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‚‚IRGENDWAS Michi Kern, München:
FEHLTE‘‘
Von wilden Partynächten zu entschleunigenden Yogastunden. Michi Kern hat in 25 Jahren in München mehr als 30 Läden, darunter viele Kultadressen eröffnet. Heute ist er im besten Sinne „Volkswirt“. Text: Karin Lochner, Fotos: Daniel Reiter
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ichi Kern – Jeans, schwarze Turnschuhe, graues T-Shirt – steht in der ehemaligen, 1894 erbauten Reithalle und gestikuliert. Die Halle heißt jetzt Utopia-Halle, sein neuestes Projekt. Kern zeigt, wie er hier Denkmalschutz und Brandschutz koordinieren muss – mit Händen, denen man ansieht, dass er gut zupacken kann. Er ist mittlerweile oft der Location-Finder. Er konzipiert, bringt Leute zusammen und ist für die Verträge verantwortlich. So auch hier. Zuletzt sorgte der 53-Jährige mit „The Lovelace“ für Furore – ein Pop-up-Hotel, das er in den Räumen der alten Bayerischen Staatsbank Wirklichkeit werden ließ. Kern schwärmt: „Eine einmalige Gelegenheit: Ein großer, ungenutzter Raum mitten in München. Für 17 Monate haben wir ihn in ein Hotel mit 30 Zimmern und vielen öffentlichen Räumen verwandelt, die wir kulturell genutzt haben. War super, aber beharrliches Arbeiten ohne Ende, so dass ich an meine Grenzen gestoßen bin.“ Auch heute steht noch viel auf Kerns To-Do-Liste. Sein Telefon vibriert – kein Smartphone, sondern ein Uralt-Modell, das ihn nicht mit WhatsAppNachrichten und Mails ablenken kann. Im Büro warten Überweisungen auf seine Unterschrift. Die Sound- und Lichtanlage der Utopia-Halle wird installiert, der Schallschutz nachgebessert. Her damit, winkt Michi Kern, unterschreibt und organisiert dann so gut gelaunt, dass man spürt, wie gerne er Chaos ordnet. Ein Mundwinkel geht nach oben, er lächelt sein typisches Michi-Kern-
Lächeln. Es wirkt, als sei da eine Spur Unglaube. Über das, was er im letzten Vierteljahrhundert alles angepackt hat: Partys, Clubs, Bars, Cafés, Restaurants, Yogaschulen, ein Pop-up-Hotel und jetzt Kulturveranstaltungen. Kern hat viele erfolgreiche Läden initiiert oder wiederbelebt. Das „Kong“ beispielsweise, das „Cafe King“, die „Reitschule“ oder das „Zoozie’s“. Von Szene und Underground bis hin zu Mainstream und Kommerz war und ist Kerns Portfolio ein riesiges Potpourri. Insgesamt 32 Läden hat der Unternehmer in 25 Jahren eröffnet. Vier davon hält er aktuell noch: „Pacha“, „Lost Weekend“, „Amore Bar“ und die „Utopia Halle“. Er spricht fast immer von „Wir“. Denn seine Clubs oder Lokale betreibt er mit zwei, drei oder mehr Partnern. Das ist eins seiner Erfolgsrezepte. Das zweite lautet: Authentizität und Originalität. Seine Läden „müssen echt sein und etwas besonders haben“. Nummer drei: Kern kann improvisieren. Egal, ob es darum geht, einen Laden mit halber Belegschaft zu schmeißen oder mit Brauereien zu verhandeln.
Die Techno-Welle spült Kern nach oben Begonnen hat alles während Kerns LinguistikStudium. Damals jobbt er im „Café Iwan“. Weil die Betreiber mehrere Lokale haben, kann Kern bald als Türsteher ins Tanzlokal „Größenwahn“ wechseln, danach zum „Babalu“. Kern kommt auf den Geschmack, bricht sein Studium ab und beginnt, Techno-Partys zu veranstalten. Er engagiert DJ Sven Väth, die Gäste tanzen sich in Ekstase.
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