Tipi - Magazin für die Familie - Sommer/2021

Page 48

Mama & Baby

Geboren im Schaffell

© edition riedenburg (1), Privat (1)

Eisige Kälte, ein Wohnwagen mitten im Nirgendwo, eine Hirtenfamilie – und eine Geburt. Hebamme Margarete erzählt über eine ungewöhnliche Nacht.

Endlich da bei Alma! Ich klopfte an der Wohnwagentür, und die kleine Mira öffnete mir. Die Zweijährige war seit Beginn der Geburt bei ihrer Mutter gewesen, manchmal spielte sie in einer Ecke des Wohnwagens, manchmal kurz draußen im Schnee, erzählte mir Papa Xandl, der hinter ihr stand. Mira war, bis auf eine Unterhose, nackt! Alma saß mit angezogenen Beinen am Bett und veratmete gerade eine Wehe. „Hallo, Margarete. Ja, ich weiß, was du jetzt denkst, aber darum hat die Mira ein so gutes Immunsystem. Die spielt immer halb nackert im Schnee, ihr macht das gar nichts aus!“ Also beschloss ich, cool zu bleiben, und widmete mich Alma. Ich tastete zuerst ihren Bauch ab, dann hörte ich mir die kindlichen Herztöne an. Schließlich, mehr auf Almas Vorschlag hin, untersuchte ich die Frau vaginal. Der Muttermund war schon fast verstrichen. Alma suchte sich eine bequeme Position, in der sie gut zum Atmen kam, tönte die Wehen durch und sagte sich in den Pausen schlagwortartige Mantras für die Geburt vor: Weich. Weit. Offen. Komm. Hier. Jetzt. Liebe. Licht. Sie wechselte zwischen der tiefen Hocke und dem Vierfüßlerstand ab. Diese Bewegung schien den Kopf des Kindes optimal im Becken zu platzieren und immer tiefer Richtung Ausgang dringen zu lassen. Die Wehen wurden intensiver,

mittlerweile hielt sich Alma immer wieder im dichten Schaffell fest. Die Geburt schritt voran, Alma war in der Übergangsphase angekommen, dem „point of no return“, in dem absolute Hingabe und Loslassen das Ziel ist. Es gelang ihr optimal, sich auf diese Etappe und dann gleich die letzte einzulassen. Nur eine Stunde nach meiner Ankunft verspürte die Schafzüchterin einen starken Drang zu schieben. Dafür ging sie am Bett auf die Knie, Xandl in der gleichen Position vor ihr. Sie schlang die Arme um seinen Hals, um optimal Halt zu haben. Mann und Frau atmeten im selben Rhythmus, stießen die gleichen Töne aus, stöhnten unter der Anstrengung. Unter der Wehe ließ Alma sich immer wieder leicht nach unten sinken, um kraftvoll mitpressen zu können. Bald war das Köpfchen geboren. Dann der Rest des Körpers. Flutsch, und ein kleiner Bub landete in den Händen seines Vaters. Er hatte ein Büschel dunkler Haare am Kopf und schien gleich die Augen aufmachen zu wollen. Nachdem die Plazenta problemlos geboren war und ich keine Verletzungen außer zwei kleiner Schürfwunden an der Vagina erkennen konnte, die nicht weiter versorgt werden mussten, kuschelten sich Alma, Xandl, Mira und der kleine Momo unter ein riesiges Schaffell. Die kleine Schwester war aufgeregt, konnte nicht

aufhören, immer und immer wieder „Baby“ zu schreien und ihrem Bruder die kleinen Händchen zu busseln. Dem schien es zu gefallen, nun hier auf dieser Welt überschwänglich begrüßt zu werden. Alma sah mir lange in die Augen und fragte mich schließlich: „So einfach kann das sein, eine Geburt ... So unaufgeregt, echt jetzt? Danke, Margarete!“ „Alma, das warst alles du!“ Sie nahm meine Hände und drückte sie fest. In ihrem Augenwinkel glitzerte eine Träne. Dann meinte ich zu ihr: „Alma, eine Herausforderung hast du noch zu meistern – du hast ja gesagt, ihr habt kein warmes Wasser hier im Wohnwagen.“ Wie sie es sich vorgenommen hatte, spritzte sich Alma die blutigen Beine mit dem Gartenschlauch ab, auf der Wohnwagentreppe, von Xandl gestützt stehend. Sie musste dabei nicht einmal die Zähne zusammenbeißen, lächelte und kommentierte, wie gut das sicher für ihr Bindegewebe sei. Ein Hoch auf das High einer Geburt! Immer wieder berührt es mich tief, wie glücklich Frauen wie Alma darüber sind, wenn sie eine normale Geburt erleben dürfen. Wie selbstverständlich und dankbar sie jede mögliche Annehmlichkeit eines Spitals gerne eintauschen gegen ein Erlebnis, das abläuft, wie es sich die Natur gedacht hat. Zusammen aßen wir den Speck, das Brot und die gekochten Eier. Xandl holte noch eine Flasche des selbstgemachten Schafmilchlikörs heraus, den er mir – zur Feier des Tages – schenkte.

Auszug aus: Zu Hause geboren Band 2 – Noch unglaublichere Erlebnisse von Hebamme Margarete von Judith Leopold. Erschienen bei edition riedenburg um € 19,90. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von edition riedenburg.

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