ERFÜLLUNG PROGRA MM-MAGAZIN NR. 4 SAISON 21/22
9. DEZ. 2021 19.30 UHR
STADTCASINO BASEL
Sinfonieorchester Basel Basler Gesangverein Knabenkantorei Basel Maya Boog, Sopran Eva Vogel, Mezzosopran Mauro Peter, Tenor Michael Nagy, Bariton Christian Schmitt, Orgel Duncan Ward, Leitung
INH A LT PROGR A MM
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IN TERV IE W Duncan Ward, Leitung
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K U R ZPORTR ÄTS
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SA MU EL BA R BER Toccata Festiva
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H A NS HU BER Weissagung und Erfüllung
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GESA NGSTE X T
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A RTIK EL von Simone Hutmacher-Oesch
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A RTIK EL von Nina Schaad & Chantal Gardelli 26 A RTIK EL von Chiara Selva & Timo Waldmeier 27 A RTIK EL von Lea Vaterlaus & Simone Hutmacher-Oesch
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A RTIK EL von Samuel Elsig, Nicola Anghileri & Matthias Voigt 30 IN TERV IE W Facundo Agudin, Leitung Basler Gesangverein
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ORTSGESCHICHTEN von Sigfried Schibli
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VORGESTELLT Frieda Müller, Leitung Projekte & Produktionen
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FR AGEN DE ZEICHEN von EGLEA
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IN ENGLISH by Bart de Vries
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Nummerierte Rollstuhlplätze im Vorverkauf erhältlich Diese Institution verfügt über eine Höranlage Entdeckerprogramm
V ER EIN ‹FR EU N DESK R EIS SIN FON IEORCHESTER BASEL› 45 DEMNÄCHST
Ü BERSICH T DER SY MBOL E
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I MPR ESSU M Sinfonieorchester Basel Picassoplatz 2, 4052 Basel +41 (0)61 205 00 95 info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch Orchesterdirektor: Franziskus Theurillat Künstlerischer Direktor: Hans-Georg Hofmann Redaktion Programm-Magazin: Katrin Oesteroth, Lea Vaterlaus & Simone Hutmacher-Oesch Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung: Atelier Nord, Basel Druck: Steudler Press AG Auflage: 5000 Exemplare
SINFONIEKONZERT
ERFÜLLU NG Liebes Konzertpublikum Unser nächstes Abonnementskonzert stehtganz im Zeichen von Hans Huber, der vor genau 100 Jahren verstarb. Zweifellos gehört er zu den bedeutendsten Komponisten der Schweiz. Vierzig Jahre lang (zwischen 1877 und 1917) prägte Huber als Komponist, Dirigent, Pianist und Pädagoge das Musikleben der Stadt Basel. Sein Gesamtwerk ist gewaltig und umfasst neben Festspielen und Messen, Chorliedern und Opern auch Sinfonien, Kammermusik und Sonaten. Ein zu Unrecht vergessenes Werk möchten wir in Andenken an ihn und seine enorme Bedeutung für das Musikschaffen seiner Zeit aus dem Dornröschenschlaf erwecken: sein Oratorium Weissagung und Erfüllung, dessen letzte Aufführung etwa hundert Jahre zurückliegt. Der junge britische Dirigent Duncan Ward hat mit dem Basler Gesangverein, der Knabenkantorei und namhaften Solistinnen und Solisten dieses Werk auf der Grundlage einer digitalisierten Partitur in einer neuen Ausgabe ein studiert. Er steht zum ersten Mal am Pult des Sinfonieorchesters Basel und wird neben Hubers Oratorium auch Samuel Barbers brillantes Orgelkonzert Toccata Festiva mit Christian Schmitt als Solist zur Aufführung bringen. Im Vorfeld zu diesem Konzert laden wir Sie zu einem Entdeckerprogramm ein,
das sich dem Thema ‹Hans Huber und das Basler Musikleben um 1900› widmet. Begleitend zu diesem besonderen Konzert entstanden ausserdem Textbeiträge im Rahmen eines Kurses zu Hans Huber am Musikwissenschaftlichen Seminar der Uni versität Basel, die wir für Sie in diesem Programm-Magazin abdrucken. Im Anschluss an das Konzert sind Sie herzlich zu unserer ersten öffentl ichen Kritikerrunde eingeladen. Viel Vergnügen bei der Lektüre dieses Programm-Magazins. Herzliche Grüsse
Hans-Georg Hofmann Künstlerischer Direktor
Ivor Bolton Chefdirigent
VORV ER K AUF
© A lan Kerr
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Debüt beim Sinfonieorchester Basel: Duncan Ward, Dirigent beim Sinfoniekonzert ‹Erfüllung›
VORV ER K AUF, PR EISE U ND INFOS VORV ER K AU F
Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel +41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch Billettkasse Stadtcasino Basel Steinenberg 14 / Tourist Info 4051 Basel +41 (0)61 226 36 30 Sinfonieorchester Basel +41 (0)61 272 25 25 ticket@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch Z UG Ä NGL ICHK EIT
Das Stadtcasino Basel ist rollstuhlgängig und mit einer Induktionsschleife versehen. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt.
PR EISE
CHF 105/85/70/55/35 ER M ÄSSIGU NGEN
• Studierende, Schülerinnen und Schüler sowie Lernende: 50 % • AHV/IV: CHF 5 • KulturLegi: 50 % • Mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5 • Begleitpersonen von Menschen mit Behinderung: Eintritt frei (Reservation über das Orchesterbüro)
PROGR A MM
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ERFÜLLU NG Do, 9. Dez. 2021, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal
Entdeckerprogramm ab 17.30 Uhr In Zusammenarbeit mit dem Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel Öffentliche Kritikerrunde im Anschluss an das Konzert mit Benjamin Herzog, Peter Hagmann und Gabriela Kaegi Bitte beachten Sie, dass während des Konzerts gefilmt wird.
Samuel Barber (1910−1981):
Toccata Festiva (1960)
Hans Huber (1852−1921):
Weissagung und Erfüllung, Oratorium (1913)
ca. 14’
ca. 60’
1. Maestoso 2. Allegretto pastorale 3. Im feierlichen Marschtempo 4. Maestoso, quasi largo, ma non troppo 5. Andante espressivo 6. M oderato assai (ma sempre un poco animato) 7. Adagio (ma non troppo) 8. Andante amabile 9. Allegro con fuoco
Sinfonieorchester Basel Basler Gesangverein Knabenkantorei Basel Maya Boog, Sopran Eva Vogel, Mezzosopran Mauro Peter, Tenor Michael Nagy, Bariton Christian Schmitt, Orgel Duncan Ward, Leitung
Konzertende: ca. 21.15 Uhr Öffentliche Kritikerrunde: ca. 21.30 Uhr
Zuhause in Basel. Daheim in der Welt. F E n td ü r ec baz.c ker: h
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ENTDECK ER P ROGR A MM
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H A NS HUBER U ND DAS BASLER MUSIK LEBEN UM 1900 Do, 9. Dez. 2021, 17.30 – 19 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal
In Zusammenarbeit mit dem Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel
PROGR A M M Hans Huber (1852-1921): Bilderbuch ohne Bilder, op. 12 (1875)
Im Dezember 1913 fand die Basler Uraufführung von Hans Hubers Weissagung und Erfüllung unter Mitwirkung des damaligen Basler Sinfonieorchesters und des Basler Gesangvereins statt. Widmungsträger des Oratoriums sind Elisabeth und Paul Speiser-Sarasin, die als Freunde und Mäzene tief mit Hans Huber verbunden waren. Elisabeth war Hubers Klavier schülerin, und bei den Salonmusiken im Hause Speiser-Sarasin wurden nicht selten vierhändige Werke für Klavier des Komponisten uraufgeführt. Zu Ehren des Schweizer Komponisten, der vierzig Jahre in Basel lebte, ist der im Stadtcasino Basel an den Musiksaal grenzende Hans HuberSaal benannt.
I. Erster Abend: Das Hindumädchen II. D ritter Abend: Die Rose vom Pfarrhofgarten IV. Sechster Abend: Tasso an Este VII. F ünfzehnter Abend: Gesang der Nachtigall Iryna Krasnovska, Klavier VORTR AG ‹Hans Huber und das Basler Musikleben um 1900›, Hans-Joachim Hinrichsen VORTR AG ‹Wiederentdeckung Werk / Reproduktionsprozess Partitur›, David Rossel Podiumsgespräch zur Wiederaufführung von Hans Hubers Oratorium Weissagung und Erfüllung P ODI U MSG ÄSTE
Simone Hutmacher-Oesch, Studentin Universität Basel
Lena-Lisa Wüstendörfer,
Dirigentin und Musikwissenschaftlerin
Prof. em. Dr. Hans-Joachim Hinrichsen, Musikwissenschaftler, Universität Zürich
David Rossel, Dirigent, Komponist
und Kulturmanager
Dr. phil. Daniel Schneller,
Leiter Denkmalpflege Basel Hans-Georg Hofmann, Moderation
INTERV IE W
DU NCA N WA R D im Gespräch
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M YSTIZISMUS W IE BEI WAGNER
VON BENJA MI N HER ZOG
Für den 1989 geborenen britischen Dirigenten D uncan Ward ist Hans Huber ein verkannter Mystiker. Einer von vielen zu Unrecht vergessenen Komponisten. Ward hat zwei Jahre lang bei Sir S imon Rattle in Berlin assistiert. Und mit dem berühmten Vorbild auch schon mal blosse Luft dirigiert. BH Sie
dirigieren gerne auswendig. Was ist der Vorteil? Hat man das Stück dann besser intus? DW Man sollte ein Stück intus haben, ob man es auswendig oder mit Noten dirigiert. Doch wenn ich etwas auswendig dirigieren kann, habe ich eine hundertprozentige Verbindung zum Orchester und kann so alle meine Energie in die Kommunikation mit den Musikern geben. BH Und DW
wenn Sie nicht auswendig dirigieren? Es lenkt mich ab, schon wenn ich nur
die Seiten umblättern muss. Ich liebe es einfach, dieses Gefühl zu haben, mit einem Orchester zu fliegen. Frei von der Mechanik einer Partitur. Wenn ein Stück aber zu neu ist für mich oder zu riskant, nehme ich lieber die Noten zur Hand. BH
Stimmt es, dass Sie einmal mit Simon
Rattle und Matthias Pintscher an einem Tisch Luftdirigieren geübt haben bei einer Flasche Bordeaux? DW Ja, das stimmt. Wir haben für Stockhausens Gruppen geprobt. Ein Stück, das drei Dirigenten braucht, die alle etwas Verschiedenes dirigieren. Dafür haben wir diese Probe gemacht und am Tisch zusammen in der Luft herumgewedelt und dazu gesungen. BH Hat DW
der Wein dabei geholfen? Wein hilft immer.
in der Turbinenhalle der Tate Modern in London aufführten, ist das Publikum dabei herumspaziert. Begrüssen Sie das? DW An diesem besonderen und sehr halligen Ort und mit einem Stück wie Gruppen ist das sicher in Ordnung. Die Akustik in der Tate ist so verrückt, dass man je nach Ort eine ganz andere Hörperspektive hat. Aber es ist meistens besser, sich klassische Musik sitzend anzuhören. Auch das Huber-Oratorium! BH
A ls Sie Gruppen
DU NCA N WA R D
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© A lan Kerr
I N T ERV I E W
I N T ERV I E W
DU NCA N WA R D
BH Simon Rattle war zwei Jahre lang Ihr
Ich möchte den Klangsinn des Orchesters schärfen und seinen Sinn für kammermusikalisches Zusammenspiel.
Mentor in Berlin. Was haben Sie von ihm gelernt? DW Ich habe für ihn vor Uraufführungen mit dem Orchester geprobt oder solche Stücke mit sehr vielen Beteiligten. Als wir Schönbergs sehr gross besetzte Gurre lieder probten, bat er mich in der Generalprobe, einen Teil selbst zu dirigieren. Er wollte im Saal zuhören. Da war ich dann plötzlich für das Ganze verantwortlich. Simon hat mir stark vertraut.
