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Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Bedeutung des Buchdruckers in Graubünden 8 Online Simulation als Hilfestellung für das BorkenkäferManagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Die wichtigsten Borkenkäferarten 16 Natürliche Feinde von Borkenkäfern 24 Laubholzborkenkäfer als Überträger und Profiteure von Pilzkrankheiten 28 Der Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer im Klimawandel 32 Der invasive Nordische Fichtenborkenkäfer und seine Ausbreitung in der Schweiz 36 Föhrenborkenkäferbefall Livera und Strada di Viano, Brusio . . 40 Buchdrucker im Naturwaldreservat – Fluch oder Segen? 44 Ökologische Bedeutung von Borkenkäfern 48 Schiers und der Nationalpark Bayerischer Wald: Erfahrungsfeld Borkenkäfer 52 Der Borkenkäferspürhund – wertvolle Hilfe im Wald 56 Buch-Neuauflage: Insekten im Wald 59 Neuer Projektleiter SELVA und Stellvertreter der Geschäftsführerin 61 Vorschau «Bündner Wald» August 2022 63
Titelbild: Brutbild Buchdrucker. (Bild: Beat Wermelinger)Einige Borkenkäfer gelten als eigentliche Primärbesiedler von bereits geschwächten und absterbenden Bäumen und sind ein wesentlicher Teil des Waldökosystems. Sie nutzen Bäume mit verminderter Widerstandskraft als Brutraum, um ihre Art zu erhalten und sorgen dafür, dass der tote Baum nachfolgenden Insekten- und Pilzarten günstigen Lebensraum bietet. So werden Bäume über lange Zeiträume zersetzt und wieder zu Nährstoffen für weitere Baumgenerationen und Bodenpflanzen. Hier im Bild zwei durch Trockenheit und Hitze geschwächte Weisstannen, die durch den Krummzähnigen Tannenborkenkäfer (Pityokteines curvidens) besiedelt wurden.
(Text und Bild: Jürg Hassler, Förster Waldökologie und Waldinformation, AWN)
Editorial
Borkenkäfer sind nicht einfach nur ein Problem, sie können auch Chancen mit sich bringen. Während die Allgemeinheit beim Stichwort Borkenkäfer meist an Schädlinge denkt, welche den Wald absterben lassen und die Arbeit ganzer Förster-Generationen zunichtemachen, spricht der Insektenforscher davon, wie der Buchdrucker als ökologisch wertvolle Störung wirken und neue, zukunftsfähige Lebensräume gestalten kann. Ob Negatives oder Positives überwiegt, kommt natürlich auf die Situation und den Zeithorizont an. Der Gefahr eines unkontrollierten Bestandeszusammenbruchs nach Borkenkäfer-Massenvermehrungen wird im Schutzwald meist mit Zwangsnutzungen begegnet. Für die Forstbetriebe ist Käferholz – ein wahrlich geflügeltes Wort! – ein gewichtiger Faktor, welcher den waldbaulichen Spielraum einschränkt und die Planung auf den Kopf stellt. Die Situation in Graubünden in Zahlen ist im Artikel von Dr. Marco Vanoni beschrieben. Für ein anderes Vorgehen kann man sich im Naturwaldreservat oder im Nationalpark entscheiden. Regionalforstingenieur Christian Buchli blickt auf die Geschichte des Käferbefalls im Uaul Prau Nausch zuoberst in der Surselva zurück, welche mit einem heftigen Föhnsturm im April 2012 begann, und Dr. Gabriela Lobinger erläutert im Interview von Silke Schweizer die Philosophie und das Vorgehen im Bayerischen Wald. 112 Borkenkäferarten gibt es in der Schweiz, Tendenz zunehmend. Sie alle faszinieren allein schon ihrer raffinierten Strategien und ihrer spezifischen «Ausrüstung» wegen. Dr. Beat Wermelinger, Insektenforscher an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL, teilt mit uns sein grosses Wissen um die wichtigsten Borkenkäferarten und zeigt uns ihre Brutbilder. Die Borkis, wie die WSL-Forscher sie fast liebevoll nennen, haben aber auch rund 300 verschiedene Arten natürlicher Feinde. Räuberische Insekten und Milben, parasitische Wespen und allerlei Pilze setzen den Borkenkäfern, respektive deren Eiern, Larven und Puppen zu. Der grösste Antagonist, der Dreizehenspecht, kann an einem
einzigen Wintertag bis zu 3000 Käferlarven freilegen und vertilgen. Kein Wunder, spricht der Forscher da von «Hackarbeit». Tierische Unterstützung der anderen Art im Kampf gegen die Massenvermehrung können speziell trainierte Borkenkäfer-Spürhunde erbringen. Ein ausgebildeter Hund kann seine 250 Millionen Riechzellen gezielt auf die Pheromone des Buchdruckers einsetzen, bis zu 10 Hektaren Wald pro Stunde absuchen und dabei 90 % der befallenen Fichten anzeigen. Und das erst noch mit dem Vorteil der Früherkennung. Dr. Leopold Slotta-Bachmayr, Zoologe und Hundetrainer, erläutert die Arbeit der Borkenkäferspürhunde-Teams, die bislang in Österreich und in Bayern im Einsatz sind.
Und was ist bei diesem komplexen Thema die Rolle des Menschen? Wohl einmal mehr: Die Natur beobachten, unterstützen, stärken, weiter forschen, mehr verstehen und vorausblicken, damit sie ihr Gleichgewicht wahren kann.
Susi SchildknechtBedeutung des Buchdruckers in Graubünden
Der Buchdrucker spielt in Graubünden aufgrund des hohen Fichten-Anteils seit jeher eine grosse Rolle. Die absolute Menge an Käferholz ist in den meisten Jahren vergleichsweise niedrig, es gibt jedoch viele direkte und indirekte Folgen, welche auch die Holznutzung im Allgemeinen beeinflussen.
Dr. Marco VanoniDer Wald im Gebirgskanton Graubünden besteht mehrheitlich aus Nadelholz, davon macht die Fichte eine überwiegende Menge aus. Fast zwei Drittel des gesamten Holzvorrats besteht aus Fichtenholz. An vielen Standorten im Kanton ist die Fichte somit nicht unerwartet die dominante Baumart im Bestand. Insbesondere in der subalpinen Stufe ist sie oft auch fast die einzige Baumart, die dort bestandesbildend natürlicherweise vorkommt. Wenn der «Borkenkäfer» thematisiert wird, ist damit so
gut wie immer der Buchdrucker (Ips typographus) gemeint, welcher fast ausschliesslich die Fichte befällt. Von Vorkommen dieses Buchdruckers ist also auf einem Grossteil der Waldfläche auszugehen. Aufgrund seiner Fähigkeit zu grossen und raschen Massenvermehrungen nimmt er eine bedeutende Rolle bei der Bewirtschaftung der Wälder in Graubünden ein. Durch eine laufende Überwachung der gesamten Waldfläche auf Schäden oder mögliches Brutmaterial versuchen die Forstbetriebe, solchen
Massenvermehrungen vorzubeugen und damit unkontrollierte Bestandeszusammenbrüche weitestgehend zu vermeiden. Die anteilmässig häufigsten Ursachen für geschädigte oder geschwächte Fichten mit potenziellen Folgeschäden durch den Buchdrucker sind Stürme, Nassschnee-Fälle, anhaltende Trockenheitsperioden sowie weitere Naturereignisse.
Die Gesamtmenge der Zwangsnutzungen
Wird die gesamte Menge der in Graubünden anfallenden Zwangsnutzungen betrachtet, sticht das Jahr 1990 ins Auge, in welchem Orkan Vivian in weiten Teilen von Nordbünden beträchtliche Schäden angerichtet hat (Abb. 1). Weitere markante Jahre mit hohen Schaden-Mengen sind die Jahre 1999 («Lawinenwinter»), 2009 (ergiebige Nassschneefälle) sowie ein erneuter deutlicher Anstieg an Zwangsnutzungen aufgrund der Stürme Burglind und Vaia in den Jahren 2018 und 2019. Gemessen an der Gesamtmenge der Zwangsnutzungen der vergangenen 35 Jahre von rund 3 650 000 m³ be-
trägt der Anteil an «reinem» Käferholz (767 000 m³) rund 21 %.
Der jährliche Anteil von Käferholz an der Gesamtmenge ist aber starken Schwankungen unterworfen und kann beispielsweise innerhalb von nur gerade drei Jahren (2015 und 2017) deutlich auseinanderliegen (7 % und 78 %). Würde man die Zwangsnutzungen hinzurechnen, welche in erster Linie aufgrund Käferprävention getätigt werden, würde der Anteil deutlich ansteigen und dürfte in manchen Jahren die Gesamtmenge der Zwangsnutzungen ausmachen. Denn ein Grossteil der als Zwangsnutzungen geräumten Holzmenge nach Naturereignissen wird hauptsächlich aus dem Bestand genutzt (oder vor Ort entrindet), um eine Massenvermehrung des Borkenkäfers mit weiterem Folgebefall zu vermeiden oder mindestens zu reduzieren.
Die Käferholz-Mengen im Rückblick
Die Menge an angefallenem Käferholz in Graubünden wird seit den 1980er-Jahren bei den Re-
vierförstern jährlich durch die WSL individuell erhoben und kann von Jahr zu Jahr sehr stark variieren (Abb. 2). Die Gesamtmenge an Fichten-Käferholz in Graubünden beträgt in den letzten 35 Jahren total 767 000 m³, was im jährlichen Mittel etwa 22 000 m³ entspricht. Deutlich an der Spitze liegt dabei das Jahr 1993, in welchem der Grossteil des Käferholzes in der Waldregion Surselva angefallen ist. Dies ist eindeutig eine zeitlich verzögerte Folge des Orkans Vivian von 1990. Im betreffenden Jahr und den Folgejahren wurde zwar ein grosser Wert auf eine rasche Räumung gelegt, es konnte aber bei Weitem nicht alles potenzielle Brutmaterial rechtzeitig entfernt werden. Bis ins Jahr 2018 lag die AWN-Region Surselva, welche einen überdurchschnittlich hohen Fichten-Anteil aufweist, meistens bei der Käferholzmenge an der Spitze. Auch die Region Mittelbün-
den-Moesano lag zwischenzeitlich vorne. Erst die Folgen von Sturm Burglind haben dafür gesorgt, dass sich die davon am stärksten betroffene AWN-Region Herrschaft/Prättigau/Davos an die Spitze geschoben hat. In den letzten sechs Jahren lag nun der Wert immer leicht über dem langjährigen Mittel zwischen 20 000 und 40 000 m³. Ein eindeutiger Trend einer Zu- oder Abnahme der Käferholzmenge ist aber über die letzten 35 Jahre nicht festzustellen. Immer wieder treten einzelne Jahre etwas stärker hervor, wobei eine Abnahme der Käferholzmenge oft in der gleichen Geschwindigkeit erfolgt wie die Zunahme.
Bedeutung für den Forstbetrieb
In Graubünden haben die Waldeigentümer nach gesetzlicher Verpflichtung bei den Kosten der Waldschäden sowie in der Schutzwaldpflege
Restkosten von mindestens 20 % selber zu tragen. Nach grösseren Ereignissen wie etwa nach Sturm Vaia 2018 können diese Kosten schnell einmal mehrere 100 000 Franken. betragen. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für viele kleinere, aber auch grössere Waldeigentümer. Für die Verhütung und Behebung von Waldschäden wurden von 2001 bis 2020 Beiträge im langjährigen Durchschnitt von jährlich 5,4 Millionen Franken entrichtet. Die Beiträge für die Schutzwaldpflege in Graubünden betragen im gleichen Zeitraum rund 11,5 Millionen Franken. Von der Gesamtsumme an Beiträgen entfallen also knapp 30 % auf Waldschäden. Seit der NFA-Periode 2012–2015 gilt im Schutzwald ein Beitragssatz von 80 %, vorher lag er projektgebunden teilweise niedriger. Bei den Waldschäden liegt der Beitragssatz ebenfalls bei 80 %, war jedoch ebenfalls zeitweise tiefer oder auch höher.
Was bedeutet es aber für einen Betrieb sonst noch, wenn er ständig Käfernestern nachgehen muss?
Es gibt Jahre, in denen einzelne Reviere praktisch alle Ressourcen in die Behebung oder Verhinderung von Schäden einsetzen müssen. Geplante Eingriffe müssen zurückgestellt werden, und die Verzögerung kann sich über mehrere Jahre sogar weiter aufbauen oder verstärken. Auch wenn der vereinbarte Hiebsatz durch Schäden bereits teilweise oder vollständig erreicht wird, müssen geplante Eingriffe aus Gründen der Nachhaltigkeit zurückgestellt werden. Damit wird der waldbauliche Spielraum eingeschränkt, und in der Betriebsplanung festgelegte Prioritäten können nicht mehr überall eingehalten werden.
Die mittlere genutzte Holzmenge in Graubünden liegt in den letzten rund 15 Jahren zwischen 300 000 und 400 000 m³. In den Jahren davor lag die Nutzungsmenge teilweise deutlich darunter, auch etwa nach den schweizweit betrachtet immensen Schäden nach Orkan Lothar 1999. Von dieser gesamten Nutzungsmenge stammen im Mittel etwas mehr als zwei Drittel aus geplanten
waldbaulichen Eingriffen, ein beträchtlicher Anteil fällt langfristig betrachtet also «ungeplant» an. Relativiert wird dieser Anteil in bestimmten Jahren, in denen er auch deutlich unter 10 % fällt oder lokal auch einmal komplett ausbleibt. Nach Stürmen oder Käferschäden kann ein Preiszusammenbruch zusätzlich dafür sorgen, dass auch die geplanten Nutzungen reduziert werden, etwa um nicht zusätzlich einen weiteren Preiszerfall anzuheizen oder genutztes Holz gar nicht mehr absetzen zu können.
Ausblick
Während in den letzten Jahren die Käferholzmenge auf hohem Niveau schwankte, ist die weitere Entwicklung nicht ganz klar. Aufgrund der wärmeren Temperaturen und vermehrt zu erwartenden Trockenperioden ist aber eindeutig mit einem grösseren Anfall an nicht geplanten Nutzungen zu rechnen. Die heute im Kanton Graubünden verfolgte Strategie, welche den Entscheid über eine Räumung oder Nicht-Räumung von verschiedenen Faktoren abhängig macht, wird im Zusammenhang mit dem Klimawandel deshalb in den nächsten Jahren überprüft und gegebenenfalls angepasst werden müssen.
Dr. Marco Vanoni leitet den Bereich Schutzwald & Waldökologie an der Zentrale des Amts für Wald und Naturgefahren in Chur.
als
für das Borkenkäfer-Management
Zur Unterstützung der Forstpraxis hinsichtlich Planung von Überwachung und Bekämpfung des Buchdruckers gibt es ein hilfreiches Werkzeug: die Buchdrucker Simulation Online (BSO). Kostenlos kann auf www.borkenkaefer.ch die aktuelle Entwicklung der regionalen Buchdruckerpopulationen inklusive der Zeitpunkte der Schwärmflüge abgerufen werden.
Dr. Sophie Stroheker / Dr. Simon BlaserAls einer der bedeutendsten einheimischen Schadorganismen an der Fichte (Picea abies) ist der Buchdrucker (Ips typographus) schweizweit wohlbekannt. Nach Störungen wie zum Beispiel Trockenheit, Sturmschäden oder Schneebruch kann es zu Massenvermehrungen dieses Käfers kommen, in dessen Verläufen nicht nur geschwächte, sondern auch vitale Bäume befallen werden können, und dann in der Regel absterben. Beobachtungen zeigen, dass überdurchschnittlich warme Frühjahrs und Sommertemperaturen in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden sind und gemäss Prognosen auch in den nächsten Jahren weiter zunehmen werden. Von diesen Klimaveränderungen betroffen ist auch der Kanton Graubünden, dessen Jahresmitteltemperatur sich seit 1856 bereits um ca. 1,8°C erhöht hat (NCSS, 2021). Es wird zudem erwartet, dass das Klima in Zukunft vermehrt von trockeneren Sommern, intensiveren Niederschlägen, Hitzewellen und schneeärmeren Wintern geprägt sein wird (NCSS, 2021).
In der Regel legt der Buchdrucker in der Schweiz, je nach Witterung, Exposition und Höhenlage, 1–2 Generationen pro Jahr an. Durch überdurchschnittlich hohe Frühlings und Sommertemperaturen, wie sie gemäss Prognosen häufiger erwartet werden, kann in tieferen Lagen jedoch vermehrt eine dritte Generation, in höheren Gebieten eine zweite Generation dazukommen. Dies unter anderem, da die Käfer früher im Jahr ausfliegen und sich die Entwicklungszeit der einzelnen Generationen verkürzt.
Während der Buchdrucker von den neuen Klimatrends profitiert, machen sie seiner Wirtsbaumart, der Fichte, zunehmend zu schaffen. Diese wenig trockenheitsresistente Baumart macht laut dem schweizerischen Landesforstinventar (LFI4) 64,5 % des Vorrates im Kanton Graubünden aus (Abegg et al. 2020). Vermehrter Trockenstress wird die Widerstandsfähigkeit der Fichte gegenüber Buchdruckerbefällen in Zukunft weiter senken. Dies ist insbesondere problematisch für Fichtenbestände, welche wichtige Schutzfunktion sicherstellen. Um Käferschäden einzudämmen, müssen Befallsherde rechtzeitig erkannt und befallene Bäume vor dem Ausflug der neuen Käfergeneration aus den Beständen entfernt werden. Als Hilfestellung für die Ermittlung der Flugzeiten stellt die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) das Modell «Borkenkäfer Simulation Online» (BSO) zur Verfügung (Zugang via www.borkenkaefer.ch, Jakoby et al. 2019). Das BSOModell modelliert auf einem Raster von 2 x 2 km die Entwicklung der lokalen Borkenkäferpopulationen inklusive deren Schwärmflüge anhand der täglich von MeteoSchweiz erhobenen Temperaturdaten. Die Lufttemperaturen werden zur Präzisierung auf Rindentemperaturen umgerechnet. Dabei kann der Fokus, wie in Abbildung 1 gezeigt, auf verschiedene Regionen der Schweiz gelegt werden. Sobald laut BSO 10 % der Käfer einer Generation ausgeflogen sind, wird deren Flug auf der Schweizerkarte dargestellt. Ebenfalls
angezeigt wird der Zweitflug von adulten Käfern, welche bereits gebrütet haben und nach einem Regenerationsfrass erneut ausschwärmen, um eine sogenannte Geschwisterbrut anzulegen.
