Artikel
DAS PRINZIP
VERANTWORTUNGSLOSIGKEIT von Nils Honkomp „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ (Jonas 1979: 36)
Wahrscheinlich würden die meisten Menschen dem Zitat des deutschen Philosophen Hans Jonas, der von 1955 bis 1976 als Professor an der New School for Social Research in New York lehrte, zustimmen. Sein Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung gilt bis heute als ein einflussreiches Werk in der Ethik und wird besonders im Kontext von Nachhaltigkeitsdebatten angeführt. Viele berücksichtigen dabei aber nicht, dass Jonas‘ sogenanntem „ökologischen Imperativ“ ein Subjektivi-
tätsverständnis zugrunde liegt, das ursprünglich auf René Descartes zurückzuführen ist. Immanuel Kant entwickelte wiederum das kartesische Subjektivitätsverständnis innerhalb seiner Kritiken insofern weiter, als dass es den Rang einer Zentralkategorie des philosophischen Denkens erreichte und den Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts maßgeblich prägte. Nun stellt sich die Frage, welche Implikationen mit den verschiedenen Begriffen von Descartes und Kant einhergehen. Ferner geht es dabei um Eigenschaften wie Autonomie, Willensfreiheit und die Fähigkeit zu eigenen moralischen Urteilen, die den Subjekten a priori zugeschrieben werden (vgl. Rohlf 2016: Abs. 5.1). Genauer geht es hier
um den Menschen als „[…] freies, vernünftiges, selbstwerthaftes Subjekt mit definierbaren, in sich konsistenten und relativ stabilen Werten, Bedürfnissen und Interessen[…].“ (Blühdorn 2012: 75) Was ist aber, wenn der bisherige Begriff von Subjektivität auf Individuen moderner Massengesellschaften nicht mehr zutrifft? Was ist, wenn das Subjekt nicht mehr frei, vernünftig und selbstwerthaft ist? Versetzen wir uns einmal in die Lage einer Person, die gegenwärtig in einer modernen Industrienation, wie beispielsweise den Vereinigten Staaten von Amerika, den meisten europäischen Ländern oder Japan lebt. Einerseits wird sie mit vielen verschiedenen Werten
Was ist, wenn das Subjekt nicht mehr frei, vernünftig und selbstwerthaft ist?“
27