ImmoFokus Sommer 2020

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Die Lacke stirbt

sehe, eine objektive andere Welt kann ich nicht sehen, denn es gibt eben nur DEINE oder MEINE Welt. Das Einzige, was wir tatsächlich erreichen können, ist eine ähnliche Sicht der Dinge, die im Informationsaustausch entsteht, in DEINEM und in MEINEM Kopf.

Liebe Freundin, lieber Freund!

Wir müssen dem Klimawandel entgegentreten Ich sitze am Schreibtisch und schaue hinaus auf den Schrändlsee, diese alte – leider längst vergangene – Lacke. Heute ist sie „nur“ noch Wiese, denn schon in den 1950er Jahren wurde ihre wasserdichte Schicht durchbrochen, das Oberflächenwasser hält sich nicht mehr, das Entlastungsgerinne der nahegelegenen Kläranlage hat der Lacke den letzten Rest gegeben. FreundInnen aus Illmitz erzählten mir, wie sie damals über den Schrändlsee mit den Schlittschuhen gelaufen sind, dann kurz die Schuhe aus- und umgezogen haben, um gleich drüben am Kirchsee weiter zu laufen. Heute stirbt die Lacke ein zweites Mal: Während vor fünf Jahren aus der Wiese noch mindestens 20 Strohballen gewonnen werden konnten, sind es – ob der ständigen Dürre – in den letzten Jahren oft weniger als zehn, manchmal gar keiner. Während ich so hinausblicke, befinde ich mich in selbst auferlegter Quarantäne. COVID-19 hat uns fest im Griff, ich sorge mich um meine schon etwas ältere Mutter, die alleine im 4. Bezirk lebt und nur durch uns versorgt werden kann. Durch meine Lehrtätigkeit hatte ich in den vergangenen Tagen und Wochen eine Vielzahl von sozialen Kontakten, die ich nunmehr annähernd auf 0 reduziert habe. Der helle Sonnenschein draußen über der pannonischen Tiefebene – unmittelbar nach dem letzten Abbruch der Kalkalpen – irritiert mich etwas und ich werde trotzdem am späteren Nachmittag hinaus laufen gehen, vielleicht ein wenig in der Werkstatt arbeiten, Obstbäume schneiden, alleine hinausfahren, um die Reben zurück zu schneiden. Ich habe das auch gestern gemacht und auf den Feldern niemanden getroffen. Im Englischunterricht haben wir das Buch „On the beach“ von Nevil Shute gelesen, ich konnte es halb auswendig, weil ich glaubte, es zur Matura zu bekommen. Es war dann doch der „Gatsby“ im Vergleich zur „Importance of being earnest“. Shute beschreibt eine Welt nach dem großen Atomkrieg. Seine Charaktere sind eine kleine Gruppe, die dem Strahlentod entgegengeht. Einige von ihnen – zB Moira Davidson – „tries to flee reality while racing“, sie flüchtet sich in halsbrecherische Autorennen – ob sie dabei stirbt, weiß ich nicht mehr. Ich weiß aber, dass etwa das „Schwarze Kameel“ gestern knall voll gewesen sein soll. Nichts gegen das „Schwarze Kameel“, vielleicht ist es ja der gesellschaftliche Österreich-Ring dieser Tage. Ich habe keine wissenschaftliche Evidenz über die Frage, warum das alles so ist, wie es ist, ich kann nur beobachten, probieren, Schlüsse ziehen. Es sind MEINE Schlüsse, weil es ja auch MEINE Welt ist, die ich

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BLUEPRINT und die Redaktion dieses fabelhaften Magazins haben es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem dem Klimawandel entgegen zu treten, einer Entwicklung, die sich irgendwo da oben abspielt, da oben zwischen den Wolken, da oben in einer hell erleuchteten Welt, die in einem Maße zerbrechlich ist, wie wir es uns angesichts ihrer Masse – gemessen an unserer eigenen Größe – nicht vorstellen können. Sie kurvt durch ein nicht allzu bedeutendes Sonnensystem, das in einem Teil des Universums existiert, das recht jung ist. Ich musste jetzt kurz aufstehen, weil mich fröstelt. Eugene Cernan, der Kommandant der Apollo 17 Mission, sagte nach seiner Rückkehr vom Mond im Jahre 1972: „Wir brachen auf, um den Mond zu erkunden, aber tatsächlich entdeckten wir die Erde.“ Er sah einen einzigartigen Planeten, perfekt platziert, perfekt temperiert, sodass Wasser in flüssiger Form vorhanden ist.

Wir müssen die Dinge in die Hand nehmen Wir leben, wie es der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht in seinem überaus empfehlenswerten Buch „Das Ende der Evolution“ (ISBN 9783-570-10241-1) beschreibt, auf und in einem kosmischen Glücks- und ungeheuren Zufall. Ich hoffe, dass ich mit diesen Zeilen keinesfalls eine Freundin oder einen Freund, die an einen oder mehrere Götter glauben, brüskiere. Das liegt mir weit fern. Jetzt aber liegt es an uns, die Dinge in die Hand zu nehmen und kräftig, unerschrocken, deutlich, ausdrücklich und ohne falsche Höflichkeit in die andere – in die gute – Richtung zu bewegen. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen und schließe keinen WENN-Satz an. Bevor ich das Ruder zum Guten herumschwenke – denn das GUTE gibt es, wir sind evolutionär betrachtet NETT, denn wären wir das nicht, es gäbe uns nicht mehr – noch ein paar Gedanken über den Klimawandel hinaus. Wenn ich dann hinüber in den Obstgarten gehe, dann kann ich die Stämme der alten und der von mir neu gepflanzten Bäume berühren. Der eine oder andere junge Baum ist von den Rehen „verfegt“ oder auch angenagt. Wird es das in 20 oder 30 Jahren noch geben oder wird die Art Rehwild ausgestorben sein, weil wir ihren Lebensraum so stark eingeschränkt haben, dass sie keinen Platz mehr hat? Werden wir die letzten Exemplare der Spezies auf der Straße zwischen Gols und Illmitz totfahren? Keine Sorge – im Tiergarten können wir den stolzen Rehbock weiter betrachten, sein Geweih müssen wir nur ein wenig stutzen, damit er sich selbst oder andere nicht verletzt.


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