Leben und wir
Geschichte zweier Kindheiten
Klaus und Hosea Ratschiller FM4-Hörerinnen und -hörern sowie kabarettaffinen Menschen ist der Salzburger StierPreisträger Hosea Ratschiller aus Radio und TV ein Begriff. Seinem Vater – er ist Lehrer und Schriftsteller – sowie sich selbst machte Hosea ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk: ein gemeinsames Buch, das den Topos „Vater“ auf vielfältige Weise erforscht. TIPI hat mit Klaus und Hosea über ihre Kindheit geplaudert. von peter zirbs Tipi: Klaus, deine ersten Erinnerungen? Klaus Ratschiller: Ich bin viel am Fenster gestanden und habe hinausgesehen. Baustellen etwa habe ich geliebt, und glücklicherweise wurde direkt vor dem Fenster gerade das Gymnasium von Spittal an der Drau gebaut. Das war sehr spannend. Daneben war aber auch noch Platz für den Zirkus, und das Beobachten des Aufbaus ist ebenfalls eine ganz große Erinnerung. Und ich war Liebhaber von Katastrophen; da hat Spittal einiges geboten – fulminante Überschwemmungen etwa. Man merkt, ich bin ohne Fernseher und mit nur wenigen Kontakten nach draußen aufgewachsen. Und bei dir, Hosea? Hosea Ratschiller: Eine frühe Erinnerung ist, wie sich das anhört, wenn man im Herbst in Klagenfurt am Lendkanal durch die Blätter geht. Das versuche ich sogar jetzt noch beim Spazierengehen zu reproduzieren. Es gelingt aber nur dort. Ja, und die Angst vorm Krampus; die ist ebenfalls eine sehr frühe Erinnerung. Bist du g’scheit! Nach Hause gehen, meist war es neblig zu dieser Zeit, und man hört aus der Ferne die Krampusglocken. Das war unglaublich unheimlich. Auf dem Weg musste ich am Weihnachtsmarkt beim Lindwurm vorbei, und dort fühlte ich mich sicher – obwohl sich die Krampusse ja gerade dort aufhielten. Klaus, wie war deine Kindergartenzeit? Klaus Ratschiller: Es gab einen Versuch, uns in den Kindergarten zu bringen – ich hab aber dermaßen geweint, dass der Versuch abgebrochen wurde. Wir waren sehr viel zu Hause; fast könnte man sagen eingesperrt. Und ich kann mich an die Angst beim Holen der Kohle aus dem Keller erinnern: Wenn ich hinuntergegangen bin, war ich ein unfassbar ängstlicher Bub; beim Hinaufgehen hingegen war ich ein Held. Zwischen Heldentum und Angst, das beschreibt die Zeit recht gut.
tiefen Schacht geworfen habe, weil ich es nicht ausgehalten habe, dass er das hat und ich nicht.
Ein frühes Bildnis von Vater und Sohn: Während Klaus Zuversicht zu verströmen scheint, dürfte Hosea eher der skeptischen Fraktion anzugehören.
Erst in der Volksschule hatte ich mehr soziale Kontakte. Da ich so isoliert aufgewachsen bin, fehlten mir in bestimmten Situationen die Erfahrungswerte, etwa beim Raufen. Ich wusste nicht, wie das geht; wo der Punkt ist, an dem man gewinnt oder verliert. Das war ja ritualisiert: Lag einer am Rücken, rief man: „Gib auf!“ Das wusste ich alles nicht. Ich musste einmal meinen jüngeren Bruder verteidigen und hatte meinen Gegner schon am Boden. Ich saß auf ihm und sagte: „Ich geb jetzt auf!“ Vielleicht, weil ich gespürt habe, dass ich ihn nicht mehr lange unten halten konnte. Dieses Gefühl hat sich in mir bis heute verkörperlicht. Ich war einfach ungeübt, wenn es um Freund- oder Feindschaften ging. Und deine Kindergartenzeit, Hosea? Hosea Ratschiller: Ich weiß, dass man zu Mittag schlafen musste, was niemand wirklich gekonnt hat, und ich am allerwenigsten. Wenn man laut war, musste man sich in der Unterhose in die Ecke stellen, während die anderen versucht haben zu schlafen. Außerdem kann ich mich erinnern, dass mein Freund Milan He-Man und Skeletor als Actionfiguren gehabt hat. Ich war so neidig, dass ich seinen Skeletor in einen
Und dann kam die Volksschule ... Hosea Ratschiller: Das erste Jahr war ich in der Volksschule in Klagenfurt mit 30 anderen Kindern. Ich hab mich da nicht wirklich wohlgefühlt. Eines Tages kam ich heim und sagte, ich will nicht mehr in Religion gehen – weil das ja alles gar nicht stimmen würde. Damals musste man noch beim Bischof anrufen und fragen, ob das eh okay ist. Ich bin seitdem nicht mehr im Religionsunterricht gewesen. Nach dem ersten eher unangenehmen Volksschuljahr wurde die zweisprachige Volksschule – also Slowenisch und Deutsch – gegründet, und da bin ich dann hingewechselt. Dort war es dann gut. Damals trug sich eine intern berühmte Geschichte zu: Der Kärntner Landeshauptmann hatte sich angekündigt, die Volksschule zu eröffnen, und wir hatten ein Lied einstudiert. Doch wir Kinder weigerten uns aufzutreten, weil der Landeshauptmann Jörg Haider hieß und wir im Vorfeld aufgrund von Demonstrationen schon mitbekommen haben, dass er für die Rechte der Zweisprachigen wenig beigetragen hat. Die vierte Klasse habe ich in Wien gemacht, weil wir umgezogen sind. Das war nicht easy, weil ich eine Mischung aus Kärntnerisch und Slowenisch gesprochen habe. Meine Mitschüler in Wien waren alle aus katholischen Elternhäusern und in der Jungschar. Also bin ich dann sehr zur Verblüffung von Klaus auch in die Jungschar gegangen und blieb als Gruppenleiter bis zu meinem 15. Lebensjahr dort. Dann passierte etwas Arges: Eine der Organisatorinnen fragte mich, wann denn meine Firmung gewesen sei – sie könne sich gar nicht daran erinnern. Ich meinte: „Wieso Firmung? Ich war ja nicht mal bei der Erstkommunion!“ Ich musste sofort
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