«Simon hat mich nicht gelehrt. Wir standen in einem Dialog. Das war das Schöne.» BH War
das Vertrauen das Wichtigste? Ja. Einmal, als ich Simon bei Wagners Walküre assistierte, machte ich ihn auf ein Detail aufmerksam, eine Phrasierung in den Streichern, die ich anders empfand als er. Als ich ihm das sagte, gab er mir sofort recht. Und dann hat er es genauso dirigiert, wie ich ihm es vorgeschlagen hatte. Simon hat mich nicht gelehrt. Wir standen in einem Dialog. Das war das Schöne. DW
BH Sie
sind seit dieser Saison Chef dirigent bei der Philharmonie Zuidnederland. Für drei Jahre. Was wollen Sie mit dem Orchester in dieser Zeit erreichen? DW Ich möchte deren Repertoire erweitern. Mein Vorgänger hat viel russische Musik dirigiert. Ich habe mit Debussys Jeux begonnen und möchte mehr Französisches dirigieren. Auch Rameau zum Beispiel. Musik, die das Orchester noch nie gespielt hat. BH Barockmusik
mit einem modernen Orchester. Ist das nicht ausgefallen? DW Schon, aber wir werden auch Uraufführungen spielen. Oder Musik, die von anderen Kulturen beeinflusst ist. In diesem Jahr ist es Indien. Denn ich habe bei dem Sitar-Spieler und Komponisten Ravi Shankar einst klassische indische Musik studiert. Eine unglaublich intensive Erfahrung. Aber wir spielen natürlich auch traditionelles Repertoire wie etwa Brahms.
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BH Kommen
wir noch auf Hans Huber zu sprechen. Seinerzeit gefeiert, heute ein weitgehend Unbekannter. Warum ist das so? DW Man muss sehen, dass es eine ganze Menge genialer Komponisten gibt, die heute gar nicht oder nur wenig gespielt werden. Huber ist einer von ihnen. Ein bisschen wie Franz Schreker oder die Komponistin Louise Farrenc. Das hat auch immer etwas mit der herrschenden Mode zu tun. BH Hubers
Oratorium Weissagung und Erfüllung war bei seiner Uraufführung 1913 ein Riesenerfolg. Was ist besonders an diesem Stück? DW Schon die zweiteilige Struktur, die ja im Titel anklingt, ist einzigartig. Dann diese spätromantische, schon sehr chromatische Tonsprache, dieser Mystizismus. Das erinnert mich ein bisschen an Wagner. Und doch ist Huber dabei ganz aufrichtig. Ich freue mich sehr auf die Aufführung.
FASZINATION A CAPPELLA – DAS NEUE MINI-FESTIVAL Herzerwärmende Vokalkunst in Vollendung
«A CHILD IS BORN»
SO 26/12/21
19.30 Uhr (ohne Pause) Don Bosco Basel, Paul Sacher Saal
SINGER PUR (DEUTSCHLAND) «QUER BACH»
MO 27/12/21
19.30 Uhr (ohne Pause) Don Bosco Basel, Paul Sacher Saal
SLIXS (DEUTSCHLAND) «DROP, DROP, SLOW TEARS»
DI 28/12/21
19.30 Uhr (ohne Pause) Don Bosco Basel, Paul Sacher Saal
TENEBRAE CONSORT (LONDON) CHRISTIAN FORSHAW, SAXOPHON NIGEL SHORT, LEITUNG KLASSIKSTERNE-ACAPPELLA.CH
K UR ZPORTR ÄTS
© Uta Grütter
© Jean Jacques Schaffner, designersfactory
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BASLER GESANGVEREIN (BGV) Hans Huber war zu Beginn des 20. Jahrhunderts für kurze Zeit Dirigent des Basler Gesangvereins. Als das Oratorium Weissagung und Erfüllung 1913 uraufgeführt wurde, dirigierte aber längst sein Schüler Hermann Suter den Chor. Dieser führte das Werk nach Hubers Tod 1922 ein zweites Mal auf. Es lag deshalb nahe, dass der Chor sich auch bei der Aufführung zum 100. Todestag von Huber beteiligt. Diese Aufführung bedeutet nicht nur die Rückkehr des Chors ins Konzertleben nach einer pandemiegeprägten Zeit, sie bildet mit ihrem geschichtlichen Bezug auch den Auftakt zu seinem 200-Jahr- Jubiläum, das er 2024 feiern wird. Als ältester noch immer unter dem gleichen Namen bestehender gemischter Chor der Schweiz hatte der BGV seit je die Traditiongepflegt, aber auch immer wieder zeitgenössische Musik zur Aufführung gebracht. Musikgeschichtlich am bedeutendsten waren die Auftritte von J ohannes Brahms, der am 50-Jahr-Jubiläum des BGV sein Triumphlied und später die Uraufführung seines Gesangs der Parzen dirigierte. Das Oratorium Le Laudi di San Francesco d’Assisi, das der erwähnte Hermann Suter 1924 zum 100-Jahr- Jubiläum schrieb, wird der Chor 2024 zum 200-Jahr-Jubiläum erneut aufführen.
K NA BENK A NTOR EI BASEL Die Knabenkantorei Basel ist in den 1970er-Jahren aus den 1927 gegründeten Singknaben der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt hervorgegangen. Heute ist der Chor konfessionell neutral, gesungen werden geistliche und weltliche Werke. Die Knabenkantorei besteht aus den Chorgruppen Eltern-Kind-Singen, Frühkurs, Vorkurs, Grundkurs und Konzertchor. Der Chor, der aus rund vierzig Knaben- sowie dreissig Männerstimmen besteht, probt zweimal wöchentlich zwei Stunden. Die Früchte seiner Arbeit präsentiert der Chor in Konzerten, Gottesdiensten, auf Konzertreisen und bei Anlässen von Veranstaltern wie dem Theater Basel. Die Knabenkantorei ist in den letzten Jahren in Frankreich, Belgien, Holland, England, Deutschland, Polen, Russland, Ungarn, in der Ukraine, in Italien, Estland und Übersee (USA, Südafrika, Brasilien, Kanada) aufgetreten. Auf Konzertreisen im In- und Ausland erwies sich die Knabenkantorei als stimmstarke Botschafterin der Region Basel und der ganzen Schweiz. Seit 2017 steht der Chor unter der musikalischen Leitung von Oliver Rudin.
© Peter Schnetz
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K U R Z PORT R ÄTS
M AYA BOOG
E VA VOGEL
Die Schweizer Sopranistin sang u.a. am Grand Théâtre de Genève, an der Volksoper Wien, an der Komischen Oper Berlin, an der Opéra Berlioz in Montpellier und an der Prager Staatsoper Partien wie V ioletta, Gilda, Marguerite, Poppea, Pamina und Mimì sowie bei Festivals wie den Bregenzer Festspielen, den Mozartwochen Salzburg, beim Menuhin Festival Gstaad, dem Festival Radio France, dem Kissinger Sommer oder dem Lucerne Festival. Als gefragte Lied- und Konzertsängerin gastierte sie in bedeutenden Musikzentren wie den Philharmonien Berlin und Köln, der Tonhalle Zürich, im Stadtcasino Basel, im Wiener Musikverein und in der Liederhalle Stuttgart. Von 2001 bis 2009 gehörte sie zum Opernensemble des Theater Basel und war dort seither wiederholt in grossen Partien zu Gast, so z.B. als Susanna, als Calisto, als Asteria in Glucks Telemaco in Koproduktion mit den Schwetzinger SWR Festspielen, als Ginevra in Händels Ariodante, als Manon in Massenets gleichnamiger Oper sowie als Antonia in Les contes d’Hoffmann. Ende 2009 verkörperte sie die Mimì in der erfolgreichen Live-Produktion La Bohème im Hochhaus des Schweizer Fernsehens und von ARTE.
Die Mezzosopranistin Eva Vogel studierte am New Yorker Mannes College of Music und an der Yale University in den USA. Nach ihrem Studium folgten Festengagements in Düsseldorf und Innsbruck mit Partien wie Orfeo, Cherubino, Hänsel, Oktavian und Carmen. Gastauftritte führen sie u.a. an das Royal Opera House London, die Staatsoper Berlin, das Grand Théâtre de Genève, das Teatro Massimo Palermo, zum Festival Aix-en-Provence, zu den Salzburger Osterfestspielen und zum Lucerne Festival. Sie arbeitet mit Dirigenten wie Ivor Bolton, Frank Beermann, Asher Fisch, Pietari Inkinen, Dirk Kaftan, Axel Kober, Ingo Metzmacher, Simon Rattle und Juraj Valcuha. Jüngste Engagements waren u.a. Mozart-Requiem in Turin (RAI / Juraj Valcuha), Missa Solemnis in Bonn (Beethoven Orchester / John Nelson), Zauberf löte in Turin (Orchestra Teatro Regio Torino / Asher Fisch), Rhein gold in München (Sinfonieorchester des BR / Simon Rattle) und Beethovens 9. Sinfonie (Berliner Philharmoniker / Simon Rattle). Aktuelle Engagements sind u.a. bei Concerto Köln / Kent Nagano, Copenhagen Philharmonic / Toshiyuki Kamioka, Tonkünstler Orchester (Berlioz’ Nuits d’été unter Ivor Bolton im Musikverein Wien), NDR Radiophilharmonie / Andrew Manze.
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© Gisela Schenker
© Christian Felber
K U R Z PORT R ÄTS
M AURO PETER
MICH A EL NAGY
Seit seinem aufsehenerregenden Debüt 2012 an der Schubertiade Schwarzenberg gastiert der Schweizer Tenor Mauro Peter auf allen Konzertpodien und Opernbühnen Europas. Seit 2013 ist er festes Ensemblemitglied des Opernhauses Zürich und feiert dort grosse Erfolge, zuletzt mit Zenders Winterreise und in der Titelrolle von Händels Belshazzar sowie als Naraboth in Strauss’ Salome. Mit der Interpretation zahlreicher Titelrollen in Wolfgang Amadé Mozarts Opern erlangte der Tenor internationales Ansehen u.a. in Partien wie Belmonte, Ferrando, Don Ottavio und Tamino u.a. für die Canadian Opera Company, an der Bayerischen Staatsoper, dem Royal Opera House in London und dem Teatro alla Scala in Mailand. Durch seine intensive Konzerttätigkeit erarbeitete sich Mauro Peter mit Dirigenten wie Ivor Bolton, Constantinos Carydis, Teodor Currentzis, Gustavo D udamel, Nikolaus Harnoncourt, Daniel Hope, Vladimir Jurowski, Zubin Mehta oder Andrés Orozco-Estrada zudem ein grosses Konzertrepertoire. Auch das Liedschaffen von Franz Schubert und Robert Schumann hat für Mauro Peter einen besonderen Stellenwert, was bereits zur Aufnahme zweier CDs bei Sony Classical geführt hat.
Der in Stuttgart geborene Bariton mit ungarischen Wurzeln begann seine musikalische Laufbahn bei den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben und studierte Gesang, Liedgestaltung und Dirigieren bei Rudolf Piernay, Irwin Gage und Klaus Arp in Mannheim und Saarbrücken. Wichtige Repertoire-Partien konnte er an seinen beiden ehemaligen Stammhäusern, der Komischen Oper Berlin und der Oper Frankfurt, erarbeiten. Seitdem entwickelt sich der Künstler an wichtigen Bühnen der Welt fachlich kontinuierlich weiter: von Wolfram im Tannhäuser (Bayreuther Festspiele) über Hans Heiling am Theater an der Wien, Stolzius in Zimmermanns Die Soldaten und Amfortas (Parsifal) an der Bayerischen Staatsoper sowie Kurwenal (Tristan und Isolde) in Baden-Baden und Berlin unter Simon Rattle bis zu Dallapiccolas Il Prigioniero in Kopenhagen. Auch im Konzert- und Oratorienfach ist Michael Nagy weltweit gefragt. Engagements führten ihn zu den international renommiertesten Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Concertgebouworkest, dem BR-Symphonieorchester und zu diversen Festivals, u.a. in Schleswig-Holstein und im Rheingau, zu den Salzburger Festspielen und zum Tanglewood Festival (USA).
