Liva Tresch, 7, mit Haarband und Pflegemutter Dori Portmann, 1940 «Was habe ich diesen Haarbändel verflucht. Alles nur Schein und Trug. Schon als Kind war mir klar: Das ist eine verlogene Welt! Meine Pflegemutter, zum Beispiel, sie wusste, dass ihr Mann, der alte Portmann, sie die ganze Zeit hinterging. Auch ich war als Mädchen Freiwild. Eigentlich wäre ich lieber ein Bub gewesen. Die mussten sich vor nichts fürchten. Ich war schon als Kind kräftig, ich konnte gut handwerken. Und prügelte mich nur mit Jungs. Röcke habe ich gehasst, meistens hatte ich Hosen an, auch später noch: Manchesterhose, Pullover, Heilandsandalen, selbstgestrickte Wollsocken. Vielleicht munkelte man deshalb, ich sei eine Lesbe.»
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Liva Tresch, 88, in ihrer Zürcher Wohnung, 2021 «Ich kann die Welt nicht verändern. Ich kann sie mir bloss so machen, wie ich sie mir wünsche: liebend, verzeihend, achtsam, respektvoll. Dass ich wegen der Schmerzen kaum noch Schlaf finde, hat auch sein Gutes: So verbringe ich meine Nächte mit brösmelen, mit philosophieren über Gott und die Welt. Bricht der Morgen an, freue ich mich am Licht, wie es auf den Dächern gegenüber glitzert. Vor dem Tod habe ich keine Angst, nein, der kann kommen.
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FOTOS: KLAUS PETRUS, ZVG
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