für den Kauf mehrerer Waffen nur ein Antrag notwendig ist, zum anderen, weil bei Privatverkäufen, beim Internetversandhandel und bei Käufen auf Waffenmessen keine solchen Abfragen stattfinden. Auch wer bereits eine Waffe besaß, hat offenbar nachgerüstet: Der OnlineHändler für Munition ammo.com berichtete von einer Steigerung der Munitionsverkäufe um 792 Prozent. Der Zuwachs beim Run auf die Schusswaffen ist nur mit dem Januar 2013 vergleichbar: Da fürchteten viele US-Amerikaner, es könne bald enger werden mit dem freien Kauf von Schusswaffen. Präsident Barack Obama, ein erklärter Unterstützer schärferer Waffenkontrollgesetze, war damals gerade wiedergewählt worden, das Schulmassaker von Sandy Hook hatte die nationale Debatte über Gesetzesverschärfungen erneut angefacht.