Die Abbildung 1 zeigt den Stand der Käferpopulationen für die Region Alpen-Südost am Ende der Käfersaison der Jahre 2018 (Abb. 1 a) und 2021 (Abb. 1 b). Im Vergleich zum moderaten 2021 war 2018 geprägt von überdurchschnittlich warmen
Temperaturen und extremer Trockenheit. Das widerspiegelt sich auch in der Käferentwicklung: Während in den Tieflagen des Kantons (Region Landquart/Chur, Bündner Rheintal) bis Ende 2021 lediglich ein Zweitflug der ersten Generation modelliert wurde und die zweite Generation im Brutbaum überwinterte, waren die Bedingungen 2018 für die Käfer so günstig, dass auch die zweite Generation ausfliegen konnte.
Ein aktueller Blick (Stand 28.4.2022) in das BSOModell zeigt, dass in den tieferen Lagen des Kantons Graubünden der Ausflug der überwinterten Borkenkäfer (dunkelblau in der Karte) bereits begonnen hat (Abb. 2).
Abb. 2: Käferflug in der Region Alpen Südost (Stand 28.4.2022).
Interessant für die Planung phytosanitärer Massnahmen ist die Möglichkeit, Prognosen über die weitere Entwicklung der Käferpopulationen für den Rest des laufenden Jahres anzuzeigen. Diese berechnet das BSO-Modell mittels der durchschnittlichen Temperaturen der letzten 10 Jahre. Da die Käferentwicklung vor allem in höheren Lagen von der topographischen Lage stark beeinflusst wird, simuliert das Modell den Verlauf der Käferpopulationen jeweils für Nord- und Südexposition sowie für verschiedene Höhenlagen zwischen 400 und 1500 m ü. M.
Abb. 3: Aktuelle Flugaktivität in der Region Alpen Südost für die verschiedenen Höhenstufen und Expositionen sowie die Prognose (graue Box) für das laufende Jahr Stand: 28.4.2022).
Der Stand der Flugaktivität sowie deren Prognose für 2022 (graue Box) ist in Abbildung 3 zu erkennen. Bis 500 m ü. M. wird für nord- und südexponierte Bestände mindestens ein Zweitflug der ersten Generation prognostiziert, dies gilt ebenfalls für südexponierte Bestände bis 1000 m ü. M. Abbildung 4 a zeigt detaillierte Informationen der aktuellen Käferentwicklung sowie deren Prognosen bis Ende Jahr für die Region Alpen-Südost auf 500 m ü. M. bei Südexposition. Der obere Teil der Grafik zeigt jeweils die Situation unter der Rinde, der untere Teil die Flugaktivität. Beginnt der
Flug der überwinterten Käfer (dunkelblau, unten), nimmt deren Anzahl ab (oben) und die nachfolgende 1. Generation beginnt sich zuerst als «weisse Stadien» (Ei – Larve – Puppe; rot gestrichelte Linie) zu entwickeln. Nach dem Reifungsfrass der Jungkäfer (rote durchgezogene Linie) fliegen die adulten Käfer schliesslich aus (unten), um eine 2. Generation anzulegen. Analog dazu erfolgen ebenfalls Entwicklung und Ausflug möglicher weiterer Generationen.
Interessant für die Forstpraxis sind ebenfalls die Vorschläge verschiedener Managementempfehlungen:
Abb. 4: Käferentwicklung in der Region Alpen-Südost auf 500 m ü. M. an südexponierter Lage: a) Aktueller Stand (28.4.22) und Prognose (graue Box) bis Ende Jahr, b) Aktueller Stand (28.4.22) inklusive Managementempfehlungen.
die auf der Monatsachse eingeblendete Borkenkäferfalle (bedeutet «Borkenkäferfallen aufstellen») kurz vor Ausflug der Käfer sowie ein Auge («Befallskontrolle beginnen»), sobald der Ausflug der Käfer beginnt (Abb. 4 b). Da das Modell anzeigt, ob sich die Käfer im Winter noch unter der Rinde befinden oder bereits im Herbst ausgeflogen waren, ist das BSO-Modell ebenfalls eine Unterstützung zur Abschätzung der Effektivität von Zwangsnutzungen im Winter. So werden die Planung und Umsetzung von Überwachungs- und Bekämpfungsmassnahmen durch das BSO-Modell bestmöglich unterstützt. Nichtsdestotrotz bleiben lokale Kontrolltätigkeiten vor Ort in den Waldbeständen ein unersetzlicher Teil des Borkenkäfermanagements.
Dr. Sophie Stroheker ist Forstpathologin und Datenbankmanagerin bei Waldschutz Schweiz. Dr. Simon Blaser ist Entomologe bei Waldschutz Schweiz.
Referenzen
Abegg, M.; Brändli, U.-B.; Cioldi, F.; Fischer, C.; Herold, A.; Meile, R.; Rösler, E.; Speich, S.; Traub, B., 2020: Schweizerisches Landesforstinventar LFI. Ergebnistabellen und Karten der LFI-Erhebungen 1983–2017 (LFI1, LFI2, LFI3, LFI4) im Internet. [Published online 10.6.2020] Available from World Wide Web http://www.lfi.ch/resultate/ Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL Jakoby, O., Lischke, H., & Wermelinger, B. (2019). Climate change alters elevational phenology patterns of the European spruce bark beetle (Ips typographus). Global Change Biology, 25(12), 40484063. https://doi.org/10.1111/gcb.14766 NCCS (Hrsg.) 2021: Klimawandel im Kanton Graubünden – Was geschah bisher und was erwartet uns in Zukunft? (Version 1.0) National Centre for Climate Services, Zürich, 15 S.
Die wichtigsten Borkenkäferarten
In den letzten Jahren war «der Borkenkäfer» wieder in aller Munde. Vielen Leuten ist aber nicht bewusst, dass es mehr als nur eine Borkenkäferart gibt. Allein in der Schweiz sind 112 Arten bekannt, weltweit sogar über 6000. Allen mitteleuropäischen Arten gemeinsam ist, dass sie sich in holzigem Substrat entwickeln.
Dr. Beat WermelingerDie meisten Arten leben im Rindenbast von Bäumen (Rindenbrüter), einige auch im Holz (Holzbrüter). Bei den Rindenbrütern entwickelt sich der Grossteil der Arten in abgestorbenen Ästen und Bäumen. Einige wenige Arten können – bei geschwächten Wirtsbäumen oder genügend hohen Käferdichten – auch lebende Bäume befallen und dort ihre Bruten anlegen. Alle diese «aggressiven» Arten sind Besiedler von Nadelbäumen. Sie sind ziemlich wirtsspezifisch und befallen nur eine oder ganz wenige Baumarten. Die vielen anderen Rindenbrüterarten sind entweder Nadelholz- oder Laubholzbesiedler und oft weniger stark auf bestimmte Baumarten fixiert. Sie sind wichtige Pioniere beim beginnenden Abbau von frischem Totholz. Die Holzbrüter besiedeln nur abgestorbene Bäume und werden auch Ambrosiakäfer genannt, da die Muttertiere bei der Anlage der Brutsysteme im Holz gezielt sogenannte Ambrosiapilze einbringen, die danach in den Gängen wachsen und den sich entwickelnden Larven als Nahrung dienen. Diese Larvengänge sind deshalb – im Gegensatz zu den längeren bei den Rindenbrütern – nur kurze Stollen oder Hohlräume, in denen die Larven und später die Jungkäfer die stets nachwachsenden Pilzrasen «abweiden». Diese Nutzholzborkenkäfer befallen zwar keine lebenden Bäume, können jedoch an gelagertem Stammholz schädlich werden, da sie das Holz durch ihre Gänge oberflächlich entwerten.
Durch die Frasstätigkeit der Borkenkäfer entstehen oft charakteristische Brutbilder (Muster der Mutter- und Larvengänge). Nach dem Einbohren in die Rinde legen die Weibchen bei den meisten Arten sogenannte Muttergänge an, in denen sie ihre Eier ablegen.
Viele Borkenkäfer sind polygam, die Anzahl Muttergänge entspricht der Anzahl begatteter Weibchen eines Männchens. Die daraus schlüpfenden Junglarven fressen sich seitlich in die Rinde und hinterlassen mit dem Larvenwachstum immer breiter werdende Larvengänge. Die «aggressiven» Borkenkäferarten lassen sich meist anhand der charakteristischen Brutbilder erkennen. Aber auch einige der häufigsten Totholzbesiedler unter den Borkenkäfern sind relativ spezifisch und haben typische Brutbilder. Ausgehend von der Baumart können deshalb die Brutbilder etlicher wichtiger und häufiger Borkenkäferarten bestimmt werden.
Der Kanton Graubünden beinhaltet ein breites Spektrum an Höhenstufen und klimatischen Bedingungen mit einer grossen Vielfalt an Nadelund Laubbäumen. Die unterschiedlichen Lebensräume beherbergen auch eine grosse Zahl an relevanten Borkenkäferarten. Im Folgenden ist eine Auswahl der am häufigsten in Graubünden vorkommenden, rindenbrütenden Borkenkäferarten mit ihren Brutbildern dargestellt, gegliedert nach ihren Hauptwirtsbaumarten.
Fichte
Buchdrucker (Ips typographus)
Brutbild
– 2–3 längs verlaufende Muttergänge, davon bis 60 quer abzweigende Larvengänge pro Muttergang
Biologie
– Käfer 4– 5,5 mm lang – Flug im April/Mai und Juli/August – normalerweise 2 Generation in tieferen Lagen (bis ca. 1400 m) – überwintert meist unter der Rinde – ausnahmsweise auch an Föhre
Bedeutung
– normalerweise nur an toten/geschwächten Bäumen, aber – befällt bei Massenvermehrung auch vitale Bäume – verbreitet Bläuepilze – Massenvermehrungen meist durch Sturm oder Trockenheit ausgelöst
Kupferstecher (Pityogenes chalcographus)
Brutbild – 3– 6 sternförmig angeordnete Muttergänge, davon zweigen die Larvengänge ab
Biologie
– Käfer 1,5 –3 mm lang – Flug im April und Juli/August – 2–3 Generationen in tieferen Lagen – überwintert unter der Rinde oder in der Streu – selten auch an anderen Nadelhölzern
Bedeutung – besiedelt vorwiegend dünne Rinde toter Äste und Wipfelstücke – kann auch lebende Bäume im Dickungs- und Stangenholzalter befallen
Doppeläugiger Fichtenbastkäfer (Polygraphus poligraphus)
Brutbild – tief in der Rinde liegende Gänge – Muttergänge sternförmig, oft wirres Gangsystem
Biologie
– Käfer 2–3 mm lang – Flug im April/Mai und Juli/August – meist 2 Generationen – überwintert in der unteren Stammrinde oder Rindenstücken am Stammfuss – selten auch an anderen Nadelhölzern
Bedeutung
– brütet v. a. in älteren, anbrüchigen Bäumen
Weisstanne
Krummzähniger Tannenborkenkäfer (Pityokteines curvidens)
Brutbild – doppelarmiger, querliegender Muttergang (oft zweifach liegendes H), Larvengänge längs verlaufend
Biologie
– Käfer 2,5 – 3 mm lang – Flug im März/April und Juli – 2– 3 Generationen – überwintert unter der Rinde im Brutbaum – selten auch an anderen Nadelhölzern
Bedeutung
– befällt meist unterdrückte, geschwächte, geworfene Bäume – grösserer Stehendbefall lebender Bäume meist durch Trockenheit ausgelöst
Kleiner Tannenborkenkäfer (Cryphalus piceae)
Brutbild – unregelmässige Mutter- und Larvengänge
Biologie – Käfer 1–2 mm lang – Flug im März/April und Juni – meist 2 Generationen – Reifungsfrass der Käfer in dünnen Ästen – überwintert in der Rinde von Ästen und Zweigen – seltener in anderen Nadelbäumen
Bedeutung – brütet in dünnrindigem Schlagabraum – Befall im Kronenraum älterer Bäume oder in dünner Rinde von Stangenholz
Föhre
Sechszähniger Föhrenborkenkäfer (Ips acuminatus)
Brutbild – vielarmiger, in dünnen Ästen längs gerichteter Sterngang
Biologie – Käfer 2– 4 mm lang – Flug im Mai – 1 Generation (im Süden 2) – überwintert in Ästen oder im Brutbild – selten an anderen Nadelhölzern
Bedeutung – brütet in dünner Rinde absterbender Bäume – kann auch schon leicht geschwächte Bäume befallen (obere Stammteile, Äste)
Befallsbild
– doppelarmiger, querliegender Muttergang mit kurzen Larvengängen – braune Triebspitzen in der Krone und am Boden (Reifungsfrass)
Biologie
– Käfer 3– 5 mm lang – Flug im April/Mai – 1 Generation – Reifungsfrass in grünen Trieben der Krone – überwintert in der Streu/abgebrochenen Trieben – selten auch an Fichte/Lärche
Bedeutung
– befällt frisch abgestorbene und leicht geschwächte Bäume, v. a. im Kronenbereich – starker Reifungsfrass an den Triebspitzen kann Bäume schwächen und zu Verlichtung führen
Grosser Waldgärtner (Tomicus piniperda)
Befallsbild
– längsgerichteter Muttergang mit Harzkrusten, am liegenden Stamm mit Anfangskrümmung – lange, unregelmässige Larvengänge – Einbohrloch oft mit Harztrichter – braune Triebspitzen in der Krone und am Boden (Reifungsfrass)
Biologie
– Käfer 3,5 – 5 mm lang – Flug im März/April – 1 Generation – Reifungsfrass in grünen Trieben der Krone – überwintert meist am Stammfuss, selten in der Bodenstreu – selten an anderen Nadelhölzern
Bedeutung
– befällt frisch abgestorbene und stark geschwächte Bäume – starker Reifungsfrass an den Triebspitzen kann Bäume schwächen und verlichten
Zwölfzähniger Föhrenborkenkäfer (Ips sexdentatus)
Brutbild – längsgezogener 2–5-armiger Sterngang, bis 100 cm lang
Biologie
– Käfer 5,5 – 8 mm lang – Flug im April/Mai und Juni/August – 1 Generation (im Süden 2) – überwintert in Kronenästen und im Brutbild – selten an anderen Nadelhölzern
Bedeutung – in dicker Rinde abgestorbener oder absterbender Bäume
Arve
Kleiner Arvenborkenkäfer (Pityogenes conjunctus)
Brutbild – 3– 5-armiger Sterngang, oft geschwungene Muttergänge, bis 11 cm lang – lange und kurze, geschlängelte und bogige Larvengänge
Biologie – Käfer 2–3 mm lang – Flug bis in den Sommer – meist 1 Generation – in dünnen Ästen und Stämmen – überwintert als Jungkäfer im Brutbild – auch an Bergföhre und Fichte
Bedeutung
– meist Einzelbaumbefall, mögliche Schäden an Jungpflanzen
Lärche
Kleiner Buchdrucker (Ips amitinus)
Brutbild – 3–7-armige Längs- oder Sterngänge, oft gebogen, Splint tiefer schürfend als beim Buchdrucker – Larvengänge in grösserem, unregelmässigerem Abstand als beim Buchdrucker
Biologie – Käfer 3,5–4,5 mm lang – Flug im Mai–Juli – meist 1 Generation – überwintert in Brutbild oder Bodenstreu – befällt auch Fichte und Bergföhre
Bedeutung – meist an frisch abgestorbenen oder geschwächten Bäumen
Grosser Lärchenborkenkäfer (Ips cembrae)
Brutbild – 2– 4-armige Sterngänge, zahlreiche gerade Larvengänge
Biologie – Käfer 5– 6 mm lang – Flug im April/Mai und Juli/August – 1– 3 Generationen – überwintert im Stamm oder in Streu – auch an Arve
Bedeutung – in frisch abgestorbenen Bäumen – nach Trockenheit auch in geschwächten Bäumen jeden Alters
Buche
Esche
Kleiner Buchenborkenkäfer (Taphrorychus bicolor)
Brutbild – unregelmässiges, sternähnliches Brutbild mit 5– 8 Muttergängen und überkreuzenden Larvengängen
Biologie – Käfer 1,5 –2,5 mm lang – Flug im März und Mai/Juni – 1– 2 Generationen – überwintert im Brutbild – auch an Hagebuche und Eiche
Bedeutung – in absterbenden Ästen und gefällten Stämmen
Kleiner Bunter Eschenbastkäfer (Hylesinus varius)
Brutbild – doppelarmiger, querliegender Muttergang – helles (!) Bohrmehl auf Rinde
Biologie – Käfer 2,5 –3,5 mm lang – Flug im März–Mai – 1 Generation – überwintert in der Rinde – selten an anderen Laubbäumen
Bedeutung – fast nur an abgestorbenen Stämmen – selten an geschwächten Bäumen – Nutzniesser des Eschentriebsterbens
Bilder: B. Wermelinger, ausser Kleiner Buchdrucker: Waldschutz Schweiz WSL
Dr. Beat Wermelinger forscht und lehrt an der WSL und ETH zu verschiedensten Aspekten von Waldinsekten.
Natürliche Feinde von Borkenkäfern
Gegen 300 verschiedene Arten, vor allem räuberische Käfer und parasitische Wespen, sind als natürliche Feinde des Buchdruckers bekannt. Die meisten leben – wie ihre Beute – unauffällig unter der Baumrinde und ernähren sich dort von Borkenkäferbrut. Sie spielen bei der Regulation von Borkenkäfern eine wichtige Rolle.
