Grosseltern-Magazin 04/2021

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Zusammen

ist man weniger alt Vier Generationen unter einem Dach – so wohnt unser Autor. Ein Modell der Zukunft, sagt die Wissenschaft. Hier knirscht es erst und wird dann zu einem Miteinander, das alles verändert – das Leben. Und das Altern. Von LORENZ WAGNER ( Text) und DANIEL DELANG (Fotos)

A

ls in der Früh die Männer mit den Sägen kommen, verbirgt sich Willi in seinem Bett. Einer der Männer klettert in den Wipfel, 25 Meter in der Höhe, doppelt so hoch wie das Haus. Die Spitze des Stamms fällt nach dem Mittagessen, der Fuss zur Dämmerung, Haus und Boden zittern, Sophia klammert sich um meinen Hals. In der ganzen Strasse riecht es nach geschlagenem Holz, eine Woche lang. Und eine Woche lang kommt Willi nicht aus seinem Zimmer. «Ich habe beschlossen», sagt er zu uns, «ich bin jetzt bettlägerig.» Er bricht uns das Herz. Dann geht Helga, seine Frau, zu ihm: «Die Sonne scheint so schön.» – «Nein!» Eine Stunde später Susanna, seine Tochter. Schliesslich Franziska: «Opa, bitte komm.» Sie führt ihn in den Garten, zu einem Stuhl. Seine Fichte! Älter als er mit seinen 95 Jahren. Borkenkäfer hatten sie dem Tod geweiht. Tränen füllen seine Augen. Dieses Loch im Gartenhimmel. Sophia kommt gelaufen, meine Tochter, vier Jahre alt. Sie stellt einen Stuhl vor Uropa Willis Füsse und, fein gereiht, einen zweiten, dritten, vierten, fünften. Ich muss mich nach vorn setzen, alle anderen dahinter, und sie beginnt zu singen: «Tuff, Tuff, Tuff, die Eisenbahn, wer will mit der Eisenbahn fahrn? Alleine fahren will ich nicht, da nehme ich den Opa mit.» Und ich sehe Willi hinter mir lächeln. Vier Generationen unter einem Dach. Kommt Besuch, drehen sich die Gespräche schnell um diese Familienaufstellung. Dieses scheinbar alte Modell wird zurückkommen, sagte mir ~

# 04 ~ 2021


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