Italien Magazain 02 2022

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Aufschlagseite: Jeder möchte auf den berühmten Julia-Balkon in Verona; der Club der Julias in Verona. Oben: Briefe an der Mauer der Eingangstüre ; Innenhof; Christina mit ihrem Julia-Kleid.

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ITALIEN MAGAZIN

erliebte. Romantiker. Tagebuchschreiber. Oder auch Einsame. Sie alle tun es, schreiben einen Brief an jene Julia, die Shakespeare mit „Romeo und Julia“ unsterblich gemacht hat. Diese Briefe – schlicht adressiert an: „Julia, Verona, Italien“ – kommen tatsächlich an. Und sie werden sogar beantwortet – ganz individuell. Gut 7.000 Briefe bekommt die ominöse Julia jedes Jahr. In ihrem Namen antworten 15 Frauen aus Verona. Ehrenamtlich und unermüdlich. Zur Hälfte sind es junge Leute zwischen 16 und 25, aber auch bis zu 80-Jährige schreiben, unter ihnen Manuela (53). „Es geht um alles, von der ersten Liebe bis zur Scheidung“. „Susan aus Schottland wollte wissen, ob romantische Liebe in einem kühlen Klima möglich sei“, erzählt Giovanna, die Präsidentin des Julia-Clubs. „Und einer ist sogar ins Kloster gegangen, weil die Liebe seines Lebens seine Gefühle nicht erwidert hat“, ergänzt Carlotta, 24 Jahre alt und schon seit fünf Jahren eine Julia.

Julia auf Instagram

Äußere Zwänge waren es, die beim historischen Vorbild der Liebe im Wege standen: Romeos Montecchi-Familie war

Anhänger der Kaiser-Partei, während Julias Familie Cappelletti zu den Papst-Anhängern zählten. Eine unüberbrückbare Kluft. Christina, 25 Jahre alt, bildhübsch und die Julia im historischen Gewand bei offiziellen Anlässen, wundert und freut sich, dass die Menschen bis heute Trost in Verona suchen - und das auf dem Briefweg: „Nur ein Viertel der Post an Julia ist digital!“ Obwohl Julia E-Mail-, Facebookund Instagramadresse hat. Nur kein Whatsapp. Ironischerweise aber geht es dabei häufig um die digitale Gefühlswelt: „Ich liebe sie seit fünf Jahren, habe sie aber bislang nur auf dem Smartphone gesehen“, mailt ein 20-Jähriger. Vor Julias Statue im Hof der Casa Giulietta schwören sich zwei Liebende ewige Treue. Und auf dem Balkon küsst sich ein Paar. Diesen Balkon hat Shakespeare übrigens erfunden, wie zwei Drittel der tragischen Geschichte. Julias Balkon ist ein Sarkophag, der erst 1935 angebracht wurde. „Romantisch ist es trotzdem. So romantisch wie das Briefeschreiben!“, sagt Carlotta. „Echte Briefe sind ernsthafter, intensiver, glaubwürdiger“. Der längste Brief der bislang eingegangen 200.000 Briefe ging immerhin über zehn Seiten… • julietclub.com


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