Dr. Beat WermelingerRäuberische Insekten und Milben
Räuberische Insekten werden durch Duftstoffe, die von Bäumen und Borkenkäfern produziert werden, an frisch von Borkenkäfern befallene Bäume gelockt. Die Räuber gelangen deshalb etwa gleichzeitig wie die Borkenkäfer dorthin, und somit stehen den räuberischen Larven schon von Anfang an Eier und junge Larven von Borkenkäfern als Nahrung zur Verfügung. Die wichtigsten Räuber in den Borkenkäfer-Brutbildern finden sich bei den Käfern und Fliegen sowie den Milben. Die auffälligste der fast 70 räuberischen Käferarten ist zweifellos der charakteristisch gefärbte Ameisenbuntkäfer (Thanasimus formicarius; Abb. 1). Er ernährt sich sowohl als adulter Käfer als auch als Larve von verschiedenen Borkenkäferarten, vorwiegend auf Nadelbäumen. Der erwach-
sene Käfer überwältigt adulte Borkenkäfer auf der Rindenoberfläche, wo er auch seine Eier ablegt. Die geschlüpften Larven dringen in die Borkenkäfergänge ein und fressen dort je nach ihrer Grösse Eier, Larven oder Puppen der Beutetiere. Eine Ameisenbuntkäferlarve verzehrt während ihrer Entwicklung etwa 50 Beutetiere, ein adulter Käfer bis zu fünf Borkenkäfer pro Tag. Die Käfer können über ein halbes Jahr alt werden.
Der kleine (4–6 mm), sehr lang gestreckte Jagdkäfer Nemozoma elongatum ist als Gegenspieler von 16 Borkenkäferarten in Nadel- und Laubbäumen bekannt und gelegentlich auch in Borkenkäfer-Pheromonfallen zu finden. Besonders wichtig ist er als Antagonist des Kleinen Buchenborkenkäfers (Taphrorychus bicolor) sowie des Kupferstechers (Pityogenes chalcographus). Der Räuber
frisst in den Käfergängen die eingebohrten Borkenkäfer, während seine Larven ins Brutsystem eindringen und dort während ihrer Entwicklung 30–50 Larven, Puppen oder Jungkäfer fressen. Daneben gibt es zahlreiche weitere Käferarten, die sich von Borkenkäfern ernähren. Sehr häufig sind die Rindenglanzkäfer der Gattung Rhizophagus, rund 4 mm grosse, unscheinbar braun gefärbte Käfer. Sie ernähren sich von Eiern oder Larven von Borkenkäfern und anderen Insekten unter der Rinde. Auch einige Kurzflüglerarten wie Nudobius lentus sind häufige Borkenkäferräuber. Unter den Fliegen gibt es über 30 Arten, deren Larven sich räuberisch von Borkenkäferbrut ernähren. In erster Linie sind es Langbeinfliegen der Gattung Medetera. Sie gehören zu den ersten Antagonisten, die bei einem frisch befallenen Käferbaum eintreffen. Die unscheinbaren Fliegen paaren sich auf der Rindenoberfläche und jedes Weibchen legt anschliessend bis zu 120 Eier in Rindenritzen und unter Rindenschuppen in der Nähe der Einbohrlöcher der Borkenkäfer, vorzugsweise an stehenden Bäumen. Die Larven verzehren während ihrer Entwicklung je nach Grösse der Beuteart 5 bis 20 Larven (Abb. 2). Die ökologische Bedeutung der Langbeinfliegen wird sehr hoch eingestuft. Sie sind sowohl in Laub- als auch Nadelwäldern oftmals die häufigsten Gegenspieler
und können bis zu 90 % der Borkenkäferlarven abtöten.
Weniger auffällig sind die zu den Spinnentieren gehörenden Raubmilben. Die Mehrzahl der in den Käferbrutbildern lebenden Milben ernährt sich allerdings von Pilzen oder Nematoden. Einige wenige Arten leben aber räuberisch von Borkenkäfern und saugen deren Eier, Larven und Puppen aus. Die Bedeutung von Milben bei der Regulation von Borkenkäfern wird wohl stark unterschätzt. Bei Borkenkäfereiern wurden schon Absterberaten von bis zu 90 % beobachtet.
Parasitische Wespen
Über 150 Schlupfwespenarten (auch Parasitoide genannt) sind als Borkenkäferfeinde bekannt. Die meisten leben ektoparasitisch (nicht im, sondern am Wirt) an Larven oder Puppen von Borkenkäfern und töten während ihrer Entwicklung den Wirt ab. Die Mehrzahl dieser kleinen Wespen stechen für die Parasitierung ihren Ablagestachel durch die Rinde, sie bevorzugen deshalb die dünnere Rinde im oberen Stammbereich. Einige wenige Arten schlüpfen aber auch durch die Einbohrlöcher der Borkenkäfer und parasitieren die Larven von den Muttergängen aus. Die parasitischen Wespenlarven fressen den Körperinhalt ihrer Wirte auf und lassen nur Haut und Kopfkapsel zurück. Ganz wenige Schlupfwespen parasitieren die ausgewachsenen Borkenkäfer auf der Rindenoberfläche, indem sie durch den Käferpanzer hindurch ein Ei ins Innere ablegen. Die Wespenlarve höhlt anschliessend den ganzen Körper aus und verlässt ihn durch ein selbst genagtes Loch am Körperende des Käfers.
Parasitische Wespen reagieren bei ihrer Suche nach geeigneten Wirten auf flüchtige Substanzen, die in den Borkenkäfergängen von Pilzen und Mikroorganismen produziert werden. Auf diese Weise treffen die Parasitoiden erst dann am Käferbaum ein, wenn ihre Wirte im richtigen Stadium, also vor allem als ältere Larven oder Puppen vor-
Abb. 3: Die gut erkenntliche Brackwespe Coeloides bostrichorum kommt vor allem in tieferen Lagen vor. Typisch sind auch ihre Puppenkokons in den Puppenwiegen der abgetöteten Borkenkäfer.
handen sind. Mit ihrem Legestachel lokalisieren sie anhand von kleinsten Unterschieden in der Duftstoffkonzentration die darunterliegenden Larven und belegen sie mit einem Ei. Wichtige Schlupfwespen sind die Brackwespen mit rund 60 Borkenkäfer-Gegenspielern. Eine der häufigsten Arten, die 3–5 mm grosse Coeloides bostrichorum, befällt Borkenkäfer auf verschiedenen Nadelhölzern, bevorzugt in tieferen Lagen. Ihr Eiablagestachel ist mit fünf Millimetern einer der längsten aller Borkenkäfer-Parasitoiden. Sie ist leicht an ihrem orange gefärbten Hinterleib und dem orange-schwarzen Kopf zu erkennen, ihre Larven verpuppen sich in typischen Kokons in den Käfer-Puppenwiegen am Ende der Larvengänge (Abb. 3).
Eine andere wichtige Familie von Schlupfwespen sind die Pteromaliden (ohne deutschen Namen). Rund 35 Arten davon parasitieren Borkenkäfer, meist im Larvenstadium. Eine der häufigsten Arten (Roptrocerus xylophagorum) parasitiert die Wirtslarven, indem die Wespe durch die Einbohrlöcher der Borkenkäfer schlüpft und von den Muttergängen aus die Larven parasitiert.
Pilze
Borkenkäfer werden auch häufig von pathogenen Pilzen befallen. Die Pilzsporen keimen auf der Kör-
perhülle des Käfers und das Pilzgeflecht wächst durch den Insektenpanzer ins Innere und breitet sich im ganzen Körper aus. Am Ende dringt es wieder nach aussen und überwuchert den ganzen Körper (Abb. 4). Die Infektionsraten können vor allem gegen Ende einer Massenvermehrung bis zu 90 % betragen.
Spechte Auch Spechte spielen eine gewisse Rolle als Antagonisten von Borkenkäfern. Sie hacken Larven, Puppen und Jungkäfer aus der Baumrinde heraus. Zudem fallen Rindenplatten mit der darunterliegenden Borkenkäferbrut zu Boden, wo die Borkenkäferbrut entweder vertrocknet, von Vögeln aufgepickt oder von räuberischen Insekten und Kleinsäugern gefressen wird. Die unter der von Spechten durchlöcherten Rinde am Baum verbleibende Brut trocknet zudem schneller aus oder stirbt wegen extremen Temperaturwechseln eher ab. In europäischen Fichtenwäldern ist der Dreizehenspecht ein wichtiger natürlicher Feind (Abb. 5). Er löst befallene Rindenstücke vom Stamm und achtet darauf, dass diese nicht hinunterfallen und die Larven verschütten. Dann pickt er die nun freiliegenden Larven heraus. Magenuntersuchungen haben gezeigt, dass ein Dreizehenspecht pro Wintertag über 3000 Käferlarven vertilgt. Ein über
Abb. 4: Oft finden sich in den Brutbildern des Buchdruckers vom Pilz Beauveria bassiana befallene Käfer.
längere Zeit anhaltender, grossflächiger Befall kann zu einer Zunahme der Spechtpopulation führen. Entsprechend können Spechte einen erheblichen Einfluss auf die Borkenkäferpopulationen haben, vor allem in hohen Lagen mit nur einer Käfergeneration.
Bedeutung von natürlichen Feinden
Obwohl Spechte die auffälligsten Gegenspieler von Borkenkäfern sind und viele Käfer vertilgen, wird ihnen im Allgemeinen keine entscheidende Rolle bei der Regulation von Borkenkäfer-Massenvermehrungen zugeschrieben. Dazu ist die Vermehrungsrate der Spechte zu gering und kann auch bei üppigem Beuteangebot kaum gesteigert werden. Zudem sind die Brut- und Schlafplätze der Spechte in einem Wald infolge Territorialität begrenzt. Die grösste Bedeutung entfalten Spechte bei tiefer Käferpopulationsdichte, indem sie den Beginn von Borkenkäferausbrüchen verzögern.
Die Wirkung räuberischer Insekten und Milben ist bedeutend und wird höher als diejenige von Parasitoiden eingeschätzt. Räuber können sich auch von alternativer Beute ernähren, weshalb immer eine gewisse Grunddichte von räuberischen Insekten vorhanden ist, die im Falle einer Borkenkäfer-Massenvermehrung schnell reagieren können.
Abb. 5: Der Dreizehenspecht (hier ein Männchen) ernährt sich zu einem grossen Teil von Borkenkäfern.
Die Wirkung von Parasitoiden kann aber lokal ebenfalls extrem hoch sein.
Die Gesamtwirkung aller antagonistischen Organismen hängt von zahlreichen Faktoren ab: Witterung, Zeitpunkt innerhalb einer Massenvermehrung, Wechselwirkungen innerhalb von Antagonisten (Spechte und räuberische Insekten fressen auch andere räuberische oder parasitische Arten), Jahreszeit, lokale Besonderheiten und nicht zuletzt die Bekämpfungsmassnahmen des Menschen. Der wichtigste Effekt natürlicher Feinde ist, dass sie in «normalen» Phasen verhindern, dass die Borkenkäferpopulationen eine Grösse erreichen können, die es ihnen erlaubt, auch vitale Bäume zu befallen. Erst ein Sturm oder eine grossflächige Schwächung von Bäumen führen dazu, dass sich die Borkenkäfer so stark vermehren können, dass genügend Käfer dem Tod durch natürliche Feinde entgehen, um vitale Fichten besiedeln zu können.
Dieser Artikel ist eine Kurzfassung des WSL-Merkblatts für die Praxis Nr. 67, das unter www.wsl.ch/merkblatt heruntergeladen oder bestellt werden kann. Im Merkblatt sind auch die wichtigsten Antagonisten als Larven und Adulttiere abgebildet.
Dr. Beat Wermelinger forscht und lehrt an der WSL und ETH zu verschiedensten Aspekten von Waldinsekten.
Laubholzborkenkäfer als Überträger und Profiteure von Pilzkrankheiten
Das Eschentriebsterben und die Ulmenwelke sind Beispiele für die verheerenden Folgen der Einschleppung gebietsfremder Krankheitserreger. Bei beiden Pilzkrankheiten profitieren rindenbrütende Laubholzborkenkäfer von der Schwächung der Wirtsbäume. Da die Käfer normalerweise nur vorgeschwächte Bäume besiedeln können, führt die flächige Verbreitung der beiden Krankheiten zu einem erhöhten Brutraumangebot. Dieses kann sich positiv auf die Entwicklung der Populationsgrösse auswirken und in der Folge den Befallsdruck der Käfer auf die verbleibenden Baumbestände weiter erhöhen. Bei der Ulmenwelke übernehmen die Ulmensplintkäfer zudem die Übertragung des Pilzes, indem die Jungkäfer bei ihrem Reifungsfrass gesunde Ulmen mit den Sporen des Erregers infizieren.
Dr. Simon BlaserEschenbastkäfer und Eschentriebsterben Verursacht durch den aus Ostasien eingeschleppten Pilz Hymenoscyphus fraxineus, hat sich das Eschentriebsterben seit den 1990er-Jahren in Europa epidemisch ausgebreitet und einen Grossteil der Eschen geschwächt oder zum Absterben gebracht. In der Schweiz wurde die Baumkrankheit zum ersten Mal 2008 im Grossraum Basel festgestellt, sie erreichte 2013 das Bündner Rheintal und ab 2014 auch die restlichen Regionen des Kantons Graubünden. Der Erreger gilt in seinem Ursprungsgebiet als harmloser Blattpilz auf den dort heimischen Eschenarten. In Europa zählen die Gemeine und die Schmalblättrige Esche zu den Hauptwirtspflanzen, die beide durch diesen Pilz schwer erkranken. Die Verbreitung erfolgt im Sommer über Sporen der becherförmigen Pilzfruchtkörper, welche sich am Boden auf Blattspindeln infizierter Eschenblätter des Vorjahres entwickeln. Mit dem Wind können die Sporen Distanzen von bis zu 75 km überwinden und gesunde Eschenblätter befallen. Von den Blattspindeln ausgehend dringt der Pilz in die Triebe ein und zerstört dabei das Wachstums- und Transportgewebe. Als Folge sterben die Triebe oberhalb der Befallsstelle ab. Über die Triebinfektionen kann
der Pilz grössere Äste oder bei jungen Bäumen auch den Stamm befallen. Neben der Infektion über die Blätter dringen die Pilzsporen teilweise auch direkt an der Stammbasis in die Rinde ein.
Bei jungen Bäumen schreitet der Krankheitsverlauf rasch voran, da die Zerstörung des Wachstumsund Transportgewebes sehr schnell den Stamm umfasst und so die Eschen in wenigen Jahren zum Absterben bringt. Bei Alteschen ist der Krankheitsverlauf insgesamt langsamer aufgrund der grösseren Durchmesser von Stamm und Trieben. Zu den
Abb. 1: Durch das Eschentriebsterben verursachte Kronenverlichtung. (Bild: V. Queloz, WSL)
Abb.
Abb. 3:
(Bild: B. Wermelinger, WSL)
Hauptsymptomen des Eschentriebsterbens zählen Blattflecken, welkende Blätter an Haupt- und Seitentrieben, eingesunkene und verfärbte Rindennekrosen und Kronenverlichtungen (Abb. 1). Bis heute ist keine praxistaugliche Bekämpfung des Eschentriebsterbens bekannt. Allerdings gibt es auch in der Schweiz vereinzelt Eschen, welche keine oder nur sehr schwache Symptome zeigen und so die Grundlage für Konservations- und Züchtungsprogramme von toleranten Eschen bilden könnten. Durch das verbreitete Eschentriebsterben können die Eschenbastkäfer stark von der eingeschleppten Pilzkrankheit profitieren. In der Schweiz kennt man den Kleinen Bunten Eschenbastkäfer (Hylesinus varius), den Kleinen Schwarzen Eschenbastkäfer (Hylesinus toranio) sowie den Grossen Schwarzen Eschenbastkäfer (Hylesinus crenatus). Als häufigster gilt der Erstgenannte, welcher auch im Kanton Graubünden regelmässig beobachtet werden kann. Der Kleine Bunte Eschenbastkäfer erreicht eine Länge von 2,5 bis 3,5 mm und ist rotbraun bis dunkelbraun beschuppt mit marmorierten Zeichnungen auf den Flügeldecken (Abb. 2). Neben Esche zählen gelegentlich auch Ahorn, Birne, Eiche, Hasel, Hagebuche oder Nussbaum zu den Wirtsbäumen. Der Käfer befällt einerseits geschlagene Stämme und Scheitholz, kann aber auch lebende, vorgeschwächte Bäume angehen. Altbäume werden dabei bevor-
(Bild: S. Blaser, WSL)
zugt im Kronenbereich besiedelt, von wo sich der Befall stammabwärts ausbreitet. Jungbäume mit einem Durchmesser von weniger als 3 bis 5 cm werden nicht angegangen.
Der Kleine Eschenbastkäfer ist ein Frühschwärmer und fliegt zwischen März und Mai. Pro Jahr wird nur eine Generation angelegt, zusätzlich können noch Geschwisterbruten erzeugt werden, welche die Besiedlungsdichte in den Brutbäumen weiter erhöhen. Die Eiablage der begatteten Weibchen erfolgt in 6 bis 10 cm langen, rechtwinklig zur Stammachse verlaufenden Klammergängen (Abb. 3). Die daraus geschlüpften Larven fressen bis zu 4 cm lange, in Faserrichtung verlaufende Larvengänge, bevor sie sich in Puppenwiegen im Splintholz verpuppen (Abb. 3). Ab Anfang Juli vollziehen die geschlüpften Jungkäfer einen Reifungsfrass in der grünen Rinde von Ästen und Stämmchen jüngerer Bäume, wo sie auch überwintern.
Durch die Anlage der Muttergänge sowie dem anschliessenden Larvenfrass werden Kambium und Bastgewebe zerstört. Umfasst das Brutbild den ganzen Stamm- oder Triebumfang noch lebender Bäume, so führt dies zum Absterben der betroffenen Organe. Bei wiederholtem Reifungsfrass der Jungkäfer oder Regenerationsfrass der Altkäfer an denselben Stellen können zudem Rindenwucherungen ausgelöst werden, welche zur Schwächung der
Abb. 4: Rindenwucherungen nach Reifungs- oder Regenerationsfrass des Kleinen Bunten Eschenbastkäfers.
(Bild: Waldschutz Schweiz, WSL)
Bäume beitragen (Abb. 4). Als frühes Befallsmerkmal gilt der Ausstoss von hellem Bohrmehl, später kommen auch Rindenrisse sowie Spechtabschläge dazu. Da der Bunte Eschenbastkäfer grundsätzlich nur geschwächte Bäume befällt, sind normalerweise keine Bekämpfungsmassnahmen nötig. Um den Befallsdruck zu senken, können befallenen Bäume zwischen Mai und Juni vor dem Ausflug der Jungkäfer entfernt und abtransportiert werden. Es wird zudem empfohlen, Eschenbrennholz nicht in der Nähe von Eschenbeständen zu lagern.
