Das Heft – Ausgabe Nr. 5 (2021) – Integration – Inklusion

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DOSSIER

Schulisches Lernen mehrsprachig

Erste Konzepte für den Einbezug von Erstsprachen in den Unterricht stammen aus der Deutsch- und Sprachendidaktik. Doch es gibt auch den Ansatz, Mehrsprachigkeit in allen Fächern zu fördern. Von Simone Kannengieser

D

ass das Lernen einer Sprache nicht auf Kosten einer anderen Sprache geht, ist nicht in allen Kontexten gleichermassen selbstverständlich. Auch wird in manchen bilingualen Konstellationen die personen- oder situationsbezogene Trennung von Sprachen empfohlen, in anderen käme niemand auf diese Idee. Man denke an die Diskussionen um frühe Deutschförderung und zum Vergleich an einen deutsch-französischen Kindergarten. Befürchtungen, der Erwerb zweier oder mehrerer Sprachen könne überfordern, und die gleichzeitige, gemixte oder verschränkte Verwendung zweier oder mehrerer Sprachen richte Schaden an, hegen Laien wie Fachpersonen besonders für Menschen, die als «fremdsprachig» oder als «kognitiv beeinträchtigt» klassifiziert werden. Deshalb stellen Inklusionsbestrebungen eine Mehrsprachigkeitsförderung in den Mittelpunkt, die keinen Unterschied nach dem Prestige der Sprachen oder nach der Begabungsdiagnose macht. Erste Konzepte und Impulse für den Einbezug der Erstsprachen in Unterricht und Schule stammen aus der Deutsch- beziehungsweise Sprachendidaktik. Hier sind die Ansätze der «Language Awareness», der Sprach- und Sprachenbewusstheit, sowie des Sprachenvergleichs herausragend (vgl. Seite 18). Kennzeichnend für diese Ansätze ist, dass die Sprachen zum Gegenstand der Betrachtung gemacht werden. Zielsetzungen im Kompetenzbereich «Sprache(n) im Fokus» – so heisst er im Lehrplan 21 – gehen dabei einher mit pädagogischen Zielsetzungen der Wertschätzung und Präsenz aller ins Klassenzimmer mitgebrachten Sprachen. Mit Sprache nachdenken und arbeiten Das Erkennen von Einzelsprachen, das Entdecken von ähnlichen Lexemen oder die Erforschung grammatikalischer Eigenarten verschiedener Sprachen sind sprachenunterrichtliche Inhalte. Dem lässt sich ein

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Ansatz gegenüberstellen, nach dem Mehrsprachigkeit in allen Fächern gefördert würde, indem sprachliches Handeln in allen individuell verfügbaren Sprachen ermöglicht würde. Über Sprache nachzudenken und zu arbeiten, ist das Eine. Etwas Anderes ist es, mit Sprache nachzudenken und zu arbeiten. Will man verfügbare Sprachen in ihrer vollen Funktion fördern, muss man die Repräsentation und Verarbeitung von Wissen, sprachliches Codieren, Decodieren und Dekontextualisieren, die verbale Herstellung von Vorstellungs- und Gedankenräumen in allen diesen Sprachen zulassen und unterstützen. Mathematisches Denken, Sprechen über Musik, Methoden des Philosophierens, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder die Verwendung von Kulturtechniken mehrsprachig zu organisieren, heisst konkret etwa: − Gruppenarbeiten nicht nur, aber auch nach dem Kriterium gemeinsamer Sprachen unter Peers einzuteilen − Kooperatives Lernen unter Sprechenden gleicher und unterschiedlicher Sprachen anzuleiten − A ls mehrsprachige Lehrperson mit Schüler*innen geteilte Sprachen im Unterricht zu verwenden − Mehrsprachige Unterrichtseinheiten im Teamteaching durchzuführen − Verschiedensprachige Texte aller Genres einzusetzen − Sachwissen verschiedensprachig recherchieren zu lassen − M it Schüler*innen mehrsprachige Erklärvideos herzustellen − Ü ber kommunikative Formate wie Interviews, Briefe, Telefonate, Videokonferenzen für die mehrsprachige Verarbeitung von Gelerntem und zu Lernendem sorgen In einem solchen Konzept geht es also um den Gebrauch individueller Mehrsprachigkeit für schulisches Lernen, um Sprache als Instrument. Aber gerade in Bezug auf den instrumentellen Charakter von Sprache entstehen Diskriminierungen. Es werden nämlich nicht allen Sprachen dieselben Funktionen zugestanden. «Familiensprachen» werden auf alltagspraktische Kommunikation reduziert. Erstsprachen werden als «Herzsprachen»


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