40 KULTUR
Books to read Zusammengestellt von: Stefan Kunzmann Fotos: Wikimedia Commons, Hermance Triay, Verlagshäuser
Zyklus Luiz Ruffato ist einer der großen Gegenwartsautoren der brasilianischen Literatur, für mich der zurzeit beste und einer meiner Lieblingsautoren. Der 1961 in der Provinz des Bundesstaates Minas Gerais geborene Ruffato stammt aus armen Verhältnissen. Der Sohn eines Popcornverkäufers und einer Waschfrau arbeitete nach seiner Ausbildung zum Dreher unter anderem als Verkäufer und Industriearbeiter, studierte Journalismus und wurde Journalist in São Paulo. In seinem fünfbändigen Romanzyklus „Vorläufige Hölle“ erzählt er die Geschichte der einfachen
Leute und Binnenmigranten Brasiliens, ein Panoptikum aus zahllosen Einzelstimmen, mit dem er nicht zuletzt die Tradition des Großstadtromans fortführt und erneuert. Eine große kollektive Erzählung, manchmal bestehend aus Gesprächsfetzen und anderen Sprachelementen. „Sonntag ohne Gott“ ist der fünfte und letzte Teil. Luis Augusto, das Alter Ego des Autors, gehört mittlerweile zur Mittelschicht eines Landes, das zur Jahrtausendwende hin sich gesellschaftlich und ökonomisch konsolidiert hatte. Die Errungenschaften sind jedoch fragil, wie der gesellschaftskritische Schriftsteller in seinen
Büchern und Auftritten in der Öffentlichkeit ein ums andere Mal betont. Ruffato sieht mit dem Aufstieg des heutigen Präsidenten Jair Bolsonaro den Faschismus wiederaufgekommen oder zumindest die Gefahr. Er ist DIE kritische intellektuelle Stimme seines Landes. Ein kleines Buch, ein großes Stück Literatur. Assoziation A. 16 Euro.
Krimi
Die Luft im Morgengrauen ist frisch, es gibt keine klare Trennung zwischen Nacht und Tag. Die Nachteulen suchen Schutz vor dem heller werdenden Licht. Vorher kannte ich Roland Schimmelpfennig eigentlich nur als Theaterautor. Der 53-Jährige ist der in der Vor-CoronaZeit am meisten gespielte deutsche Gegenwartsdramatiker. Seine Stücke – unter anderem „Besuch beim Vater“ – wurden in mehr als 40 Ländern inszeniert. Dabei ist er ein Vertreter der literarischen Dramatik, nicht des postdramatischen Theaters. „Die Linie zwischen Tag und Nacht“ ist sein dritter Roman. Er handelt von einem Drogenfahnder, der bei einem Einsatz ein unschuldiges Kind tötet. Danach erkennt er in seiner
Arbeit als Polizist keinen Sinn mehr. Er wird vom Dienst suspendiert. Bis nach einer Techno-Party eine junge Frau aus dem Landwehrkanal gezogen wird. Gezeigt wird die professionelle Ermittlung, aber auch eine halluzinierende Reise durch die Metropole Berlin – mit einem Figurenpanorama, das es in sich hat. Der Schreibstil pulsiert im Rhythmus der Großstadt, entwickelt einen Sog, aus dem bis zum Ende hin kaum zu entkommen ist. Achtung Suchtgefahr! S. Fischer. 22 Euro.
Monografie Die Nouvelle Vague kann man gut und gerne als filmische Revolution bezeichnen, und Jean-Luc Godard war einer ihrer Protagonisten. Jump Cuts, Handkameras, Außenaufnahmen – das alles findet man in „À bout de souffle“, der vor gut 60 Jahren einer der ersten maßgebenden Filme dieser nur wenige Jahre währenden Stilrebellion war, die ihre Einflüsse aus jahrzehntelanger Filmgeschichte zog und selbst das Kino noch Jahrzehnte danach prägte. Godard war eine Art Popstar unter den Filmregisseuren jener Zeit. Dass er sich immer weiterentwickelte, zeichnet ihn aus. Er mutierte vom künstlerischen Erneuerer, politischen Filmkünstler bis hin zum solipsistischen Experimentator – und entzog sich immer mehr der größeren Öffentlichkeit. Die vielen Verwandlungen im Schaffen