Ulmensplintkäfer und Ulmenwelke
Bei der durch die zwei nahe verwandten Schlauchpilzarten Ophiostoma ulmi und Ophiostoma novoulmi hervorgerufenen Ulmenwelke ist das Ursprungsgebiet nicht abschliessend geklärt. Allerdings deutet die hohe Resistenz vieler asiatischer Ulmen darauf hin, dass die Pilze ursprünglich wahrscheinlich aus Asien stammen. Nach der Einschleppung von O. ulmi kam es in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer ersten Ausbreitungswelle. Mit dem Auftreten von O. novoulmi zu Beginn der 1970er-Jahre hat sich die Ulmenwelke erneut epidemisch in Europa ausgebreitet und richtet seit ca. 1975 auch in der Schweiz grosse Schäden an. Da die betroffenen Bäume normalerweise relativ
Abb. 5: Durch die Ulmenwelke verursachtes Welken von infizierten Trieben. (Bild: V. Queloz, WSL)
rasch absterben, sind die meisten Ulmen-Altbäume in der Schweiz bereits verschwunden, davon betroffen sind auch zahlreiche Ulmenbestände im Kanton Graubünden. Die lange als natürliche Barriere für die Ausbreitung der Ulmenwelke geltende Viamala-Schlucht wurde in den letzten Jahren ebenfalls überwunden, die Pilzkrankheit ist heute auch im Schams vorhanden. Betroffen von der Welkekrankheit sind alle drei heimischen Ulmenarten (Berg-, Feld- sowie Flatterulme). An den infizierten Bäumen verursachen die Pilzerreger eine Verstopfung der wasserleitenden Gefässe. Als Folge welken und verfärben sich die Blätter (Abb. 5), die betroffenen Triebe sterben anschliessend ab. Häufig kommt es am Hauptstamm von teilweise abgestorbenen Ulmen zur Bildung von Wasserreisern. Die befallenen Ulmen können bereits innerhalb einer Vegetationsperiode ganz absterben, der Verlauf kann sich aber auch über mehrere Jahre hinziehen. Wie auch beim Eschentriebsterben liegt für die Ulmenwelke keine direkte Bekämpfungsmethode vor. Neben der Weitergabe über Wurzelverwachsungen erfolgt die Übertragung der Ulmenwelke-Erreger durch verschiedene Borkenkäferarten, in der Schweiz vorwiegend durch den Kleinen und Grossen Ulmensplintkäfer (Scolytus multistriatus und
Abb. 6: Adulter Kleiner Ulmensplintkäfer. (Bild: Waldentomologie, WSL)
S. scolytus). Für die Ulmensplintkäfer, welche hauptsächlich vorgeschwächte Ulmen befallen, stellen die durch die Ulmenwelke absterbenden Bäume eine ideale Brutstätte dar. Der Kleine Ulmensplintkäfer (Abb. 6) hat eine Grösse von 2 bis 3,8 mm und besiedelt vorwiegend dünnere Stämme sowie Äste, der Grosse Ulmensplintkäfer dagegen misst 3 bis 5 mm und brütet in eher dickrindigen Stämmen. Da es heute fast keine alten, dickrindigen Ulmen mehr gibt, ist der Grosse Ulmensplintkäfer in der Schweiz allerdings selten geworden. Beide Käferarten legen jährlich normalerweise zwei Generationen an, die Hauptflugzeiten liegen zwischen April und Juni sowie Juli und August. Das Brutbild besteht aus einem in Faserrichtung verlaufenden Muttergang und seitlich abgehenden, strahligen Larvengängen mit Puppenwiegen (Abb. 7). Bei dünner Rinde kann das Brutbild den Splint stark schürfen. Da in einem von der Ulmenwelke befallenen Baum sowohl die Larvengänge als auch die Puppenwiegen vom Pilzerreger besiedelt sind, werden die ausschwärmenden Jungkäfer mit klebrigen Sporen beladen. Beim anschliessenden Reifungsfrass an jungen Zweigen oder Blattachseln kann die Pilzkrankheit auf gesunde Ulmen übertragen werden. In seltenen Fällen brüten die Ulmensplintkäfer auch an anderen Wirtsbäumen als der Ulme. Kommt es dabei zur Übertragung von
Abb. 7: Adulter Kleiner Ulmensplintkäfer im Brutbild. (Bild: Waldschutz Schweiz, WSL)
Pilzsporen, so verursacht der Pilz allerdings keine erkennbaren Schäden und stirbt ab. Um den Befallsdruck zu reduzieren und die Übertragung der Ulmenwelke auf weitere Bäume zu verhindern, sollen von Ulmensplintkäfer befallene Stämme oder Äste rechtzeitig vor Ausflug der neuen Generation aus dem Wald entfernt werden.
Dr. Simon Blaser arbeitet als Entomologe an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in der Gruppe Waldschutz Schweiz und beschäftigt sich dabei insbesondere mit Fragestellungen zu Schadinsekten im Wald.
Literatur Nierhaus-Wunderwald, D.; Engesser, R., 2003: Ulmenwelke. Biologie, Vorbeugung und Gegenmassnahmen. Merkblatt für die Praxis: Vol. 20, 2. überarbeitete Auflage. Birmensdorf: Eidg. Forschungsanstalt WSL. Rigling, D.; Hilfiker, S.; Schöbel, C.; Meier, F.; Engesser, R.; Scheidegger, C.; Stofer, S.; Senn-Irlet, B.; Queloz, V., 2016: Das Eschentriebsterben. Biologie, Krankheitssymptome und Handlungsempfehlungen. Merkblatt für die Praxis: Vol. 57. Birmensdorf: Eidg. Forschungsanstalt WSL. Schwenke, W., 1974: Die Forstschädlinge Europas: Käfer. Vol. 2. P. München: P. Parey.
Der Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer im Klimawandel
Der auch im Kanton Graubünden einheimische Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer (Pityokteines curvidens) gilt als forstwirtschaftlich bedeutendster Weisstannenborkenkäfer. Sein Verbreitungsgebiet überlagert sich in Europa weitgehend mit demjenigen der Weisstanne. Während trockenheissen Jahren neigt der Käfer zu Massenvermehrungen, insbesondere betroffen sind dabei geschwächte Weisstannen an Standorten ausserhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets. Gemäss Prognosen wird der Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer von den Folgen des Klimawandels profitieren. Einerseits könnte die erwartete Temperaturerhöhung in den nächsten Jahrzehnten vermehrt zur Anlage einer zusätzlichen Käfergeneration pro Jahr führen. Da zudem auch eine Zunahme von Trockenheitsereignissen erwartet wird, könnte sich langfristig auch das Brutraumangebot erhöhen, was das Auftreten von Massenvermehrungen zusätzlich begünstigen würde.
Dr. Simon BlaserBiologie
Der Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer hat eine Länge von ca. 2,5 bis 3 Millimeter, Männchen und Weibchen sind dabei ungefähr gleich gross (Abb. 1). Als wichtiges Erkennungsmerkmal gilt die charakteristische, hakenartige Ausbildung der zahnähnlichen Fortsätze des sogenannten Flügeldeckenabsturzes, dem Hinterende der Deckflügel. Diese Fortsätze sind bei den Männchen stärker
Abb. 2: Flügeldeckenabsturz (Hinterende der Deckflügel) eines Männchens des Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfers. (Bild: Pest and Diseases Image Library, Bugwood.org, CC BY-NC 3.0 US).
ausgeprägt als bei den Weibchen. Insbesondere der oberste, senkrecht nach oben gebogene Zahn sowie der zweitoberste, hakenförmig nach innen gebogene Zahn gelten als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu anderen Tannenborkenkäferarten (Abb. 2).
Abb. 3: Brutbild des Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfers in der Rinde mit klammerförmigen, horizontalverlaufenden Muttergängen sowie vertikal verlaufenden Larvengängen. (Bild: Waldschutz Schweiz)
Das Wirtsbaumspektrum umfasst neben Weisstanne in seltenen Fällen auch Fichte, Föhre, Douglasie, Lärche oder Zeder. Nachdem die Männchen erfolgreich ein Einbohrloch durch die Rinde gebohrt haben, findet in der sogenannten Rammelkammer die Begattung statt. Anschliessend legt das Weibchen nach links und nach rechts je einen Muttergang an, in welchem die Eier abgelegt werden. Häufig bohrt ein zweites Weibchen vom gleichen Einbohrloch aus einen zusätzlichen, zweiarmigen Muttergang. Dieser Vorgang führt schliesslich zu dem arttypischen, doppelklammerförmigen Brutbild («liegendes H»; Abb. 3). Nach dem Schlupf fressen die Larven geschlängelte und parallel zur Faserrichtung des Holzes verlaufende Larvengänge und durchlaufen drei Larvenstadien. Die Verpuppung erfolgt in Puppenwiegen, welche meist im Splintholz angelegt werden. Anschliessend an die Verpuppung vollziehen die Jungkäfer einen Reifungsfrass, bevor sie als erwachsene Käfer ausschwärmen.
Der Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer gilt als Frühschwärmer, als Hauptflugzeiten gelten März/ April sowie Juli. In Tieflagen werden normalerweise jährlich zwei Generationen angelegt, bei günstigen Bedingungen kann es in seltenen Fällen sogar zu einer dritten Generation kommen. In Hochlagen dagegen wird nur eine Generation pro Jahr angelegt. Nach einem Regenerationsfrass können die Altkäfer zudem eine zusätzliche Geschwisterbrut erzeugen. Die Überwinterung erfolgt im Brutbild oder in kurzen Überwinterungsgängen in der Rinde.
Befallsmerkmale und Bekämpfung
Der Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer befällt hauptsächlich geschwächte oder absterbende Weisstannen höherer Altersklassen. Ungünstige Witterungseinflüsse wie Trockenheiten, Schwächungen durch andere Insektenarten sowie ein ungeeigneter Standort ausserhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der Weisstanne können zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber diesem Tannenborkenkäfer führen und dadurch Massenvermehrungen mit Primärbefall von gesunden Bäumen begünstigen. Bei Primärbefall werden häufig zuerst die Wipfelpartien besiedelt, von wo sich der Befall anschliessend stammabwärts ausbreitet. Zu den Befallsmerkmalen zählen Harzfluss sowie braunes, ausgeworfenes Bohrmehl. Der Bohrmehlauswurf ist allerdings deutlich schwächer als beim Buchdrucker (Ips typographus) und nur bei genauer Untersuchung (z. B. hinter Borkenschuppen) sichtbar. Weitere Befallshinweise stellen Spechtabschläge von Rindenschuppen sowie Nadelverfärbungen dar (Abb. 4). Bohren sich die Käfer im Herbst zur Überwinterung in die Rinde von vitalen Weisstannen ein, so sind diese durch farblosen, perlschnurförmigen Harzfluss deutlich erkennbar. Als wichtigste Bekämpfungsmassnahme gilt die rechtzeitige Befallsherdsanierung. Im Winter muss diese bis Mitte März, vor Beginn der Schwärmflüge erfolgen. Während der Flugsaison und insbesondere nach Sturm und Schneebruch sowie Trocken-
Abb. 4: Weisstanne mit Nadelverrötung nach einem Befall durch den Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfer.
(Bild: Waldschutz Schweiz)
heitsperioden sind intensive Kontrollen gefährdeter Bestände nötig, damit die Weisstannen bei Frischbefall rechtzeitig entfernt oder entrindet werden können. Werden die Bäume entrindet, so muss darauf geachtet werden, dass sich die Larven nicht bereits zur Verpuppung in den Splint eingebohrt haben. Geschützt in Puppenwiegen im Splint können sich die Käfer ansonsten trotz der Entrindung fertig entwickeln und ausschwärmen. Räumung von Sturm- und Schneebruchschäden, vorsorgliche Entfernung von besonders geschwächten Bäumen, bestandesschonende Ernte- und Pflegeverfahren sowie standortgerechte Verjüngung gelten zudem als präventive waldbauliche Massnahmen.
Schadpotenzial
Massenvermehrungen des Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfers sind in der Vergangenheit meistens im Zusammenhang mit vorausgehenden Trockenheitsperioden beobachtet worden. So
sind beispielsweise in den zwei Folgejahren nach dem sehr heissen und trockenen Sommer 1947 schweizweit über 200 000 m³ Tannenholz durch den Käfer befallen worden. Betroffen waren damals hauptsächlich Standorte im Mittelland und Jura, ausserhalb des optimalen Verbreitungsgebiets der Tanne. Eine weitere Massenvermehrung konnte als Folge des Hitzesommers 2003 beobachtet werden und verursachte schweizweit vermutlich mehr als 100 000 m³ Käferholz. Neben dem Mittelland und dem Jura waren damals auch das Wallis sowie Föhntäler der Voralpen betroffen. Eine Übervermehrung wurde schliesslich ebenfalls als Folge der Jahrhunderttrockenheit 2018 festgestellt, als der Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer zusammen mit dem Buchdrucker vermutlich gegen 2 Mio. m³ Käferholz (alle Nadelbaumarten) verursachte. Erneut waren Standorte im Mittelland und entlang des Juras betroffen, Ausfälle gab es aber ebenfalls in Beständen mit besserer Wasserversorgung. Nach einer ausserordentlich langen Trockenheitsperiode zwischen 2003 und 2006 war auch Graubünden von Ausbrüchen des Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfers betroffen. Bereits 2006 kam es im ganzen Rheintal zu Befällen und im nachfolgenden Frühling wurde auch im übrigen Kantonsgebiet ein starker Anstieg der Befallsmeldungen festgestellt.
Auswirkungen des Klimawandels
Das Wetter, welches in der Schweiz seit über 150 Jahren systematisch beobachtet wird, unterliegt grossen natürlichen Schwankungen. Allerdings gibt es Veränderungen, welche sich nur durch die steigenden Treibhausgasemissionen seit Beginn der Industrialisierung erklären lassen. So hat sich im Kanton Graubünden die Jahresdurchschnittstemperatur seit 1865 um ca. 1,8 °C erhöht, wobei die Zunahme grösstenteils in den letzten Jahrzehnten erfolgte. Nimmt der weltweite Treibhausgasausstoss weiter zu, so wird erwartet, dass sich die Temperatur im Kanton bis 2060 um weitere knapp 3 °C
Abb. 5: Meldedaten von Waldschutz Schweiz zum Auftreten des Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfers in der Schweiz seit 1985. (Diagramm: Waldschutz Schweiz)
erhöhen wird. Daneben wird der Kanton Graubünden und die restliche Schweiz gemäss Klimaszenarien in Zukunft unter anderem ebenfalls vermehrt von trockeneren Sommern, mehr Hitzetagen sowie heftigeren Niederschlägen betroffen sein. Aufgrund von Beobachtungen und Untersuchen der vergangenen Jahre ist davon auszugehen, dass Massenvermehrungen des Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfers vor allem durch Trockenheit begünstigt werden. Die Entwicklung der Käferpopulationen im Zusammenhang mit Trockenperioden widerspiegelt sich ebenfalls in der Statistik von Waldschutz Schweiz (Abb. 5). So haben die heisstrockenen Sommer der Jahre 2003 und 2018 einen deutlichen Anstieg der Meldungen mit starkem oder sehr starkem Befall verursacht (Abb. 5). Modellierungen der Waldhöhenstufen unter Berücksichtigung von Klimaszenarien zeigen, dass sich ein Grossteil der Schweizer Weisstannenbestände bereits in weniger als 50 Jahren unter suboptimalen klimatischen Standortbedingungen befinden könnte. Eingeschlossen in diese Prognosen sind ebenfalls die meisten Bestände im Bündner Rheintal. Es ist daher davon auszugehen, dass die Weisstanne in Zukunft eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber dem Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfer aufwei
sen wird. An Standorten ausserhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der Weisstanne ist die Ausbreitung des Käfers bereits heute stressbedingt begünstigt.
Neben einem grösseren Brutsubstratangebot aufgrund der vermehrt durch Trockenheit gestressten Weisstannen wird der erwartete Temperaturanstieg dazu führen, dass der Krummzähnige Weisstannenborkenkäfer im Frühjahr vermutlich bereits früher ausschwärmen wird und seine Flugperiode auch im Herbst verlängern kann. Da sich der Temperaturanstieg ebenfalls positiv auf die Entwicklungsgeschwindigkeit auswirken wird, ist davon auszugehen, dass in Zukunft vermehrt eine zusätzliche Käfergeneration pro Jahr angelegt werden kann. Somit wird der Befallsdruck auf die Weisstannenbestände weiter zunehmen.
Dr. Simon Blaser arbeitet als Entomologe an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in der Gruppe Waldschutz Schweiz und beschäftigt sich dabei insbesondere mit Fragestellungen zu Schadinsekten im Wald.
Literatur
Könz, G.; Stöckli, S.; Huber, B.; Gubelmann, P., 2020: Ausbreitung von Schadorganismen im Wald. Chur, Abenis AG. 69 S. Maksymov, J. K., 1950: Untersuchungen über den Krummzähnigen Weisstannenborkenkäfer Ips curvidens Germ. während seiner Massenvermehrung 1947–49 in der Schweiz. Mitteilungen der Schweizerischen Anstalt für das forstliche Versuchswesen, Zürich, 499 581.
NCCS 2021: Klimawandel im Kanton Graubünden – Was geschah bisher und was erwartet uns in Zukunft? (Version 1.0) National Centre for Climate Services, Zürich, 15 S. Wohlgemuth, T.; Rigling, A., 2014: Kurz und langfristige Auswirkungen des Klimas auf die Wälder im Churer Rheintal. Schlussbericht Projekt Bündner Wald im Klimawandel. WSL Bericht 17: 85 S.
Der invasive Nordische Fichten
borkenkäfer (Ips duplicatus) und seine Ausbreitung in der Schweiz
Der Nordische Fichtenborkenkäfer (Ips duplicatus) ist eine invasive Borkenkäferart, die 2019 den Weg in die Schweiz gefunden hat und sich hier nun weiter ausbreitet. Wie dies erfolgt, ist Gegenstand eines Monitorings von Waldschutz Schweiz (WSL) zusammen mit neun Kantonen.