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© Uwe Arens
K U R Z PORT R ÄTS
CHR ISTI A N SCHMIT T Christian Schmitt gilt als einer der charismatischsten und virtuosesten Konzertorganisten der Gegenwart und ist als Solist und Kammermusik-Partner international gefragt. 2021/22 ist er ‹Fokus Artist› an der Tonhalle Zürich und ‹Artist in Residence› am Staatstheater Augsburg. Seit 2014 ist er ‹Principal Organist› der Bamberger Symphoniker und lehrt seit dem Wintersemester 2021 als Professor für Orgel, als Nachfolger von Ben Van Oosten, an der Codarts University Rotterdam. Christian Schmitt konzertiert regelmässig mit namhaften Dirigenten und Solisten wie Simon Rattle, Daniel Barenboim, Marek Janowski, Magdalena Kožená, Martin Grubinger oder Michael Volle. Seine Engagements führen ihn in bedeutende Spielstätten wie die Berliner Philharmonie, den Wiener Musikverein, die Tonhalle Zürich, den Konzertsaal des Mariinski-Theaters Sankt Petersburg, die Melbourne Town Hall oder das Shanghai Oriental Arts Center. Er arbeitet mit renommierten Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, der Camerata Salzburg, den Rundfunk-Sinfonieorchestern des NDR, MDR, RSB, SR, WDR, ORF oder dem NSO Taiwan und spielt bei bedeutenden Festivals wie den Salzburger Festspielen oder dem Lucerne Festival. Seine Diskografie umfasst mehr als vierzig Aufnahmen.
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SA MUEL BA R BER Toccata Festiva
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BA RBERS ‹SUPER-ORGEL›
VON JOH N HEN K EN
Während grosse Orgeln in den neuen Konzertsälen des späten 19. Jahrhunderts immer häufiger zu hören waren, entwickelte sich gleichzeitig ein bescheidenes Repertoire an Festtagsmusik für Orgel und Orchester. Das vielleicht überschwänglichste dieser Stücke ist die Toccata Festiva, die Samuel Barber zur Einweihung einer neuen Orgel in der Academy of Music in Philadelphia komponierte. Mary Curtis Zimbalist, eine Freundin und Mäzenin des Komponisten seit dessen Jugendzeit am Curtis-Institut, finanzierte die Orgel und war Auftraggeberin des Werks.
Paul Callaway, der Organist und Musikdirektor der National Cathedral in Washington, D.C., interpretierte die Uraufführung im September 1960 mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Eugene Ormandy. Barbers Stück entspricht in manchem Sinne dem 1. Satz eines typischen romantischen Konzerts. Der mutige Beginn mit einer provokanten, drängenden a-MollFanfare wird erst vom Orchester vorgestellt, danach von der Orgel übernommen. Am Ende dieses ersten Abschnitts präsentiert die Orgel eine punktierte Rhythmusfigur im 5/8-Takt, welche das ganze Stück hindurch grosse Bedeutung hat. Hier mündet sie in ein langsames lyrisches Thema, erst in den Streichern, danach in der Orgelstimme. Die kleine punktierte Figur beginnt sich als leise tanzende Gegenmelodie bemerkbar zu machen – hören Sie erst auf die Orgelpfeifen, danach auf das Englischhorn im Orchester. Barber behandelt die Soloinstrumente des Orchesters wie die
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© akg-images / Science Source
Z U M W ER K
Samuel Barber (1910–1981)
Soloregister der Orgel und umgekehrt: eine Art ‹Super-Orgel›. Die wirbelnde Fanfare kehrt daraufhin zurück und läutet einen Abschnitt ein, der alle motivischen Elemente in einen Sog von metrischen und rhythmischen Spielereien hineinzieht, sie neu vermischt und entwickelt. Ein weiteres Beispiel für Barbers Umgang mit den Soloinstrumenten ist ein Trompetenruf in der Orgel – mit dem Hinweis in der Partitur auf die Trompetenstimme im Orchester zur Verstärkung, sollte es der Orgel an einem starken Trompetenregister mangeln. Nach weiteren motivischen Verschmelzungen erhält der Organist eine aussergewöhnliche Kadenz für die Pedalstimme. Diese basiert auf thematischen Teilen in Bach’scher Manier und verbindet die Virtuosität der Pedalpassagen in Bachs frühen Toccaten mit dem Stil seiner Solocellosuiten, indem sie einer einzigen Zeile kontrapunktische Implikationen abringt. Das Orchester kehrt leise zurück, Englischhorn und Klarinetten klingen wieder wie Soloregister, während Barber seine Themen in einem grossen lodernden Finale in A-Dur rekapituliert.
Aus dem Englischen übersetzt von Lea V aterlaus. Verwendung mit Genehmigung der Los A ngeles P hilharmonic Association.
Toccata Festiva BESETZUNG
Orgel solo, Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Perkussion, Streicher ENTSTEHUNG
1960 in New York und München UR AUFFÜHRUNG
30. September 1960 in Philadelphia mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Eugene Ormandy, mit Paul Callaway als Solist DAUER
ca. 14 Minuten
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H A NS HUBERS O R ATORIUM – EINE L Ä NGST ÜBERFÄ LLIGE W IEDERENTDECK U NG VON DAV ID ROSSEL
Die Musikgeschichte unserer deutschsprachigen Nachbarn glänzt mit grossen Namen: Die Deutschen haben einen Johann Sebastian Bach, die Österreicher einen Wolfgang Amadé Mozart – ja selbst Liechtenstein hat Josef Gabriel Rheinberger. Und die Schweiz? Sie hat ihren ‹Huber Hans›, ein Allerweltsname, der perfekt für das typisch schweizerische Understatement steht. Sein Oratorium Weissagung und Erfüllung muss sich hinter berühmten Werken dieser Gattung aber nicht verstecken.
Vor 100 Jahren, am Weihnachtstag 1921, starb Hans Huber, der erste Schweizer Komponist, der einst aus der helvetischen Enge ausbrach, um ein bedeutendes Œuvre in voller spätromantischer Breite zu schaffen: neun Sinfonien wie schon Beethoven und Bruckner, Opern, Klavierkonzerte, Kammermusik und Vokalwerke – darunter drei Oratorien, von denen Weissagung und Erfüllung (1913) als bis dato bedeutendste Huber-Schöpfung gefeiert wurde. Sein grösstes chorsinfonisches Werk entstand in enger Zusammenarbeit mit Elisabeth Speiser-Sarasin, der zweiten Ehegattin des Basler Regierungs- und Nationalrats Paul Speiser-Sarasin; sie wählte sorgfältig die Bibeltexte aus, denen Huber in neun Sätzen seine Musik unterlegte. Der Basler Gesangverein unter der Leitung von Hermann Suter brachte es am St. Nikolaus-Tag 1913 im Basler Münster zur Uraufführung. Das ‹Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift›, wie es Huber untertitelte, war erst die dritte Komposition, die er in einem geistlichen Kontext schrieb (nach seinem Opus 1, einem Psalmgesang, und einer Orgelfantasie). Dennoch ist sie nicht als eine Art Bach’sches oder Mendelssohn’sches Oratorium, sondern eher als Kantate in der Tradition von Brahms’ Deutschem Requiem oder des Christus von Liszt zu verstehen; aufgrund seines zweiteiligen Aufbaus wurde das
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© Universitätsbibliothek Basel, Sign. kr I 588
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Werk sogar mit Händels Messiah verglichen. Doch anders als etwa bei Händel werden weder das lehrende Leben noch das leidvolle Sterben Christi dargestellt – und dennoch gelang Huber mit der betrachtenden Perspektive als Leitfaden ein stimmiges Zusammenfliessen ausgewählter Bibelverse, deren Vertonung dem P ublikum einen betont menschlichen Ausdruck des Christus-Stoffs vermitteln sollte. Ein zentrales Anliegen war dem katholischen Huber im reformierten Basel der ökumenische Gedanke; durch den Einbezug von evangelischem Liedgut sowie gregorianischer Motivik lässt sich dieser deutlich herauslesen. Die Einflechtung populären Kulturguts sollte wie zu Bachs Zeiten das Publikum ins musikalische Geschehen miteinbeziehen, allerdings nicht durch mitzusingende Choräle, sondern subtiler mittels melodischer Reminiszenzen, die Huber zum musikalischen Aufbau nach eigenen Vorstellungen verwendete. Anklänge an die Neudeutsche Schule, die er seit seinen Leipziger Studienzeiten hoch schätzte, sind prominent etwa im fast schon leitmotivischen Einsatz des ‹Gloria›-Zitats herauszuhören – Kennzeichen einer mystisch aufgeladenen Harmonik und Ausdruck seiner Bewunderung für die Wagner’sche Tonsprache. Das Werk ist wie die meisten Werke Hubers nie verlegt worden, der gesamte Nachlass wartet seit nunmehr hundert Jahren in der Basler Universitäts bibliothek auf eine Aufarbeitung nach modernen w issenschaftlichen Standards. Für dasheutige Konzert ist das Manuskript der Orchesterpartitur erstmals mittels einer N otations-Software transkribiert worden; Note für Note wurde minutiös von Hand übertragen, um das Notenmaterial in zeitgemässer Form auch über die bevorstehende Aufführung hinaus zugänglich z u machen. Im Verlauf der intensiven Beschäftigung mit der Partitur zeigte sich schnell: Weissagung und Erfüllung ist bei Weitem kein Abklatsch, der sich bei Bachs Weihnachtsoratorium oder Rheinbergers Der Stern von Bethlehem anbiedert – es ist eine ganz eigene Schöpfung, die nicht nur eine wertvolle Ergänzung des chorsinfonischen Kanons darstellt, sondern auch eine echte Entdeckung vorzüglichen spätromantischen Musikschaffens in der Schweiz.
Ausschnitt aus dem Manuskript, Schluss 1. Satz
Weissagung und Erfüllung, Oratorium BESETZUNG
3 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Schlagzeug, Orgel, Streicher ENTSTEHUNG
1910–1912 in Portofino, Vitznau und Basel UR AUFFÜHRUNG
6. Dezember 1913 im Basler Münster unter der Leitung von Hermann Suter DAUER
ca. 60 Minuten
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Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift. Nach dem Wortlaut der Originalpartitur von 1913, Text von Elisabeth Speiser-Sarasin. 1. Maestoso (Jes 60, 1−3) Chor I Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt und Herrlichkeit des Herrn gehet auf über dir. Chor II Denn siehe, Finsternis bedecket das Erdreich und tiefes Dunkel die Völker. Chor I Doch über dir gehet auf Jehova und seine Herrlichkeit erscheinet über dir. Chor I und II Und die Völker werden hinwallen zu deinem Licht und Könige zum Glanze, der über dir aufgeht. Dazu Knabenchor Choral Macht hoch die Tür, die Tore weit! Es kommt der Herr der Herrlichkeit. Ein König aller Königreich! Ein Heiland aller Welt zugleich. Der Heil und Leben mit sich bringt, derhalben jauchzt und mit Freuden singt: gelobet sei Jesus Christ, der mein Erlöser ist!
2. Allegretto pastorale (Lk 2, 8−14) Frauenchor Als Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa, da waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe, ein Engel des Herrn trat zu ihnen und die Klarheit des Herrn umleuchtete sie und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Sopran solo Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Dazu Chorbässe Choral Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum, dass nun und nimmermehr uns rühren kann ein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist erfüllt sein Friedensrat, all Fehd hat nun ein Ende. Frauenchor Und alsbald war bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
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Soloquartett und Chor Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und an den Menschen ein Wohlgefallen!
5. Andante espressivo (Gal 4, 4−5 und 1 Joh 3, 1) Soloquartett Da aber die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan, auf dass wir die Kindschaft empfingen.
