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Die Presse Unabhängige Tageszeitung für Österreich Wien, am 01.03.2021, 312x/Jahr, Seite: 2 Druckauflage: 52 876, Größe: 89,07%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 13412244, SB: Ischgl
Legt die Ischgl-Studie wirklich eine hohe Durchseuchung nahe? Dunkelziffer. Die Schätzungen der Experten reichen – je nach Berechnungsmethode – von sieben bis 30 Prozent. VON KÖKSAL BALTACI
Wien. Auf rund 30 Prozent schätzt Franz Al-
mit dem Coronavirus hinter sich haben. Hochrechnungen von Wissenschaftlern des Instituts für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie der TU Wien, die auch Parameter wie die Altersstruktur einer Gesellschaft in ihre Modelle einbeziehen, kamen Ende Jänner sogar auf nur sieben Prozent Durchseuchung. Belastbare Informationen über die Verbreitung des Coronavirus in einem Land sind insofern von großer Bedeutung, als die meisten Virologen und Epidemiologen der Ansicht sind, dass ab einer Immunisierung von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung eine Herdenimmunität erreicht und die Pandemie endgültig gestoppt werden kann.
lerberger, Leiter der Abteilung für Öffentliche Gesundheit der Ages, die Durchseuchung in der österreichischen Bevölkerung. Das hieße, dass sich bisher knapp drei Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben – die meisten von ihnen, ohne es zu bemerken, denn die Zahl der bestätigten Fälle liegt aktuell bei rund 453.000. Grundlage für diese Annahme ist die Sterblichkeitsrate von 0,26 Prozent, die in Ischgl ermittelt wurde, einem der am gründlichsten getesteten Orte der Welt. Dort hatten sich bereits während der ersten Welle im Frühjahr vergangenen Jahres 42,7 Prozent der Bevölkerung (etwa 1600 Einwohner) an- „Irgendwo in der Mitte“ gesteckt, zwei Menschen starben. Öster- Dorothee von Laer selbst schätzt die Durchreichweit sind bisher 8394 Menschen mit seuchung auf „irgendwo zwischen 15 und 30 dem Coronavirus im Körper gestorben. Bei Prozent“. Verlässlichere Angaben seien dereiner Letalität von 0,26 Prozent zeit schlichtweg nicht möglich, ergäbe das eine Durchseudazu benötige es weitere österchung von besagten 30 Prozent. reichweite Antikörperstudien, Eine DurchEine Schätzung, die Dorodie ihrer Meinung nach auch sinnvoll wären. Die Bevölkethee von Laer, Leiterin des Inseuchung von stituts für Virologie der Medrung in Ischgl wurde zwar 30 Prozent ist eine Uni Innsbruck und Initiatorin gründlich getestet, noch sei sehr optimistische aber unklar, ob sie auch wirkder Ischgl-Studie, zwar nicht für Annahme. ganz ausgeschlossen, aber auch lich repräsentativ ist, um die nicht für sehr wahrscheinlich Zahl der Spitalspatienten Dorothee von Laer, (neun) sowie Todesopfer (zwei) hält; zum einen, weil sie auf BaLeiterin der Ischgl-Studie als Grundlage für Berechnunsis von nur zwei Todesopfern ermittelt wurde – bereits ein gen zur Dunkelziffer heranzuTodesfall mehr hätte die Sterblichkeitsrate ziehen. Die ermittelte Letalität von 0,26 sei deutlich erhöht –, zum anderen, weil die Le- „sicher nicht völlig verkehrt“, weil auch Stutalität nicht das einzige Kriterium ist, um dien aus anderen europäischen Orten ähnliRückschlüsse auf die Dunkelziffer zu ziehen. che Raten ergaben, aber es könne damit geAuch Studien, die andere Faktoren be- rechnet werden, dass die Menschen in leuchten, müssten berücksichtigt werden – Ischgl etwas gesünder sind als im Österetwa die im November durchgeführte Anti- reich-Schnitt – beispielsweise einen höhekörperstudie der Statistik Austria mit 2229 ren Vitamin-D-Spiegel (wegen der höheren zufällig ausgewählten Personen ab 16 Jah- Lage des Ortes, Vitamin D dürfte nach einer ren. Daraus ging hervor, dass lediglich Infektion einen schützenden Effekt haben) 39 Prozent der bis dahin angesteckten Per- aufweisen oder seltener an starkem Übergesonen den Behörden bekannt waren. 61 Pro- wicht leiden, das einen Risikofaktor für zent der Probanden mit Antikörpern im Blut schwere Verläufe darstellt. hatten die Infektion überstanden, ohne es Unabhängig davon hänge die Sterblichzu merken und ohne bei der Kontaktnach- keit immer auch von der Gesundheitsversorverfolgung ausgeforscht zu werden. gung in der jeweiligen Region ab. So wird Von diesen Zahlen ausgehend müssten europaweit die Sterblichkeit von Covid-19 je sich bisher etwas mehr als eine Million Men- nach Land mit 0,2 bis ein Prozent angegeschen angesteckt haben, also rund zwölf bis ben. In Portugal etwa seien Covid-19-Patien13 Prozent der Bevölkerung – weit entfernt ten gestorben, weil sie nicht die optimale Bevon Allerbergers Vermutung. Auch Simula- handlung bekamen, unter anderem, weil der tionsforscher Niki Popper kam zuletzt zum Sauerstoff knapp wurde. In Ischgl (und Tirol) Schluss, dass etwa 15 Prozent eine Infektion hingegen war die Versorgung nie in Gefahr.
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