Dr. Doris HöllingUrsprünglich ist diese boreale (nördliche), bei uns invasive Borkenkäferart in den Fichtenwäldern Nordeuropas und Asiens (Fennoskandinavien, Sibirien, Ostasien) zu Hause und gilt dort als selten und wenig bedeutender sekundärer Schädling. Im Zuge des Fichtenanbaus über ihr natürliches Verbreitungsgebiet hinaus, breitet sich dieser Käfer seit einigen Jahrzehnten nach Süden und Westen aus und wird neben Fichten auch an Föhren oder Lärchen in Ost-, Südost- und Zentraleuropa beobachtet. Neben der natürlichen Ausbreitung ist offenbar auch der Transport von berindetem Fichtenholz für die Ausbreitung dieser rindenbrütenden Borkenkäferart verantwortlich. Dies lassen Hinweise aus Baden-Württemberg vermuten, wo die Art mehrfach in der Nähe von Sägewerken gefunden wurde, die berindete Hölzer aus Tschechien verarbeiteten. Auch aus Österreich sind ähnliche Beobachtungen dokumentiert. Neben Holz, Holzerzeugnissen mit Rinde und Rinde gilt auch Verpackungsmaterial wie Paletten als Überträger.
Zum Verwechseln ähnlich
Der Nordische Fichtenborkenkäfer lässt sich auf den ersten Blick nur schwer vom weitverbreiteten Buchdrucker (Ips typographus) unterscheiden, weil sich beide Arten relativ ähnlich sehen. Meistens ist der Nordische Fichtenborkenkäfer etwas kleiner (2,8–4,5 mm) als der Buchdrucker (4,2–5,5 mm). Beide Arten sind dunkelbraun und tragen jeweils
vier Absturzzähne am Ende der Flügeldecken. Aufgrund dieser Ähnlichkeiten ist eine eindeutige Bestimmung nur mittels mikroskopischer Untersuchung möglich. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal sind die Ausformungen und Anordnung der Absturzzähne. Beim Nordischen Fichtenborkenkäfer sind der 2. und 3. Zahn an der Basis verschmolzen (s. Pfeil in Abb. 1).
Abb. 1: Beim Nordischen Fichtenborkenkäfer sind an den Flügeldecken der 2. und 3. Zahn an der Basis verschmolzen (s. Pfeil). (Bild: Doris Hölling/WSL)
Auch die Brutbilder beider Arten ähneln sich. Wer die Ausfluglöcher des Buchdruckers gut kennt, bemerkt bei einem Befall durch den Nordischen Fichtenborkenkäfer, dass dessen Ausfluglöcher zumeist deutlich kleiner sind.
Die Käfer befallen bevorzugt verstreut stehende Einzelbäume in Beständen, insbesondere wenn diese durch Trockenheit, Krankheitserreger oder andere Borkenkäfer bereits geschwächt sind, ganz selten auch gefällte oder geschnittene Stämme. Laut der Europäischen und mediterranen Pflanzenschutzorganisation (EPPO) wird der Nordische Fichtenborkenkäfer häufig in jüngeren, dünnrindigen Bäumen oder Stammteilen angetroffen, während der Buchdrucker eher ältere, dickrindige Bäume oder Stammteile bevorzugt. Beide Arten kommen
auch oft gemeinsam im selben Wirtsbaum vor, der Buchdrucker in den unteren Stammpartien, während der Nordische Fichtenborkenkäfer eher im mittleren und oberen Stamm- sowie im Kronenbereich zu finden ist. Im oberen Kronenbereich kann darüber hinaus der Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) und im dünnen Astholz der Furchenflügelige Fichtenborkenkäfer (Pityophthorus pityographus) angetroffen werden.
Auch in der Entwicklung gleichen sich der Nordische Fichtenborkenkäfer und der Buchdrucker stark. Der Schwärmflug im Frühjahr beginnt etwa gleichzeitig mit dem des Buchdruckers, manchmal auch einige Tage früher, und die Käfer durchlaufen in Abhängigkeit von den jeweiligen Witterungsbedingungen – insbesondere der Temperatur – zwei (Mitteleuropa) oder sogar drei Generationen (südl. Verbreitungsgebiete) pro Jahr. Der Vermehrungserfolg der Art ist somit grösser als in ihrem ursprünglichen nördlichen Verbreitungsgebiet. In tieferen Lagen gibt es hierzulande normalerweise zwei Generationen. Die Käfer verlassen
Abb. 4: Karte mit den jeweiligen Monitoring-Fallenstandorten in den beteiligten Kantonen und den Ips-duplicatus-Fängen von 2019–2021. Alle bisherigen Fundorte des Nordischen Fichtenborkenkäfers in der Schweiz und Liechtenstein liegen in Höhen zwischen 425 und 830 m ü. M. (Karte: Waldschutz Schweiz)
Aufgrund der grossen Verwechslungsgefahr der beiden Borkenkäferarten kann es sein, dass eine Bestimmung in der Vergangenheit nicht immer eindeutig war. Aber letztlich spielt es bei einem Befall geschwächter Fichten vielleicht keine Rolle, von welcher Borkenkäferart sie besiedelt und abgetötet werden.
Forstwirtschaftliche Bedeutung
Der Nordische Fichtenborkenkäfer befällt zwar lebende Bäume, hat aber in den Nachbarländern bisher noch eine geringere forstwirtschaftliche Bedeutung als der Buchdrucker.
Der Nordische Fichtenborkenkäfer gilt momentan (laut EPPO) als weniger aggressiv als der weitver-
breitete, einheimische Buchdrucker, er kann aber durchaus auch eine wirtschaftliche Bedeutung erlangen, wie eine im Jahr 2000 durchgeführte europaweite Umfrage zur wirtschaftlichen Bedeutung von Forstschadinsekten gezeigt hat. Dabei bezeichneten Forstentomologen aus Polen und der Slowakei die Art inzwischen als durchaus wirtschaftlich relevant. Auch in Tschechien wurden Massenvermehrungen dieser Borkenkäferart in Zusammenhang mit den extremen klimatischen Bedingungen verzeichnet.
Situation in der Schweiz
Seit 2019 ist diese invasive Borkenkäferart auch in der Schweiz zu finden. Damals konnte sie an drei
Fundorten im St. Galler Rheintal und an zwei Fallenstandorten in Liechtenstein nachgewiesen werden. Es ist möglich, dass die Art bereits vor mehreren Jahren aus den Nachbarländern eingewandert und bis 2019 unentdeckt geblieben war.
2020 startete Waldschutz Schweiz zusammen mit einigen Kantonen ein ausgeweitetes Monitoring, um festzustellen, wie sich die neue Borkenkäferart in der Schweiz weiter ausbreitet. Ausgehend von den ersten Fundorten liegen die 18 Monitoringstandorte in acht (2020) bzw. neun Kantonen (2021). Wichtig war, dass jeweils genügend leicht besonnte Fichten entlang von Transitwegen, an Waldrändern oder Lichtungen vorhanden waren und eventuell auch Buchdruckerbefall aufwiesen.
Die mit einem speziell für den Nordischen Fichtenborkenkäfer entwickelten Lockstoff bestückten Borkenkäferfallen waren zwischen Anfang April und Ende Juli aufgestellt. Die jeweiligen kantonalen Waldschutzbeauftragten, Forstämter bzw. Forstreviere übernahmen die regelmässigen Leerungen. Die morphologische Bestimmung der gefangenen Käfer erfolgte anschliessend im Labor von Waldschutz Schweiz an der WSL und wurde durch genetische Analysen (Barcoding-Technik) bestätigt.
Im Monitoring 2020 konnte der Nordische Fichtenborkenkäfer im Kanton St. Gallen an zwei weiteren Standorten in geringer Zahl nachgewiesen werden: Rorschacherberg (2 Ex.) und St. Gallen (1 Ex.).
Für die Überwachung 2021 wurden diese beiden Standorte aus dem Monitoring genommen und stattdessen ein neuer Standort im Kanton St. Gallen und ein weiterer im Kanton Thurgau ausgewählt. Die Auswertungen ergaben, dass die Borkenkäferart wiederum an einem Fallenstandort im Kanton St. Gallen in Gams mit einem Individuum nachgewiesen werden konnte.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Art sich zwar ausbreitet, aber offenbar sehr langsam und bisher nicht in grosser Anzahl. So wie es nach den Fallenfängen 2020 und 2021 ausschaut, dehnt sich der Nordi-
sche Fichtenborkenkäfer in der Schweiz ausgehend von den Funden 2019 geringfügig nach Norden und Westen aus (s. Abb. 4). An den südlich gelegenen Fallenstandorten, fünf davon in Graubünden, konnten in beiden Monitoringjahren keine Käfer festgestellt werden. Auch die Fallenstandorte weiter im Westen blieben bis jetzt jeweils ohne Nachweis. Waldschutz Schweiz führt dieses Monitoring mit leicht angepassten Standorten 2022 fort.
Gegenmassnahmen
Zur Vorbeugung und Bekämpfung sind für den Nordischen Fichtenborkenkäfer dieselben Massnahmen sinnvoll, wie sie auch gegen andere Borkenkäferarten ergriffen werden: Entfernen des bruttauglichen Materials, Zwangsnutzung und schneller Abtransport der befallenen Stämme sowie die Entrindung befallener Stämme. Insgesamt ist die Bekämpfung schwieriger als die des Buchdruckers, weil die wirkungsvolle Fällung im Winter, wie beim Buchdrucker, hier nicht wirkt, da die 2. Generation des Nordischen Fichtenborkenkäfers die Brutbäume im Herbst verlässt und in der Bodenstreu überwintert. Zudem ist ein Befall im Kronenbereich rechtzeitig zu entdecken schwieriger. Oft stirbt die Krone erst ab, wenn die Käfer den Baum bereits verlassen haben. Ausserdem sollte eine Einschleppung mit berindetem Fichtenholz aus anderen Befallsgebieten wie Deutschland, Österreich oder Tschechien vermieden werden.
Dr. Doris Hölling ist Entomologin bei Waldschutz Schweiz an der WSL mit speziellem Fokus auf invasive Arten.
Literatur
Hölling, D, Queloz, V (2021) Eine neue Borkenkäferart erobert die Schweiz. Waldschutz aktuell 2/21, 3 S. https://tinyurl.com/y72xbsty Hölling, D. (2021): Ips duplicatus – eine neue Borkenkäferart für die Schweiz. www.Waldwissen.net https://tinyurl.com/yaqjtg82 (laufende Aktualisierung)
Föhrenborkenkäferbefall Livera und Strada di Viano, Brusio
Vor bald 30 Jahren hat der Sechszähnige Föhrenborkenkäfer den Weg nach Brusio gefunden, wo dieses Insekt grosse Flächen von Föhrenwäldern befallen hat. Zuerst aufwendig bekämpft, danach eher überwacht, war der Schädling eine grosse Herausforderung für den lokalen Forstdienst. In diesem Artikel werden die wichtigsten Etappen des Befalles beschrieben und die zukünftigen Perspektiven für die Föhrenbestände erläutert.
Diego Walder, Gilbert BerchierEinführung
Auf der linken Talseite des Puschlavs, in der Gemeinde Brusio, kommen verschiedene Waldföhrenbestände vor, die wichtige Schutzfunktionen übernehmen, da der besiedelte und von verschiedenen Verkehrsachsen durchfahrene Talboden von Steinschlag aus den felsigen Steilhängen gefährdet ist. Seit 1994 erlebten diese Waldföhrenwälder starke Befälle des Sechszähnigen Föhrenborkenkäfers (Ips acuminatus). Diese Schäden wurden zuerst wie Fichtenborkenkäferbefälle angegangen, und zwar mit der Räumung der beschädigten Individuen. Da diese aufwendige Strategie die Ausbreitung des Schädlings weder aufhalten noch vermindern konnte, wurde entschieden, nicht mehr einzugreifen und die Entwicklung der Situation jährlich zu verfolgen und zu beurteilen (Abb. 1).
Der Verzicht jeglicher Behandlung war ein mutiger und dennoch passender Entscheid. Grosse Befalls-
herde wurden in den letzten Jahren nicht mehr beobachtet. Verjüngung verschiedener Baumarten ist auf den befallenen Standorten flächendeckend und üppig zu finden. Die Zukunft der Schutzwälder ist darum sichergestellt.
Standort
Die Bestände, die den Borkenkäferbefall erlebt haben, können in zwei Flächen gruppiert werden, die hier «Livera» und «Strada per Viano» genannt werden (Abb. 2).
Sie befinden sich auf der linken orographischen Talseite, zwischen 900 und 1350 m ü. M. Livera ist Südwest-exponiert, Strada per Viano hingegen West-exponiert. Beide Perimeter haben mittlere Neigungen von ungefähr 40°.
Die Klimabedingungen in Brusio sind durch eine durchschnittliche Jahrestemperatur von 9,4° C und eine durchschnittliche jährliche Niederschlagssum-
Abb. 2: Lage der zwei Untersuchungsflächen.
me von 940 mm charakterisiert. Ein wichtiges Merkmal der lokalen Klimabedingungen ist noch der dominierende Nordwind, der eine austrocknende Wirkung auf die Böden erzeugt. Silikatgesteine wie der Brusio-Granit prägen die Geologie des Gebiets. Böden sind im Allgemeinen flachgründig, aber ziemlich basenreich. Die Wälder in den Untersuchungsflächen erfüllen wichtige Schutzfunktionen gegen Steinschlag. Sie wurden deshalb als Schutzwald Typ A aufgenommen, ausserdem wurden an den kritischsten Standorten Schutznetze aufgebaut.
Geschichte
Die ersten Schäden wurden 1992 und 1993 beobachtet. Einzelne Bäume wurden in der Fläche Strada per Viano befallen, während im Jahr 1994 zum ersten Mal Gruppen von 15–20 Föhren beschädigt wurden. Dank der Unterstützung der WSL, insbesondere von Beat Forster, konnte die Ursache des Föhrensterbens dem Sechszähnigen Föhrenborkenkäfer zugesprochen werden. Die Empfehlung war, Sofortmassnahmen zu ergreifen, und zwar in Form von Entrindung oder Entfernung der befallenen Bäume. Reste von Rinde sowie Äste mussten, falls möglich, verbrannt werden.
Im Winter 1994–1995 wurden entsprechend alle Föhren mit erkennbaren überwinternden Käfern entfernt, und im Frühling beobachtete man wöchentlich, ob frischer Befall um die befallenen Flächen sichtbar war. Falls ja, wurden die Bäume sofort entfernt. Um die Schutzfunktion des Waldes rasch wiederherzustellen, plante man Aufforstungen mit Laubbäumen.
Im Sommer 1995 begingen die lokalen Forstleute mit Beat Forster die befallenen Bestände, die ungefähr 2 ha umfassten. Die angewandte Strategie wurde wegen ihres hohen Kosten-Nutzen-Verhältnisses in Frage gestellt. Erstens war das Räumen der Flächen sehr aufwendig und teuer. Zweitens, da erkannt wurde, dass die Föhren erst absterben, nachdem der Käfer die Bäume schon ein Jahr im Voraus verlassen hatte, konnte man kaum rechtzeitig eingreifen. Drittens machte die hohe Neigung der Flächen die Arbeit ziemlich gefährlich. Man entschied darum, die Käfernester zu belassen. Ohne Eingriffe konnte zumindest die Schutzwirkung des Waldes vorübergehend erhalten bleiben. Dann wartete man auf die kommenden Jahre, um die Entwicklung weiter zu beobachten. Nur entlang der Strasse, wo Dürrständer gefährlich werden konnten, setzte man das Fällen fort. Tabelle 1 auf der folgenden Seite zeigt im Detail Gründe, Vorund Nachteile der Strategie des Stehenlassens.
Anteil an allen Föhrenbeständen [%] 60
50 40 30
Gründe
Rechtzeitiges Aufräumen unmöglich, da Entdecken des Befalls erst nach dem Ausfliegen des Käfers
Eingreifen zumeist sinnlos, mangelnde Erschliessung und erschwerte Nutzungsbedingungen Sauberer Sanitärhieb mit korrekter Vernichtung der Bruten in den Ästen extrem schwierig in solch steilem und steinigem Gelände Ausdehnung der Föhrenbestände begrenzt Halbschatten unter toten Föhren schafft bessere Wachstumsbedingungen für die Verjüngung von anderen Baumarten als Föhre Schutzfunktion eingeschränkt aber erhalten Nutzfunktion vernachlässigbar Nach Räumung Verbauungen notwendig
Vorteile
Überführung von unnatürlichen Föhrenwäldern in Mischbestände, mit Räumung gäbe es vor allem Föhre
Mehr Totholz
Nachteile
Schutzfunktion vermindert
Viel Totholz erhöht Waldbrandgefahr
Kleine oder keine Kosten Gelände schlechter begehbar
Tabelle 1: Gründe, Vor- und Nachteile der im Jahr 1995 festgelegten Strategie.
1996 breiteten sich die Schäden auch in die Fläche Livera aus. Neue Befälle wurden in den folgenden Jahren auf beiden Untersuchungsflächen beobachtet und deren Ausmass wurde dokumentiert (Abb. 3).
2001 und 2002 wurden zwei wichtige Berichte erstellt: eine Bestandeskartierung und eine Inventarisierung der befallenen Flächen aus Luftbildern. Die Erste zeigte, dass nur ein sehr kleiner Anteil der zwei Perimeter als Föhrenstandort zu betrachten ist, während die häufigsten Waldtypen von Linden oder Eichen gekennzeichnet sind.
Die Inventarisierung des Befalles konnte das Ausmass der mit Gegenhangbeobachtungen kartierten Schadenflächen bestätigen, und das mit qualitativen Verbesserungen.
Während im Perimeter Strada per Viano seit 1995 nie stark eingegriffen wurde, sind in Livera schon mehrere grosse Schläge durchgeführt worden. Nach grösseren Sicherheitsschlägen entlang der Verkehrsachsen in den Jahren 2008 und 2009, wurden zwi-
schen 2011 und 2013 drei verjüngungsfördernde Schläge durchgeführt. Diese hatten zum Ziel, die Lichtverfügbarkeit für die Verjüngung zu erhöhen, um die vorkommenden Laubbaumarten zu fördern und die Fichte zu verdrängen.
Heutiger Zustand und Perspektiven Heute kann man sagen, dass sich die Strategie des Liegenlassens bewährt hat. Die Schutzwirkung der Bestände wurde zwar eingeschränkt, allerdings nicht in einem unerträglichen Ausmass, was 2013 auch im Rahmen der Bachelorarbeit von Severin Schüpbach bestätigt wurde. Ausserdem wurden als Begleitmassnahme in Livera Schutznetze aufgebaut.
