ESSEN & TRINKEN TRADITION
EL AVISO | 11/2021
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Lang leben die Mauern! Die Margers von Mallorca sind mehr als Steine-Aufschichter. Ihr Handwerk prägt die Landschaft der Insel und hält eine uralte Tradition am Leben. Lluc Mir (44) ist der Vorsitzende des Verbandes der mallorquinischen Trockensteinbauer und ist stolz auf seine Zunft.
Über Mauern zu reden, so stellt sich im Gespräch mit Lluc Mir heraus, hat so viele Dimensionen wie eine Debatte übers Wetter. Es beginnt ganz harmlos als Smalltalk und führt am Ende zu erstaunlichen Einsichten. Mauern gehören in Mallorca zur Landschaft dazu wie die Olivenbäume und das Meer. Den meisten Menschen fallen Mauern wohl erst auf, wenn sie vor Altersschwäche oder unter Naturgewalten zusammenbrechen. Doch Lluc Mir, der Vorsitzende der mallorquinischen Trockensteinbauer-Zunft, kämpft dafür, dass sein Metier die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient.
Horizontale und vertikale Linien werden vermieden, Fugen unterbrochen. Wächst eine Mauer viele Meter in die Höhe, wird die Konstruktion hinter der Frontseite mit Steinen aufgefüllt. Diese Tiefe verleiht ihr die nötige Stärke. Meist benutzen die Marger Kalkstein, dessen unterschiedliche geologische Komposition und Farbtöne den Reiz einer solchen komponierten Gesteinswand ausmachen. Um die Natürlichkeit hervorzuheben, wird auf eine unregelmäßige Oberfläche der Steine Wert gelegt. Auch bei der hohen Wand von Randa weisen lediglich die Eckblöcke glatte Flächen auf, die kleinen Steine dagegen werden extra von Hand
Die Signatur des Mauer-Künstlers Wir treffen ihn auf einem Gerüst auf dem Gelände des Santuari de Nostra Senyora de Gràcia am Berg Randa. Die Stützmauer, die dort in die Höhe wächst, gehört mit sechs Metern zu den stattlichen Exemplaren ihrer Gattung. Seit fünf Jahren baut er mit seinen Leuten an dieser Mauer, ein langsamer Rhythmus, der sich nach der Verfügbarkeit der finanziellen Mittel der Auftraggeber richtet. Mit durchschnittlich 100 € pro Quadratmeter gehört eine handgeschichtete Mauer im Trockensteinbau zu den höherpreisigen Investitionen. „Aber wenn man Qualität und Haltbarkeit berücksichtigt, ist das nicht teuer“, stellt Lluc klar. An der Seite der Konstruktion hat er einen Stein mit einem heraus gehämmerten Gecko eingefügt, seine Signatur, die er an besonderen Bauwerken hinterlässt. Selbstbewusst tritt er für sein Handwerk ein. „Ich bin kein Künstler, ich bin Maurer.“
so behauen, dass sie wie natürlich erodiert wirken und so die Felsen der Umgebung imitieren. „Das Gestein von Randa ist sehr speziell und hat einen hohen Anteil an Quarzkristallen, die in der Sonne glänzen.“ Für die Mauer hat Lluc Mir zusammen mit dem Pächter des Anwesens große Gesteinsbrocken den Hang hinauf gewuchtet und in Llucmajor zuschneiden lassen. Die kleineren Steine kommen überwiegend aus einem nahegelegenen Steinbruch.
Mit Steinmauern die Felsen imitieren Man könnte ihn auch einen Mauer-Architekten nennen, denn der Bau einer Trockensteinmauer ist eine Wissenschaft für sich. Die Steine werden nicht in gerader Linie übereinander geschichtet, sondern ineinander verkeilt wie bei einer Brücke, damit sich der Druck nach allen Seiten verteilen kann.
Für diesen Beruf gibt es keine Lehrbücher Der Trockensteinbau auf Mallorca ist ein mündlich weitergegebenes Traditionshandwerk. „Es gibt keine Lehrbücher dafür und inzwischen auch keine Schule mehr.“ In den späten 1980er Jahren, erzählt Lluc, war der Beruf des Margers vom Aussterben bedroht. Die alten Meister fanden keine Nachfolger. „Wenn die Wissenskette einmal unterbrochen wird, kann man das Know-How nur noch aus bestehenden Bauten rekonstruieren.“ Also wurde 1986 die Escola de Margers (Trockenmaurerschule) in Sóller gegründet, um den Pfad Es Barranc de Biniaraix wiederherzustellen und junge Handwerker in dieser Branche auszubilden. „Das Consell von Mallorca hat die Schule über 20 Jahre geführt. Auch ich wurde dort unterrichtet, schon von jungen Meistern, die bei den alten gelernt hatten. Aber dann kam die
Krise und Förderung gab es nur noch für Projekte mit professionellen Qualifikationen.“ Die Ausbildung in der Schule gehörte nicht dazu, das Diplom wurde nirgendwo anders anerkannt. „Seit fünf Jahren gibt es unsere Vereinigung und das erste, wofür wir gekämpft haben, ist die offizielle Anerkennung
unseres Berufes.“ Als nächsten Schritt strebt das Gremi de Margers an, die Ausbildung wieder anzukurbeln. Schließlich wurde der Mauerbau Pedra en Sec, der ohne Bindemittel auskommt, von der UNESCO 2018 zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt. Trockensteinbau ist das Gegenteil von Schnelllebigkeit Obwohl in der Tradition verhaftet, ist der Trockensteinbau ein sehr lebendiges Gewerk. Welche Wunderwerke damit möglich sind, haben die Margers mit vereinten Kräften auf dem Weg zum Kloster Lluc an einer 11 Meter hohen Mauer bewiesen, deren einzelne Quader bis zu 1,5 Tonnen wiegen. „Einer hatte den Auftrag, aber neun Trockensteinmeister haben mit angepackt und wir sind super stolz auf das Ergebnis.“ Es ist allerdings ein großes Problem, Trockensteinbau als Standard zu erhalten, bemängelt Lluc Mir. „Beim Bau muss immer alles schnell und billig sein. Aber im Ergebnis ändert sich das Landschaftsbild der Insel.“ Deshalb interveniert die Vereinigung der Trockensteinbauer gegen Bausünden. Dank ihnen wird die Leitplanke an einem Straßenstück von Sóller nicht mit einem Imitat aus steinbesetzten Betonfertigteilen, sondern in echter mallorquinischer Handarbeit erneuert.