3. Im feierlichen Marschtempo (Mt 2, 1−6. 9−11) Chor Und siehe, es kamen Weise aus Morgenland nach Jerusalem, die sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten. Tenor solo Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. Und er versammelte alle Schriftgelehrten und Hohenpriester des Volkes und erfragte von ihnen, wo Christus sollte geboren werden. Sie aber sagten ihm: Männerchor Zu Bethlehem in Juda; denn so steht geschrieben durch den Propheten: Und du Bethlehem im Land Juda, du bist mitnichten die Kleinste unter den Fürsten Judas, denn aus dir wird ein Herrscher hervorgehen, der mein Volk Israel weiden wird. Chor Und als sie den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen, ging vor ihnen her, bis er kam und über dem Orte stand, wo das Kind war. Und da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut. Und sie gingen in das Haus und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter, und sie fielen nieder und beteten es an. 4. Maestoso, quasi largo, ma non troppo (Mi 5, 1. 3−4) Chor Und du Bethlehem Ephrata, aus dir soll mir kommen, der Herrscher sein wird in Israel, des Ausgang von Anfang und Ewigkeit her ist. Er wird stehen und weiden in der Kraft Jehovas, in der Herrlichkeit des Namens Jehovas, seines Gottes, und sie werden sicher wohnen; denn nun ist er gross bis an die Enden der Erde, und es wird Friede herrschen!
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Chor und Soloquartett Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, dass wir Gottes Kinder heissen sollen. 6. Moderato assai (ma sempre un poco animato) (Joh 1, 14) Chor und Soloquartett Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingebornen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. 7. Adagio (ma non troppo) (1 Tim 3, 16) Alt solo Kündlich gross ist das Geheimnis der Gottseligkeit. Er ist geoffenbaret in Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, verkündet unter den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit. 8. Andante amabile (Mt 5, 8) Sopran solo, Chor Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. 9. A llegro con fuoco (Off b 21, 1. 5 und Off b 5, 13) Soloquartett Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und der auf dem Throne sass, sprach: Chor Siehe, ich mache alles neu. Chor und Soloquartett Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Dazu Knabenchor Choral Jerusalem, du hoch gebaute Stadt, wollt Gott ich wär in dir. Weit über Tal und Hügel, weit über Flur und Feld, schwing’ ich die Glaubens Flügel und eil’ aus dieser Welt.
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SIMONE HU TM ACHER-OESCH
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ZUR THEOLOGIE VON W EISSAGU NG U ND E RFÜ LLU NG 1
VON SI MON E H U TM ACHER-OESCH
Der von Elisabeth Speiser-Sarasin (1861−1938) verfasste Text besteht aus einer Zusammen stellung von Bibelversen, die von alttestamentlichen Weissagungen über die Ankunft des erhofften Messias und deren neu testamentlichen Erfüllung durch die Geburt Jesu sprechen. Der Text ist mit evangelischen Kirchen gesängen sowie Melodien aus geistlichen Volks liedern ergänzt und verfügt über keine freie Dichtung.
Die nachfolgenden Texte entstanden im Rahmen eines Kurses zu Hans Huber am Musikwissenschaft lichen Seminar der Universität Basel in Kooperation mit dem Sinfonieorchester Basel. 1
Das Oratorium beginnt mit den ersten drei Versen aus dem alttestamentlichen Jesaja 60. Ein Prophet verheisst das «Licht» und die «Herrlichkeit des Herrn», welche die «Finsternis» der Erde und das «Dunkel» über den Völkern überwinden werden. Diese Heilsbotschaft wird aus christlicher Sicht sinnbildlich für die Geburt Jesu gedeutet. Ergänzt wird diese Bibelstelle mit der ersten Strophe des beliebten Adventslieds Macht hoch die Tür, das in Vorbereitung auf Weihnachten Jesus als Erlöser preist. Inhaltlich paraphrasiert diese Liedstrophe den zweiten Vers aus Jesaja 60, wo ebenfalls die «Herrlichkeit des Herrn» verheissen wird. Den Schluss der Strophe finden wir im Oratorium in einer leicht veränderten Fassung vor, in welcher es heisst: «gelobet sei Jesus Christ, der mein Erlöser ist». Diese Änderung weist auf die persönliche und unmittelbare Beziehung zu Jesus hin, der den Menschen von Unheil und Leid erlöst. Im 2. Satz erfolgt die neutestamentliche Verkündigung durch die Engel nach dem Lukas-Evangelium: Die alttestamentliche Weissagung ist erfüllt, der Heiland ist geboren. Die Szene mit der Herberge und der Krippe in Bethlehem wird übersprungen, es setzt direkt die Verkündigung ein. Bereichert wird diese Stelle durch den Lobgesang Allein Gott in der Höh sei Ehr. Inhaltlich korrespondiert dessen Liedtext mit den Worten aus dem Lukas-Evangeli-
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um, wo es in 2, 14 heisst: «Ehre sei Gott in der Höh». Der ersten Liedstrophe liegt als Textvorlage der lateinische Hymnus G loria in excelsis Deo zugrunde, der inhaltlich ebenfalls auf Lukas 2, 14 basiert. Das G loria ist ein liturgischer Bestandteil des römisch-katholischen Messordinariums, in welchem es als zweiter Satz unmittelbar dem Kyrie folgt. Huber hat nicht versäumt, dieses Gloria-Motiv als instrumentales Leitmotiv in diesem 2. Satz musikalisch zu verarbeiten. Hier erklingt es in den Hörnern zu Beginn des Allegretto pastorale zum ersten Mal. Im 3. Satz führt die Weihnachtserzählung hin zu den Weisen aus dem Morgenland. Im 2. Kapitel des Matthäus-Evangeliums wird Jesus als König bezeichnet. Die Rede vom König korrespondiert wiederum mit dem anfänglichen Choral Macht hoch die Tür im 1. Satz, in welchem von einem «König aller Königreich» die Rede ist. Im Matthäus-Evangelium steht Joseph im Zentrum der Erzählung. Für den Text des Männerchors verwertet Huber eine Melodie, die auf den Weihnachtshymnus Resonet in laudibus aus dem 14. Jahrhundert zurückgeht und die vielfach bearbeitet wurde. So findet sich die Melodie auch im evangelischen Weihnachtslied Joseph, lieber Joseph mein, was wiederum in Hubers Werk als Anspielung auf Joseph als zentrale Figur gedeutet werden kann. Im 4. Satz wird erneut der messianische Herrscher prophezeit. Gleichzeitig schafft die Weissagung in Micha 5 einen Rückbezug auf diejenige in Jesaja 60 aus dem 1. Satz. Die Sätze 1 bis 4 sind inhaltlich eher konventionell gehalten. Weit origineller zeigt sich die Textauswahl in den Sätzen 5 bis 9. Der 5. Satz führt weiter zum Brief des Apostel Paulus an die Galater sowie zum ersten Brief des Johannes. Gemeinsam ist den beiden Bibel-Passagen die Thematisierung der Gotteskindschaft. Gott wird als derjenige beschrieben, der sich in der Person des gesandten Sohnes liebevoll den Menschen zuwendet. So auch im 6. Satz, in welchem das Wort im Zentrum steht: Gott hat sein Wort erfüllt, er wurde durch die Geburt zum Menschen. Hier wird die Menschwerdung Gottes nicht als eine naturgesetzliche Notwendigkeit verstanden, sondern als ein freier Akt der Barm herzigkeit.
Im 7. Satz wird auf den Glauben hingewiesen. Die Erfüllung der Weissagung, die im Geist gerechtfertigt und in der Welt geglaubt ist, wird hier nochmals bekräftigt. Die aus der Bergpredigt stammende Seligpreisung im 8. Satz zielt auf das reine Herz des Menschen. Das Wort ‹rein› ist nicht als rituelle Reinheit zu verstehen, sondern kann als das interpretiert werden, was dem menschlichen Herzen entspringt. Das Herz fasst den Menschen in seiner Ganzheit und in der Einheit von Leib und Seele zusammen. Huber vertonte die Seligpreisung unter Verwendung der Choralmelodie von Ich hab von Ferne, Herr dei nen Thron erblickt. Der Text dieses Chorals geht auf ein Gedicht des evangelischen Theologen Johann Timotheus Hermes (1738−1821) zurück. Das lyrische Ich drückt seine Sehnsucht nach dem Thron Gottes aus, indem es bedauert: «Ich bin noch nicht genug gereinigt, oder ich bin schon selig, seitdem ich das entdeckt». Hier zeigt sich eine inhaltliche Verbindung zwischen dem Text dieses Gedichts und der Seligpreisung im 8. Satz von Hubers Oratorium. Im 9. und finalen Satz kommt es zur letzten Verheissung und endgültigen Erfüllung: «Siehe, ich mache alles neu». Auch dies lässt sich inhaltlich wieder auf die Heilsverheissung in Jesaja 60 zu Beginn des Oratoriums zurückführen. Der biblische Spannungsbogen der oratorischen Erzählung ist hiermit geschlossen. Doch das Oratorium ist noch nicht zu Ende: Zu guter Letzt lässt Huber den Knabenchor einsetzen, der in einem krönenden Schlussgesang die erste Strophe des evangelischen Chorals Jerusalem, du hochgebaute Stadt verkündet und so erneut einen theologischen Rückbezug zum Anfang des Oratoriums schafft. Jerusalem als die Stadt, die von Propheten und Theologen zum Ort der Begegnung Gottes mit seinem Volk verklärt und zum Gegenstand endzeitlicher Hoffnung gemacht wurde. Im Anschluss an die Lobpreisung lässt Huber das Oratorium mit dem Gloria-Motiv instrumental ausklingen. Neben dem Gloria-Motiv verwendet er zu Beginn des 9. Satzes jedoch auch ein musikalisches Credo-Motiv aus dem Kyriale Romanum, welches er mit Vers 21, 5 aus der Offenbarung verbindet. Der im apostolischen Glaubensbekenntnis vergewisserte Glaube an Gott bewahrheitet sich in der endgültigen
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neutestamentlichen Erfüllung der im A lten Testament verheissenen Worte. Die im Oratorium in sich stimmigen und theologisch kohärenten Bibeltexte mit Einbezug von evangelischen Kirchenund Volksliedern werden von Anfang bis Ende von einem theologischen Spannungs bogen umfasst. Das Werk ist Zeugnis fundierter Bibelkenntnisse seitens Elisabeth Speiser-Sarasin und ihrer durch protestantische Ethik geprägten Frömmigkeit. Der Text reflektiert zudem den frömmigkeitsgeschichtlichen Hintergrund des grossbürgerlichen Umfelds der Verfasserin, in welchem neben der Bibel auch das Gesangbuch als wichtige Quelle für das spirituelle Leben diente. Im Vergleich mit früher und zeitgleich entstandenen Weihnachtsoratorien anderer Komponisten sind die ersten 4 Sätze von Weissagung und Erfüllung mit Israels Erwartung des Messias, der Verkündigung der Geburt durch die Engel sowie der Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland theologisch konventionell gehalten. Die Sätze 5 bis 9 hingegen sind aufgrund der pietistisch zu deutenden Textauswahl singulär. Dennoch lassen sich auch in diesen Sätzen biblische Pa rallelen zu anderen Werken ausfindig machen, etwa in der Auswahl von Versen aus der Seligpreisung der Bergpredigt oder bei Zitaten aus der Offenbarung. Durch die Verwendung von evangelischen Bibelquellen und Kirchenliedern ist Weissagung und Erfüllung in seiner Grundaussage evangelisch gehalten. Allerdings hat der katholisch sozialisierte Komponist Hans Huber in seinem Werk nicht auf ‹Katholizismen› wie etwa das Gloria- und das C redo-Motiv verzichtet – was dem Werk einen Hauch von konfessionsübergreifender Ökumene verleihen mag.
