ERKER 04 2021

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Gotteshäuser im Wipptal

Pfarrkirche zum hl. Stephanus LAGE: Ried KIRCHENPATRON: hl. Stephanus ENTSTEHUNGSZEIT UND ERBAUER: 17. Jh.; erbaut durch Jakob Delai

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ie Pfarrkirche zum hl. Stephanus in Ried bei Sterzing wurde in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts von Jakob Delai erbaut und 1669 neu geweiht. Ein erstes Gotteshaus wird in Ried jedoch urkundlich bereits 1492 erstmals erwähnt. Der Kirchturm mit seinen gekuppelten Spitzbogenfenstern und das Eingangsportal haben sich von diesem frühen Sakralbau bis heute erhalten und verweisen auf die Zeit um 1400. Es kann deshalb wohl davon ausgegangen werden, dass spätestens in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts in Ried eine Kirche im spätgotischen Baustil errichtet worden war. Der Kirchturm, dessen heutige Kuppel eine schlanke Form mit hoher Laterne aufweist, besaß ursprünglich ein Spitzdach. Der Neubau erfolgte

in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts im Stil des Frühbarocks und ging mit einer grundlegenden Umgestaltung des Kircheninneren einher. Das Kirchenschiff wird von einem gerade angelegten Chor abgeschlossen und von einem auf Pilastern ruhenden Tonnengewölbe mit umlaufendem Gebälk überspannt. Die Seitenkapellen sind in querschiffähnlichen Nischen untergebracht. Der Hauptaltar entstand 1670 und ist in seiner schwarz-vergoldeten Ausführung ein Werk von Franz Rastner. Die frühbarocken Säulenaufbauten sind schön gearbeitet und tragen einen Giebel mit den Statuen der hll. Georg, Oswald und Heinrich. Das zentrale Element stellt jedoch das 1670 entstandene Altarbild dar. Letzteres zeigt das Martyrium des hl.

Der hl. Stephanus (1. Jh.) gilt als erster christlicher Märtyrer und als einer der hll. Diakone. Er wirkte in der Urgemeinde in Jerusalem und war einer der eifrigsten und erfolgreichsten Prediger der noch jungen christlichen Gemeinschaft. Eines Tages soll er vor zugewanderten Juden gepredigt haben und mit diesen in Streit geraten sein. Sie schleppten ihn vor den Hohen Rat. Dort löste seine Verteidigungsrede allgemeine Empörung hervor; die aufgebrachte Menge trieb Stephanus vor die Tore der Stadt und steinigte ihn. Er wurde vermutlich in Kafar Gamala, einem kleinen Dorf nahe von Jerusalem, begraben. 415 brachte man die Reliquien nach Jerusalem, von dort kamen sie nach Konstantinopel (Istanbul) und schließlich 560 nach Rom in die Kirche S. Lorenzo fuori le mura. Seit 1141 befindet sich die linke Hand des Heiligen in der Klosterkirche der ehemaligen Benediktinerabtei Zwiefalten (Landkreis Reutlingen). Stephanus gilt u. a. als Schutzpatron der Erzdiözese Wien und des Stephansdomes, aber auch der Pferde, Pferdeknechte und Kutscher, der Maurer, Steinmetze und Zimmerleute, ebenso der Weber und Schneider. Er wird bei Kopfschmerzen sowie bei Blasen- und Gallensteinen angerufen und gilt als Helfer für einen guten Tod. Der Heilige wird zumeist als Diakon mit Palme und Buch dargestellt. Drei Steine auf dem Buch – oder in der Hand – erinnern an sein Martyrium.

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Stephanus und ist eine Auftragsarbeit des bekannten Barockmalers Stephan Kessler. Die Seitenstatuen des Hochaltares stellen die Wetterheiligen Johannes und Paulus dar. Der hagiographischen Überlieferung zufolge handelt es sich dabei um zwei Brüder, die im 4. Jahrhundert unter der Herrschaft von Kaiser Julian Apostata ihres Glaubens wegen öffentlich enthauptet worden waren. Das bäuerliche Brauchtum verehrt sie aufgrund ihres Todestages und dessen Nähe zur Sommersonnenwende und dem Siebenschläfertag, der als bedeutender Lostag bekannt ist, als Wetterheilige. Die Seitenaltarbilder

hingegen zeigen links die Heilige Familie und rechts den hl. Antonius mit dem Jesuskind. Die Kirche in Ried blieb durch mehrere Jahrhunderte hindurch weitgehend unangetastet, wurde jedoch schließlich am Beginn des 19. Jahrhunderts infolge von Kriegswirren beinahe zerstört. Durchziehende Franzosen steckten 1809 das Gotteshaus in Brand. Das Feuer konnte jedoch glücklicherweise rasch unter Kontrolle gebracht und die am Sakralbau verursachten Schäden in den folgenden Jahren wieder behoben werden. Harald Kofler


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