Die Zukunft der Bestände ist mit der wachsenden üppigen und artenreichen Verjüngung, die zum Teil die Dickungsklasse erreicht, sichergestellt. Die Artenvielfalt ist überall gross, insbesondere dort, wo die Dürrständer geräumt wurden. Laubbaumarten sind am meisten vertreten: Birke, Zitter-
pappel, Mehlbeere, Eiche, Edelkastanie und Linde. Waldföhre und Fichte kommen auch vor, ebenso die Weisstanne mit vereinzelten Individuen. Unter alten Föhren, wo die Lichtverfügbarkeit weniger hoch ist, kann sich die Fichte sehr gut durchsetzen (Abb. 4). Wildverbiss scheint nirgends ein Problem zu sein.
Für die Formulierung von waldbaulichen Zielsetzungen und Massnahmen müssen die angehenden Klimaveränderungen berücksichtigt werden. In den befallenen Perimetern muss man deswegen die natürliche Sukzession in Richtung Laubmischwälder anstreben und die natürliche Verjüngung
fördern. Pflanzungen sind dank des tiefen Wilddrucks nicht nötig. Als Zielarten sollte man Eichen auf felsigen und trockeneren Standorten, Linden auf feuchteren Böden und Pionierarten wie Hopfenbuchen, Birken und Pappeln auf Schutthalden in tieferen Lagen bevorzugen. Nichtsdestotrotz wäre es am besten, wenn die Artenpalette möglichst reich behalten wird, das heisst auch mit anderen Arten, die jetzt in der Verjüngung zu finden sind, wie etwa Mehlbeere und Föhre. Im idealen Fall sollten Mischbestände erzeugt werden, die eine langfristige Stabilität sicherstellen können. In den Flächen, die noch mit lebendigen alten Föhren bestockt sind, kann das heutzutage unter Schirm gute Wachstum von Fichte mittel- bis langfristig mit potenziellen Risiken verbunden sein. Ab dem Dickungsstadium zeigt die Fichte eine erhöhte Trockenheitsempfindlichkeit, und die meisten Individuen schaffen es nicht über diese Wachstumsstufe hinaus. Ungeräumte Flächen sollten dann schrittweise von alten Föhren befreit werden, um dem Boden mehr Licht zukommen zu lassen, damit sich weitere Baumarten in der Verjüngung behaupten können. Die Verjüngungspflege erfolgt dann wie in geräumten Flächen, mit der Entfernung von Fichten als Schwerpunkt.
Diego Walder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Wald des Kantons Tessin. Während seines Praktikums im 2021 beim AWN Südbünden hat er die beinahe 30-jährige Geschichte des Borkenkäferbefalls bei Brusio zusammengefasst und nun für den Bündner Wald gekürzt aufbereitet.
Literatur
«Bericht zur Kartierung und Begutachtung von Waldstandorten», Atragene – Markus Bichsel, 2001 «Föhrenschäden Brusio – Inventarisierung Borkenkäferbefall 1998–2002», Scherrer Ingenieurbüro, 2002 «Wirkungsanalyse eines Steinschlagschutzwaldes», Severin Schüpbach, 2013
Buchdrucker im Naturwaldreservat –
Fluch oder Segen?
Im Vorprojekt zum Naturwaldreservat (in der Folge NWR genannt) Uaul Prau Nausch aus dem Jahr 2006 steht unter anderem: «Um einer möglichen Ausbreitung des Fichtenborkenkäfers im Uaul Prau Nausch verantwortungsbewusst begegnen zu können, soll zwischen dem Schutzwald und dem NWR ein Streifen von 150 m ausgeschieden werden. Dieser Streifen kann nicht der Reservatsfläche angehören, denn hier sollen jederzeit phytosanitäre Massnahmen ergriffen werden können. Ob dieser Streifen ausreichen wird, kann nicht abschliessend beantwortet werden.» Es sollte sich zeigen, dass der Streifen nicht ganz ausreichen sollte.
Christian BuchliZuerst muss man wissen, dass das NWR Uaul Prau Nausch seit dem 1. Januar 2007 besteht und sich auf Gemeindegebiet von Tujetsch zuoberst in der Surselva befindet. Es ist 65,6 ha gross und liegt am Eingang zur Val Nalps. Das Reservat umfasst die nach Osten exponierte Bergflanke mit den Gebieten Ruinas, Uaul Tgom und Uaul Prau Nausch und
erstreckt sich zwischen 1520 und 1910 m ü. M. Das Klima kann allgemein als rau eingestuft werden. Im betrachteten Gebiet herrschen natürlicherweise, sowohl in der hochmontanen als auch in der subalpinen Höhenstufe, Fichtenwälder vor. Der Holzvorrat ist (war) relativ hoch und die Bestände einschichtig. Die Anfälligkeit solcher Wälder auf Buchdruckerbe-
fall ist bekannt und das Risiko eines grösseren Befalls, wie eingangs erwähnt, auch erkannt. Was vermutet und auch etwas befürchtet wurde, trat dann auch ein. Angefangen hat alles mit dem heftigen Föhnsturm vom 29. April 2012. Der Buchdrucker fand die geworfenen Fichten im NWR und fing an, sich zu vermehren und auszubreiten. Um den Verlauf des Befalls aufzuzeigen und die Lösungsfindung nachzuzeichnen, werden in der Folge fiktive Telefonanrufe wiedergegeben.
Tujetsch: «Das Wetter ist heute zwar schön bei uns, aber ich glaube, es ziehen dunkle Wolken über das NWR ein. Der starke Föhnsturm letzte Nacht hat auch im NWR gewütet, und ich schätze, es liegen rund 300 m³ am Boden. Ich kenne den
Vertrag. Aber wäre es nicht sinnvoll, diese Schäden sofort zu beheben?» Der Förster klingt besorgt. Ilanz: «Sapperlot, so etwas musste ja passieren. Aber wir können nach nur fünf Jahren NWR nicht losmarschieren und sofort noch nicht einmal befallene Fichten entnehmen. Schlussendlich ist es ein NWR und eigentlich wollen wir ja genau solche natürlichen und dynamischen Entwicklungen zulassen. Der Borki ist noch nicht unter der Rinde, vielleicht haben wir Glück und es wird nur wenig passieren. Die Devise lautet: beobachten, ruhig bleiben und hoffen, dass es nicht ausartet.» Auch der Regionalforstingenieur in Ilanz macht keine Freudensprünge. Nach drei Jahren beobachten und ruhig bleiben. Tujetsch meldet sich mit bebender Stimme: «Mei-
ne Stimmung im Moment? Hilfe! Der Befall geht auch in diesem Jahr weiter. Aktuell schätze ich den Stehendbefall auf rund 500 m³. Die Buchdruckerpopulation explodiert und fliegt mir um die Ohren. Die Bäume sind rot und man sieht sie von überall sehr gut. Mein Telefon läutet permanent und die Bevölkerung macht sich Sorgen. Zusätzlich sind beim starken Schneefall im November 2014 nochmals 300 m³ Fichten umgeworfen worden. Etwas muss geschehen. Ansonsten kann ich für die Erfüllung des Vertrags nicht garantieren. Was sagen die Experten dazu?»
Ilanz: «Chur ist informiert. Zusätzlich auch die ETH Zürich, die WSL Birmensdorf und die Pro Natura GR. Besprechung ist organisiert.» Die Meldung macht die Runde.
WSL: «Im 2014 fand im NWR eine Stichprobeninventur statt, welche Informationen zur Waldstruktur liefert. Durch Eingriffe im NWR würde der Sinn und Zweck dieser Inventur zerstört. Falls Käfernester im nahegelegenen Schutzwald Uaul Surrein entstehen, heisst das nicht, dass die Käfer zwingend aus dem NWR kommen. Eine Prognose für den weiteren Verlauf des Befalls kann nicht gemacht werden.»
ETH: «Das NWR liegt innerhalb des Lehrwaldes der ETH Zürich. Seit 1973 bestehen zwischen der ETH und der Gemeinde Tujetsch eine gute Zusammenarbeit und eine Vereinbarung, welche der ETH die Nutzung bestimmter Wälder für die Forschung und Lehre ermöglicht. Der Käferbefall im NWR kann Anlass für ein Forschungsprojekt sein. Interessant wäre es herauszufinden, warum einzelne Fichten befallen werden und andere nicht.»
Am 10. Dezember 2015 wurden im Uaul Prau Nausch und im Uaul Surrein Fichtennadelproben zur Abklärung der Nährstoffversorgung geerntet. Die Proben wurden vom Institut für angewandte Pflanzenbiologie (IAP) analysiert. Das Resultat zeigt in allen Proben eine ausgezeichnete Nährstoffversorgung. Es haben sich leider keine neuen Ansätze für die Käferbekämpfung ergeben.
Pro Natura GR: «Wir wurden spät über die Situation informiert. Der Prozessschutz ist aus unserer Sicht an erster Stelle. Falls möglich, sollte im NWR auf Massnahmen verzichtet werden.»
Tujetsch: «Im Schutzwald Uaul Surrein sind auch bereits Käfernester entstanden. Dort müssen wir die Ausbreitung bekämpfen, was hohe Kosten verursacht und im schlimmsten Fall technische Massnahmen nach sich zieht. Die Bevölkerung meint, wir züchten die Käfer im NWR.»
Ilanz: «Die Situation ist zwar spannend, aber auch ernst und verzwickt. Wollen wir das NWR für die Zukunft erhalten, braucht es eine Kompromisslösung, mit welcher alle Parteien einverstanden sind. Gemäss Reservatsvertrag können Eingriffe, die aus Gründen der Sicherheit oder aufgrund einer phytosanitären Extremsituation notwendig werden, festgelegt werden. Dies ist in diesem Fall gegeben. Das NWR dient als Brutstätte der Käfer und im nahen Schutzwald werden Käferbäume aus dem Bestand geflogen. Unsere Strategie ‹Ips› sieht vor, entlang der nördlichen Reservatsgrenze eine 300 m breite Bekämpfungszone umzusetzen. Die 150 m ausserhalb des NWR wurden ja bereits im Vorprojekt so festgelegt, zusätzlich kommen noch
150 m innerhalb des NWR. In dieser Zone wird der Käfer konsequent bekämpft. Alle stehenden, frisch befallenen Bäume werden gefällt und entrindet. Liegende, frisch befallene Bäume werden ebenfalls entrindet. Die derart behandelten Bäume werden jedoch liegengelassen und dem natürlichen Zerfall überlassen.»
Pro Natura GR, ETH, WSL, Tujetsch: «Mit dieser Strategie können wir uns einverstanden erklären. Im restlichen NWR finden keine Massnahmen statt, sondern nur im Bekämpfungsstreifen.»
Diese Strategie wurde von allen Beteiligten abgesegnet und wie folgt umgesetzt.
Im 2015 wurden 125 m³ innerhalb des Bekämpfungsstreifens aufgerüstet und entrindet. Im Herbst 2016 und im 2017 folgte eine konsequente Umsetzung der Bekämpfungsstrategie. Es wurden im 2016 325 m³ und im 2017 115 m³ Käferholz gefällt, entrindet und liegen gelassen.
Im 2018 hat sich die Käfersituation im NWR entspannt. Seither waren keine Massnahmen mehr notwendig.
Die entstandenen Käfer-Lücken sind von Weitem erkennbar. Mit der Zeit gewöhnt sich das Auge an
die Lücken und die Bestände fangen an, sich zu verjüngen. Als Fazit kann gesagt werden, dass die Massnahmen auf zwei Arten gewirkt haben. Einerseits wurde der Käferentwicklung entgegengewirkt und andererseits wurden die Bewohner und Entscheidungsträger der Gemeinde Tujetsch ernst genommen. Mit einer pragmatischen Zusammenarbeit aller Beteiligten konnte das NWR somit erhalten werden. Im grössten Teil des NWR kann die natürliche und dynamische Waldentwicklung fortschreiten. Für die Zukunft ist es sicher spannend, die weitere Entwicklung im NWR Uaul Prau Nausch zu beobachten, in den Käfernestern und in der Bekämpfungszone. Es ist zu hoffen, dass sich ohne die Bekämpfung auf einem grossen Teil der Fläche auch eine gesunde Population von Antagonisten bilden konnte. Diese können im besten Fall eine weitere Buchdruckerkalamität schwächen oder gar verhindern. Falls dem so sein sollte, kann diese Geschichte eher als Segen denn als Fluch für den NWR betrachtet werden.
Christian Buchli ist Regionalforstingenieur in der Region Surselva.
Ökologische Bedeutung von Borkenkäfern
Üblicherweise werden Borkenkäfer vor allem als Schädlinge wahrgenommen. Tatsächlich können einige Borkenkäferarten in Jahren von Massenvermehrungen wichtige vom Menschen erwartete Waldleistungen wie Holzproduktion, Schutz vor Naturgefahren oder Erholung massiv beeinträchtigen. Borkenkäfer erfüllen aber auch wichtige Funktionen im Ökosystem.
Dr. Beat WermelingerPioniere beim Holzabbau Borkenkäfer leisten einen zentralen Beitrag zum Holzabbau. So sind gewisse Pionierborkenkäferarten in der Lage, als erste Insekten in die noch intakte Rinde frisch abgestorbener Bäume einzudringen und dort ihre Brutsysteme anzulegen. Insbesondere die Rinde von Nadelbäumen besitzt zu Beginn noch verschiedene toxisch wirkende Harz- und Gerbstoffe, die eine rasche Besiedlung durch holzabbauende Pilze erschweren. Durch die Ein- und Ausbohrlöcher der Käfer entstehen jedoch Eintrittspforten für diese Pilzsporen und das Recycling der im Baum gespeicherten Nährstoffe für das Wachstum anderer Kraut- und Holzpflan-
zen kann beginnen. Auch das Bohrmehl und der Kot der Käfer und Larven kann schnell von Mikroorganismen und Pilzen besiedelt und abgebaut werden. Ausserdem löst die Frasstätigkeit der Larven und Jungkäfer die Rinde vom Splintholz (Abb. 1). Dadurch wird der Holzkörper für weitere Insekten und Pilze zugänglich. Ferner schleppt zum Beispiel der Buchdrucker – der ökonomisch wichtigste Borkenkäfer – oft einen Pilz ein, der ihm die Besiedlung erleichtert, den Wassertransport im Holz unterbricht und Zellinhaltstoffe abbaut. Ähnliches bewirken die Ambrosiakäfer, die aktiv einen Pilz als Nahrung für ihre Brut ins Holzinnere eintragen (siehe Beitrag S. 16). Neben Borkenkäfern sind auch Holzwespen typische Erstbesiedler und Abbaupioniere von frisch abgestorbenen Bäumen. Auch sie bringen einen Pilz ein, der den Larven den Abbau von Holz erlaubt.
Abb. 1: Die Bohrlöcher von Borkenkäfern schaffen für holzabbauende Pilze einen ersten Zugang zum Holz. Nach dem Abblättern der Rinde infolge des Reifungsfrasses der Käfer liegt das Holz vollends frei für die Besiedlung durch holzzersetzende Pilze. (Bilder: B. Wermelinger)
Nahrung für andere Organismen Durch ihre verborgene Lebensweise unter der Rinde oder gar im Holz sind Borkenkäfer gut geschützt gegen generalistische Räuber und parasitische Insekten. Trotzdem dienen sie einer Vielzahl von verschiedenen Organismen als Nahrung. Verschiedene Vögel ergreifen die Gelegenheit, fliegende oder auf der Rindenoberfläche herumlaufende Käfer zu packen. Das sind aber eher Zufallstreffer. Spechte hingegen sind als einzige Vögel in der Lage, mit ihrem Schnabel Borkenkäfer nicht nur auf der Rindenoberfläche zu erbeuten, sondern auch aus der
Rinde oder dem Holz herauszuhacken. Zwar sind einzelne Borkenkäferlarven nicht eine ergiebige Nahrungsquelle, aber, da sie meist zahlreich vorhanden sind und mit geringem Aufwand aus der Rinde hervorgeholt werden können, trotzdem eine lohnende Beute. Die Nutzung von Borkenkäfern als Nahrung ist je nach Spechtart saisonabhängig. Im Winter sind andere Nahrungsquellen wie Raupen oder Ameisen Mangelware oder schlecht zugänglich, sodass bei einigen Spechtarten die Borkenkäfer dann bis 99 Prozent der Nahrung ausmachen können. Der Dreizehenspecht ist sogar auf Borkenkäfer spezialisiert und ein wichtiger natürlicher Feind (siehe Beitrag S. 26). Neben den Spechten gibt es zudem eine grosse Zahl von Insektenarten, die sich räuberisch oder parasitisch von Borkenkäfern ernähren und deshalb auf diese Nahrung angewiesen sind. Darunter sind verschiedene räuberische Käfer und Fliegen sowie parasitische Wespen (Schlupfwespen, siehe Beitrag S. 25).
Transport
Borkenkäfer können auch Transportvehikel für andere Organismen sein. Schon erwähnt wurde der Transport von Pilzsporen, die mit den ausfliegenden Käfern gezielt zu einem nächsten Baum getragen werden und sich dort wieder vermehren können. Auch verschiedene Milben benutzen Borkenkäfer als Transportmittel (sogenannte Vektoren; Abb. 2). Es handelt sich dabei um Milbenarten, die in kurzlebigen Habitaten vorkommen und sich von verschiedenen Abfallstoffen und Pilzen in den Borkenkäfergängen ernähren. Da Milben flugunfähig sind, sind sie für ihre Ausbreitung auf solche Vektoren angewiesen. Sie heften sich auf oder unter den Deckflügeln oder an der Brust von ausflugbereiten Borkenkäfern fest und erreichen so neue Lebensräume. Am neuen Ort gelangen die Milben dann durch die Einbohrlöcher der Käfer in deren Brutsysteme. Beim Buchdrucker fand man in einer Untersuchung, dass 30 Prozent aller Käfer von Milben besetzt waren. Die Milben schaden
Abb. 2: Von toter organischer Substanz lebende Milben sind als flügellose Tiere für den Wechsel auf neue Käferbäume auf den Transport durch Borkenkäfer angewiesen.
dem Vektor nicht, da sie sich in einem inaktiven Wandernymphenstadium befinden. Im Gegenteil, die Käfer transportieren auch räuberische Milben, die sich von Nematoden ernähren, die von Borkenkäferbrut leben. Somit profitieren beide: die Milben vom Transport durch die Käfer, die Käfer von der Reduktion pathogener Nematoden. Erhöhen der Waldvitalität Jeder gesunde, sich vom Menschen unbeeinflusst entwickelnde Wald enthält auch alte, geschwächte oder kranke Bäume. Solche Bäume werden bevorzugt von bestimmten Borkenkäferarten wie dem
Abb. 3: Geschwächte Bäume werden von Borkenkäfern bevorzugt befallen und ausgemerzt.