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NINA SCH A A D & CH A NTA L G A R DELLI
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DIE REZEPTION VON W EISSAGU NG U ND E RFÜ LLU NG VON N I NA SCH A A D & CH A N TA L G A R DEL L I
Um die zeitgenössische Rezeption des Oratoriums Weissagung und Erfüllung von Hans Huber einschätzen zu können, lohnt es sich, einen Blick in die Zeitungen zu werfen, die um die Zeit der Uraufführung des Werks am 6. Dezember 1913 in der Schweiz erschienen sind. Da die Berichterstattung über kulturelle Themen zu Beginn des 20. Jahrhunderts meist regional ausgerichtet war, war ihre Reichweite begrenzt. Umso erstaunlicher ist es, dass Hubers Werk von der Presse weit über die Kantons- und damaligen Konfessionsgrenzen hinaus auf vielfältigste Weise aufgegriffen wurde. Meist enthält die Berichterstattung eine Beschreibung der musikalischen Form des Werks. Auch kommen vielfach die Überkonfessionalität des Oratoriums, die Reaktionen des Publikums sowie die weihnachtliche Stimmung, die das Werk hervorrufe, zur Sprache. Schon vor der Aufführung des Werks konnten Basler Journalisten dessen Erfolg beim Publikum vorhersagen. So ist über die bevorstehende Uraufführung in der National-Zeitung vom 27. November 1913 zu lesen: «Es ist denn auch ein Werk entstanden, das zweifellos die Herzen erreichen wird, wie selten eines. [...] Möge die Uraufführung des durchaus eigenartigen Werkes unter einem guten Sterne, dem Weihnachtsstern selbst, in unserm Münster sich gestalten.» Des Öfteren findet sich ein Diskurs darüber, ob das Werk dem Titel ‹Oratorium› gerecht werde oder ob eine andere Gattung die Form der Komposition wohl
besser beschreiben würde. Einige Journalisten vergleichen Weissagung und Erfül lung mit Oratorien anderer bekannter Komponisten wie Liszt oder Bach und weisen auf die Fehlbetitelung des Werks hin. Die National-Zeitung schreibt dazu in ihrer Ausgabe vom 9. Dezember 1913: «Das […] Werk kann auch nicht den Oratorien zugezählt werden, sondern es ist eine mehrsätzige Kantate.» Es gibt aber auch Rezensionen, die in dem Werk sehr wohl ein Oratorium erkennen. So ist in der Neuen Zürcher Zei tung vom 14. Dezember 1913 von einem «Advents- oder Weihnachtsoratorium» die Rede, was Hubers Begriffszuschreibung bestätigt. Es wurde als eine Auffrischung der Gattung empfunden, und daher begrüsste man, dass Huber der alten Form neuen Inhalt gegeben habe. In der Mehrzahl der Rezensionen wird aber betont, dass die inhaltlichen Aspekte altbekannt seien, es Huber jedoch gelungen sei, diese neu zu verpacken. Auch wenn das Werk an andere grosse Meister erinnere, sei es von Wiederholung und Nachahmung weit entfernt. Die Presserezensionen und zeitgenössischen Reaktionen zeigen, dass Hubers Weissagung und Erfüllung das Publikum sehr beeindruckte und eine fantastische Stimmung hervorrief. Vor allem in den lokalen Zeitungen Basels wird mit viel Stolz und Begeisterung die besondere Wirkung des Werks hervorgehoben. Die enge Verbundenheit Hubers mit der Stadt Basel und ihrem musikalischen Leben ist deutlich zu spüren.
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CHI A R A SELVA & TIMO WA LDMEIER
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IN W IEFER N STEHT H A NS HUBERS O R ATORIUM IN DER TR A DITION BACHS? VON CHI A R A SELVA & TI MO WA L DMEIER
Die Annahme, Hubers Oratorium Weis sagung und Erfüllung sei aus barocken Bausteinen g efügt, führt zu der Frage, was unter barocker Moderne zu verstehen ist. So bezeichnet werden i m 20. Jahrhundert entstandene Werke, die in ihrer Form und Textverwendung am hochbarocken Stil orientiert sind. Harmonik, Spielweise und Interpretation stehen meist in einer modernen Tradition. I m besten Fall kombinieren diese Werke barocke S tilistik mit modernen Ideen der Aufführungspraxis sowie mit aktuellen Einflüssen der In strumentation, der Harmonik und des Konzertkontextes. In Hubers Weissagung und Erfüllung haben neobarocke Stilelemente einen grossen Stellenwert. Gerade der 1. Satz ruft eine Assoziation mit dem Eingangschor in Bachs Matthäus-Passion hervor. Nicht etwa durch den Text, die Taktart oder den Melodiecharakter, vielmehr über die Vielschichtigkeit der zwei dialogisch geführten Chöre und die einstimmige Choralmelodie im Knabenchor, die stark an barocke Stilistik erinnert. Der erste Chor beginnt und preist das Licht («Mache dich auf, werde Licht»). Es folgt der zweite Chor, der in einem barock gehaltenen Fugeneinsatz («Denn siehe, die Finsternis bedecket das Erdreich») das Dunkel und die Finsternis besingt, dann wieder der erste Chor, erneut mit dem Lichtmotiv. Auffallend sind hier der bildhafte, textbezogene Oktavsprung abwärts (bzw. aufwärts im Bass) zu Beginn dieses neuen Themas («Doch über dir gehet auf Jehova
und seine Herrlichkeit scheinet über dir») und der anschliessende Aufstieg zu «Jehova» und «Herrlichkeit». Der Schluss des 1. Satzes wird mit dem Einsatz beider Chöre und dem Knabenchor gekrönt, und auch hier zeigen sich einige barocke Merkmale: Mit dem Text «Und die Völker werden hinwallen zu deinem Licht und Könige zum Glanze, der über dir aufgeht» verbindet Huber musikalisch das himmlische Licht und die Finsternis auf Erden durch das dialogische Zusammenführen der Chöre und leitet so geschickt zur Geburt Jesu, des Erlösers, über. Parallelen zu Bach lassen sich auch in der Wahl der Tonart finden. Weissagung und Erfüllung wird durch den ersten Chor in D-Dur eröffnet, Bachs Weihnachts- Oratorium beginnt im ersten Teil ebenfalls mit dem ersten Chor in D-Dur. Auch wenn sich in Hubers Werk viele an Bach erinnernde neobarocke Stilelemente finden lassen, zeigt ein Vergleich, dass sich Huber in weiten Teilen von Bachs Kompositionsansätzen abgrenzte. Huber plädiert für eine reflektierte Betrachtung der Werke Bachs. Indem er in Weissagung und Erfüllung seine ästhetischen und technischen Ideale umsetzt, macht er einen Vorschlag zur Neuinterpretation und Erweiterung der alten Formen und Traditionen.
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LE A VATER L AUS & SIMONE HU TM ACHER-OESCH
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Z W ISCHEN M Ä ZENATENTUM U ND KOMPOSITION
VON L E A VATER L AUS & SI MON E H U TM ACHER-OESCH
Das 1913 im Basler Münster uraufgeführte Oratorium Weissagung und Erfüllung ist das Ergebnis einer i ntensiven Zusammen arbeit des Komponisten Hans Huber mit seiner Basler Auftraggeberin und Widmungsträgerin Elisabeth Speiser-Sarasin. Der jahrelange Briefverkehr zwischen Hans Huber (1852−1921) und Elisabeth Speiser-Sarasin (1861−1938) zeigt, wie eng die Mäzenin und Klavierschülerin des Komponisten mit der Entstehung des Oratoriums verbunden war. Anhand von Briefen in Hubers Nachlass, welcher im Archiv der Universitätsbibliothek Basel aufbewahrt wird, lassen sich der Kompositionsprozess des Werks gut zurückverfolgen und ein umfassendes Bild der Zusammenarbeit zwischen Mäzenin und Komponist zeichnen. Elisabeth Speiser-Sarasin gehörte der Basler Familiendynastie Sarasin an. Als Tochter des Seidenbandfabrikanten
und Basler Regierungsrats Karl Sarasin (1815−1886) wuchs sie im Umfeld des protestantischen, konservativ-patrizischen Basler Grossbürgertums auf. Die Musik Hubers spielte im Leben der leidenschaftlichen Amateurmusikerin eine grosse Rolle. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Basler Juristen und Politiker Paul SpeiserSarasin (1846−1935), veranstaltete sie bei sich zu Hause regelmässig musikalische ‹Huber-Abende›, die unter der Leitung des Komponisten standen. Um 1900 blühte die Hausmusik genauso wie das öffentliche Konzertwesen auf, und das leidenschaftliche Musizieren von Amateuren erreichte durch die Zusammenarbeit mit professionellen Musikern ein hohes Niveau. Auch Elisabeth Speiser-Sarasins Spieltechnik am Klavier und ihr umfassendes Musikverständnis übertrafen dilettantische Qualitäten weit, was sich auch daran zeigte, dass sie manche Werke Hubers gemeinsam mit ihm vierhändig am Klavier uraufführte. Elisabeth ‹Lily› Speiser-Sarasin war es, die Huber zur Komposition des Oratoriums anregte, ihn finanzierte, die Textauswahl für das geistliche Werk beisteuerte und dem Komponisten im Austausch über musikalische Fachfragen zur Seite stand. Bereits 1903 schrieb Huber von «unserem gemeinschaftlichen Oratorium», schwärmte noch ein Jahr vor seinem Tod in einem Brief von den «vielen schönen
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© Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 1245a C 6 (1) 8
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Das Ehepaar Speiser-Sarasin
Stunden im Hause Speiser», den «vielen briefähnlichen Gespräche[n] über alle möglichen Dinge» sowie vom «heimelige[n] Musizieren». Dass die Basler Wohltäterin in Zusammenhang mit Hubers Weissagung und Erfüllung heute derart in den Hintergrund gerückt ist, steht in keinem Verhältnis zu ihrer aktiven Rolle während der Entstehung des Werks. Der einzig verbliebene Hinweis auf das Ehepaar Speiser-Sarasin ist die Widmung des Oratoriums.
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BA NK ETT AUS A NL ASS DER UR AUFFÜHRU NG VON SA M U EL EL SIG , N ICOL A NGHIL ER I & M AT THI AS VOIGT A
Ein fiktiver Bericht v on der Uraufführung von Hans Hubers Oratorium Weissagung und Erfüllung am 6. Dezember 1913 im Basler Münster. Ich betrete den herrlich geschmückten Saal. Die gute Stimmung tänzelt durch die Luft auf mich zu und steckt mich sofort an. Mein Blick bleibt an einem der Tische hängen: der Ehrentisch! Ohne die Personen dort hätte das alles nie stattfinden können. Hans Huber sitzt mit einem Glas Wein in der Hand neben Elisabeth Speiser-Sarasin, die gerade etwas höchst Vergnügliches gesagt haben muss, wenn man die Lachfalten auf Hans Hubers Gesicht richtig deutet. Ihr Mann Paul Speiser-Sarasin amüsiert sich ebenfalls bestens mit dem Dirigenten Hermann Suter. Dieser wirkt allerdings hochkonzentriert, als würde er gerade nochmals die Partitur durchgehen. Vor wenigen Stunden waren die Türen des Münsters geöffnet worden, die Menschen strömten hinein und sicherten sich einen Platz. Gedanklich finde ich mich nun an meinen Platz im Münster versetzt und beobachte, wie sich die K irche mit musikbegeisterten Menschen füllt. Schon Tage vor der Uraufführung war das Oratorium von der Basler Presse beworben worden. So hatte ich in der Dienstagsausgabe des Basler Anzeigers gelesen: «Die Weihnachtsmusik, die hier der Basler Meister geschaffen hat, wird zweifelsohne tiefe Wirkung tun.» Es ist soweit: Die Grossformation aus Solisten, Chören und Orchestermusi-
kern betritt die Bühne. Den Abschluss macht Hermann Suter. Er hebt die Arme – d as Basler Münster verstummt. Dann erklingt die Musik und zieht mich in ihren Bann. Die grosse Weihnachtsfreude, die das Werk versprüht, erfasst mich. Ich schaue mich begeistert auf der Bühne um, ohne genau zu wissen, wohin ich meinen Blick richten soll. Etwa zu den Solisten, die selbstbewusst ihre Partien meistern? Oder lieber zum Basler Gesangverein, welcher mit Herzblut singt und seine Sache ausserordentlich gut macht? Für die Uraufführung wurde am Sonntag vor dem Konzert noch eine Extraprobe angesetzt. «Sehr geehrter Herr Doctor, mit verbindlichstem Danke», so beginnt ein Brief vom Kassier des Basler Gesangvereins an Paul Speiser-Sarasin, mit dem er sich für den dreihundertfränkigen Beitrag zu dieser Extraprobe bedankt. Mein Blick wandert weiter zu den Violinen, was mich schmunzeln lässt. Ich erinnere mich an einen Disput von Hans Huber mit einem Geiger: «Wenn Sie Mozart technisch leicht finden, so beweist das nur, dass Sie ihn nicht spielen können.» Dies warf Huber der Aussage eines Geigers, er werde mit Mozart gar rasch fertig, hinterher. Tosender Beifall – das Oratorium ist zu Ende. Die Gesichter, in die ich blicke, strahlen vor Begeisterung. Die Aufführung des Oratoriums war ein Erfolg. Ich bin überzeugt: nicht zum letzten Mal!
