DOSSIER
In der Schule Geschlechterrollen hinterfragen Studierende der PH FHNW beschäftigen sich mit Genderthemen. Ihre Arbeiten zeigen, welche Rolle die Schule bei der Ausbildung von Geschlechtsidentitäten einnimmt. Von Michael Hunziker (Text) und Christian Irgl (Foto)
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Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es»: Simone de Beauvoir, die französische Philosophin und feministische Pionierin benannte vor siebzig Jahren bereits, was heute den aktuellen Diskurs in Schule und Gesellschaft beschäftigt. Ein Spannungsfeld zwischen biologischer Zuordnung und sozialen Geschlechterrollen, und mittendrin das Individuum. Gerade bei andersfühlenden Kindern und Jugendlichen kann hier ein Leidensweg beginnen, bei dem die Schule eine zentrale Rolle einnimmt. «Wenn man in der Schule von der Norm abweicht, wird es schwierig», sagt Bianca Urech, Lehrerin auf der Sek1 und Studentin an der PH. «Die Schule ist für Jugendliche der Dreh- und Angelpunkt, das gesamte soziale Gefüge entsteht hier, gerade deshalb müssen Lehrpersonen eine Sensibilität für Genderthemen haben.» Broschüre mit Tipps Bianca Urech hat zusammen mit ihrer Kollegin Sophia Minikus im Rahmen ihres Studiums eine Informationsbroschüre für die Schule erarbeitet, die zentrale Aussagen von trans Menschen zusammenfasst und Lehrpersonen zeigt, was es für einen genderneutralen Umgang mit Jugendlichen zu berücksichtigen gilt. Die beiden unterstützen die LGBT+-Community und haben in ihrem Umfeld Gespräche mit trans Menschen geführt, die ihnen bestätigten, wie entscheidend die Erfahrungen auf der Sekundarstufe 1 für ihre Persönlichkeitsentwicklung waren. Im Kollegium und in Gesprächen mit anderen Lehrpersonen haben Urech und Minikus eine gewisse Berührungsangst vor dem Thema Gender festgestellt.
28 DAS HEFT PH-Magazin Nr. 5 2021
«Wir wollten Lehrpersonen zeigen, dass es gar nicht so komplex ist», sagt Sophia Minikus. Ihre Broschüre hält sprachliche Ratschläge (keine Sätze wie, «ich brauche ein paar starke Jungs...») bereit, definiert gängige Begriffe und führt verschiedene Fachstellen auf, an die Lehrpersonen, Betroffene und Interessierte mit ihren Fragen gelangen können. Lehrperson ist Vertrauensperson Sophia Minikus hat geschlechtliche Rollenstereotypen auch schon mit ihrer Klasse im Fach Ethik/Religion/ Gesellschaft thematisiert. Das Interesse bei den Schüler*innen war gross und das Redebedürfnis auch. «Nach der Stunde wollten manche mit mir noch weiter diskutieren.» Minikus beschäftigt sich selbst mit ihrem eigenen Gender und hinterfragt die binäre Ordnung. Begleitet von einem vorerst nicht zu verbalisierenden Unbehagen hat sie als Zwanzigjährige begonnen, feministische Literatur zu lesen, «Gender Trouble» von Judith Butler etwa. «Da hat sich mir eine Welt eröffnet. Und ich begriff es als Teil der Emanzipation, mich von den binären Vorstellungen, der Rolle, die mir zugeschrieben wurde, zu lösen und sie zu irritieren.» Minikus trägt kurze Haare, weite Kleidung, viele Tattoos. «Das gab mir ein neues Gefühl von ‹Frau› sein.» Bianca Urech sieht es als ihre Aufgabe als Lehrperson, das Thema in der Schule anzusprechen. «Wir tragen nicht nur für die schulische Leistung die Verantwortung. In der Schule geht es auch um Menschenbildung, um liberale Werte.» Zudem seien sie als Lehrer*innen Vertrauensperson für die Jugendlichen, in deren Elternhaus teilweise noch sehr konservative Vorstellungen herrschten. «Falls