Magazin Museum.de Nr. 43

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Henry van de Velde und die weißen Punkte Nicht nur blau-weiße Tonwaren im Keramik-Museum Bürgel Autor: Konrad Kessler

Die neue, so genannte Kunstkeramik – aufwendig dekorierte Ziergefäße, die zum Teil mittels Gipsformen und in mehreren Teilgüssen hergestellt wurden – erschloss neue Märkte. Bürgel entwickelte ein modernes Profil. Getragen von dieser Entwicklung wurde 1880 das „Keramische Museum zu Bürgel“ als öffentliche Mustersammlung gegründet. Ein Ziel war es, den hiesigen Töpfern Inspirationsquellen aus der eigenen Tradition aber auch anderen Gegenden und Kulturkreisen zu vergegenwärtigen.

Die kleine thüringische Töpferstadt Bürgel war nicht nur in der DDR für Keramik mit seiner intensiv blauen Engobe-Grundierung und dem kleinen weißen Pünktchen bekannt. Als Exportartikel ging die 1. Wahl häufig direkt in „den Westen“. Für die DDR-Bürger war die blau-weiße Keramik „Bückware“ und heiß begehrtes Tauschgut. So hört man auch immer wieder Geschichten, wie die glücklicherweise nie vollzogene Strafandrohung: „Fällt ein Bürgeltopf, rollt ein Kinderkopf!“ Das einzige Spezialmuseum für Keramik in Thüringen zeigt natürlich mehr als nur blau-weißes DDR-Geschirr.

Henry van de Velde und der Bürgeler Jugendstil

Töpferei-Geschichte in Bürgel

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Während archäologische Funde aus der Region Töpferei schon in der Jungsteinzeit belegen, dokumentieren schriftliche Quellen das Handwerk in Bürgel ab dem 17. Jahrhundert. 1660 schlossen sich fünf Töpfer in einer Innung zusammen und wachten fortan über Produktion, Handel und Ausbildung. Die weitläufig renommierte Spezialität der Bürgeler war in dieser Zeit neben einfacher Irdenware das sehr hoch gebrannte Steinzeug mit der so genannten „Blauen Schürze“.

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und dem Durchsetzen neuer Materialien für Haushalt und Küche, wie Porzellan, Steingut, Gußeisen oder Emaillewaren kam es zu einem massiven Einbruch des Absatzes. Das traditionsreiche Bürgeler Töpferhandwerk war existenziell bedroht.

In vorindustrieller Zeit wurde nahezu jedes erdenkliche Haushaltsgefäß für den tagtäglichen Gebrauch aus Ton hergestellt und in einem Umkreis von mehr als hundert Kilometern verkauft. So zeigt das Keramik-Museum Krüge, Kannen, Schüsseln, Teller, Tassen, Kuchenformen, Futternäpfe, Reibetöpfe und übergroße Vorratsbehältnisse. Es überrascht aber auch mit eigenwillig geformten Apothekergefäßen, Schreibtisch schmückenden Tintenzeugen und zierreichen Lasen – aufwendig gestalteten Tüllenkannen.

Die Großherzogliche Landesregierung in Weimar steuerte diesem Trend mit Unterstützung der Gründung erster Keramikmanufakturen und künstlerischer Anleitung entgegen. So produzierte man neben den neuen Eigenschöpfungen der Werkstattinhaber im historistischen Stil auch nach Entwürfen von Künstlern wie Bruno Eelbo und Hermann Obrist. Auf Anraten des letzteren durchlief auch die deutsche Jugendstil-Bildhauerin und Schriftstellerin Emmy von Egidy eine kurze Töpferausbildung in Bürgel.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Henry van de Velde, der bedeutende Universalkünstler des Jugendstils, als Berater in das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach geholt. Auf seine Ideen geht unter anderem die Gründung der Kunstgewerbeschule in Weimar zurück, aus der später das Bauhaus hervorgeht. 1902 besuchte van de Velde erstmals Bürgel. In seinem Spezialbericht schildert er die Bürgeler Fabriken, denen „die Seele und der Geist fehlt. Die Seele, der Modelleur; der Geist: der Chemiker“. Die Produkte sind geprägt von „widerlichen gewöhnlichen Tonfärbungen in grau und schmutzig-grün. [...] Diese allgemeine Häßlichkeit ist anti-traditionell und folglich auch anti-modern.“ Seinen Äußerungen zum Trotz zeigt das Museum auch Prunkvasen der Zeit um 1900, welche die hohe Kunstfertigkeit und das technische Know-how der Bürgeler Tonwarenfabrikanten belegen.

Linke Seite: Historistische Prunkvase (Detail) von Franz Eberstein, um 1890. Foto: Peter Eichler Rechte Seite: Krug von Hermann Obrist, um 1900 Foto: Marcus Rebhan


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