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Sinfonieorchester Basel Opernchor des Theater Basel Álfheiður Guðmundsdóttir, Sopran Karl-Heinz Brandt, Tenor Kyu Choi, Bariton Jonathan Stockhammer, Leitung Ulrike Jühe, Regie www.sinfonieorchesterbasel.ch
Illustration: Janine Wiget
31. DEZ. 2021 18. 30 UHR
Carmina Burana
INTERV IE W
FACU NDO AGUDIN im Gespräch
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«SEINE MUSIK V ERDIENT ES, W IEDERENTDECK T ZU W ERDEN» VON SI MON E H U TM ACHER-OESCH
Facundo Agudin ist ein schweizerischargentinischer Dirigent mit internationaler Tätigkeit. Nach Abschluss seines Masterstudiums an der Universidad Católica Argentina spezialisierte er sich in Alter Musik und historischer Komposition bei Pedro Memelsdorff in Bologna und an der Schola Cantorum in Basel. Seine sechsjährige Tätigkeit als Mitglied im Schweizer Kammerchor in Zusammenarbeit mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Claudio Abbado, Valery Gergiev, Armin Jordan, Simon Rattle, Gennadi Roschdestwenski,
olfgang Sawallisch und W David Zinman gab ihm wichtige Impulse für seine weitere Entwicklung als Dirigent. Er ist Mitbegründer sowie künstlerischer und musikalischer Leiter von Musique des Lumières. Agudin lebt in Basel und ist seit 2020 Dirigent des Basler Gesangvereins. SHO Herr
Agudin, Sie verfügen über eine mehrjährige internationale Erfahrung als Chorsänger und Chorleiter. Haben Sie vor Weissagung und Erfüllung bereits Erfahrungen mit Vokalwerken von Hans Huber machen können? FA Auch wenn ich über keine besondere Erfahrung mit den Vokalwerken Hubers verfüge, komme ich aus einer ‹deutschorientierten› Choraltradition. Als Knabe konnte ich in Buenos Aires, wo ich geboren bin, wichtige Erfahrungen in semiprofessionellen und professionellen Chören sammeln, die über ein wesentliches deutsches Repertoire verfügten: Mendelssohn, Schumann, Brahms, Bruckner und natür-
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lich Bach. Mit siebzehn wurde ich Assistent bei einem der wichtigsten Chöre von Buenos Aires (ich erinnere mich, dass die Sängerinnen und Sänger bis zu dreimal so alt waren wie ich!), in welchem ich viel Standardgesangsrepertoire dirigierte. Besonders vertraut wurde ich mit der farbenreichen Böcklin-Sinfonie von Huber, welche wir 2015 vier Mal mit Musique des Lumières in einem besonderen Programm zusammen mit Viktor Ullmanns Kaiser von Atlantis aufgeführt haben. Ich habe vor, Hubers Musik vermehrt zur Aufführung zu bringen.
SHO Der
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© A line Fournier
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«Das Werk bietet den Künstlerinnen und Künstlern und dem Publikum wahrhaft schönes musikalisches Material.»
Basler Gesangverein hatte bereits bei der Uraufführung von Weissagung und Erfüllung im Jahre 1913 im Basler Münster mitgewirkt. Wie kommt es, dass der Gesangverein für die Aufführung des Werks erneut angefragt wurde? Was bedeutet das für den Chor? FA Ich erinnere mich an den Morgen, an welchem Hans-Georg Hofmann mit mir über Weissagung und Erfüllung sprach. Er beschrieb das Werk als eindrückliches Dokument der Basler Musikgeschichte. Die Einladung, bei dieser Aufführung zusammen mit dem Sinfonieorchester Basel und der Knabenkantorei Basel mitzuwirken, habe ich sofort angenommen. Es war so, dass ich die Position als Musikdirektor beim Basler Gesangverein in unsicheren Zeiten übernommen hatte. Die Vorbereitungen zu Huber waren über Videoproben fast abgeschlossen, was die fünfzig bis sechzig Sängerinnen und Sänger, die geduldig das Werk einstudierten, sicherlich sehr gefordert hatte. Proben abzuhalten in Covid-Zeiten, stellte eine echte
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erausforderung dar. Aber der Basler GeH sangverein und auch die Knabenkantorei Basel haben es geschafft, sicher durch diese stürmischen Zeiten zu kommen und das Projekt zu retten! Wir freuen uns auf die Aufführung und sind sehr gespannt darauf.
Elias, Schumanns Peri oder Faust, zum Deutschen Requiem von Brahms oder sogar zu Mahlers Auferstehungssinfonie scheinen mir eindeutig, auch wenn diese eher in einer ‹sanften› Art auftreten. Es wirkt eher wie ein altes, unter Wasser betrachtetes Familienfoto, auf dem man die familiären Konturen verschwommen und mysteriös wahrnimmt.
SHO Haben
Sie schon andere Weihnachtsoratorien gesungen oder dirigiert? Wie lässt sich Hubers Werk vergleichen? FA Natürlich, ich habe schon viele traditionelle auf Weihnachten bezogene Werke (Bach, Saint-Saëns, Honegger, Poulenc, Mendelssohn, Charpentier, Händel, Corelli) dirigiert und gesungen. Meiner Meinung nach wird Hubers Werk möglicherweise seinen Platz in der Tradition deutscher Oratorien und Kantaten finden, die sich auf die Christus-Erzählung (mit neuen Dichtungen oder biblischen Texten) beziehen. Trotz seiner technischen Anforderungen und der grossen Besetzung werde ich mein Bestes tun, damit Weissagung und Erfüllung ein beliebtes Weihnachtsoratorium wird. Obwohl nicht alle Sätze unbedingt das gleiche formale Kaliber aufweisen, glaube ich, dass das Werk in seiner Form aussergewöhnlich ist. Es bietet den Künstlerinnen und Künstlern sowie dem Publikum wahrhaft schönes musikalisches Material (oft orientiert an modaler Harmonik und nahezu traditioneller Volksmusik). Ich denke, dass unser Publikum von seiner altertümlich anmutenden, etwas ‹märchenhaften› Farbigkeit begeistert sein wird. SHO Gibt
Huber in seiner Partitur klare Anweisungen zur stimmlichen Ausgestaltung des Oratoriums, oder räumt er gewisse Freiheiten ein, die es dem Chor erlauben, das Werk selbst mitzugestalten? FA Die Partitur ist ziemlich anspruchsvoll: Der Komponist verlangt einen grossen Doppelchor, Knabenchor und vier Solistinnen und Solisten. Die Vorgaben sind in der Notation auf traditionelle Weise klar angegeben. Wie gesagt, die Partitur kann manchmal gesanglich ein wenig extrem sein (was ja auch auf Beethovens Vokalwerke zutrifft). Huber war ein subtiler Kenner aller grossen Oratorien. Seine direkten und indirekten Bezüge in Farbigkeit und Atmosphäre zu Mendelssohns
«Seine farbenreiche und aufrichtige Sprache vermag eine fast cinematische Inspiration auszulösen.» SHO Die
Uraufführung im Jahr 1913 wurde in der damaligen Presse sehr gelobt. Obwohl die schweizerische Presse zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei kulturellen Themen noch eher regional ausgerichtet war, erfuhr die Uraufführung überregionale Anerkennung durch die Zeitungen. Könnten Sie sich als international tätiger Dirigent vorstellen, dass das Werk auch ausserhalb der Schweiz auf Aufführungsinteresse stossen könnte? FA Ich würde mich geehrt fühlen, Weissagung und Erfüllung in Italien, Frankreich, Spanien, Argentinien oder Russland zur Erstaufführung zu bringen und mich im Ausland für die bedeutsamsten Komponisten Basels stark zu machen. Huber gehört definitiv in diese Gruppe. Seine farbenreiche und aufrichtige Sprache vermag beim modernen Publikum eine fast cinematische Inspiration auszulösen. Seine Musik verdient es, entdeckt und auch von einer grösseren Zuhörerschaft geliebt zu werden. SHO Facundo Agudin, vielen Dank für das
Gespräch!
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ORTSGESCHICHTEN
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H A NS HUBERS BASEL
VON SIGF R IED SCHIBL I
An einem Tag Ende September 1896 schlenderte der Komponist Hans Huber über die Mittlere Brücke in Basel. Das wäre an sich nicht weiter bemerkenswert, wäre er dabei nicht gefilmt worden. Im ältesten Basler Filmdokument mit dem Titel ‹Bâle – Pont sur le Rhin› sieht man Huber im g epflegten dunklen Anzug mit grossem Hemdkragen, Uhrenkette und gemusterter Krawatte, den dunklen Hut schräg auf dem Kopf, neben einer Reihe anderer Personen über die Brücke in Richtung Kleinbasel schreiten. Der nur 48 S ekunden lange Film ist vor einigen Jahren von Hansmartin Siegrist
ntdeckt und mit einer e Gruppe Filmkundiger gründlich analysiert und kommentiert worden. Im Buch Auf der Brücke zur Moderne sind die Ergebnisse dieser filmwissenschaftlichen A nalyse ausführlich dokumentiert. Hans Huber ist nicht der einzige Prominente, der vor die Linse der Lumière-Filmkamera auf der ältesten Basler Rheinbrücke geriet. Neben dem bekannten Musiker hat das Team um Hansmartin Siegrist eine ganze Reihe von Baslerinnen und Baslern identifizieren können. Sie tragen Familiennamen wie Barth, Burckhardt, Faesch, Hagenbach, Hotz, Lotz, Peyer, Speiser, Staehelin, Suter, Trueb. Nicht wenige von ihnen sind stadtbekannte Persönlichkeiten, darunter auch Rudolf Wackernagel, der Staatsarchivar und Historiker, mit dem Hubereng zusammenarbeitete. Was im Film wie ein zufälliges Zusammentreffen von Passanten wirkt, ist in Wahrheit das Ergebnis einer bewusst gestalteten Inszenierung. Seit 1877 lebte Huber, der aus dem Solo-
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© 50 Sekunden Basel 1896
ORTSGESCH ICH T EN
Hans Huber (rechts im Bild) in einer F ilmaufnahme von 1896
thurnischen stammte, in Basel. Dort heiratete er drei Jahre später, mit 28 Jahren, die Sängerin Ida Petzold. Er hatte Erfahrungen als Klavierlehrer und Konzert pianist gesammelt und war auf dem Weg zur musikalischen Lokalgrösse. Im 1876 eingeweihten Stadtcasino-Musiksaal trat er 1881 als Dirigent mit eigenen Werken auf, laut der Allgemeinen Musikalischen Zeitung allerdings bei «mässig besetztem Parkett und gelichtetem Balkon». Das Image eines radikalen Neutöners konnte Huber erst mit seinen Basler Festspielen von 1892 und 1901 abstreifen. Seit dem von ihm komponierten Festspiel zur Vereinigungsfeier von Gross- und Kleinbasel im Jahr 1892 war Hans Huber so populär wie vor und nach ihm wohl kein anderer Basler Musiker. Das Libretto hatte der Staats archivar Rudolf Wackernagel verfasst, ebenso wie die Texte zu drei anderen Bühnenwerken Hubers. Darunter war auch die Oper Weltfrühling, die 1893 am Basler Stadttheater uraufgeführt wurde. Im Jahr, als der oben erwähnte Basler Kurzfilm entstand, wurde Huber zum Direktor der Allgemeinen Musikschule am Nadelberg ernannt; aus ihr erwuchsen das von Hans Huber gegründete Konservatorium und die spätere Musik-Akademie. In jener Zeit wurde der Neubau der Musikschule an der Leonhardsstrasse bezogen, heute noch die Adresse dieser Musik-I nstitution. Es war nicht das einzige musikalische Amt, das Huber – nach seinem ersten Festspiel zum Ehrendoktor der Universität ernannt – innehatte. Um
die Jahrhundertwende leitete er drei Jahre lang den Basler Gesangverein, dessen Konzerte im Münster oder im Musiksaal des Stadtcasinos stattfanden. Immer wieder wirkte Huber als Pianist in Hauskonzerten des Basler Bürgertums mit, deren Bedeutung für die Basler Musikkultur um 1900 kaum hoch genug einzuschätzen ist. 1897 bezog er ein vom Architekten Rudolf Friedrich errichtetes Wohnhaus an der Angensteinerstrasse 30 im Gellert. Damals pflegten Führungspersönlichkeiten des lokalen Musiklebens noch in und mit Basel zu leben, das Jetset-Zeitalter der reisenden Dirigenten sollte erst Jahrzehnte später anbrechen. Als Hans Huber am Vorabend des Ersten Weltkriegs das Oratorium Weis sagung und Erfüllung komponierte, konnte er sich auf bewährte Kräfte stützen. Es sangen namhafte Solistinnen und Solisten, der einst von Huber geleitete Basler Gesangverein übernahm die Chorpartien, das städtische Sinfonieorchester spielte. Die musikalische Leitung hatte Hubers Wunschnachfolger Hermann Suter. Auch er, der einstige Meisterschüler des Pädagogen Hans Huber, vereinigte mehrere Schlüsselfunktionen im Musikleben in sich. Heute erinnern die Hans HuberStrasse bei der Pruntrutermatte unterhalb des Margarethenhügels und der 1905 an den Musiksaal des Stadtcasinos Basel angebaute Hans Huber-Saal an diesen grossen, etwas aus der Zeit gefallenen Basler Musiker.
