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MENSCHEN IM PORTRÄT

ANNA MIRIBUNG

Der Himmel voller Geigen Geduld, Präzision, Hingabe, Gefühl. Das und noch viel mehr braucht Anna Miribung, um einem ganz besonderen Handwerk nachzugehen: dem Geigenbau. Sie hat in Frankreich und Italien bei den Besten ihres Fachs gelernt und baut nun Instrumente, die ihre Heimat widerspiegeln. von Verena Duregger Das Atelier von Anna Miribung ist ein Hingucker. Kein auf alt getrimmter Ort, der mit den Wurzeln der ladinischen Heimat spielt. Kein Betonblock, der in die Zukunft weist. Bordeauxrot – ein Container in Signalfarbe zwischen Industrie- und Handwerksbetrieben in Wengen. Der Platz, an dem die 26-Jährige ihr Handwerk ausübt, ist ein schöner Kontrast zu ihrer Zurückhaltung und doch so passend: Es gibt nicht viele Menschen, die können, was sie kann. Sie, die Geigenbauerin. Es ist neun Uhr am Morgen und kühl im Container. Bald wird er sich aufheizen, wenn die Sonne über die Bergkuppe kommt und durch die Glasfenster warm hereinscheint. Miribung kocht Kaffee und zeigt auf eine Geige, die sie in der Mitte des Raums platziert hat. Sie hat sie gerade fertiggestellt. Unzählige Stunden Handarbeit stecken darin, genau wie in der ersten, die sie gebaut hat. Die hängt an einem dünnen Seil über der Couch. Diese Geige wird sie nie verkaufen. Anna Miribung war schon immer ein Mensch, der mit den Händen gearbeitet hat. Als kleines Mädchen hat sie stets ein Taschenmesser dabei und schnitzt im Wald kleine Figuren und Flöten, auf denen sie dann spielt. Drei Jahre besucht sie das Realgymnasium, aber sie findet sich nicht zwi-

Anna Miribung, Jahrgang 1996, wächst in Wengen auf. Sie besucht das Realgym-

schen Mathematik, Chemie und Physik. Den Wechsel an die Kunstschule in Gröden hat sie nie bereut. In ihrer Freizeit spielt sie Fuß-

Endspurt: Das Lackieren der Geige gehört zu den letzten Schritten des Geigenbaus. Anna Miribung verwendet dafür nur natürliche Baumharze. 24

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nasium und entscheidet sich nach drei Jahren, an die Kunstschule in Gröden zu wechseln. Durch Zufall lernt sie in dieser Zeit einen Geigenbauer kennen. Nach einem zweiwöchigen Praktikum in seinem Atelier weiß sie: „Das will ich einmal machen.” Doch das Handwerk, das sie erlernen will, muss nach der abgeschlossenen Maturaprüfung noch ein bisschen warten. Genau genommen eine Reise lang. Alleine und nur mit dem Fahrrad macht sie sich auf nach Marokko und ist insgesamt ein halbes Jahr unterwegs. Dann ist es so weit und sie beginnt ihre Ausbildung an der Geigenbauschule Jean Baptiste Vuillaume in Mirecourt, Frankreich. Nach einem Jahr wechselt sie an die Wiege des Geigenbaus und setzt ihre Ausbildung in Cremona fort,besucht unter anderem eine Geigenbauschule in Parma. 2021 nimmt sie der Geigenbaumeister Vincenzo Bissolotti in seinem Atelier auf. Von ihm lernt sie den sogenannten metodo classico cremonese des Geigenbaus und sich dem Handwerk mit // Gefühl und Intuition zu widmen.

ball und lernt dabei einen Geigenbauer aus Rumänien kennen. Zwei Wochen lang darf sie ein Praktikum bei ihm machen. „Von da an wusste ich, dass ich das einmal machen möchte”, sagt sie. Doch wie wird man Geigenbauerin? Sie recherchiert im Internet, findet Schulen, in denen junge Menschen ausgebildet werden, und beschließt, nach der Matura nach Frankreich zu gehen. Doch zuerst macht sie sich auf eine große Reise auf. Alleine und mit dem Fahrrad. Die heimischen Berge werden hinter ihr immer kleiner und irgendwann verschwinden sie ganz. Zwei Monate ist sie unterwegs, dann kommt sie in Marokko an. Drei Monate verbringt sie in dem Land, erlebt schöne und weniger schöne Momente des Alleinreisens und lernt sich selbst dabei viel besser kennen. „Was ich dort erlebt habe, hat mir viel im Leben geholfen.”


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