Buchdrucker besiedelt und zum Absterben gebracht (Abb. 3). Der Ausfall dieser Individuen schafft Platz für junge, nachwachsende Bäume, bringt Licht in den Bestand, erzeugt Totholz und fördert damit die generelle Vitalität eines Waldes.
Borkenkäfer als Lebensraum-Gestalter
Einige Borkenkäferarten wie der Buchdrucker können ihre Lebensräume stark beeinflussen und gestalten, sie sind damit sogenannte Ökosystem-Ingenieure. In einem Käfernest herrschen nach dem Absterben der Fichten gegenüber dem intakten Bestand stark veränderte klimatische Bedingungen. Das entstandene Totholz stellt eine essenzielle Ressource für eine grosse Zahl von Organismen dar. Pilze, Flechten und Insekten – zu Beginn vor allem Käfer – entwickeln sich im oder auf dem neu entstandenen Substrat. Spechte wiederum nutzen die sich im Holz entwickelnden Larven als Nahrung und bauen ihre Nisthöhlen in die abgestorbenen, aber noch aufrechtstehenden Bäume. Ausserdem können sie ganze Rindenplatten mit Jungkäfern vom Stamm lösen, die hinunterfallen und von anderen Vögeln aufgepickt werden. Alte Spechthöhlen sind wieder Brut- und Schlafgelegenheiten für andere höhlenbrütende Vögel, Kleinsäuger
Abb. 5: Der Buchdrucker kann als ökologisch wertvolle Störung wirken: Nach einem Befall entsteht ein neues Habitat mit Krautpflanzen, Pioniergehölzen und viel Totholz. Dieser Lebensraum wird von unzähligen Organismen genutzt, bis wieder ein geschlossener Wald mit anderen Bewohnern entsteht.
Abb.
und Fledermäuse. Unter den umgestürzten toten Bäumen finden Amphibien geeignete Überwinterungsorte, und auf Stämmen und Strünken, die aus der Bodenvegetation ragen, können sich Reptilien sonnen. Das sich über Jahrzehnte zersetzende Holz wird je nach Abbaugrad von den unterschiedlichsten Käfer-, Hautflügler-, Fliegen- und Mückenarten als Lebensraum genutzt (Abb. 4). Und schliesslich zerlegt eine grosse Zahl verschiedener Pilzarten die für andere Arten unverdaulichen Holzbestandteile wie Zellulose und Lignin. In der Schweiz sind fast 5000 Organismenarten (rund ein Viertel aller im Wald lebenden Arten) solche Totholznutzer; viele davon stehen auf Roten Listen bedrohter Arten. Eine Untersuchung im Nationalpark Bayerischer Wald zeigte, dass die durch Borkenkäferbefall entstandenen Bestandesränder Hotspots der Insekten-Biodiversität sind. Speziell die Totholzkäfer sowie die Wildbienen- und Wespenvielfalt war in den ehemaligen Befallsherden ungleich grösser als im intakten Wald. Wenn nach einer Massenvermehrung Fichtenbestände gar flächig absterben, verändern sich ganze Landschaften. Wo der Wald sich vorher als dichter
Fichtenbestand präsentierte, entsteht für einige Jahre oder Jahrzehnte ein offenes, besonntes Habitat (Abb. 5). Es setzt natürlicherweise eine neue Waldentwicklung ein mit neuen Lebensräumen für eine riesige Zahl von Pflanzen und Tierarten. Die Sukzession beginnt mit einem starken Wachstum von verschiedensten Kraut, Stauden und Strauchpflanzen wie Walderdbeere, Weidenröschen, Farn, Himbeere oder Brombeere, gefolgt von Pioniergehölzen wie Weide, Birke, Vogelbeere bis schliesslich wieder die Schlussbaumarten dominieren. Dieser Prozess kann je nach klimatischen Bedingungen mehrere Jahrzehnte dauern. In dieser Zeit unterscheidet sich das ehemalige Käferbefallsgebiet komplett vom umgebenden Wald und bietet nicht nur pflanzenfressenden und blütenbesuchenden Insekten Nahrung, sondern ist auch Lebensraum einer reichen Kleinsäuger und Vogelfauna. Zudem werden solche Flächen gerne vom Wild als willkommene Äsungsflächen genutzt.
Veränderte Standortbedingungen
In Käfernestern verändern sich auch die hydrologischen und chemischen Eigenschaften des Bodens. Der Wasserabfluss aus dem Boden ins Grundwasser und in Bäche nimmt zu, ebenso vorübergehend der Nitratgehalt des Grundwassers. Der kurzfristig massiv erhöhte Nadelfall, die höhere Sonneneinstrahlung und das veränderte Bodenklima erhöhen die StickstoffMineralisierungsrate, was sich auch längerfristig in einem höheren Stickstoffgehalt in den neuen Nadeln der überlebenden Bäume niederschlägt. Grossflächige Borkenkäferbefälle von regionalem Ausmass führen dazu, dass die betroffenen Wälder weniger Kohlenstoff binden und vorübergehend von einer Kohlenstoffsenke zu einer Quelle werden können. Die überlebenden Bäume und der nachwachsende Jungwuchs haben dies aber nach ein bis zwei Jahrzehnten kompensiert. Borkenkäfer haben somit nicht nur eine ökonomische, für uns Menschen meist negative Bedeutung, sondern sie sind auch ein wesentlicher Bestandteil
in der natürlichen Walddynamik, im Nahrungsnetz, beim Umsatz von Nährstoffen und beim Schaffen neuer Lebensräume.
Dr. Beat Wermelinger forscht und lehrt an der WSL und ETH zu verschiedensten Aspekten von Waldinsekten.
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Schiers und der Nationalpark Bayerischer Wald: Erfahrungsfeld Borkenkäfer
Um das durch den Klimawandel überall bedeutender werdende Thema Borkenkäfer über den Tellerrand hinaus zu beleuchten, wurde dieses Interview mit zwei in unterschiedlichen Regionen tätigen Fachleuten geführt. Thomas Löffel ist seit drei Jahren Förster der Gemeinde Schiers im Prättigau, einer auch in den letzten Jahren stärker betroffenen Gemeinde. Dr. Dr. Gabriela Lobinger ist Biologin und Sachbearbeiterin für Waldschutz bei der Bayrischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) Freising, BY. Sie hat lange Jahre das Borkenkäfermonitoring im Nationalpark Bayerischer Wald aufgebaut und begleitet.
Silke SchweizerFrau Lobinger, seit wann gibt es in Ihrem Arbeitsumfeld Borkenkäfer?
Gabriela Lobinger: Seit 1990 nach den Orkanschäden durch Vivian und Wiebke. Untersuchungen im massiv betroffenen Münchner Osten, im Ebersberger Forst, umfassten die Befallsentwicklung durch Buchdrucker und Kupferstecher, die Steuerfaktoren von Schwärm- und Befallsverhalten der Fichtenborkenkäfer, Vermehrungspotenzial, Überwinterung in Boden/ Rinde etc. Dazu kamen Versuche mit Pheromonfallen, um Aussagen über Populationsdichte und -dichteänderung, Abschöpfeffekt und Nutzungsmöglichkeit für Monitoring zu erhalten.
Welche Borkenkäferarten sind Ihnen bekannt?
Gabriela Lobinger: In Deutschland allein kennt man über 100 Arten mehr oder weniger genau. Ich selbst beschäftige mich mit jeweils mit waldschutzrelevanten Arten, mit anderen nur zwecks Befallsdiagnose, Beratung etc. Die punkto Schäden wichtigsten Arten sind rindenbrütende Borkenkäfer. Holzbrütende Arten sind nur in zweiter
Linie als Holzentwerter durch Pilzzucht und Verfärbungen relevant. An der Fichte kennen wir Buchdrucker und Kupferstecher als potenzielle Primärschädlinge, als sekundäre Arten sind da der doppeläugige Fi-Bastkäfer, der furchenflüglige Fi-BK, der nordische Fi-BK, an der Kiefer der Waldgärtner (v. a. kl.), der sechszähnige, der zwölfzähnige Ki-BK. An der Tanne sind der kleine Tannenborkenkäfer und der krummzähnige Tannen-BK besonders wichtig, an der Lärche der Grosse Lärchenborkenkäfer und der Kupferstecher, an der Douglasie der Kupferstecher. Am Laubholz sind es vorwiegend Splintkäfer und der Eschenbastkäfer.
Herr Löffel, wie können Sie die Befallsdichten nachvollziehen?
Thomas Löffel: Die WSL führt im Raum Schiers seit zwei Jahren ein Forschungsprojekt mittels Fallen durch, welche ich betreibe, aber bis anhin zum Glück leer vorfand. Aktuell stellen wir selbst als Gemeinde – wie schon mein Vorgänger – keine Fallen.
Welche Arten haben wirtschaftliches Schadenspotenzial?
Thomas Löffel: Ganz klar der Buchdrucker an der Fichte.
Gabriela Lobinger: In erster Linie die Fichtenborkenkäfer Buchdrucker und Kupferstecher. Dort sehe ich folgendes: Zum einen das Potenzial, bei günstigen Bedingungen, sprich ausreichend Brutraum als Anschub und warm-trockene Witterung, schnell grossflächige Massenvermehrungen aufzubauen und dann auch gesunde Bäume zu befallen, also den Wechsel zu primärem Schadinsekt. Zum andern Polyvoltinismus, bis drei Generationen pro Jahr und Geschwisterbruten, und damit Vermehrungspotenzial pro Jahr von 1:100 000 bzw. 1 Baum à 400 Befallsbäume in zwei Generationen.
Wie haben Sie dies ermittelt?
Gabriela Lobinger: In mehreren praxisbezogenen Forschungsprojekten, so etwa nach markanten Schadereignissen wie den Sturmwürfen Vivian und Wiebke und nach Extremwitterung 2003 und 2006 in Verbindung mit weiteren Windwürfen. Im Nationalpark Bayerischer Wald vs. angrenzende Wirtschaftswälder wurde untersucht, was passiert, wenn Borkenkäfermanagement in neu ausgewiesenen Naturzonen plötzlich ausgesetzt wird.
Gibt es Unterschiede der Vorkommen nach Höhenlagen?
Thomas Löffel: Bei uns ist es unabhängig von der Höhenlage, wo Fichten vorkommen. An
den Südseiten ist die Fichte an Trockenheit gewohnt – dort passierte bis anhin wenig. Vor allem schlimm betrifft es die Fichte in schattigen, feuchten Wäldern, wo der Trockenheitsschock die Fichten unvermittelt trifft.
Gabriela Lobinger: Bei Arten mit mehreren Generationen pro Jahr und Geschwisterbruten entscheiden Temperaturbedingungen über das Vermehrungspotenzial.
Gibt es Unterschiede in der Verbreitung nach Windrichtung?
Gabriela Lobinger: Intensive Untersuchungen im Rahmen des Projektes Nationalpark Bayerischer Wald haben gezeigt, dass der Buchdrucker bei Windgeschwindigkeiten von über 5 m/sec. seine Flugtätigkeit einstellt. Es findet also keine passive Windverdriftung ganzer Käferschwärme statt.
Spielen sonstige Witterungseinflüsse grössere Rollen?
Gabriela Lobinger: Wir haben beobachtet, dass speziell der Buchdrucker mit erhöhter Aktivität bei Sonnenschein reagiert, konkret sind es vier Mal höhere Anflüge an Pheromonfallen in Sonnenscheinphasen als bei Bewölkung. Dies passt auch zum Befallsverhalten: es werden zuerst Randstrukturen und dort besonnte Stammbereiche der Fichten unterhalb des Kronenansatzes angeflogen. Der Kupferstecher dagegen reagiert nicht auf Sonneneinstrahlung und befällt Fichten je nach Möglichkeit auch einzeln im Bestandesinneren.
Die vielgenannten 500 Meter Abstand: Reichen diese?
Thomas Löffel: Das wird genannt als Entfernung, die ein Käfer aktiv fliegen kann. Aber wenn der Wind stimmt, kommt er mit dessen Unterstützung auch weiter. Pro Jahr und mit
mehreren Generationen bei geeigneter Witterung besiedelt der Buchdrucker auch weiter entfernte Bestände.
Gabriela Lobinger: Strategie und Erfolgsmodell des Buchdruckers ist es, nach Ausschwärmen nächststehende Bäume zu befallen. Gibt es im Umfeld keine befallsgeeigneten Fichten, dispergieren die Käfer, fliegen unterschiedlich weit und hoch und sind auch unterschiedlich empfänglich für Pheromonsignale. Das Potenzial für weite Flüge ist vorhanden, ein Teil der Population dispergiert auch, um den Genpool aufzufrischen. Distanzzonenanalysen haben gezeigt, dass Neubefall zu grossen Anteilen innerhalb von bis zu 300 Meter zur Quellpopulation entstehen, in der Regel sogar näher als 100 Meter. Im Abstand von 500 Meter und mehr lassen sich nur noch vereinzelt Befallsvorkommen zuordnen. Ein Abtransport befallener Fichten 500 Meter weg vom nächsten Fichtenbestand gibt also eine sehr gute Sicherheit. Unsere Empfehlung ist allerdings immer, möglichst weiter entfernte Lagerplätze zu bevorzugen, 500 Meter also als Mindestabstand.
Kennt man bereits konkrete lokale Ausgangsszenarien für eine Massenvermehrung?
Thomas Löffel: Seit Jahrhunderten sind die begünstigenden Faktoren für eine Massenvermehrung einerseits geschwächte «Beute» wie etwa nach den Trockensommern 2008/2009 und gute warme, trockene und damit pilzarme Gegebenheiten für die Käfervermehrung und andererseits viel naher Brutraum. Wenn Schadholz zu lange ungeschält im Wald verbleibt, wie etwa nach Burglind.
Gabriela Lobinger: Begünstigende Ereignisse sind Hitze, Trockenstress für Wirtsbäume, Brutholzanfall durch Sturmwürfe, Schneebruch etc.
– alles was Käfern bei noch niedriger lokaler Dichte den Befall von Wirtsbäumen erleichtert, da diese keine Abwehrmöglichkeit haben.
Spielen Baumartenmischung und Bestockungsgrad eine Rolle?
Thomas Löffel: Je natürlicher und artenreicher in jeglicher Hinsicht unser Wald ist, umso höher ist die Resilienz und die eigene Dynamik. Jedoch steht die Fichte oft da, wo sie nicht natürlich standortgerecht ist, etwa in alten Aufforstungen. Diese Bestände sind durch ihre Artenarmut alles andere als widerstandsfähig. Dort stellt die Natur einfach wieder ein Gleichgewicht her.
Gabriela Lobinger: Mischbestände sind auf jeden Fall weniger gefährdet. Je nach Fichtenanteil reicht das bruttaugliche Material nicht aus, um eine Massenvermehrung aufzubauen, bzw. es fehlen attraktive Angriffsflächen wie zum Beispiel besonnte Ränder mit vorwiegend Fichte. Ist ein Mischbestand allerdings umgeben von fichtendominierten, befallsgeeigneten Wäldern und baut sich dort eine Massenvermehrung auf, so geht der Buchdrucker auch durch diese Mischwälder und benutzt die Fichten als Trittsteine.
Gibt es umweltverträgliche Bekämpfungsmöglichkeiten?
Thomas Löffel: Erstens ein frühzeitiger Transport aus dem Wald mittels Helikopter und schneller Verkauf oder im Wald entrindet liegen lassen. Zweitens muss man die gefährdeten Standorte kennen, konsequente Kontrollgänge durchführen und das Bohrmehl erkennen. Wenn sich die Nadeln verfärben, ist es zu spät.
Gabriela Lobinger: Ideal sind vorbeugende Massnahmen, wie ein Waldumbau in möglichst stabile Mischwälder mit standortgerechten Baumarten, vor allem Laubbäumen, angepasster Herkünfte, Nützlingsschutz durch Förderung von artenreichen Waldrändern und Strukturierung, Durchforstung und Verkürzung der Umtriebszeiten in den aktuell noch ungünstigen
Beständen und damit Vermeidung von Befall und Sturmwurfrisiko, aber auch Brutraumentzug durch Abfuhr, Mulchen, Entrinden, Hacken, Verbrennen … Dazu kommen verschiedene Massnahmen zur Befallsverminderung durch Verringerung der lokalen Käferdichte, integrierter Pflanzenschutz, Sanitärhieb, Holzabfuhr, Zwischenlagerung, Entrinden, Hacken usw.
Was halten Sie von der Strategie «Bayerischer Wald» – Natur regelt das selbst? Wie genau und wo geht das?
Thomas Löffel: Das Klima verändert sich, es gibt mehr trockene Sommer. Das Beispiel Entlebuch zeigt, dass durch viele abgestorbene Bäume das Kleinklima vor Ort so stabilisiert werden konnte, dass dort viel Naturverjüngung aufkommen konnte. Es kam zu weniger Austrocknung durch Wind und Sonneneinstrahlung, eventuell auch zu weniger Verbiss durch schlechte Erreichbarkeit. Die querliegenden Stämme konnten sogar den Untergrund stabilisieren und wirkten so fast wie eine natürliche «Verbauung». Der Zerfall bietet vielen Insektenarten wieder Nahrung und Brutraum.
Moderholz fördert die Biodiversität. Wichtig zu wissen: Jeder Wald hat einen Eigentümer mit Ansprüchen, welche die Förster zu erfüllen versuchen. Im Sinne einer langfristigen Entwicklung bezweckt die waldbauliche Strategie in Stichworten folgendes: artenreiche Struktur, totholzreich; nicht auf ganzer Fläche, aber als Trittsteinkonzept im Wirtschaftswald; und damit Erhöhung der Resilienz mittels Vielfalt. Gabriela Lobinger: Die Philosophie heisst «Natur Natur sein lassen», das bedeutet, es wird im Grunde nichts geregelt, und das wird in diesem Fall auch nicht erwartet. Es geht um den Nationalpark-Status, und damit ist die einzige zulässige Massnahme, die Bewirtschaftung bzw. das Borkenkäfermanagement sukzessive einzustellen. Die Natur regelt das insofern selbst, als dass sich hier das Waldbild nach und nach verändert oder stellenweise auch kein Wald mehr, sondern andere Vegetationsstrukturen nachfolgen. Das ist als Verfahrensweise natürlich nicht auf Wirtschaftswälder übertragbar. Diese sind unbedingt notwendig. Wir bewerben Holz als wertvollen Rohstoff und CO²-Speicher. Da ist es natürlich geboten, dass wir Holz auch für diesen Bedarf produzieren und nicht anderswo in der Welt plündern. Meines Erachtens gibt es keinen Konflikt zwischen Waldbewirtschaftung, Holzproduktion und dem Wert von Wäldern mit allen Funktionen für Ökologie, Gemeinwohl etc. Ich denke, die neuen Erkenntnisse aus Waldbau und Waldökologie helfen dabei.