VORGESTELLT
FR IEDA MÜLLER im Gespräch
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«FÜR MICH IST K ULTUR IMMER EINE GESELLSCH A FTS DOK UMENTATION» VON L E A VATER L AUS
Die Feier ihres zehn jährigen Jubiläums beim Sinfonieorchester Basel musste Frieda Müller pandemiebedingt zwar verschieben, doch vor allem ist die Leiterin der Abteilung ‹Projekte & Produktionen› froh darüber, dass man nun wieder zukunftsgerichtet planen kann. Im Interview spricht sie über die Vereinbarkeit von Kunst und Management, ihren Umgang mit den Musikerinnen und Musikern sowie über ihre persönlichen Wege, um bei aller Vorausplanung auch immer wieder im Moment selbst zu sein.
LV Frieda
Müller, als Leiterin der Abteilung ‹Projekte & Produktionen› bist Du für die Planung und Umsetzung von Konzerten verantwortlich. Was ist dabei besonders wichtig? FM Meine Aufgabe ist es, das grosse Ganze im Blick zu behalten. Sei es in der mittelfristigen Planung oder in der konkreten Umsetzung der laufenden Spielzeit. Bei einem neuen Projekt ist da zuallererst die enge Zusammenarbeit zwischen künstlerischer Direktion und dem Chefdirigenten bei der Programmplanung. Steht diese fest, schauen wir gemeinsam, welche Ideen davon realisierbar sind. Dabei habe ich stets eine klare Vision im Kopf, was meine Mitarbeitenden und ich dazu beitragen können, damit die Kunst erstrahlen kann. Selbstverständlich will man möglichst viel umsetzen, um der Kunst zu entsprechen, darf dabei aber die Bereiche von Leadership und Management nicht aus den Augen verlieren. Dies vor allem, wenn es um die Work-Life-Balance meines Teams geht, um das Berechnen von Kosten und das Erstellen von konkreten Einsatzplänen. LV Du
stehst in engem Kontakt zu den Solistinnen und Solisten, denen auf der Bühne emotional viel abverlangt wird. Du brauchst sicher viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Künstlerinnen und Künstlern?
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© Iljaz Jusufi
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Ich nehme jede Person immer wieder ganz neu und unvoreingenommen wahr. Dabei lasse ich mich nicht von grossen Namen blenden, sondern gehe mit den Beteiligten ganz pragmatisch durch die Woche. Natürlich entstehen durchaus viele persönliche Begegnungen, denn man ist sich sehr nahe. Hinter jeder Künstlerin und jedem Künstler steckt ein Mensch, welcher auch einmal einen schlechten Tag haben darf. Das nehme ich nicht persönlich. Mit Empathie und durch Erfahrung merkt man: Ist jetzt gerade der Moment, um noch eine Frage zu stellen? Oder nehme ich mich besser zurück, um jenen den Raum zu geben, die ihn brauchen? Bei diesem Umgang wird Vertrauen geschaffen, und sowohl die Solistinnen und Solisten als auch unsere Orchestermitglieder wissen, dass man sich aufeinander verlassen kann.
Leuten teile, die im Hintergrund dazu beigetragen haben, dass alles funktioniert. Im Publikum bekommt man gar nicht mit, was jeweils kurz vor dem Konzert noch hinter der Bühne geschieht und wer alles herumspringt. (lacht) Richtig heiss wird es für uns beispielsweise, wenn ein Solist oder eine Solistin beziehungsweise ein Orchester musiker oder eine Orchestermusikerin um zwanzig nach sieben noch nicht vor Ort ist und das Konzert zehn Minuten später beginnen soll. Es ist ein unglaublich schönesGefühl, solche Situationen gemeinsam zu meistern, auch wenn das Adrenalin kurz hochkocht.
F M
«Auf dem Papier steht immer viel – schlussendlich muss man die Menschen jedoch dort abholen, wo sie im jeweiligen Augenblick stehen.» LV
ab es auch schon skurrile Wünsche? G Meistens sind es die Agenturen, die uns wahnsinnig lange Listen zusenden, was alles für die Künstler bereitstehen muss. Dabei kommt alles vor – bis zum ganz spezifischen Kiwi-Saft. Sind die Leute dann aber da, ist es oft so, dass diese Wünsche gar nicht unbedingt dominieren und sie vielleicht ganz froh darüber wären, auch einmal einfach Orangensaft eingeschenkt zu bekommen! Auf dem Papier steht immer viel – schlussendlich muss man die Menschen jedoch dort abholen, wo sie im jeweiligen Augenblick stehen. FM
LV Bist
Du stolz, wenn Du im Konzertsaal sitzt und Deine Arbeit dazu geführt hat, dass alle Beteiligten zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind? FM Ja, absolut! Bei Konzertbeginn stellt sich bei mir erst einmal eine Art von Erleichterung ein, die ich gerne mit allen
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LV Tourneen
und Gastspielreisen brauchen eine sehr komplexe Organisation. Eine Bewährungsprobe für Eure Arbeit? FM Meistens geht es bei Gastspielreisen um banale Details wie die Gültigkeit von Reisepässen oder momentan von CovidZertifikaten. Entscheidungen müssen stets unmittelbar getroffen werden, und man steht in Austausch mit vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten in diversen Sprachen. Reist man über den eigenen Kulturkreis hinaus, erfordert dies zusätzlich eine offenherzige und verständnisvolle Auseinandersetzung mit der jeweiligen Kultur. Unsere China-Tournee mit dem Pianisten Fazil Say im März 2015 brachte beispielsweise viele bürokratische und administrative Hürden mit sich. Nach diversen Telefonaten auf unterschiedlichen Hierarchiestufen brauchte es sogar noch den persönlichen Besuch und die entsprechenden Kontakte bei der chinesischen Botschaft, bis wir auch für Fazil Say, welcher sich öffentlich zu politischen Themen geäussert hatte, kurz vor Abreise noch ein Visum erhielten. LV Während
des letzten Jahres gab es unzählige Programm- und Besetzungsänderungen, erschwerte Reisebedingungen sowie strengere Sicher heitskonzepte. Wie hast Du die letzte Zeit aus planungstechnischer Sicht erlebt? F M Das letzte Jahr war sehr anstrengend. Planung und Umsetzung waren praktisch nur gleichzeitig möglich, alles war sehr spontan. Gleichzeitig war es toll, dass das Sinfonieorchester Basel seinen Betrieb
VORGEST EL LT
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nie ganz einstellen musste, sondern die Musikerformationen und Zuschauerzahlen stets den geltenden Bestimmungen anpasste. Der Aufwand hat sich gelohnt – es wurde nie ganz still um das Orchester.
in Luzern und machte begleitend zu meiner Tätigkeit beim Sinfonieorchester Basel den Abschluss in Kulturmanage ment an der Universität Basel. Die Musik verbinde ich mit vielen schönen Emotionen und Erinnerungen – bei uns zu Hause wurde immer viel musiziert. Wirkliches Interesse für die klassische Musik entwickelte ich in der Schulzeit, ein Schlüsselerlebnis war dabei ein Besuch im Theater St. Gallen. Ich sass in der vordersten Reihe, gleich oberhalb des Orchestergrabens, und bekam vom Bühnengeschehen überhaupt nichts mit, weil es mich so faszinierte, was im Orchester vorging. (lacht) Gleich nach der Aufführung rief ich beim Orchester an und erlangte durch den frei erfundenen Auftrag, ich hätte ein Interview zu verfassen, schliesslich den Kontakt zu einem Hornisten, dem ich sogleich richtige Löcher in den Bauch fragte. D ie Faszination für die klassische Musik und die Orchesterarbeit hat sich bis heute gehalten.
«Schlussendlich hat die Kunst ein Ziel: das Publikum abzuholen und ihm einen Moment zu bieten, in dem jede und jeder im Augenblick verweilen kann.» LV Hat
sich der Kulturbetrieb in der letzten Zeit verändert? Ist er zukunftsfähiger geworden? FM Für mich ist Kultur immer eine Gesellschaftsdokumentation – ein Abbild unseres Zusammenlebens. Die zunehmende Schnelllebigkeit in der Kommunikation, beispielsweise über Social Media, hat auch im Kulturbereich klar zugenommen. Im letzten Jahr erweiterten sich über diverse Möglichkeiten des Streamings zudem die Optionen, einem Konzert online beizuwohnen. Um zukunftsfähig zu bleiben, darf man sich aber nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, sondern muss ständig an der eigenen Offenheit und dem Interesse an neuen Themen arbeiten und diese auch kritisch hinterfragen. Kunst ist letztlich ein Zeitzeuge, und das ‹Jetzt› spielt eine grosse Rolle. Für mich ist auch der Austausch mit anderen Kulturinstitutionen sehr erfrischend. Schlussendlich hat die Kunst ein Ziel: das Publikum abzuholen und ihm einen Moment zu bieten, in dem jede und jeder im Augenblick verweilen kann. LV Du
hattest letztes Jahr Dein zehnjähriges Jubiläum beim Sinfonie orchester Basel. Was fasziniert Dich an der klassischen Musik? FM Ich bin seit 2010 beim Sinfonie orchester Basel, davor waren Stationen meines Berufslebens unter anderem das T heater Basel und das Gast- und Kulturhaus Teufelhof in Basel. In letzterem absolvierte ich ursprünglich die Ausbildung als Kauffrau, studierte danach Tourismus
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LV Wie
findest Du neben Deinem schnelllebigen Alltag zur Ruhe? FM Für mich ist es wichtig, Rituale zu haben, die mir Ruhe geben und aus denen ich neue Energie schöpfen kann. So habe ich die Ausbildung zur Yoga-Lehrerin gemacht. Während ich in der Orchester organisation gedanklich immer weit der Zeit voraus bin, finde ich es beruhigend, im Alltag immer wieder zum Moment selbst zu finden. LV Frieda
Müller, herzlichen Dank für das Gespräch!