Situation Schweiz: http://www.borkenkaefer.ch/ index_DE
Situation Bayern: https://www.fovgis.bayern.de/ borki/
Silke Schweizer ist Diplom-Forstwirtin, Betriebsleiterin in Bayern und Geschäftsführerin der SELVA, Verband der Waldeigentümer Graubünden.
Der Borkenkäferspürhund –wertvolle Hilfe im Wald
BoDogs ist eine in Österreich und Deutschland aktive Arbeitsgemeinschaft aus Förstern, Biologen und Hundetrainern. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Hunde zur Suche nach Borkenkäfern auszubilden beziehungsweise die fachlichen Grundlagen für deren Einsatz zu schaffen.
Dr. Leopold Slotta-BachmayrBei den Borkenkäfern gibt es viele verschiedene Arten, die sich auf eine bestimmte Baumart spezialisiert haben. Im Fall der Fichte sind es zwei Borkenkäfer, die uns interessieren. Der etwas grössere Buchdrucker, der die grobborkigen Bereiche des Fichtenstamms befällt, und der kleinere Kupferstecher, der in erster Linie in dickeren Ästen oder im Wipfelbereich zu finden ist. Ist eine Fichte geschwächt, dann kann sich ein Borkenkäfermännchen durch die Rinde bohren und dort eine sogenannte Rammelkammer anlegen. Mit Hilfe von Duftstoffen, sogenannten Pheromonen lockt das Männchen sowohl andere Männer an, die ihm beim Überwältigen der Fichte helfen, als auch Weibchen, mit denen sich das Männchen in der Rammelkammer paart. Wenn für weitere Käfer kein Platz mehr auf der Fichte vorhanden ist, dann senden sie ein anderes Pheromon aus, das Neuankömmlingen mitteilt, sie möchten sich doch auf einer Nachbarfichte ansiedeln. Die beteiligten Pheromone sind artspezifisch, damit die Männchen nicht die falschen Weibchen anlocken oder Borkenkäfer zur Fichte kommen, die mit dieser Baumart nicht zurechtkommen.
Besonders die Kommunikation mit Duftstoffen der Borkenkäferarten Buchdrucker und Kupferstecher ist sehr gut untersucht. Man kann diese Duftstoffe künstlich herstellen, und sie werden beim Monitoring dieser Arten verwendet, indem man die Käferfallen mit den Pheromonen bestückt. Aber gerade diese Duftstoffe ermöglichen auch den Einsatz der Hunde.
Früherkennung dank feinstem Geruchssinn
Die Nase des Hundes ist ein fantastisches Sinnesorgan, dessen Leistung der Nase des Menschen millionenfach überlegen ist. Heute wird der feine Geruchssinn der Hunde nicht nur zur Suche nach Menschen oder Wildtieren, sondern auch zum Aufspüren von Geldscheinen, Datenträgern sowie für die Suche nach Kadavern, Kot von Wildtieren und den Tieren selbst eingesetzt. Letztendlich kann der Hund alles was riecht nicht nur finden, sondern auch sehr genau identifizieren. Für die Suche nach dem Borkenkäfer müssen die Hunde also zu Beginn einer Ausbildung die «Borkenkäfersprache» lernen. Das heisst, sie lernen die Pheromone des Buchdruckers kennen und sollen diese dann suchen. Da dieser Geruch zu Beginn einmal keine Bedeutung für den Hund hat, wird der Geruch der Pheromone mit Futter oder einem Spielzeug verknüpft, das der Hund dann erhält, wenn er diesen Geruch aufgespürt hat. Hat der Hund den Geruch einmal kennengelernt, muss er auch noch eine sogenannte Anzeige lernen, ein Verhalten, mit dem er uns zeigt, dass er etwas gefunden hat. Dazu kann sich der Hund am Baum aufstellen, den Baum anbellen, zwischen Baum und Mensch hin und her pendeln oder sich einfach vor den Baum setzen. Wie der Hund seinen Fund anzeigt, ist im Endeffekt völlig egal. Wichtig ist, dass der Mensch erkennt, dass der Hund etwas gefunden hat. Für diese Arbeit eignen sich besonders sehr arbeitsfreudige Hunderassen, die einen guten Geruchs
sinn haben. Dabei ist die Arbeitsfreude viel wichtiger als die Nasenleistung, da die Borkenkäfer für Hunde relativ leicht zu finden sind. Dazu kommt, dass der Hund bei der Arbeit im Wald jagdlich nicht übermässig motiviert sein sollte, da eine Ablenkung durch Hase, Reh oder Hirsch den Sucherfolg des Hundes, was den Borkenkäfer betrifft, doch deutlich herabsetzen kann. Aber warum braucht man jetzt einen Hund, da man Borkenkäferbefall ohnehin anhand des Bohrmehls, der Harztropfen am Stamm, der Bohrlöcher oder durch die Spechtspuren einwandfrei feststellen kann? Das ist im Prinzip schon richtig, aber einer der wesentlichen Vorteile des Hundes besteht darin, dass er einen Borkenkäferbefall schon feststellen kann, wenn äusserlich noch keine Zeichen vorhanden sind. Mit Hilfe des Hundes ist es also möglich, die Fichten zu finden, in denen der Bor-
kenkäfer überwintert. Dazu sucht man mit dem Hund den Wald im Spätwinter oder im frühen Frühjahr ab. Zu einer Zeit, in der die Lufttemperatur noch unter 16°C liegt und der Borkenkäfer noch nicht aktiv ist. Findet der Hund in diesem Zeitraum einen vom Borkenkäfer befallenen Baum, kann man die Massenvermehrung nicht nur in ihrer Entstehung stark bremsen, es besteht auch kein unmittelbarer Handlungsbedarf, da der Käfer noch nicht aktiv ist. Man hat also ausreichend Zeit, Personal zum Fällen des Baumes sowie zum Abtransport des Stammes zu organisieren. Im Sommer, wenn der Käfer voll aktiv ist, muss man viel schneller reagieren während man im Frühjahr ausreichend Zeit hat und warten kann, bis eine grössere Anzahl von Bäumen zu fällen ist, beziehungsweise ausreichend Holz gelagert wurde, dessen Abtransport dann auch ökonomisch sinnvoll ist.
Trefferquote von bis zu 90 % Dann stellt sich allerdings die Frage: Wie gut sind die Hunde wirklich am Ende des Tages? Versuche der Fachhochschule in Weihenstephan haben bereits 2005 gezeigt, dass die Hunde einwandfrei und sicher in der Lage sind, vom Borkenkäfer befallene Bäume zu identifizieren, dazu reichen auch geringste Bohrmehlreste. Schwedische Wissenschaftler konnten ausserdem zeigen, dass die Hunde die verschiedenen Pheromone des Buchdruckers mit über 90%iger Sicherheit von anderen Pheromonen unterscheiden können. Das eröffnet unter anderem die Möglichkeit, Hunde nicht nur auf Borkenkäfer zu trainieren, die für die Fichte relevant sind. Es ist auch möglich, Hunde auf andere Borkenkäferarten zu trainieren, die sie sicher und artspezifisch finden können. Die schwedischen Kollegen konnten weiters zeigen, dass Hunde vom Borkenkäfer befallene Bäume aus einer Distanz von bis zu 150 Meter erkennen und auffinden können. Damit bleibt noch die Frage, wie schnell und wie sicher die Hunde Käferbäume finden können. Erfahrungen aus Suchen in Österreich haben gezeigt, dass in einem einfachen Gelände mit wenig oder keinem Unterwuchs, der Hund eine Fläche von bis zu 10 Hektaren pro Stunde absuchen kann. Sind die Hunde gut ausgebildet, dann finden sie in dieser Fläche bis zu 90 % der befallenen Bäume, wobei es für die Hunde kein Problem ist, den befallenen Baum stammgenau anzuzeigen. Handelt es sich bei dem Befall allerdings um ein Käfernest, wird die Sache ein wenig komplizierter. Im Käfernest steht der Hund in einer riesigen Geruchswolke aus Pheromonen und kann keine bestimmte Geruchsquelle ausmachen. Er muss also lernen, sich zu entscheiden und entweder irgendeinen Baum in dieser Geruchswolke anzuzeigen oder sich an den Rand der Wolke vorzuarbeiten, um dann anzuzeigen. In diesem Fall kommt dann der Mensch zum Einsatz, der die Bäume in diesem Bereich optisch kontrolliert und damit das Ausmass des Käfernests feststellen kann. Theoretisch wäre
es auch noch möglich, nach Entfernen der Käferbäume diese Massnahme mit dem Hund zu kontrollieren, um zu sehen, ob wirklich alle befallenen Bäume entfernt wurden. Dazu gibt es allerdings noch keine Erfahrungen. Ein weiterer wesentlicher Vorteil, der in erster Linie bei der Kontrolle von Schutzwäldern zum Tragen kommt, ist die ausgezeichnete Geländegängigkeit des Hundes. In steilen Hanglagen, in denen ein Begehen mit Gefahren verbunden ist, kann der Hund ein wertvoller Helfer sein, der diesen Bereich absucht. Erst wenn er etwas gefunden hat, muss sich der Mensch zum Käferbaum vorarbeiten, wodurch eine mögliche Absturzgefahr minimiert wird.
Man rechne
Am Ende sprechen dann die Kosten für sich. Die Erfahrungen zeigen, dass ein menschlicher Absucher etwa 60 % der befallenen Bäume findet und für einen Hektar Fichtenforst etwa eine Stunde braucht. Dem gegenüber steht ein Borkenkäfersuchhundeteam, das etwa 90 % der befallenen Fichten findet und bis zu 10 Hektaren pro Stunde absuchen kann. Und auch wenn man für das Suchhundeteam einen etwas höheren Stundensatz veranschlagt, belaufen sich die Gesamtkosten am Ende nur auf etwa 75 % eines menschlichen Absuchers.
Auch wenn es am Anfang ein wenig skurril erscheint, Hunde zur Suche nach Borkenkäfern einzusetzen, so macht es am Ende sogar ökonomisch Sinn. Eines muss allerdings klar sein, der Hund ist keine Wunderwaffe im Kampf gegen den Borkenkäfer. Aber er ist ein Puzzleteil, das helfen soll, die vom Borkenkäfer im Wald verursachten Schäden so gering wie möglich zu halten.
Dr. Leopold Slotta-Bachmayr ist Zoologe, Hundeführer und -trainer sowie Autor von Büchern, unter anderem über die Arbeit mit Hunden.
Arbeitsgemeinschaft BoDogs – www.bodogs.org
Buch-Neuauflage: Insekten im Wald
In der 2021 erschienenen, aktualisierten Zweitauflage wird die vielfältige ökologische und ökonomische Bedeutung von Insekten im Wald dargestellt.
Dr. Beat Wermelingersondern beeinflusst massgeblich die Waldentwicklung der betroffenen Bestände. Genauso schaffen Borkenkäfer als sogenannte Ökosystemingenieure neue Lebensräume in unseren Fichtenwäldern.
Insekten und andere Gliederfüsser können für uns auch wirtschaftlich wichtig sein, sowohl negativ als auch positiv. Schmetterlingsraupen, Läuse und natürlich Borkenkäfer können Schäden verursachen.
Zecken, Raupen mit Brennhaaren oder stechende Insekten können gefährlich werden. Anderseits liefern uns Insekten wertvolle Produkte, dienen uns als Nahrungsmittel oder halten schädliche Insekten in Schach.
All diese Aspekte von Waldinsekten werden im Buch ausführlich behandelt und mit 580 Farbbildern anschaulich dargestellt. Auch auf eingeschleppte Arten und die Gefährdung von Waldinsekten wird eingegangen. Das Buch spricht durch seine reiche Bebilderung und die verständliche Sprache alle Naturinteressierten an.
Eingeschleppte Arten können invasiv werden, während andere in ihrem Überleben gefährdet sind.
Das Buch stellt die verschiedenen Aspekte der Insekten im Lebensraum Wald in Text und Bild dar. Es stützt sich dabei auf wissenschaftliche Grundlagen, ist jedoch in leicht verständlicher Sprache geschrieben. Damit richtet es sich gleichermassen an Fachpersonen und interessierte Naturliebhaberinnen und -liebhaber. Durch seine reiche Bebilderung mit 580 faszinierenden, teils grossformatigen Farbfotos von rund 300 Insekten- und Spinnenarten ist es zugleich auch ein attraktiver Bildband.
Das Buch wurde 2019 mit dem Prix Moulines der Schweizerischen Entomologischen Gesellschaft ausgezeichnet.
Auch in unseren Wäldern hat die vielfältige Insektenfauna eine grosse Bedeutung für das Funktionieren und die Stabilität dieser Ökosysteme. Eine wichtige Funktion ist das Bestäuben von Pflanzen. Zwar werden alle Nadelbäume vom Wind bestäubt, etliche Laubbäume, Sträucher und Krautpflanzen sind aber auf Insekten angewiesen. Einen wesentlichen Anteil haben Insekten beim Umsatz von organischer Substanz. Nicht nur grünes Pflanzenmaterial wird beim Fressen umgesetzt, sondern speziell auch beim Abbau von abgestorbenem Holz sind Insekten massgeblich beteiligt. Auch beim Verwerten von Aas und Kot gehören sie zu den ersten Besiedlern. Zudem tragen sie mit vielen anderen Wirbellosen zur Humusbildung und Bodenfruchtbarkeit bei. Eher unfreiwillig stellen Insekten eine bedeutende Nahrungsquelle für andere Organismen dar. Viele Wirbeltiere wie die grosse Mehrheit der Vögel, die Fledermäuse oder Eidechsen hängen von diesem hochwertigen Futter ab. Insekten fressen aber auch andere Insekten. Verschiedene Käfer, Wanzen, Fliegen oder Schlupfwespen regulieren als natürliche Feinde die Populationen pflanzenfressender Arten. Auch die Borkenkäfer werden unter normalen Bedingungen von einem Heer von Gegenspielern in Schach gehalten. Die Roten Waldameisen haben ebenfalls eine grosse Bedeutung, unter anderem als Räuber von Schmetterlingsraupen.
Insekten transportieren Pilze oder Milben in neue Lebensräume, sie merzen kränkliche und alte Bäume aus und erhöhen so die Bestandesfitness. Sie können sogar bedeutsame Gestalter ganzer Ökosysteme sein. Vom Engadin bekannt ist der Lärchenwickler mit seinen regelmässigen Zyklen. Er beeinflusst nicht nur die auf der Lärche lebende Insektenfauna,
Neuer Projektleiter SELVA und Stellvertreter der Geschäftsführerin
Durch den Wunsch von Urs Rutishauser nach vorzeitigem Ruhestand im November 2021, musste die SELVA die 100 %-Stelle Projektleitung/Sekretariat neu ausschreiben.
Nach den Bewerbungsgesprächen wurde der 31-jährige gebürtige Walliser Alain Schmid am 13. Januar 2022 einstimmig vom SELVA-Vorstand gewählt. Bereits seit neun Jahren in Graubünden tätig, ist Alain Schmid im Herbst 2021 frischgebackener Förster HF geworden. Zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern ist er fest im Kanton verwurzelt.
Seit Mitte Februar unterstützt er die Geschäftsstelle in Landquart tatkräftig.
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Vorschau «Bündner Wald» August 2022
Pilze im Wald «Überall hets Pilzli draa», wem sind diese Worte von Peach Weber nicht bekannt? Dem armen Peach wirds zum Ende seines nicht ganz so ernst zu nehmenden Textes schlecht, was ein etwas trübes Bild auf die Pilz-Grossfamilie wirft. Doch im Ernst, was wäre das irdische Leben ohne die Pilze? Vermutlich weniger reichhaltig und produktiv. Denn viele von ihnen sind äusserst wichtige Nährstofflieferanten oder helfen, gewisse Nährstoffe für Pflanzen überhaupt erst erreichbar zu machen. Es ist riesig und faszinierend, das Reich der Pilze und weit grösser als der Bündner Wald.
Redaktion: Jörg Clavadetscher
Vorschau auf die nächsten Nummern: Oktober 2022: Wald und Klimawandel Redaktion: Susi Schildknecht Redaktionsschluss: 23. August 2022
Dezember 2022: Alternative Geschäftsfelder Redaktion: Jörg Clavadetscher Redaktionsschluss: 18. Oktober 2022
Herausgegeben von Graubünden Wald, Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden und der SELVA Verlag: © Somedia Production AG, CH-7007 Chur Sekretariat: SELVA, Bahnhofplatz 1, CH-7302 Landquart, Telefon + 41 (0) 81 300 22 44, buendnerwald @ selva-gr.ch Redaktoren: Redaktion: Susi Schildknecht, susi.schildknecht@bluewin.ch, Jörg Clavadetscher, forestal-muestair@bluewin.ch. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge in nicht verlangter Form ohne Rückfrage zu ändern. Herstellung: Viaduct, 7000 Chur. Erscheint sechsmal jährlich. Auflage: 1400 Exemplare Inserate: Somedia Promotion, Telefon + 41 (0) 81 650 00 70, thusis @ somedia.ch Abonnementspreise: CHF 60.– (inkl. MwSt. für Mitglieder Verein Graubünden Wald) Abonnemente/Adressänderungen: Telefon 0844 226 226, abo @ somedia.ch, www.buendnerwald.ch Für Inseratetexte übernimmt die Redaktion keine Verantwortung, auch muss die Meinung der Beiträge nicht mit der Ansicht der Redaktoren übereinstimmen. Autoren, die zu obenstehenden Themen publizieren möchten, sind herzlich eingeladen, ihre Vorschläge der Redaktion einzureichen.