KOLUMNE
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FR AGENDE ZEICHEN
VON EGL E A
Sie war noch ziemlich neu, die Marmorgruppe von Gian Lorenzo Bernini in Santa Maria della Vittoria, genannt Die Ekstase der heiligen Teresa, als ein französischer Diplomat bei seinem Rom-Besuch dorth in geführt wurde. Er betrachtete die schmachtende Schönheit genau. Mit geöffneten Lippen und geschlossenen Lidern, den Kopf hingegeben in den Nacken gelegt, sah sie aus, als erwarte sie den Kuss eines Liebhabers und alles, was danach kommen musste. Das Gesicht wandte sie einem Engel zu, einem halbwüchsigen, schmalen Wesen mit vieldeutigem Lächeln. In der rechten Hand hielt er einen Pfeil, den er auf die Verzückte richtete, mit der linken lüpfte er ihr langes Gewand. «Wenn das die heilige Ekstase ist», sagte der Diplomat, «dann kenne ich sie auch.» So gelassen nahmen die meisten Gläubigen in Rom das nicht. Vieldeutig ist nicht nur der Gesichtsausdruck des Engels und seine Geste, auch sein Geschlecht ist es, das könnte ein Elf-, Zwölfjähriger oder eine Elf-, Zwölfjährige sein; das aber war es nicht, was die Menschen empörte. Zu Berninis Zeit waren die Engel grösstenteils zu androgynen Erscheinungen geworden, nur selten tauchten sie in der Kunst noch mit Rüstung und kräftiger Statur auf, sekundäre, geschweige denn
primäre Geschlechtsmerkmale waren bei Engeln ohnehin nie angedeutet worden. Bärtig oder sichtbar rasiert waren sie in keinem Fall aufgetreten. Auch daran, dass Engel eine unübersichtliche Population waren, was Wohnsitz, Vorkommen, Charaktereigenschaften, Ausstattung, Anzahl der Flügel, Kostümierung und Frisur anging, hatten sich die meisten im Barockzeitalter gewöhnt. Im Alten Testament waren die namentlich aufgeführten Engel allesamt männlich gewesen, doch schon zu Beginn des Neuen hatte ausgerechnet Jesus Christus persönlich diese Gewissheit ins Wanken gebracht. Laut Markus hatte er erklärt: «Wenn … Menschen von den Toten auferstehen, heiraten sie nicht, noch lassen sie sich heiraten, sondern sie sind wie die Engel im Himmel.» Das hiess, sie haben kein Geschlecht. Ein Dichter der Spätantike namens Gregor von Nazianz siedelte die Engel dort an, wo sie schwer dingfest zu machen waren, in einem Zwischenreich, das sich keiner vorstellen konnte, vermutlich auch nicht sollte: «Verglichen mit dem Menschen», schrieb er, «ist die Natur von Engeln geistig, im Vergleich zu Gott aber körperlich.» Fast tausend Jahre später wurde es noch schwieriger, an die Engel heranzukommen: Der Theologe Thomas von Aquin behauptete, Engel seien keine Materie, sie seien nichts als Geist.
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© Jacques Schumacher
KOLU M N E
In der Musik schien es jedoch solche Zweifel an Gestalt und Geschlecht der Engel nicht zu geben. Engelschöre konnten nur von Knaben gesungen werden. Das war so in Zeiten, als weibliche Wesen sowieso keinen Zugang zur Kirchenmusik hatten, und das hielt sich. Dabei waren Knabenchöre nur erfunden worden, weil ausgewachsene Männer, falls sie nicht kastriert waren, niemals so hoch singen konnten wie die Komponisten mit wachsender Begeisterung komponierten. War es nicht pragmatisch gedacht, die Engel aufzuteilen in solche fürs Feine und solche fürs Grobe? Für das alltägliche Leben brauchte man Engel, derer man habhaft werden konnte, Schutzengel, die in der Unfallverhütung eine zentrale Rolle zu spielen bereit waren, überall, zu jeder Zeit, bei jeder Lappalie, Stimmlage gleichgültig, und Engel fürs Überirdische, unerreichbar, deren Stimmen möglichst körperlos klingen sollten, jedenfalls durften sie nicht sinnlich oder verführerisch sein. Als es um Argumente ging, Mädchen aus Knabenchören auszusperren, wurde Letzteren ein Originalklang-Status zugeschrieben; der aber erwies sich rasch als fragwürdig, denn die sogenannten Knaben in den Chören waren im 16. und im 17. Jahrhundert wesentlich älter als heute, der Stimmwechsel setzte später ein, ihre Stimmen mussten also reifer gewesen sein, sodass sie eher wie Frauenstimmen geklungen haben dürften. Trotzdem, es lässt sich nicht bestreiten, dass über 60 Prozent der Hörenden erkennen können, ob da Knaben oder Mädchen singen, dass ein Knabenchor als eigenes Instrument folglich seine musikalische Berechtigung besitzt. Mahler oder Britten wussten, was sie wollten, als sie Knabenchöre einsetzten; werden die beschrieben, ist immer von Reinheit und gläserner Klarheit die Rede. Wen lässt das nicht an Unschuld, an Wahrheit denken? Selbst in Filmmusiken singen die Knaben, wenn es ums Entrückte geht. Als vor zehn Jahren bekannt wurde, dass allein bei den Regensburger Domspatzen mindestens 547 Chorknaben sexuell missbraucht worden waren, als Ehemalige auch in anderen Chören auspackten, sie hätten in ständiger Angst vor Prügeln und Übergriffen gelebt und gesungen, als die Aufklärung in vielen Fällen eher einer Eintrübung glich, hätte es
Lea Singer = Eva Gesine Baur
uns da nicht schwerfallen müssen, nach wie vor an Reinheit und Klarheit, an Wahrheit und Unschuld zu denken, wenn wir Knabenchöre hörten? Wir waren dabei, als Verantwortlichen chronisches Wegschauen vorgeworfen wurde, durften wir da weghören? Oder klang wirklich nichts mit, was unsere Illusion beeinträchtigt hätte? Klang ist Suggestion. Wir sehen, was wir hören. «I see a voice», sagt Pyramus in Shakespeares Midsummer Night’s Dream. Das ist nicht vernünftig, das ist Musik.
IN ENGLISH
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H A NS W HO-BER?
BY BA RT DE V R IES
This Christmas it is exactly one hundred years since Hans Huber passed away. “Hans Who-ber?” I hear you thinking. “Where did I come across this name?” If you attend chamber music concerts as enthusiastically as you frequent the concerts of the Sinfonieorchester Basel, the penny may drop quickly, but if not, who exactly is Hans Huber? Today, Frank Martin may be Switzerland’s internationally most revered composer, but around 1900 Hans Huber took the top spot. Born in the canton of Solothurn in 1852 into a musical family – his father was an amateur musician and a choral conductor –, Huber opted for a career in music. After secondary school, he moved to Leipzig to study piano and composition with, among others, Carl Reinecke, a composer today most recognised for his works for flute. Having spent some years teaching in Alsace, he settled in Basel in 1877 at a time the city was gaining importance as a musical centre. Just the year before, not only the Allgemeine Musikgesellschaft (a forerunner of the Sinfonieorchester Basel) had been founded, but also the Musiksaal had opened its doors: A stimulating environment for H uber to deploy his numerous musical talents. Many of his works saw the light of day in Basel and were often premiered by himself either as the pianist or the conductor. With eight published symphonies, dozens of chamber music pieces, operas, songs and religious works, Huber was one of the most prolific Swiss composers. His compositions for the festivities commemorating the fifth centenary of the merger of Gross- and Kleinbasel in 1892 and the fourth centenary of Basel’s accession to the Swiss Confederation in 1901 cemented his name and gained him a large audience.
Huber’s compositions were influenced by German giants like Brahms, Wagner and Strauss, but he also maintained close relationships with Busoni – the Italian composer who arranged Bach’s Chaconne for piano. Despite his international network and being open to musical ideas from abroad, he also drew inspiration from Swiss sources like the lakes and mountains, the paintings of Böcklin, W ilhelm Tell, and folk music. Huber hugely contributed to the improvement of musical education in Basel. He initially taught at the local Musik schule of which he eventually became its director. As the Musikschule was a place where both amateurs and professionals honed their skills, it eventually spawned a conservatory fully dedicated to those making a living from music. And Huber became the director of the conservatory. In short, during the forty years he lived in Basel, Huber was a pivotal figure in the development of the city’s musical life. He can be credited for laying the foundations of Basel’s reputation as a city of music that lasts to this day. Even so, his works fell into oblivion, not to be rediscovered until the late 20th / early 21st century. Mean while, many of them have been recorded, most notably his symphonies and chamber music. However, to my best knowledge, the Christmas oratorio Weissagung und Erfüllung hasn’t. The title of this work refers to the first chapter of the gospel of Matthew, where it is written that Mary’s immaculate conception and the birth of Jesus were the fulfillment (Erfüllung) of what the prophets had presaged (Weis sagung). Huber died on Christmas Day in 1921. If you had heard of him, you have most likely visited the Stadtcasino Basel's Hans Huber-Saal for chamber music, a lasting memory to one of Switzerland’s greats.
V ER EIN ‹FR EU NDESK R EIS SINFONIEORCHESTER BASEL›
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& zen t ü t rs Unte n iessen ge
MUSIK V ERBINDET – FREU NDSCH A FT AUCH
Der Freundeskreis ist eine engagierte Gemeinschaft, die Freude an klassischer Musik sowie eine hohe Wertschätzung gegenüber dem Sinfonie orchester Basel verbindet.
Wir unterstützen die Arbeit der Musikerinnen und Musiker des Sinfonieorchesters Basel mit konkreten Projekten und finanziellen Beiträgen. Darüber hinaus tragen wir dazu bei, in der Stadt und der Region Basel eine positive Atmosphäre und Grundgestimmtheit für das Sinfonieorchester Basel und das kulturelle Leben zu schaffen. Unser Verein bietet seinen Mitgliedern ein reichhaltiges Programm an exklusiven Anlässen mit dem Sinfonieorchester Basel sowie über ausgewählte Veranstaltungsformate exklusive Möglich keiten des direkten Kontakts zu Musikerinnen und Musikern. Wir fördern das gemeinschaftliche musikalische Erleben sowie den Austausch unter unseren Mitgliedern.
© Benno Hunziker
Möchten Sie mehr erfahren? Nehmen Sie direkt Kontakt mit uns auf: freundeskreis@sinfonieorchesterbasel.ch oder besuchen Sie unsere Website www.sinfonieorchesterbasel.ch/freundes- kreis
DEMNÄCHST
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CONCERT & CIN EM A DREI H ASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL So, 19. Dezember 2021, 15 & 18 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal Sinfonieorchester Basel Aurelia Würsch, Adrian Prabava E X TR A KONZERT SILV ESTER KONZERT Fr, 31. Dezember 2021, 18.30 Uhr Sinfonieorchester Basel Stadtcasino Basel, Musiksaal Chor des Theater Basel Sa, 1. Januar 2022, 17 Uhr Álfheiður Guðmundsdóttir, Theater Basel Karl-Heinz Brandt, Kyu Choi, Jonathan Stockhammer, Ulrike Jühe G ASTSPIEL So, 9. Januar 2022, 19 Uhr Philharmonie Essen
Z U G AST IN ESSEN Sinfonieorchester Basel Isabelle Faust, Antoine Tamestit, Ivor Bolton
SIN FON IEKONZERT Mi, 12. Januar 2022, 19.30 Uhr Do, 13. Januar 2022, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal
T U RTELEI Sinfonieorchester Basel Isabelle Faust, Antoine Tamestit, Alasdair Kent, Ivor Bolton
SCHU LE Do, 13. Januar 2022, 10 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal
Z W EITES SCHU LKONZERT Sinfonieorchester Basel Isabelle Faust, Antoine Tamestit, Alasdair Kent, Ivor Bolton
KONZERTHIN W EIS DER W EIHNACHTSSTER N Mi, 1./15. Dezember 2021, 19.30 Uhr Museum Kleines Klingental, Grosses Refektorium
Vokalensemble Les Voix Basel Andrea Wiesli (Klavier), Lea Meyer (Sopran), Till Streit (Tenor), David Rossel (Leitung)
Hans Huber (1852–1921): Der Weihnachtsstern (1912), Bühnenmusik zum Krippenspiel von Meinrad Lienert (1865–1933)
VORV ER K AU F (falls nicht anders angegeben): Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel +41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch www.biderundtanner.ch
Billettkasse Stadtcasino Basel Steinenberg 14 / Tourist Info 4051 Basel +41 (0)61 226 36 30 info@stadtcasino-basel.ch Detaillierte Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch
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